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Apokalyptische Rhetorik als politisches Druckmittel - Essay | Weltuntergang | bpb.de

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Apokalyptische Rhetorik als politisches Druckmittel - Essay

Franz M. Wuketits

/ 15 Minuten zu lesen

Szenarien des Weltuntergangs haben immer Konjunktur. Allein in den vergangenen 20 Jahren wurde das Ende der Welt mindestens sechsmal prophezeit. Doch nichts geschah, die Welt steht immer noch. Aber Endzeitapostel sind anscheinend sehr geduldig und finden immer einen neuen Zeitpunkt für die Apokalypse. Der Mensch ist im Allgemeinen sehr empfänglich für Katastrophen- und Endzeitszenarien, seine Lust an Untergängen gehört zu seiner psychischen Grundausstattung und spiegelt nicht nur seine zerstörerischen Potenziale wider, sondern auch seine Sehnsucht nach einer neuen, besseren Welt. Es kann kein Zufall sein, dass so gut wie alle Weltuntergangsmythen einen Neuanfang ermöglichen. Die biblische Sintflut, die in der abendländischen Kulturgeschichte einen mächtigen Eindruck hinterlassen hat, durften ein Menschenpaar und ein Paar jeder anderen Art überleben. Noahs Arche wurde zum Symbol der Rettung; wer sich rechtzeitig eine baut, wird auch die schlimmste Katastrophe überstehen.

Nun zeigt gerade der biblische Bericht über die Sintflut aber auch, dass Menschen deswegen von der Katastrophe heimgesucht wurden, weil sie sich versündigt hatten und bestraft werden mussten: "Der Herr sah, wie groß die menschliche Bosheit auf Erden war, und daß jegliches Gebilde ihrer Herzensgedanken allzeit nur böse war. Es reute ihn, den Menschen gemacht zu haben auf Erden (…). Der Herr sprach: ‚Ich will den Menschen, den ich geschaffen, vom Erdboden vertilgen, vom Menschen bis zum Vieh und zum Kriechtier und zu den Himmelsvögeln. Denn es reut mich, sie gemacht zu haben‘" (1 Mose 6, 5–7). So wurde die Sintflut zu einer "Sündflut" umgedeutet, wobei dahingestellt bleiben soll, warum Gott nicht nur den Menschen, sondern auch alle anderen (unschuldigen) Kreaturen vernichten wollte. Wie an vielen anderen Bibelstellen geht es hier jedoch in der Hauptsache um eine Begrenzung des Bösen.

Schuld und Sühne

Im biblischen Sintflut-Mythos ist, wie in anderen vergleichbaren Mythen – beispielsweise eine Flut-Geschichte aus der griechischen Mythologie, in der Zeus die Menschen wegen ihrer Verkommenheit vernichtet und auch nur ein Menschenpaar überleben lässt –, ein psychologisch und gesellschaftspolitisch tief verwurzeltes Grundmuster zu erkennen: Menschen laden Schuld auf sich und müssen dafür büßen. Dabei muss "Schuld" in einem objektiven Sinn nicht einmal im Spiel sein; viele Menschen sind wahre Meister darin, bloße "Schuldgefühle" zu entwickeln und zu hegen. Die Disposition zu Schuldgefühlen ist aber dem Menschen als Gattung eigen, und damit lässt sich gut Politik machen. Das Christentum kennt die "Erbsünde", wonach jeder Mensch bereits mit Schuld beladen zur Welt kommt und in dem Augenblick also, in dem er – naturgemäß ungefragt – geboren wird, auch schon verstrickt ist in all das Unheil, das Menschen vor ihm angerichtet haben. Wenn Menschen fortgesetzt Schuld auf sich laden, kann ihnen beispielsweise die Sintflut geschickt werden, womit sie für ihre Freveltaten zur Verantwortung gezogen und bestraft werden.

