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Maßnahmen gegen ausbeuterische Kinderarbeit | Kinderarbeit | bpb.de

Kinderarbeit Editorial Zur Geschichte der Kinderarbeit Der Kampf der ILO gegen Kinderarbeit Maßnahmen gegen ausbeuterische Kinderarbeit Plädoyer für den kinderrechtlichen Ansatz Die UN-Kinderrechtskonvention: Der normative Rahmen Brauchen Kinder ein Recht zu arbeiten? Fairer Handel? Süße Schokolade aus bitteren Bohnen

Maßnahmen gegen ausbeuterische Kinderarbeit

Friedel Hütz-Adams

/ 17 Minuten zu lesen

In Deutschland kommt es immer wieder dann zu Debatten über Kinderarbeit, wenn Studien oder Medien aufdecken, dass importierte Produkte von Kindern produziert wurden. Das Risiko, dass dies passiert, ist heutzutage höher als früher, da wesentlich mehr Produkte und Rohstoffe importiert werden. Zugleich sind die Lieferwege sehr intransparent geworden, da die Wertschöpfungsketten vieler Alltagsprodukte lang sind. Ein Mobiltelefon besteht beispielsweise aus rund 40 Stoffen, die meisten davon Metalle. Die Rohstoffe werden in mehreren Stufen zu Elektronikteilen weiterverarbeitet und überqueren auf ihrem Weg von Fabrik zu Fabrik häufig mehrfach Landesgrenzen. Erst in einem letzten Schritt werden diese Teile meist in China zu einem fertigen Gerät zusammengesetzt. Wird also beispielsweise festgestellt, dass in Minen im Osten des Kongos Kinder unter sklavenähnlichen Bedingungen das in jedem Mobiltelefon enthaltene wertvolle Metall Tantal abbauen, dann ist es schwierig, den genauen Weg dieses Tantals über die vielen Stufen zu verfolgen und zu entscheiden, wer in dieser Kette bis hin zu deutschen Kundinnen und Kunden für Kinderarbeit verantwortlich ist beziehungsweise für Maßnahmen gegen sie verantwortlich gemacht werden sollte.

Selbst bei Produkten mit kürzeren Wertschöpfungsketten bestehen große Probleme, wie das Beispiel Kakao belegt. Viele Schokoladenhersteller verarbeiten gar keine Kakaobohnen mehr, sondern beziehen nach ihren Wünschen hergestellte Schokolade von Vorlieferanten, die in der Regel Kakao aus verschiedenen Anbauregionen miteinander vermischen, um eine bestimmte Geschmacksrichtung zu erzielen.

Durch die komplexen Wertschöpfungsketten ist es schwierig, bei Missständen juristisch festzustellen, wer für deren Behebung zuständig ist. Die Konzerne, die für die Konsumentinnen und Konsumenten die Endprodukte herstellen, lehnen es häufig ab, die Verantwortung für Kinderarbeit und andere Missstände zu übernehmen und verweisen auf ihre Lieferanten. Diese wiederum klagen oft, dass in immer neuen Verhandlungsrunden die Preise für die von ihnen hergestellten Produkte so weit gedrückt werden, dass eine Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen und die Zahlung von menschenwürdigen Löhnen gar nicht mehr möglich sind.

Internationale Abkommen und Unternehmenspflichten

Dabei gibt es internationale Abkommen, die eigentlich die schlimmsten Missstände – inklusive der Kinderarbeit – verhindern sollen. Bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wurde festgehalten, dass alle Menschen das Grundrecht auf "gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen" besitzen, also auch Kinder. Weiter heißt es: "Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet" (Artikel 23–25).

Doch diesen sehr allgemeinen Erklärungen fehlen Umsetzungsbestimmungen. Um in der Arbeitswelt verbindlichere Regeln zu schaffen wurde daher die im Jahr 1919 gegründete Internationale Arbeitsorganisation (ILO) immer wichtiger. In dieser Sonderorganisation der Vereinten Nationen entwickeln Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften, Regierungen und Arbeitgebern aus 183 Staaten gemeinsam Mindeststandards, die in allen Beschäftigungsverhältnissen durchgesetzt werden sollen. Von den Konventionen wurden acht zu sogenannten Kernarbeitsnormen zusammengefasst, die für alle ILO-Mitgliedsländer verbindlich sind, darunter die Konventionen 138 und 182 zur Einschränkung der Kinderarbeit. Auch die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen soll dazu beitragen, Kinder vor ausbeuterischer Arbeit zu schützen.

