Hinter den Geschichten vom Weltuntergang, die wir erzählen, steckt eine Sehnsucht – nach Transformation und Umkehr, aber auch der Möglichkeit, das vollkommen Andere zu denken, sei es in Bezug auf gesellschaftliche Umbrüche, aber auch im Hinblick auf Potenziale des eigenen Ichs oder des Menschseins an sich. So beschreiben viele, die sich mit Szenarien vom Untergang der Menschheit beschäftigen, den spezifischen Reiz daran anhand der Möglichkeit, in der (Post)Apokalypse dem nahe zu kommen, was den Menschen eigentlich ausmacht. Science-Fiction-Forscher Mike Alsford stellt dazu fest, dass dieses Genre weniger mit der Zukunft oder Technologie zu tun hat als mit der human condition, also mit den Bedingungen und der Lage des Menschen an sich: "The question that consumes producers of SF as much as it does theologians and philosophers is what one might call the primal question: What are we?"
Wer sind aber diese letzten Menschen, und wie verhalten sie sich, wenn alle gesellschaftlichen Sicherheiten beziehungsweise Gegenüber plötzlich weggefegt sind? Dieser Beitrag wirft einen exemplarischen Blick auf diese Figuren und behandelt hierzu vorrangig Beispiele der Neueren Deutschen Literatur nach 1945.
Der Wunsch nach Einsamkeit beziehungsweise dem Verschwinden der uns manchmal an unserer Selbstentfaltung hinderlichen Umgebung ist nicht unbedingt mit apokalyptischen Vorstellungen verbunden. Der (post)apokalyptische Kontext macht es aber leichter, fungiert als narratives Setting, in der grundsätzliche Fragen des Menschseins beziehungsweise von Menschlichkeit verhandelt werden. In einem Tagebuch-Eintrag von Franz Kafka aus dem Jahr 1913 findet sich eine Stelle, in der er den "Wunsch nach besinnungsloser Einsamkeit. Nur mir gegenübergestellt sein." verzeichnet.
Der letzte Mensch in Kultur- und Literaturgeschichte
Der Weltuntergang beziehungsweise die Auseinandersetzung mit diesen Räumen der Einsamkeit ist Teil der Kulturgeschichte. Immer, so der Salzburger Arzt und Psychoanalytiker Bodo Kirchner in Bezug auf Wurzeln der Apokalypse, trägt dieser Untergang auch einen Retter oder eine Retterin in sich.
Welche Eigenschaften die Figuren, die in die Dialektik von Überleben und Verhandeln von Beziehungen im Angesicht des Untergangs eingewoben sind, tendenziell an den Tag legen und ob sich darin bestimmte Muster beziehungsweise Vergleichsmomente finden lassen, ist unter anderem Gegenstand dieser Betrachtung. Auch zeigen sich im postapokalyptischen Überlebenskampf oftmals dieselben, klassischen Probleme – beispielsweise hinsichtlich der Frage, wie man sich als letzter Mensch denn alleine einen Zahn zieht beziehungsweise mit Zahnschmerzen umgeht. Einfach selber reißen? Schmerztabletten auftreiben? Sich selbst überlisten? Ein derartiges Szenario ist deshalb besonders häufig und eben auch narrativ ergiebig, weil die damit aufgeworfenen Bedeutungsebenen von Schmerz, Krankheit und Expertentum eine besonders gute Metapher für unsere Abhängigkeit von anderen darstellen und damit die Unmöglichkeit des Austritts aus der Gesellschaft versinnbildlichen. Ebenso individuell ist der unterschiedliche Grad von Rebellion gegen gesellschaftliche Strukturen. Häufig werden jedoch letzte Menschen vorgestellt, die in irgendeiner Art und Weise eine Tendenz zum Außenseiter oder zur Außenseiterin aufweisen beziehungsweise mit bestimmten gesellschaftlichen Vorgängen bereits vor dem Einbruch der Katastrophe irgendwie auf Kriegsfuß standen.
Das Phänomen Postapokalypse betrachte ich als Genre, welches wiederum ein System von Teilgenres konstituieren kann.
Das Motiv des letzten Menschen reiht sich darüber hinaus in eine lange Tradition des philosophischen Diskurses ein. So bildet beispielsweise "Der letzte Mensch" von Maurice Blanchot ab, wie ein Wesen ohne Schicksal und Wahrheit literarisch aussehen könnte.
Die Allgegenwart des Themas "Untergang der Menschheit" und dessen nahezu ständige Aktualität wird bei der Betrachtung von Diskussionen um nukleare Katastrophen, aber auch dem Klimawandel deutlich. Aufgrund einer inflationären Verwendung von Katastrophenbegriffen nimmt man in der Kulturwissenschaft eine "Normalität" des apokalyptischen Diskurses an. Laut Jacques Derrida befinden wir uns durch die potenzielle Vernichtung des gesamten literarischen Archivs und damit aller symbolischer Kapazität in einem postapokalyptischen Zeitalter.
