Wenn im Folgenden von bürgerschaftlichem Engagement die Rede ist, orientiert sie sich an der Definition der 1999 vom Deutschen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission.
Das Interesse an den Möglichkeiten der Förderung bürgerschaftlichen Engagements hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Der Engagementbericht
Je nachdem, wie bürgerschaftliches Engagement im konkreten Fall definiert und operationalisiert wird, ergeben sich naturgemäß zum Teil sehr unterschiedliche Engagementquoten. So weist der Eurobarometer 2006, der aktive Mitgliedschaften oder ehrenamtliche Tätigkeiten erfasst, eine Engagementquote von 52 Prozent aus.
Von den 65- bis 85-Jährigen sind laut Generali Altersstudie 2013 45 Prozent bürgerschaftlich engagiert, der durchschnittliche Umfang liegt bei etwa vier Stunden pro Woche.
Der Anteil jener Menschen, die gegenwärtig nicht freiwillig engagiert, aber zu einem solchen Engagement eigenen Angaben zufolge bereit wären, hat sich laut Ergebnissen des Freiwilligensurveys zwischen 1999 und 2009 von 26 Prozent auf 37 Prozent erhöht. Entsprechend sehen die Autorinnen und Autoren weniger in einer Zunahme des Engagements als vielmehr in einer immer aufgeschlosseneren Einstellung zum Engagement den Haupttrend der betrachteten Periode. Auch die Ergebnisse der Generali Altersstudie 2013 sprechen für erhebliche bislang nicht genutzte Potenziale bürgerschaftlichen Engagements. Für 19 Prozent der 65- bis 85-Jährigen käme hier ein stärkeres Engagement infrage. In diesem Kontext ist die Aussage des Psychologen Dan McAdams bedeutsam, wonach Generativität – verstanden als Bereitschaft des Menschen, sich für andere Menschen, vor allem für Menschen der nachfolgenden Generationen, zu engagieren – nicht nur an ein entsprechendes persönliches Motiv, sondern auch an entsprechende gesellschaftliche Erwartungen und Gelegenheitsstrukturen gebunden ist.
Wenn das bürgerschaftliche Engagement älterer Menschen angesprochen ist, so wird entweder nicht innerhalb dieser Gruppe differenziert oder aber der Schwerpunkt des Interesses liegt auf dem dritten Lebensalter, das heißt der Gruppe der 65- bis 85-Jährigen. Das vierte Lebensalter, also die Gruppe der 85-Jährigen und Älteren, wird hingegen nicht (explizit) angesprochen. Hier setzt eine neue Studie des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg an, die mit Förderung des Generali Zukunftsfonds und des BMFSFJ von 2012 bis 2014 durchgeführt wird. Es geht in dieser Studie um die Fragen, 1) inwieweit auch bei Menschen im höchsten Lebensalter das Motiv erkennbar ist, sich für Menschen außerhalb der Familie zu engagieren, 2) inwieweit dieses Engagement auch subjektiv als Ausdruck des Bedürfnisses nach Mitverantwortung und Generativität gedeutet wird, 3) inwieweit sich die spezifischen Formen, aber auch Rahmenbedingungen des bürgerschaftlichen Engagements im sehr hohen Alter von jenen unterscheiden, die im dritten Lebensalter erkennbar sind, 4) welche Erfahrungen Kommunen mit dem Engagement hochbetagter Menschen bereits gewonnen haben und 5) inwieweit die Kommunen ausdrücklich zu diesem Engagement motivieren (zum Beispiel durch direkte Ansprache oder durch Medienpräsenz).
Die Frage nach den möglicherweise spezifischen Formen und Rahmenbedingungen ergibt sich aus folgender Beobachtung, die in einem Interview mit der Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich-Nielsen, die zum Zeitpunkt des Interviews selbst im höchsten Lebensalter stand, bestätigt wurde:
Die Frage, inwieweit auch hochbetagte Menschen ein – über die eigene Familie hinausgehendes – Bedürfnis nach Mitverantwortung für die Gesellschaft haben, mag überraschen. Sie mag auch Widerstand hervorrufen, und zwar in der Hinsicht, als die Verbindung von höchstem Alter und Mitverantwortung nicht ausreichend Rücksicht auf die abnehmenden körperlichen und psychischen Kräfte dieser Menschen nimmt. Überhaupt steht der Mitverantwortungsdiskurs, der im Fünften und Sechsten Altenbericht der Bundesregierung geführt wird, in der Kritik: Es wird kritisiert, dass nun vermehrt ältere Menschen Mängel in der Daseinsvorsorge der Kommunen "kompensieren" sollten, die Bürgergesellschaft also vermehrt anstelle der Kommunen aktiv werden solle. Dies aber ist mit Mitverantwortung gar nicht gemeint, von einer Kompensation kann hier auch gar nicht die Rede sein. Wenn über Mitverantwortung im Alter gesprochen wird, so wird damit ein fundamentales Bedürfnis des Menschen thematisiert: sich als Teil von "Gemeinschaft" oder "Gesellschaft" wahrzunehmen und in einem lebendigen Austausch mit anderen Menschen zu stehen. Der Teilhabebegriff meint eben nicht nur "Empfangen", sondern vor allem die Gegenseitigkeit zwischen "Geben" und "Empfangen". Dieser Austausch (Hannah Arendt spricht hier vom "Handeln") bildet die höchste Form der "vita activa". Schon Simone de Beauvoir hat in ihrer Schrift "Das Alter"
In gerontologischen Theorien zur Generativität wie auch zur sozio-emotionalen Selektivität wird postuliert, dass gerade die Übernahme von Mitverantwortung für andere Menschen eine bedeutende Quelle von Lebenszufriedenheit wie auch der gelingenden Auseinandersetzung mit den Grenzsituationen im Alter bilde. Somit liegt die Frage nahe, inwieweit durch das Schaffen von Gelegenheitsstrukturen, die ein mitverantwortliches Leben ermöglichen oder zu diesem motivieren, ein Beitrag nicht nur zum "Humanvermögen" unserer Gesellschaft, sondern auch zur Lebensqualität im Alter geleistet wird. Dabei sollte die Schaffung dieser Strukturen aber nicht vor hochbetagten Menschen Halt machen, sondern diese ausdrücklich einbeziehen.