Die ILO und die Vereinten Nationen haben weder Sanktionsmöglichkeiten gegen Unternehmen, welche die Konventionen brechen, noch gegen solche, die unter Bruch der ILO-Konventionen und der Kinderrechtskonvention hergestellte Produkte kaufen. Auch die Weigerung von Regierungen, die Bestimmungen in ihrem Herrschaftsbereich durchzusetzen, kann nicht sanktioniert werden.

Unternehmen versuchen häufig, sich der Debatte über Kinderarbeit und anderen Missständen in ihrer Lieferkette zu entziehen, indem sie auf die Zuständigkeit von Regierungen verweisen. Der Frage nach der (Mit-)Verantwortung von Unternehmen für die Beseitigung von Missständen ist den vergangenen Jahren John Ruggie, ein vom Generalsekretär der Vereinten Nationen eingesetzter Sonderbeauftragter für Wirtschaft und Menschenrechte, in mehreren Berichten nachgegangen. Er sieht ebenfalls an erster Stelle die Regierungen in der Pflicht, die Einhaltung der Menschenrechte in der Wirtschaft durchzusetzen. Geschieht dies nicht, tragen jedoch seiner Meinung nach Unternehmen eine Verantwortung für die Zustände in der eigenen Produktion sowie bei den Zulieferern: Ruggie verlangt, dass die Unternehmen unabhängig vom Verhalten der Regierungen die Abschaffung der Kinderarbeit, der Sklaverei und der Zwangsarbeit sowie das Recht auf eine sichere Arbeitsumgebung durchsetzen.

Über die Arbeitsrechte hinaus betont er insbesondere das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, Bildung und soziale Sicherheit. Er verweist außerdem ausdrücklich darauf, dass Unternehmen Verstöße gegen grundlegende Menschenrechte in einigen Geschäftsbereichen nicht durch gute Taten in anderen Geschäftsbereichen kompensieren können. Ein zentraler Begriff in der Argumentation von Ruggie ist die Sorgfaltspflicht (due diligence): Er verlangt, dass Unternehmen in ihrer Geschäftspraxis sicherstellen, dass sie in allen Abläufen nationale Gesetze und grundsätzliche Menschenrechte einhalten. Opfern von Menschenrechtsverletzungen soll der Zugang zu Rechtsmitteln und Wiedergutmachung erleichtert werden. Ruggies Vorschläge wurden vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedet, der jedoch nicht in der Lage ist, sie durchzusetzen.

Regulierungsansätze der OECD und der EU

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD – eine Organisation von derzeit 34 Industrie- und Schwellenländern) hat in Anlehnung an die Thesen von John Ruggie in ihrer im Mai 2011 verabschiedeten Neufassung der "OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen" den Begriff der due diligence übernommen und die Unternehmen dazu aufgefordert, die Durchsetzung der Menschenrechte in ihren Geschäftsbeziehungen zu garantieren. Allerdings bleiben die Formulierungen in den Passagen, in denen es um die Verantwortung für Zulieferketten geht, unverbindlich und es fehlt damit an Möglichkeiten, die Leitsätze durchzusetzen.

Die EU-Kommission hat am 25. Oktober 2011 vorgeschlagen, dass Unternehmen in Zukunft dazu verpflichtet werden sollen, Berichte über die Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung (Corporate Social Responsibility, CSR) zu verfassen. Die geforderte Schaffung von Transparenz könnte ein wichtiger Schritt sein, die Verantwortung für Kinderarbeit in Beschaffungsketten festzustellen und gezielte Maßnahmen zu ergreifen. Die deutsche Bundesregierung und Unternehmensverbände sind allerdings gegen jede Verpflichtung zur Offenlegung der sozialen und ökologischen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit. Sie setzten auf Freiwilligkeit und fürchten eine Belastung der Unternehmen durch zu viel Bürokratie. Bei Hintergrundgesprächen mit Unternehmensvertretern zeigt sich allerdings, dass zumindest eine Reihe der Unternehmen statt freiwilliger Ansätze gesetzliche Verpflichtungen fordert, damit alle Marktteilnehmer unter den gleichen Voraussetzungen arbeiten. Allerdings können sie sich bislang innerhalb der Unternehmensverbände nicht durchsetzen.