Szenarien des Weltuntergangs eignen sich in Religionen wie auch in der säkularen Politik sehr gut als Druckmittel: "Wenn ihr so weiter macht und euer Leben nicht ändert, dann kommt die große Katastrophe." Um sie gefügig zu machen, kann man (sofern Pädagogik und politische Korrektheit das heutzutage noch zulassen) unartigen Kindern etwa mit dem bösen Wolf, dem schwarzen Mann oder sonstigen zur Verkörperung des Bösen stilisierten Figuren drohen, und man kann analog dazu ganzen Völkern oder überhaupt der ganzen Menschheit zum Zwecke der (Um-)Erziehung den Weltuntergang in Aussicht stellen. Das menschliche Denken, Fühlen und Wollen ist in seinen Grundlagen in der Steinzeit – der "Kindheit" der Entwicklungsgeschichte unserer Gattung – stecken geblieben, und so funktioniert dieser Mechanismus sehr gut. Es bedarf nur politischer und/oder religiöser Führer, die einigermaßen wissend und glaubhaft auftreten. Heutzutage tun noch die Massenmedien das Ihre dazu.

Nicht von ungefähr kommt es, dass kreuz und quer durch Zeiten und Kulturen Menschen "sündigen" und dafür durch "höhere Gewalten" zur Rechenschaft gezogen, bestraft werden. Und so wie der Mensch also (objektiv berechtigte oder unberechtigte) Schuldgefühle zu entwickeln vermag, so kann er auch (objektiv begründet oder nicht) von Ängsten heimgesucht werden. Die Kombination beider, die "Schuld-Angst", ist seit jeher dazu geeignet, Menschen von ihnen selbst verschuldete (!) Bedrohungen vorzuführen und letztlich die Apokalypse anzukündigen. Haben sich in früheren Zeiten Menschen in der Hauptsache gegen Gott versündigt, so "versündigen" sie sich heutzutage gegen das Klima, gegen Sicherheitsvorschriften im Interesse der Terrorbekämpfung oder gegen die zur Bewältigung der Finanzkrise eingeführten Sparmaßnahmen. Das archaische Grundmuster von Schuld und Sühne ist geblieben, es durchzieht die politische Rhetorik – und auch das politische Handeln.

Katastrophen – Wirklichkeit und Mythos

Katastrophen begleiten die Erd- und Menschheitsgeschichte. Aus evolutionstheoretischer Sicht sind sie sozusagen ganz normale Phänomene. Mehrmals wurde in den vergangenen 500 Jahrmillionen die Pflanzen- und Tierwelt gewaltig erschüttert, vor etwa 250 Millionen Jahren entging das Tierreich nur knapp seinem totalen Untergang. Eine katastrophale Klimaänderung könnte die Ursache dafür gewesen sein. Am bekanntesten ist natürlich das Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren. Mit ihnen starben damals auch andere, weniger spektakuläre Tiergruppen aus, etwa die Ammoniten (zu den Kopffüßern zählende Weichtiere). Der Auslöser dieses Massensterbens war der Einschlag eines Meteoriten oder Asteroiden auf der Erde.

Bemerkenswert ist der Umstand, dass jede der großräumigen erdgeschichtlichen Katastrophen zugleich einen Neuanfang markiert. Nach dem Niedergang einer Tiergruppe kommt es stets zur Entfaltung einer anderen, so dass man in Katastrophen sogar eine Triebkraft der Evolution sehen kann. Wir dürfen mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass es uns Menschen, die Menschenaffen und andere Primaten sowie die meisten übrigen heute lebenden Säugetiere gar nicht gäbe, wenn die Dinosaurier weiterhin ihre dominierende Position in der Natur eingenommen hätten. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass alles so kommen musste, wie es eben kam, weil die Evolution keine Pläne und Absichten kennt. Es bleibt uns aber unbenommen, dem Asteroiden dankbar dafür zu sein, dass er damals auf die Erde geflogen kam und nicht an ihr vorbeiflog, da wir uns sonst unseres Lebens nicht erfreuen könnten.

Aber die Menschheitsgeschichte bietet keineswegs nur Anlass zur Freude. Sie wurde – und wird – ständig von Naturkatastrophen begleitet, die zumindest regional mit größter Wucht zuschlagen. Zu den jüngsten dieser Katastrophen gehört der Hurrikan "Sandy", der an der nordamerikanischen Ostküste und unter anderem in Haiti (wo sich die Menschen von dem Erdbeben aus dem Jahr 2010 noch nicht erholt hatten) Verwüstungen anrichtete. Er forderte unmittelbar mehr als 180 Menschenleben. Schwere Stürme, Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche, Überflutungen, Dürrekatastrophen, extreme Kälte, Epidemien – sie treffen Menschen mit großer Wucht und kommen unerwartet oder sind doch nur bedingt voraussagbar. Daneben verzeichnet die Menschheitsgeschichte in jüngster Zeit auch wiederholt technische Katastrophen wie Zugentgleisungen, Massenkarambolagen auf Autobahnen, Flugzeugabstürze oder Reaktorunfälle, die auch in Kombination mit oder als Folge von Naturkatastrophen auftreten können (siehe Fukushima). Schließlich erweist sich der Mensch selbst als gewaltige Katastrophe. Die beiden Weltkriege haben mehr Menschenopfer gefordert als unzählige Erdbeben, Tsunamis, Überflutungen und sonstige Naturkatastrophen zusammengenommen.

