Wissenschaftler, die sich mit Fragen der politischen Bildung in Deutschland beschäftigen, beschreiben deren Entwicklung nach 1945 gerne als Erfolgsgeschichte. Das betrifft sowohl die Geschichtsschreibung der formalen, schulischen politischen Bildung
Zunächst ist zu unterscheiden zwischen der sogenannten Politikdidaktik und der außerschulischen politischen Jugendbildung sowie der politischen Erwachsenen- und Weiterbildung.
Die außerschulische politische Jugend- und Erwachsenenbildung ist dagegen ein ausgesprochen disparates pädagogisches Feld mit einer großen Zahl heterogener Institutionen und einer pluralen Trägerstruktur. Die Arbeit dieser Träger wird auf nationaler Ebene vom Bundesausschuss Politische Bildung (bap) koordiniert. Als Mitglieder im Bundesausschuss sind wiederum die Dachverbände der kirchlich-konfessionellen Einrichtungen, die Stiftungen der politischen Parteien, die Jugendverbände, der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten und viele andere Verbände und Arbeitsgemeinschaften vertreten, die neben allgemeiner und beruflicher Bildung auch politische Bildung anbieten.
Die politische Jugend- und Erwachsenenbildung verfügt im Vergleich zur Politikdidaktik nur über wenige institutionalisierte Kontakte zu Hochschulen oder entsprechend eindeutig deklarierte und damit dem Feld nahestehende Lehrstühle. Einige von ihnen haben in den vergangenen Jahren größere Projekte oder Evaluationen der non-formalen politischen Bildung wissenschaftlich begleitet.
Grundsätzlich erscheinen die inzwischen etablierten Begriffe "formale Bildung" und "non-formale Bildung" sehr gut geeignet, um die schulbezogene und die außerschulische politische Bildung voneinander abzugrenzen. Formale Bildung orientiert sich auf verwertbare Abschlüsse (Schule, Berufsbildung, Hochschule) und ist zu unterscheiden von den traditionell eher zweckfreien non-formalen Bildungsfeldern "neben oder nach der Berufstätigkeit"
Die formale und die non-formale politische Bildung haben nach 1945 viele ähnliche Entwicklungen durchlaufen. Vor allem ihre theoretischen Debatten waren oft aufeinander bezogen und durch allgemeine politische und gesellschaftliche Entwicklungen beeinflusst. Dennoch unterscheiden sich die Felder in ihrem Selbstverständnis stark voneinander und die Kommunikation zwischen ihnen ist bis heute (bedauerlicherweise) unterentwickelt.
Zur Entwicklung im Nachkriegsdeutschland
Aufgrund der wissenschaftlichen Obdachlosigkeit und der strukturellen Vielfalt der non-formalen politischen Bildung scheint es verständlich, dass bisher kein Versuch unternommen worden ist, die Entwicklung der außerschulischen politischen Bildung nach 1945 insgesamt zu beschreiben. Dagegen liegen einige Handbücher vor, in denen die politische Erwachsenenbildung,
Es gehört aber zum weitgehend geteilten historischen Selbstverständnis, dass die politische Bildung nach dem Krieg – die "übrigens zunächst mehr außerhalb als innerhalb der Schule"
Ein aktueller Beitrag zur Philosophiegeschichte der Bundesrepublik teilt die Zeit nach 1945 in eine mit "Hermeneutik" überschriebene erste Hälfte (getragen von der Generation der um 1900 Geborenen, allen voran von Hans-Georg Gadamer) und eine mit "Ideologiekritik" überschriebene zweite Hälfte (getragen von der Generation der um 1930 Geborenen, allen voran Jürgen Habermas)
Neue bildungsgeschichtliche Forschungen über die sogenannte Civic Education Mission, an der auch Habermas teilnahm und die als "fortgesetzter Versuch" nun deutsch-amerikanischer Reeducation bezeichnet werden kann, bestätigen den Erfolg der Reeducation – jedenfalls mit Blick auf die politische Bildung.