Beispiel afrikanischer Kakao

Maßnahmen gegen ausbeuterische Kinderarbeit versuchen auf unterschiedlichste Weise, die Situation der Kinder zu verbessern. Bei der Frage, was von Deutschland aus unternommen werden kann, spielt unter anderem eine große Rolle, ob die von Kindern produzierten Produkte teilweise oder sogar größtenteils für den Markt von Industrienationen bestimmt sind. Daraus leitet sich nicht nur das Maß der Verantwortung der hiesigen Konsumentinnen und Konsumenten für Missstände ab, sondern auch das der deutschen Politik und der in Deutschland aktiven Unternehmen. Die folgenden Beispiele sollen illustrieren, wie unterschiedlich diese Verantwortung und die sich daraus ableitenden Maßnahmen sein können.

Während in früheren Jahrzehnten Kinder von Kakaobauern häufig unter besseren Bedingungen lebten als die Kinder anderer Bauern, hat sich deren Situation in den vergangenen 30 Jahren verschlechtert. Der Preis für Kakao ist zwischen 1980 und 2000 drastisch gefallen und trotz eines zwischenzeitlichen Anstieges heute immer noch weit niedriger als damals, was eine massive Verschlechterung der Situation der Bauern zur Folge hatte. Dies führte zu einer Zunahme der Kinderarbeit, da die Bauern erwachsene Arbeitskräfte als Erntehelfer nicht mehr bezahlen konnten.

Beim Kakao zeigt sich nicht nur wegen der Preisentwicklung, dass ein Verweis auf althergebrachte Gewohnheiten zu kurz greift. In Ghana beispielsweise dürfen Kinder nach traditionellen Recht ihren Eltern bei der Arbeit helfen, doch dies soll innerhalb gewisser Grenzen geschehen und sich an den körperlichen Fähigkeiten des Kindes orientieren. Werden Kinder von ihren Eltern ausgebeutet oder misshandelt, sollen Nachbarn und Verwandte eingreifen und eine Anhörung veranstalten, bei der das Kind zu Wort kommt. Falls notwendig, wird das Kind bei Verwandten untergebracht. Die moderne Gesetzgebung Ghanas erlaubt leichte Arbeiten für Kinder ab dem 13. Lebensjahr, das Mindestalter für reguläre Arbeit ist 15 Jahre, und gefährliche Arbeiten sind ab einem Alter von 18 Jahren zulässig. Zudem hat Ghana mittlerweile wie alle wichtigen Kakao produzierenden Staaten die ILO-Konventionen 182 und 138 unterzeichnet.

Doch sind die Lebensbedingungen des größten Teils der ghanaischen Bauern weiterhin schlecht. Im Jahr 2006 verfügten die Bauern und ihre Familien durchschnittlich über so wenig Geld, dass sie unterhalb der Armutsgrenze lebten. Neuere Daten sind teilweise widersprüchlich, doch die Situation der Bauern hat sich in den vergangenen Jahren nicht wesentlich verbessert. Einer Studie aus dem Jahr 2009 zufolge arbeiten auf den ghanaischen Plantagen fast eine Million Kinder, darunter 270.000 in einem Maße, das gegen die ILO-Konventionen 138 und 182 sowie nationale Gesetze verstößt. Bei der Erhebung klagten 54 Prozent der Kinder über Verletzungen bei der Arbeit innerhalb der vergangenen zwölf Monate. Dazu gehörten offene Wunden durch Macheten, Insektenbisse, Muskel- und Rückenschmerzen; 68 Prozent klagten, dass sie zu schwere Lasten tragen müssten. Die Kakaoanbauer nennen als ihr Hauptproblem und als Ursache für die Kinderarbeit ihre finanzielle Situation: Der Preis für Kakao sei zu niedrig, um die Ausgaben für Saisonarbeitskräfte, Dünger und Pestizide bestreiten zu können.