Die Allgegenwart von Katastrophen hat Menschen zu allen Zeiten beschäftigt. In Ermangelung rationaler, naturwissenschaftlicher Erklärungen wurden Mythen gesponnen, für katastrophale Ereignisse die Verantwortlichkeit "höherer Mächte" angenommen; zürnende Götter standen stets zur Verfügung. Ursachen für Katastrophen deutete der Mensch als "Schuld" und projizierte sie auf sich selbst – oder, besser gesagt, auf diejenigen seiner Artgenossen, die sich den jeweils herrschenden (Moral-)Vorstellungen gemäß frevelhaft benahmen. Eines der besten Beispiele dafür ist das Erdbeben, das am 1. November 1755 Lissabon erschütterte und in der Folge ein geistiges Nachbeben auslöste. Mit etwa 30.000 Todesopfern war es keineswegs das größte Erdbeben der überlieferten Menschheitsgeschichte, erlangte aber eine große kulturhistorische Bedeutung. Es erschütterte sowohl die Fortschrittsoptimisten als auch alle diejenigen, die glaubten, dass sie in der besten, von einem allmächtigen und gütigen Gott regierten Welten leben. Das Erdbeben rief viele Prediger, vor allem aus dem protestantischen Kirchenlager, auf den Plan: Angesichts des großen Reichtums der Stadt konnten die Sünden ihrer Bewohner nicht weit sein, und obendrein schien die katholische Tradition mit ihrer dem Aberglauben gleichkommenden Heiligenverehrung Lissabon als Zielscheibe des göttlichen Zorns zu prädestinieren.

Apokalyptische Rhetorik

Zwar hat bislang keine auch noch so große Katastrophe zum Untergang der Menschheit, der Erde oder gar des Universums geführt – also zum Weltuntergang in des Wortes enger und eigentlicher Bedeutung –, aber den Predigern der Apokalypse bieten auch "kleine" Katastrophen stets Anlässe, den Weltuntergang zu verkünden. Die Rolle der Prediger und Seher haben heute weitgehend die Massenmedien übernommen, die uns im Halbstunden-Rhythmus über Katastrophen informieren (welche ja immerhin die Boten der ganz großen Katastrophe, der Apokalypse, sein könnten): Katastrophenbilder sind zum Dauerzustand geworden, vermitteln uns Erdbeben, Wirbelstürme und Waldgroßbrände, genauso aber auch Kriege beziehungsweise Bürgerkriege mit dem damit einhergehenden Flüchtlingselend. Und alles das hautnah. Diejenigen, die diese Bilder frei Haus geliefert bekommen, sind im Allgemeinen von den Katastrophen selbst nicht betroffen. Sie können damit nur ihre Lust an Katastrophen befriedigen und sich in dem Bewusstsein, dass Katastrophen meistens doch weit weg stattfinden, beruhigt zurücklehnen.

Der Katastrophenjournalismus und die ihm innewohnende apokalyptische Rhetorik erfüllen so gesehen den Zweck, die Lust des Menschen auf Untergänge zu stillen. Da aber eine Katastrophe die andere jagt – und jede ist, wird sie in den Massenmedien entsprechend aufbereitet, so gut wie eine beliebige andere –, können sich Konsumenten von Katastrophenberichten (immer vorausgesetzt, sie sind selbst nicht die Betroffenen) stets der Hoffnung hingeben, dass ja alles nicht so schlimm sein könne, weil die Welt doch immer noch steht. Bei allen Berichten tritt nach einer gewissen Zeit ein Saturiertheitseffekt ein. Die Medienmacher wissen das sehr gut, so dass über ein und dieselbe Katastrophe nur so lang berichtet werden darf, wie die Berichte noch einigermaßen erschütternde Einzelheiten enthalten. Ist das nicht mehr der Fall, muss die nächste Katastrophe her – die im Regelfall nicht lang auf sich warten lässt.