Bis heute ist wenig darüber bekannt, wie die pädagogisch-didaktische Praxis der Reeducation und die Übergänge zu einer eigenen deutschen non-formalen politischen Bildung ausgesehen haben. Aus bisher nicht genauer ausgewerteten Archivmaterialien lässt sich allenfalls erahnen, dass es offenbar viele Gemeinsamkeiten gibt zwischen dem, was wir heute als "Demokratielernen" bezeichnen, und den frühen demokratischen Graswurzelinitiativen der Nachkriegsjahre. Vor allem in Baden-Württemberg beziehungsweise den noch nicht vereinigten Ländern im Südwesten gab es viele sogenannte Bürgergemeinschaften, die sich 1952 zu einer Landesarbeitsgemeinschaft zusammenschlossen. Dokumente aus dieser Zeit zeugen davon, dass es bereits ihnen um eine "Vertiefung der Demokratie als Lebensform und nicht nur als Staatsform" ging,
Zum Selbstverständnis non-formaler politischer Bildung
Angesichts der in einer pluralen Demokratie konstitutiven Vielfalt der Träger der außerschulischen politischen Bildung ist es ein gewagtes Unterfangen, ein gemeinsames Selbstverständnis non-formaler politischer Bildung beschreiben zu wollen. Zunächst sei vorweggenommen, dass es zu keiner Zeit das Bedürfnis gab, einen Minimalkonsens zu formulieren, wie es ihn seit 1976 mit dem sogenannten Beutelsbacher Konsens für die schulische politische Bildung gibt. Dieser entstand vor dem Hintergrund heftiger Querelen um Ziele und Aufgaben politischer Bildung in der Schule und entsprechend kontroverser Debatten um Lehrpläne für den politischen Unterricht. Bis heute gilt er als das Ereignis der Befriedung dieser Konflikte und gewissermaßen als Voraussetzung für eine Entwicklung der Politikdidaktik hin zu einer eigenen Wissenschaft – und somit bei vielen Vertretern dieser Disziplin als geradezu sakrosankt.
Im Beutelsbacher Konsens werden das Kontroversitätsgebot (politisch und wissenschaftlich kontroverse Themen sind im Unterricht als Kontroverse zu vermitteln) und das sich daraus ergebende Indoktrinationsverbot (Schülerinnen und Schüler dürfen nicht mit einseitigen Meinungen überwältigt werden) als Prinzipien des Politikunterrichts in der Schule festgeschrieben. Ein dritter, weitgehend vernachlässigter Teil betont aber auch, dass Schülerinnen und Schüler lernen sollen, ihre eigene Interessenlage zu erkennen und Politik im Sinne dieser Interessen zu beeinflussen; was nach dem Wortlaut des Konsenses ausdrücklich die Entwicklung operationaler Fähigkeiten mit einschließt.
In der non-formalen politischen Bildung wurde der Beutelsbacher Konsens erst Mitte der 1990er Jahre als Thema entdeckt. Seither wird anhaltend kontrovers diskutiert, ob ein solcher Konsens für die außerschulische Bildung sinnvoll sei. Inzwischen hat sich eine interessante Debattenlage ergeben: Einerseits hat Klaus-Peter Hufer, einer der letzten dezidierten Gegner dieses Konsenses, der immer Parteinahme, ja sogar Parteilichkeit im Rahmen der außerschulischen politischen Bildung gefordert hat, die Einführung des Beutelsbacher Konsenses in die Erwachsenenbildung als "ein wichtiges Merkmal der Professionalität politischer Bildung" beschrieben, immunisiere dieser doch "gegen fremdbestimmte Vorgaben und Versuche, politische Bildung zur Schulung werden zu lassen, sie zu funktionalisieren oder instrumentalisieren".
Welche gemeinsamen Ziele verbinden darüber hinaus die Träger der non-formalen politischen Bildung? Zunächst ist da die normative Perspektive der Demokratie: "Unabhängig von (partei-)politischen oder theoretischen Standpunkten ist der Bezug zur Demokratie Grundlage politischer Bildung."
Eine zweite gemeinsame Zielperspektive non-formaler politischer Bildung ergibt sich meines Erachtens aus einer Standortbestimmung, die darin besteht, die politische Realität kritisch an den Maßstäben der Demokratie zu überprüfen. Das zu betonen, ist keineswegs selbstverständlich, weil der Begriff "Kritik" in den Diskursen der politischen Bildung lange Zeit für ein im wahrsten Sinne des Wortes (politisch) rotes Tuch gehalten wurde. Nicht zuletzt deshalb wurde der non-formalen politischen Bildung, die eigentlich immer am Kritikbegriff festgehalten hat, vorgeworfen, sie betreibe mehr Mission als Aufklärung, arbeite nicht nach professionellen Maßstäben und müsse sich infolgedessen modernisieren.
Dass sich die außerschulische Jugend- und Erwachsenenbildung "ihrer Tradition und ihrem Selbstverständnis nach stärker einer Aufklärung ihrer Adressaten verpflichtet (fühle) als andere Felder des außerschulischen Bildungswesens und das gesamte formelle Bildungswesen", bestätigt auch eine jüngere Dissertation zu Theorie und Praxis außerschulischer politischer Jugendbildung.
Schon in der Beschreibung der Aufgaben und Ziele der Bürgergemeinschaften in Baden-Württemberg von 1952 hieß es: "Zum Wesen der Demokratie gehört auch die Kritik. Es kann keine Demokratie geben ohne Opposition."