Ghana ist kein Einzelfall. In der Elfenbeinküste arbeiten 820.000 Kinder im Kakaoanbau, davon rund 260.000 nicht im Einklang mit den ILO-Konventionen 138 und 182. Die Hälfte der befragten Kinder gab an, sich bei der Arbeit in den vorangegangenen zwölf Monaten verletzt zu haben. Zudem klagten fast 80 Prozent der Kinder über das Tragen zu schwerer Lasten. Weniger als zwei Drittel der Kinder besuchten die Schule. Am schlechtesten ist die Situation für die Kinder, die nicht in der eigenen Familie leben, sondern für Fremde Arbeiten. Von diesen gehen nur 39 Prozent der Jungen und 22 Prozent der Mädchen zur Schule. Immer wieder gibt es zudem Berichte, dass aus den Nachbarländern Mali und Burkina Faso Kinder an Kakaobauern in der Elfenbeinküste verkauft werden. Genaue Zahlen liegen nicht vor, doch vermutlich arbeiten viele Tausend Kinder unter sklavenähnlichen Bedingungen auf den Kakaoplantagen. Armut ist nach Aussage der Bauern auch in der Elfenbeinküste der Hauptgrund, warum Kinder arbeiten.

Als sich ab dem Jahr 2000 Presseberichte über Fälle von Sklaverei häuften und mehrere Studien erschienen, in denen die Kinderarbeit in den Kakaoanbaugebieten angeprangert wurde, versprach die Kakao- und Schokoladenindustrie in einem mit US-amerikanischen Politikern geschlossenen freiwilligen Abkommen, dem sogenannten Harkin-Engel-Protokoll, binnen fünf Jahren die schlimmsten Formen der Kinderarbeit abzuschaffen. Diese Frist wurde mehrfach verlängert, zuletzt auf das Jahr 2020, und Ziel ist inzwischen nur noch eine Reduzierung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit um 70 Prozent. Zugleich forderten mehrere Unternehmen, dass die örtlichen Regierungen die bestehenden Gesetze durchsetzen sollten, und bestritten die eigene Verantwortung für die Missstände. Engmaschige Kontrollen der teilweise entlegenen Plantagen sind jedoch nicht möglich. Zudem würden Kontrollen im Kakaosektor bei den derzeitigen Einkommen der Familien vermutlich lediglich dazu führen, dass ein Teil der betroffenen Kinder in andere Wirtschaftsbereiche abgedrängt wird. Erforderlich ist daher in erster Linie eine Verbesserung der ökonomischen Situation der Bauern, zumal diese ihre Kinder in aller Regel in die Schule schicken wollen. Dies sollte verbunden werden mit einem intensiven Dialog aller Beteiligten, von Kindern über die Eltern bis hin zu den Lehrern, staatlichen Stellen und Unternehmen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Darüber hinaus wäre es notwendig, dass die Regierungen der Anbauländer Infrastruktur und Schulwesen deutlich verbessern.

Eine Reihe von Unternehmen hat dies mittlerweile erkannt und arbeitet an eigenen Projekten oder kooperiert mit Regierungsstellen, Nichtregierungsorganisationen und Durchführungsorganisationen der Entwicklungshilfe, um die Situation der Bauern zu verbessern. Notwendig sind allerdings erhebliche Investitionen, die bislang noch nicht alle Unternehmen bereit sind zu leisten. Viele Unternehmen konzentrieren sich in ihren Programmen zudem auf die Steigerung der Produktivität der Bauern, um über höhere Ernteerträge deren Einnahmen zu erhöhen. Eine Überproduktion von Kakao könnte jedoch zu einem erneuten Preisverfall führen und die Situation verschlimmern. Daher ist dringend eine Debatte darüber erforderlich, wie hoch der Preis für Kakao sein muss, um den Familien in den Anbaugebieten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Diese wird derzeit allerdings noch von der Industrie gescheut.

Beispiel türkische Haselnüsse

Ebenfalls in die Schlagzeilen geriet Kinderarbeit auf türkischen Haselnussplantagen: Die Türkei beherrscht 80 Prozent des Haselnuss-Weltmarktes. Der Anbau konzentriert sich auf die Region im Nordosten des Landes entlang der Küste des Schwarzen Meeres. Ein großer Teil der Ernte wird von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern geleistet.