Warum wir uns gerne alleine denken
Szenarien vom Untergang der Menschheit werden oft auf deren gesellschaftliche, ontologische und identitätspolitische Relevanz hinterfragt. Auch personifizierte Ängste, die mehr oder weniger diffus in unserem Unbewussten existieren, spielen dabei eine Rolle. In den meisten Erzählungen vom Ende wird die Frage, was den Menschen, seine Identität und sein "Ich" eigentlich ausmacht beziehungsweise auszeichnet, früher oder später ausführlich gestellt. In Bezug auf die gesellschaftskritische Komponente bieten die Figuren für den Leser oder die Leserin auch eine Möglichkeit, sich eine Art "anarchistische Tarnkappe" aufzusetzen beziehungsweise in eine revolutionäre Rolle, die gängigen Gesellschaftsentwürfen entgegensteht oder diese anzweifelt, zu schlüpfen. Insofern stellt der Entwurf von Weltuntergängen immer auch einen Angriff auf bestehende Mächte dar, durch den wir unbewusst unsere Wut gegen ein Gesellschaftssystem ausdrücken. Und wenn sich diese letzten Menschen mit weniger zufrieden geben müssen, spiegelt das auch den freiwilligen Verzicht wider, der als Antithese zu kapitalistischen und konsumbasierten Modellen oft gefordert wird. Damit im Zusammenhang steht die Hypothese von der Erfüllung eines Wunsches (wish-fulfillment hypothesis): Wir halten an der Vorstellung eines Weltendes fest, weil wir uns insgeheim nach der Zerstörung der Gesellschaft allgemein oder speziell des Kapitalismus sehnen.
Personale Einzigartigkeit in postapokalyptischen Szenarien
Im Zusammenhang mit der Frage der Charakteristik letzter Menschen wird oft die Frage nach deren Geschlecht aufgeworfen. Diese ist leicht beantwortet: Gemeinhin handelt es sich bei diesen Figuren, mit wenigen Ausnahmen, um männliche Protagonisten. Wenn Frauen vorkommen, so meist in Nebenrollen, häufig im Rahmen des Projekts des gemeinsamen Zusammenlebens von Mann und Frau. Judith Merills "Shadow on the Hearth" (1950) bietet eine der wenigen weiblichen Protagonistinnen
Häufig wird die genaue Herkunft der letzten Menschen nur angedeutet beziehungsweise erst im Laufe der Handlung genauer dargelegt. Wie sie vor der Katastrophe ihr Leben geführt haben, ist Teil der Auseinandersetzung der Figuren mit der eigenen Vorgeschichte – nicht selten auch mit den dunklen Stellen der eigenen Biografie. Inwieweit sind diese Figuren, die mit dem Überleben bestraft oder auserwählt werden, aber etwas Besonders – oder anders als die anderen? Handelt es sich bei der Darstellung von Katastrophenszenarien häufig um Wunschvorstellungen von zivilisationsmüden Individuen, die sich alles nur einbilden?
Ausgehend von der bereits festgestellten Fruchtbarkeit des Motivs für existenzielle Fragestellungen wird in der Folge der Frage nachgegangen, wie personale Einzigartigkeit in verschiedenen Werken verhandelt wird beziehungsweise sich Identität in einem vordergründig subjektleeren Raum konstituiert. Dabei werden Romane der Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts herangezogen, die das Alleinsein eines Menschen nach einer Katastrophe behandeln. Relevant sind hier Arno Schmidts "Schwarze Spiegel" (1951), Marlen Haushofers "Die Wand" (1963), Herbert Rosendorfers "Großes Solo für Anton" (1976), "Dissipatio humani generis oder Die Einsamkeit" (ein 1990 in deutscher Übersetzung vorliegender Text des italienischen Autors Guido Morselli), Thomas Glavinics "Die Arbeit der Nacht" sowie der 2008 erschienene Roman "Der Tag, an dem die Sonne verschwand" von Jürgen Domian.
Aufgrund der Möglichkeit, im postapokalyptischen Setting frühere Ordnungen zu ignorieren, bieten sich für die Protagonistinnen und Protagonisten Chancen für neue, unabhängige Identitätsentwürfe und neue Verortungen des Selbst in Bezug auf gesellschaftliche Mechanismen. Im Gegensatz dazu steht das Bestreben, an den alten Konzepten und Konventionen festzuhalten und damit die Aufrechterhaltung von Normalität zu fingieren. In diesem Spannungsfeld schlagen sich eigentlich alle Figuren herum, ebenso mit Konzepten wie Schicksal oder "Auserwähltheit". Handelt es sich bei den letzten Menschen um Auserwählte, die nur nichts von ihrer Disposition wissen?