Nicht lang auf sich warten lassen aber im Falle jeder Katastrophe Leute, die mahnend und warnend ihre Zeigefinger erheben. Das alte Muster von Schuld und Sühne spielt auch heute, in unserem angeblich aufgeklärten Zeitalter, eine bedeutende Rolle. Als der Hurrikan "Katrina" vor sieben Jahren in New Orleans wütete, fehlte es an Anspielungen nicht, dass diese Stadt mit ihrer Ausgelassenheit, Frivolität und Dekadenz Sodom und Gomorrha sehr nahe gewesen sei – näher jedenfalls als andere (amerikanische) Metropolen. Nun ist hier nicht darüber zu diskutieren, inwieweit die Katastrophe von New Orleans – aus ganz banalen (geologischen, ozeanografischen und ökologischen) Gründen – eine hausgemachte war. Interessant ist im vorliegenden Zusammenhang, dass diese Katastrophe die apokalyptische Rhetorik beflügelte. Inzwischen wurde sie längst von anderen Katastrophenmeldungen verdrängt, die aber von der gleichen Rhetorik begleitet werden. Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass die Finanz- oder Eurokrise von Politikern ständig in apokalyptische Redewendungen gefasst wird. Selbst ein oberflächliches Durchblättern von Zeitungen oder das Hinhören bei Radiosendungen mit nur einem Ohr können nicht verschleiern, dass da ein apokalyptisches Szenario zusammengezimmert wird – falls, ja, falls sich nicht alles ändert, falls alle Menschen den Gürtel enger schnallen, die Griechen plötzlich ihre Steuern zahlen, die Deutschen zu immer größer werdenden Solidarabgaben bereit sind und so weiter, dann könnte es ja einen Ausweg aus der Krise geben … Selbstverständlich ist die Finanzkrise nicht auf eine Ebene mit Naturkatastrophen zu stellen. Aber was macht das schon für einen Unterschied! Eine Katastrophe ist und bleibt eine Katastrophe. Sie kann aber durch die Medien sozusagen vergrößert werden.

Das Erfolgsrezept der Medienwelt liegt in der Maximierung von Emotionen und Erregungen, womit ein Höchstmaß an Spannung erzeugt wird – ein Funktionsmechanismus, an dem sich die Politik zunehmend orientiert. Katastrophenszenarien sind in der Politik durchaus willkommen. Ein Politiker, der sich in eine Katastrophenregion begibt, vermittelt den Betroffenen den Eindruck des Mitempfindens, des Mitleidens, was wiederum medial inszeniert wird und dem Politiker zum Vorteil gereicht. Noch besser ist es freilich, wenn die Katastrophe erst gar nicht eintritt und ein bloßes Szenario bleibt, wenn ein Politiker sich damit brüsten kann, dass die drohende Katastrophe durch sein rasches Einschreiten – beispielsweise das Importverbot bestimmter Lebensmittel im Falle einer sich ankündigenden Epidemie – ausgeblieben sei. Dabei ist es unerheblich, wie groß die Gefahr tatsächlich war oder ob sie überhaupt bestand. Unter dem Einfluss der Massenmedien sind kollektive Ängste leicht zu schüren. Die apokalyptische Rhetorik hat aber auch eine entlastende Wirkung: Ganz gleich, wie chaotisch und unsicher sich diese Welt präsentiert, wird am Ende doch alles gut, wird es – wie in den alten Mythen – einen Neuanfang geben. Das "absolute Ende von allem" will und kann sich doch kaum jemand wirklich vorstellen. Daher muss auch praktisch jeder Katastrophenfilm einige Menschen am Leben lassen, die einen Neubeginn wagen dürfen und die Chance erhalten, eine bessere Welt aufzubauen.