Es gibt keine verlässlichen Statistiken über die Zahl dieser Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter. Schätzungen zufolge sind es 150.000 bis 200.000. Der größte Teil der Saisonkräfte kommt aus den kurdisch bewohnten Gebieten im Südosten der Türkei. Sie reisen mit ihrer ganzen Familie inklusive der Kinder an und wohnen während der Haselnussernte entweder in Lagern oder auf den Plantagen verstreut in Unterkünften, die ihnen die Bauern zur Verfügung stellen. Vor allem die Situation in großen Zeltlagern, in denen teilweise auf engstem Raum mehr als 1.000 Menschen leben, ist oft sehr schlecht, da die Familien in der Regel nur einen Raum zur Verfügung haben. Darüber hinaus stehen in vielen Lagern weder sauberes Wasser noch sanitäre Anlagen in ausreichendem Umfang zur Verfügung. Über die Situation der verstreut bei den Bauern lebenden Familien gibt es bislang keine Informationen.

Darüber, wie viele Kinder mit ihren Familien auf den Haselnussplantagen arbeiten, gibt es keine belastbaren Zahlen, Schätzungen zufolge könnten es mehrere Zehntausend sein. In der Regel gehen Kinder ab dem zwölften Lebensjahr mit ihren Eltern in die Plantagen und arbeiten mit. Die etwas jüngeren Kinder bleiben in den Lagern und beaufsichtigen die Kleinkinder oder helfen beim Reinigen, Kochen, Wasser holen und anderem mehr.

Bei einer Erhebung in der Erntesaison 2011 wurden 377 Beschäftigte auf Haselnussplantagen interviewt. Von diesen waren 168 unter 16 Jahre alt und von diesen wiederum war rund die Hälfte jünger als 14 Jahre. Der größte Teil der arbeitenden Kinder stammt aus den Kurdengebieten. Allerdings arbeiten auch Kinder der Farmerfamilien sowie der lokalen Arbeitskräfte in den Plantagen. Die Kinder der Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter ziehen oftmals mit ihren Eltern zwischen April und Oktober kreuz und quer durch die Türkei. Sie arbeiten mit bei der Ernte verschiedenster Früchte, darunter Erdbeeren, Tomaten, Melonen, Aprikosen, Haselnüsse, Baumwolle, Tabak und Orangen. Bei Befragungen von Kindern im Alter von 9 bis 13 Jahren zeigte sich, dass diese in die Schule gehen möchten, aber nach eigener Aussage durch die Armut ihrer Familien zum Arbeiten gezwungen sind.

Viele der im Haselnussanbau beschäftigten Erwachsenen geben an, ihre Kinder müssten mitarbeiten, da sonst die Ernährung der Familie nicht sichergestellt werden könne. Die Löhne seien so niedrig, dass sie nicht ausreichten, um allein mit der Arbeit der Erwachsenen die Familie zu ernähren. Darüber hinaus müsse während der Erntezeit der verschiedenen Früchte so viel Geld verdient werden, dass die Familie den Rest des Jahres damit auskomme. Ein weiteres Problem für viele Familien der Wanderarbeiter ist, dass sie nicht wissen, wie sie eine Betreuung ihrer Kinder in der Heimatregion während der Erntezeit gewährleisten sollen. Auch kulturelle Gründe spielen bei der Debatte über die Kinderarbeit eine Rolle, da es in kurdischen Familien traditionell üblich ist, dass Kinder bereits in einem Alter mitarbeiten, in dem dies laut türkischem Gesetz heutzutage verboten ist.

Um die Situation der Kinder und ihrer Eltern bei der Ernte verschiedener Früchte zu verbessern, müsste in vielen Bereichen gleichzeitig angesetzt werden. Notwendig sind zudem eine Verbesserung der Lebensumstände in den kurdischen Gebieten der Türkei und dort vor allem die Schaffung von Arbeitsplätzen, so dass die Menschen nicht mehr gezwungen sind, auf Wanderschaft zu gehen und ihre Kinder mitzunehmen.