Auch wenn auf den ersten Blick der/die letzte Überlebende eher zufällig das ist, was er oder sie eben ist, so zeigen sich bei genauerer Betrachtung Zusammenhänge zwischen den Charakteristika der Hauptfiguren und deren Bedeutung für das postapokalyptische Setting. Bereits vor der Katastrophe erkennbare Aspekte von Zivilisationskritik kommen oft im Gewand des Einzelgängertums daher. Häufig werden auch intellektuell überlegene Menschen dargestellt. So grenzen sich die Figuren in "Die Wand" und "Schwarze Spiegel" ganz bewusst von der Mehrheitsmeinung und damit symbolisch vom Rest der Menschheit ab. Auch das Ich in "Die Arbeit der Nacht" ist durch eine individuelle Form gesellschaftlicher Unfähigkeit gekennzeichnet:
Auch die Ich-Erzählerin in "Die Wand" hat schon vor ihrer Abgeschiedenheit unter den Zuständen der Außenwelt gelitten: "Wären alle Menschen meiner Art gewesen, hätte es nie eine Wand gegeben, und der alte Mann müßte nicht versteinert vor seinem Brunnen liegen. Aber ich verstehe, warum die anderen immer in der Übermacht waren."
Der Held in "Dissipatio humani generis oder Die Einsamkeit" stellt einen intellektuell gezeichneten Außenseiter dar. In der Nacht auf das Unglück wollte er sich in einer Höhle umbringen,
Anton L. aus "Großes Solo für Anton" besitzt ebenfalls einige psychologische Eigenarten und leidet an diversen Zwängen: Waschzwang und Hypochondrie ersten Grades wechseln sich mit einem eigenartigen Verhältnis zur Sauberkeit ab, wenn er sich wiederholt ein halbes Jahr lang nicht wäscht.
Frühere Einbildungen oder Ängste werden auch in "Die Wand" thematisiert: "Als Kind hatte ich immer unter der närrischen Angst gelitten, daß alles, was ich sah, verschwand, sobald ich ihm den Rücken kehrte."
Letztlich kann die Katastrophe in allen Fällen als Zwischenstatus zwischen Wunschvision und Wahnvorstellung gelesen werden, wobei die Katastrophe meist als Befreiung und als Grundlage einer neuen Existenz fungiert. Diese letzten Menschen zeichnen sich durch eine Abgrenzung von der bestehenden Ordnung aus, wobei sich verdrängte Anteile der eigenen Persönlichkeit zeigen können. Wesentliche Faktoren sind dabei "irrationale Kräfte im eigenen Wesen",
Letzte Menschen sind also häufig intellektuelle Einzelgängerinnen und Einzelgänger beziehungsweise sehen sich in irgendeiner Weise als außerhalb der Gesellschaft stehend. Die "Entzivilisierung der Gesellschaft" im postapokalyptischen Setting schafft dabei Möglichkeiten für alternative Identitätsentwürfe.
Letzte Menschen – oder doch nicht?
Der letzte Mensch muss sich seiner selbst vergewissern. Er ist dabei nicht selten von einer Angst gegenüber dem mehr oder weniger bekannten "Anderen" und Misstrauen gegenüber möglichen weiteren Menschen geprägt. Interessant ist auch, dass meist an irgendeiner Stelle im Roman doch noch das andere Geschlecht auftaucht. Dahinter steckt unter Umständen die alte Vorstellung, dass nur ein Paar die Welt retten kann – dass es vielleicht also durch Liebe gelingen kann, den Untergang abzuwenden.
Die Angst, schlussendlich doch noch auf den anderen zu treffen, drückt sich beispielsweise durch Bewaffnung aus: Jonas führt in "Die Arbeit der Nacht" dauerhaft eine Pumpgun mit sich.
Durch das Fehlen gesellschaftlicher Projektionsflächen sind die Protagonistinnen und Protagonisten mit neuen Identitätsentwürfen konfrontiert. So lernt Lorenz in "Der Tag, an dem die Sonne verschwand" beispielsweise in der Einsamkeit, sich "moralisch korrekt" zu verhalten und wandelt sich als Ich deutlich. Auch das Ich aus "Die Wand" ist ein eindrucksvolles Beispiel für eine parabelhafte Lesart, in der sich das Ich im postapokalyptischen Raum völlig neu entwickelt. Und Jonas in "Die Arbeit der Nacht" steht für eine sich radikal transformierende Identität: Er verändert sich im Laufe des Romans vom gesellschaftlich geformten Stadtmenschen zu einer Art Wolfsvieh.
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass das Motiv des letzten Menschen besonders dafür geeignet ist, individuelle und gesellschaftliche Krisen – oder auch Exzesse unserer Lebensform