Katastrophenszenarien als politische Projekte

Durch apokalyptische Rhetorik aufgeblasene Katastrophenszenarien haben nicht zuletzt den Zweck, Freiheitsrechte der Bürger einzuschränken und die Macht der Regierungen zu stärken. Weltuntergangsdrohungen sind Mittel zur Macht, wobei es unerheblich ist, welcher Grad an Wahrscheinlichkeit dem jeweiligen Horrorszenario zukommt, aus welcher Richtung eine reale oder auch nur eingebildete Gefahr gewittert wird. Stets finden sich genügend Menschen, die an jede auch noch so unwahrscheinliche oder absurde Schreckensvision glauben. Ihrer dürfen sich die jeweiligen Machthaber versichern, sie werden mithelfen, die drohende Katastrophe zu verhindern, indem sie jeden denunzieren, der durch sein Verhalten die Katastrophe vermeintlich mit bewirken könnte. Dieser höchst gefährliche Mechanismus ist aus Geschichte und Gegenwart hinreichend bekannt. Um bestimmte politische Projekte durchzusetzen, werden Schreckensszenarien konstruiert, beispielsweise eine ständige Terrorgefahr. Die Tatsache, dass es Terroranschläge immer wieder gegeben hat, lässt diese Gefahr natürlich auch für die Gegenwart und Zukunft realistisch erscheinen. Man kann sie aber auch künstlich hochschrauben. Und genau das geschieht heutzutage, so dass allerorten Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, Videokameras installiert und persönliche Daten gespeichert werden. Den Bürgern wird weisgemacht, dass sogar die Einengung ihrer Bewegungsfreiheit im Interesse ihrer eigenen Sicherheit (!) geschieht oder zu geschehen habe. Terroranschläge liefern – jedenfalls seit dem 11. September 2001 – Politikern und Gesetzgebern sehr gute Motive für die Ausweitung ihrer eigenen Macht bei gleichzeitiger Entmündigung der Bürger.

Ein anderes Beispiel ist der Klimawandel. Massenmedien und Politiker – diese wahrscheinlich unter dem Einfluss der ersteren – haben längst beschlossen, dass wir auf eine Klimakatastrophe zusteuern, wenn wir keine Maßnahmen dagegen setzen. Daher wird "Klimapolitik" betrieben, die sich dem "Klimaschutz" widmet und als äußeres Kennzeichen die Veranstaltung aufwendiger "Klimakonferenzen" anzubieten hat – mehr aber schon nicht. Doch verschiedene Slogans dringen längst in unsere Alltagswelt ein, so etwa, dass wir etwas für "unser Klima" tun müssten. Als ob das Klima uns gehörte! Ohne hier zu weit auszuholen, bleibt nur darauf hinzuweisen, dass das Klima in der Erdgeschichte keine Konstante darstellt, sondern sich fortgesetzt gewandelt hat. Es gab Kalt- und Warmzeiten, gewaltige Klimakatastrophen, die wahrscheinlich unzählige Pflanzen- und Tierarten ausgelöscht haben. Und Wetterextreme, beträchtliche Temperaturschwankungen, entsprechen auch über kürzere Zeiträume durchaus der Normalität. Ist man aber einmal von der drohenden Klimakatastrophe überzeugt, kann praktisch jedes beliebige regionale Wettergeschehen als Vorbote dieser (globalen!) Katastrophe gedeutet werden. In den vergangenen hundert Jahren ist die Durchschnittstemperatur auf der Erde um etwas weniger als einen Grad Celsius gestiegen. Das ist zunächst einmal alles. Dass aber das Klima stärker variiert als in den vergangenen 50 oder auch in den vergangenen 200 Jahren, konnte nicht festgestellt werden. Als problematisch erweist sich auch die inzwischen meist stillschweigend akzeptierte Annahme, dass der Klimawandel auf anthropogene Ursachen zurückzuführen, der Mensch also ein "Klimasünder" sei.

Es kann nicht in Abrede gestellt werden, dass der Mensch mit seinen Flugzeugen, Autos und Industrieanlagen Unmengen an Schadstoffen in die Atmosphäre entsendet, wofür es in der ganzen Erdgeschichte keinen Präzedenzfall gibt. Ebenso wenig ist daran zu zweifeln, dass der Mensch in den modernen Industriegesellschaften mehr Energie verbraucht (und verschwendet) als irgendein anderes Lebewesen vor oder neben ihm. Aber daraus lässt sich – rein wissenschaftstheoretisch gesehen – noch nicht zwingend folgern, dass der Mensch dabei ist, eine Klimakatastrophe zu verursachen. Im Mittelalter gab es eine über Jahrhunderte andauernde Warmzeit, die dazu führte, dass in der Umgebung von Köln Feigen wuchsen und reiften und der Weinanbau an Elbe und Saale an Fläche gewann. Für diese klimatische Verschiebung konnten ja schwerlich Menschen verantwortlich sein. Selbstverständlich sind solche den heutigen Klimawandel – sofern er überhaupt in großem Stil stattfindet – relativierende Überlegungen für die Massenmedien und Politiker, die die Welt zu retten vorgeben, uninteressant und eigentlich störend. Wo keine Bedrohung besteht, dort braucht man auch keine Maßnahmen zu ergreifen und kann sich daher nicht in Szene setzen. Der Lust auf Weltuntergänge kommen ganz andere Szenarien weit besser entgegen, so vor allem die Vorstellung eines dramatischen Temperaturanstiegs in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten, die große Regionen der Erde unbewohnbar machen und gewaltige Migrationswellen (mit entsprechenden menschlichen Katastrophen) auslösen werden.