Notwendig ist es jedoch, die spezifischen Lebensbedingungen des sehr hohen Alters zu beachten – so zum Beispiel mit Blick auf die Orte des gegenseitigen Austausches wie auch der weiteren sozialen, räumlichen und institutionellen Rahmenbedingungen. Und schließlich ist die Heterogenität im sehr hohen Alter zu berücksichtigen, das heißt die Tatsache, dass sich hochbetagte Menschen in ihrer physischen, psychischen, kognitiven, alltagspraktischen und sozialkommunikativen Kompetenz wie auch in ihren Zielen und Plänen voneinander unterscheiden. Vor diesem theoretischen und empirischen Hintergrund erscheint die Frage, inwieweit auch jenseits des 85. Lebensjahres ein mitverantwortliches Leben möglich ist, nur konsequent, will man sich nicht dem Vorwurf aussetzen, Menschen im sehr hohen Lebensalter von der Weiterentwicklung gesellschaftlicher und kultureller Entwürfe eines guten Lebens auszuschließen.
Im vom Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg ausgerichteten Projekt werden nicht nur hochbetagte Menschen selbst, sondern auch Kommunen (beziehungsweise Verbände und Vereine in den Kommunen) danach befragt, welche Formen bürgerschaftlichen Engagements hochbetagter Menschen heute bereits verwirklicht werden oder verwirklicht werden könnten, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen würden. Zudem sollen Modelle des mitverantwortlichen Lebens und bürgerschaftlichen Engagements hochbetagter Menschen untersucht werden, da von diesen Anregungen zum Schaffen entsprechender Beteiligungsstrukturen und zur Ermöglichung entsprechender Beteiligungsformen in Kommunen ausgehen können. Aus den bislang erfolgten Pilotuntersuchungen geht hervor, dass dieses Thema bei einem Großteil der Kommunen, Verbände und Vereine nicht auf der Tagesordnung steht: Wenn von bürgerschaftlichem Engagement gesprochen wird, so ist damit allgemein das Engagement "der Älteren" gemeint, aber eben nicht speziell das Engagement hochbetagter Menschen. Gleichwohl geben die bislang Befragten zu verstehen, dass dieses Thema ein bedeutsames sei – trage doch eine derartige Engagementkultur zur Erhaltung von Teilhabe und damit zur Lebensqualität im Alter bei. Auch wird hervorgehoben, dass sich in Senioren- oder Bürgerzentren, zudem auch in Bürgerstiftungen immer wieder Menschen finden, die bereits das 85. Lebensjahr überschritten haben und durch hohes Engagement und hohe Kompetenz auffallen. Allerdings werden diese Menschen eher als "Einzelfälle" betrachtet, über die man bislang nicht hinausgegangen sei.
Bereits in den Pilotuntersuchungen wurde deutlich, dass die meisten Kommunen ein großes Interesse daran haben, an der Entwicklung von Konzepten mitzuarbeiten, die sich für das bürgerschaftliche Engagement im höchsten Alter eignen. Strategien zur Verwirklichung dieser Konzepte werden zum Beispiel in Hol-, Bring- und Besuchsdiensten gesehen, die aber nicht dazu dienen, Pflegeleistungen sicherzustellen oder Tageszentren beziehungsweise Tagespflegeeinrichtungen aufzusuchen, sondern die primär dazu dienen sollen, das generationenübergreifende Gespräch zu fördern. In dem lebendigen Austausch zwischen den Generationen wird ein zentrales Element der gelingenden Teilhabe hochbetagter Menschen gesehen – und dieses Element soll verwirklicht werden.
Die in weiteren Pilotuntersuchungen durchgeführte Exploration hochbetagter Menschen zeigt, dass viele von diesen an generationenübergreifenden Gesprächen und Aktivitäten interessiert sind – und auch erwarten, Wissen, Erkenntnisse und Erfahrungen weitergeben sowie Mitverantwortung zum Beispiel bei Hausaufgaben- oder Freizeitbetreuung übernehmen zu können. Eine wichtige Voraussetzung lautet dabei: Es sollen kleine und kleinste Gruppen von Menschen sein, für die man sich engagieren möchte, die Kontakte sollen zudem eine hohe Kontinuität aufweisen, damit man sich nicht immer auf neue Menschen einstellen muss.