Politische Sozialisation (PS) ist in engem Zusammenhang mit politischer Kultur, politischer Meinungs- und Werteforschung und mit politischer Bildung zu sehen. Nimmt man die klassische Definition politischer Kultur als die "jeweilige Verteilung von Orientierungsmustern gegenüber politischen Gegenständen“
In Deutschland wurden seit Beginn der 1970er Jahre die etwa eine Dekade früher begonnenen US-amerikanischen Forschungsansätze aufgenommen. Nach einem Boom weit angelegter Untersuchungen in den 1970er Jahren widmete sich die Forschung zur PS danach zunächst zahlreichen Einzelaspekten, um erst in den 1990er Jahren – unter dem Eindruck von Um-brüchen und neuen Entwicklungen – wieder größere Breite zu gewinnen.
Analytisch läßt sich der Blick auf die PS unterfächern in die Teilaspekte: Instanzen, Prozesse und Inhalte. Bei den Instanzen kann nach Handlungsräumen, Institutionen und Akteuren gefragt werden. Weitgehend eingebürgert hat sich die Unterscheidung in primäre Sozialisationsinstanzen (Familie oder z. B. informelle Freundschaftsgruppe, Peergroup), sekundäre Instanzen (Schule, Vorschule, Jugendarbeit, Jugendverbände) und tertiäre (politische und gesellschaftliche Institutionen: z. B. Parteien, Verbände und Kirchen). Sie ist allerdings dann als problematisch anzusehen, wenn damit eine klare zeitliche oder hierarchische Reihenfolge behauptet wird, die sich angesichts der gegenseitigen Beeinflussung und Verflechtung der Instanzen empirisch nicht belegen lässt. So sind etwa die Wirkungen der Familie auf die (frühe) PS kaum trennbar von deren sozialer Situation und vom Umfeld der Massenmedien. Auch der Effekt von Großereignissen, wie Kriegen, Systemumbrüchen oder Naturkatastrophen, auf die PS muss in Betracht gezogen werden.
Prozesse bezeichnen den intermediären Bereich der Vermittlung in ihrer kausalen und zeitlichen Struktur. Auf die Frage nach unterscheidbaren Phasen der PS gibt es keine eindeutigen Antworten. Die Kristallisationsthese geht davon aus, dass die frühkindlich im familiären Kontext erworbenen allgemeinen Orientierungen ("Primat der frühkindlichen Sozialisation“) dauerhaft wirksam bleiben ("Per sistenz“) und die späteren Orientierungen politischen Meinens und Handelns prägen ("Strukturierung“). Als entscheidend für die Ergebnisse des Prozesses der PS wird nicht nur die Frage angesehen, wann und von wem, sondern auch wie gelernt wird. Unterschiedliche Kommunikations- und Erziehungsstile etwa in der Familie spielen dabei offensichtlich eine wichtige Rolle.
Auszug aus: Uwe Andersen/Wichard Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 20035; Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2003, online: www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/ 40358/politische-sozialisation (12. 11. 2012).