Dass die Orientierung an den Prinzipien von Aufklärung und Kritik in der Geschichte der non-formalen politischen Bildung eine bedeutende Kontinuitätslinie darstellt, zeigt auch ein 2010 erschienenes "Handbuch Kritische Politische Bildung";
Last, but not least gilt in der non-formalen politischen Bildung – wie auch in der Politikdidaktik – das Ziel der "mündigen Bürgerschaft". Dazu gehören die Bildungsziele Wissens-, Urteils- und Handlungskompetenz gleichermaßen, wobei Partizipation – und hier unterscheidet sich die non-formale politische Bildung durchaus von der Politikdidaktik – gerne als Königsziel benannt wird.
Bei der Frage der Handlungsorientierung und Partizipation zeigt sich im Übrigen auch ein stark über nationale Grenzen hinaus gerichteter Blick der non-formalen politischen Bildung. Seit den 1990er Jahren stehen Fragen einer europäischen "Active Citizenship (Education)" (aktive Bürgerschaft als Ziel politischer Bildung), aber auch Konzepte "kosmopolitischer politischer Bildung" (mündige Weltbürger als Ziel) in der non-formalen politischen Bildung auf der Agenda.
Was ist politische Bildung wert?
"Was ist politische Bildung wert?" fragte 2004 die Zeitschrift des Bundesausschusses Politische Bildung ("Praxis Politische Bildung", seit 2011 "Journal für politische Bildung"). Politische Bildung war wieder einmal unter hohen Legitimationsdruck geraten, und die beiden wichtigsten Förderprogramme – für den Bereich der Jugendbildung das Programm "Politische Bildung" im Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) sowie für den Bereich der Erwachsenenbildung das Förderprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung – wurden im Auftrag der beiden zuständigen Bundesministerien wissenschaftlich evaluiert.
Da der Untersuchungsgegenstand der von Achim Schröder (Hochschule Darmstadt) geleiteten Evaluation auf das KJP-Förderprogramm festgelegt war, liefert der Abschlussbericht
Ähnlich schwierig gestalteten sich die notwendigen Abgrenzungen in der Evaluation der politischen Erwachsenenbildung, die von Lothar Böhnisch (TU Dresden) geleitet wurde.
Es zeigt sich also sowohl für die politische Jugend- als auch die politische Erwachsenenbildung, dass beide Felder nicht genau bestimmt werden können. Damit wird auch eine Antwort auf die Frage nach dem Umfang und dem (ökonomischen) Wert der politischen Bildung ausgesprochen schwierig. Tatsächlich findet sich in der gesamten Fachliteratur keine zufriedenstellende empirische Darstellung zu diesen Fragen. Für die Jugendbildung wird als Behelf häufig und teilweise mit enorm verfälschenden Ergebnissen – weil etwa alle Sozialpädagogen zu politischen Bildnern gemacht werden
Exemplarisch soll hier ein Blick auf die Entwicklung von Lernformaten und -orten geworfen werden. Für die non-formale politische Bildung ist das Format der mehrtägigen Veranstaltung in (Jugend-)Bildungsstätten ein wichtiger Teil des eigenen Selbstverständnisses.
Vor dem Hintergrund zunehmenden ökonomischen Drucks und nachlassender öffentlicher Förderung stellt sich hier durchaus die Frage nach der gemeinsamen politischen Verantwortung für eine demokratische politische Grundbildung von Bürgerinnen und Bürgern und eine damit korrespondierende Zukunftssicherung der Demokratie.
Resümee und Perspektiven
Selbst wenn Theorie im pädagogischen Alltag der non-formalen politischen Bildung "eine höchst nebensächliche Rolle" spielt,
Die größte Herausforderung für non-formale politische Bildung – und existenzielle Frage für eine Demokratie – ist meines Erachtens die Frage der politischen Partizipation der Bürgerinnen und Bürger. Bei der Verfolgung dieses "Königsziels" der politischen Bildung hält sich schulische Politikdidaktik traditionell und aus unterschiedlichen (guten wie auch weniger nachvollziehbaren) Gründen zurück und verweist gerne auf die ergänzende Funktion der außerschulischen politischen Bildung.
In diesem Kontext erscheint es mir unumgänglich, weiter über eine zeitgemäße Interpretation des Beutelsbacher Konsenses zu diskutieren, der eine stärker handlungsorientierte politische Bildung möglicherweise behindert hat.
Die Politikwissenschaft knüpft damit an ihre Traditionen nach 1945 an und versteht sich wieder stärker als "Demokratiewissenschaft". Damit verbinden sich auch Chancen für die non-formale politische Bildung: Wenn sie ihre eigenen Traditionen und engen Verbindungen zur Politikwissenschaft, die sich als pädagogische Demokratiewissenschaft verstand,