Mögliche zukünftige Klimakatastrophen sollen nicht verharmlost werden. In der Tat sind verschiedene Szenarien in diesem Zusammenhang denkbar, selbst wenn sich der Mensch dabei tatsächlich als "unschuldig" erweisen könnte. Aber wer kann wirklich voraussagen, was sich in den nächsten Jahrhunderten abspielen wird?! Die Adepten der Apokalypse allein scheinen alles besser zu wissen und liefern den Medien und der Politik willkommene "Argumente" für eine apokalyptische Rhetorik, die den Einzelnen einschüchtern und zu Veränderungen seines Verhaltens zwingen soll.

Ökodiktatur

In den 1960er Jahren machte sich, zunächst noch zaghaft und von den damaligen Politikern mit Argwohn betrachtet, die "ökologische Bewegung" bemerkbar, deren Botschaft sich auf die simple Formel reduzieren lässt: "Wir müssen auf unsere (natürliche) Umwelt Rücksicht nehmen." Man bemerkte damals, dass der Mensch die natürlichen Ressourcen auf verantwortungslose Weise ausbeutet und sich damit selbst den Boden unter seinen Füßen wegzieht. Den späteren ökonomischen Aufschwung von Ländern wie China – und vor allem China – konnte man damals nicht ahnen. Aber es wurde grundsätzlich deutlich, dass sich eine rasch expandierende Ökonomie mit der den Menschen umgebenden Natur nicht verträgt. Genutzt hat diese Einsicht in der Praxis bis heute nicht sehr viel, weil die Ökonomie – mit Konsumbereitschaft, Kaufkraft, Profit und Kapital – zum beinahe alles bestimmenden Faktor im Verhalten des Einzelmenschen und seiner Kollektive geworden ist. Ganz wirkungslos blieb die ökologische Bewegung allerdings nicht. Gelegentlich lässt sie sogar hohe Wellen schlagen. Nicht, dass man inzwischen die sehr komplexen Zusammenhänge in der Biosphäre wirklich begriffen hätte; bis es so weit ist, wird es noch dauern. Aber Ökoapostel sind ständig unterwegs, wiederum unterstützt von den Massenmedien dürfen sie verkünden, dass das Leben, das wir bisher geführt haben, uns ins Verderben führen wird und wir daher unser Handeln gründlich ändern müssten.

Dahinter steckt sogar – wer will es ernsthaft leugnen – mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Jedenfalls in den Industriegesellschaften leben wir in einem Zeitalter nie dagewesener Verschwendung natürlicher Ressourcen. Es ist zu bremsen, weil unbegrenztes (Wirtschafts-)Wachstum nun einmal eine Illusion ist. Aber wie so oft kann das Pendel schnell ins andere Extrem umschlagen. Daher warnte Ernst Ulrich von Weizsäcker (bereits vor über 20 Jahren!) ausdrücklich vor einer Ökodiktatur, die insbesondere bei knapper werdenden Ressourcen eine Gefahr darstelle. Die Versuchung für den Staat, von oben festzulegen, was Bürger konsumieren dürfen, sei groß. Weizsäcker wörtlich: "Die Mangelwirtschaft in Krieg oder Nichtkrieg war schon immer der ideale Ansatzpunkt für Diktaturen. Die freiheitliche Demokratie umgekehrt konnte sich am leichtesten dort ausbreiten, wo es genug zu verteilen gab. Die ökologischen Sachzwänge, die uns, ob wir wollen oder nicht, in ein Jahrhundert der Umwelt hineinzwingen, wären ein geradezu idealer Vorwand für Staaten, Staatenbünde oder Wirtschaftsgiganten, eine Art Ökodiktatur zu errichten."

Die Sparprogramme diverser Regierungen heute zeigen, wie das funktioniert. Zwar geht es dabei nicht um die Rettung unserer natürlichen Umwelt (um die sich Vertreter der Finanzwirtschaft und Finanzpolitik im Allgemeinen überhaupt nicht scheren), aber um ein apokalyptisches Szenario, das, wie realistisch oder unrealistisch es letztlich auch sein mag, der Politik die Legitimation liefert, von Bürgern Einschränkungen in ihrem Leben zu verlangen.

Schlussbemerkung

Apokalyptische Rhetorik ist aus der Politik schwer wegzudenken. Nichts vermag in ganzen Kollektiven von Menschen stärkere Emotionen wachzurufen und politischem Handeln bessere "Argumente" zu liefern als eine drohende Katastrophe. Und da das Weltgeschehen nun einmal von mehr oder weniger regelmäßig auftretenden Katastrophen begleitet wird, ist es einfach, Menschen fortgesetzt für politisch motivierte Katastrophenverhinderungen zu gewinnen. Als mündiger Bürger muss man die apokalyptische Rhetorik stets genau unter die Lupe nehmen und kritisch fragen, wie realistisch denn das eine oder andere Katastrophenszenario überhaupt ist. Oder wir halten es mit Thomas Bernhard: "Um Katastrophen braucht man sich eigentlich (…) nicht zu sorgen, die kommen schon. Aber vielleicht muß man sie heraufbeschwören, zeitweis, weil von selbst dauert’s zu lang."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Franz M. Wuketits, Die Boten der Nemesis. Katastrophen und die Lust auf Weltuntergänge, Gütersloh 2012; ders., Die Lust an Katastrophen, in: Psychologie heute, 39 (2012) 3, S. 40–43. Siehe auch den Beitrag von Wolf-Detlef Rost in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  2. Vgl. F.M. Wuketits, Nemesis (Anm. 1), S. 175ff.

  3. Vgl. Rudolf Bilz, Studien über Angst und Schmerz, Frankfurt/M. 1974.

  4. Vgl. Erhard Oeser, Katastrophen. Triebkraft der Evolution, Darmstadt 2011.

  5. Vgl. F.M. Wuketits, Nemesis (Anm. 1), S. 57ff.

  6. Ein Erdbeben in China am 2. Februar 1556 forderte an die 800.000 Menschenleben, und dem wohl katastrophalsten Erdbeben im Jahr 1201, das mehrere Länder (unter anderem Syrien und Ägypten) erfasste, fielen etwa eine Million Menschen zum Opfer.

  7. Vgl. Martina Kölbl-Ebert, Lissabon 1755 – Anatomie einer Erderschütterung, in: Archaeopteryx, 23 (2005), S. 83–98.

  8. Vgl. Rüdiger Görner, Endzeiten, Untergänge und andere Apokalypsen. Literarische "Endspiele", in: Universitas, 66 (2011), S. 5–13.

  9. Siehe beispielsweise Erich Follath et al., Wenn alle Dämme brechen, in: Der Spiegel, Nr. 36 vom 5.9.2005, S. 114ff.

  10. Vgl. Farah Dustdar, Demokratie und die Macht der Gefühle, in: APuZ, (2008) 44–45, S. 32–38.

  11. Siehe auch Michael Shermer, The end is always nigh, in: New Scientist vom 4.6.2011, S. 30–31.

  12. Vgl. F.M. Wuketits, Nemesis (Anm. 1), S. 192ff.

  13. Vgl. Reinhard Böhm, Mehr Naturkatastrophen durch Klimawandel?, in: Historische Sozialkunde, 3 (2011), S. 4–12.

  14. Vgl. Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, Frankfurt/M. 2007.

  15. Vgl. Hazel Muir, Thermogeddon: When the earth gets too warm for humans, in: New Scientist vom 23.10.2010, S. 36–39.

  16. Vgl. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Erdpolitik. Ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt, Darmstadt 1989.

  17. Ebd., S. 268.

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Dr. phil., geb. 1955; Professor für Philosophie der Biowissenschaften an der Universität Wien, Universitätsstraße 7, 1010 Wien/Österreich. E-Mail Link: franz.wuketits@univie.ac.at