Aktivitäten der MV Foundation

Auch in Indien, dem Land, in dem weltweit mit weitem Abstand die meisten Kinder arbeiten, gibt es unterschiedliche Ansätze. Einer wurde im Bundesstaat Andhra Pradesh entwickelt, wo Hunderttausende oder vielleicht sogar Millionen Kinder meist innerhalb der eigenen Familie in der Landwirtschaft oder in Kleinbetrieben arbeiten. Die MVF (Mamidipudi Venkatarangaiya Foundation) wurde 1981 in Andhra Pradesh gegründet und beschäftigt sich seit 1991 intensiv mit der Frage, wie die Arbeit von Kindern beendet und ein umfassendes Bildungssystem für alle Kinder geschaffen werden kann. Ende 2004 wurden auf einer Tagung in Hyderabad von mehr als 5.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, darunter Vertreterinnen und Vertreter vieler indischer und internationaler Nichtregierungsorganisationen, folgende Prinzipien und Ziele der MVF verabschiedet:

  1. Alle Kinder müssen formelle Ganztagsschulen besuchen.

  2. Jedes Kind, das nicht die Schule besucht, ist ein arbeitendes Kind.

  3. Jede Arbeit ist gefährlich, da sie das Wachstum und die Entwicklung des Kindes gefährdet.

  4. Kinderarbeit muss vollständig abgeschafft werden.

  5. Jede Rechtfertigung von Kinderarbeit verlängert deren Existenz und muss daher verurteilt werden.

Um die Prinzipien durchzusetzen, gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der MVF in die Dörfer Andhra Pradeshs und führen einen Dialog mit Kindern, Eltern, lokalen Behörden, Lehrern, Lehrerverbänden und den Arbeitgebern der Kinder. Dabei wird über den Zustand des Schulsystems und Gründe für die Kinderarbeit diskutiert, darunter die soziokulturellen Hintergründe der Diskriminierung von Mädchen sowie ethnischer Gruppen, Kasten und sozialer Schichten. Ziel des Dialoges ist nicht die Konfrontation, sondern die gemeinsame Suche nach Wegen, wie Kinder wieder in die Schule gebracht werden können.

Voraussetzung dafür ist ein Bewusstseinswandel: Wenn als soziale Norm im Dorf akzeptiert wird, dass Kinder in die Schule gehören, ist der wichtigste Schritt – so die Erfahrung der Stiftung – geschafft. Für Eltern aus benachteiligten Gruppen ist der Schritt hin zur Schule ein Bruch mit jahrhundertealten Traditionen. Sie wissen genau, wie sie für ihre Kinder eine Arbeitsstelle besorgen können, doch der Schulbesuch erfordert neue Fähigkeiten, darunter das Eintreten für die eigenen Rechte und der Kampf mit der Bürokratie (Beschaffung von Geburtszertifikaten, Anmeldeschreiben und anderen Dokumenten).

Durch Einbeziehung der lokalen Behörden und Schulämter versucht die Stiftung, auch das staatliche Engagement zum Ausbau und zur Verbesserung des Schulsystems zu sichern. Über den Ausbau der bestehenden Schulen hinaus müssen in vielen Dörfern Brückenschulen eingerichtet werden, in denen Kinder, die zuvor jahrelang nicht zur Schule gingen, das nachholen können, was gleichaltrige Kinder bereits gelernt haben. Anschließend werden die Kinder in das reguläre Schulwesen integriert.

Statistische Erhebungen der MVF zeigen, dass aus vielen armen Familien alle Kinder trotz der Armut zu Schule gehen, während andere Familien mit vergleichbaren Einkommen keines ihrer Kinder in die Schule schicken. Armut kann demnach nicht die alleinige Ursache für Kinderarbeit sein. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass Einkommensverluste durch die Einschulung zuvor arbeitender Kinder in vielen Fällen aufgefangen werden können. Teilweise werden Ausgaben eingespart, in anderen Fällen arbeiten Familienangehörige – und hier vor allem die Mütter, die die größte Last tragen – mehr, um den Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Eltern suchen nach Ersatz für die Einkommen ihrer Kinder, wenn sie davon überzeugt worden sind, dass der Schulbesuch sinnvoll ist. Wichtig ist dabei allerdings, dass die Kinder auch tatsächlich etwas lernen und die Eltern Ergebnisse ihrer Bemühungen sehen. Die MVF ist in mehreren Tausend Dörfern aktiv und hat seit 1991 dazu beigetragen, Hunderttausende Kinder wieder in das staatliche Schulsystem zu integrieren. Ganze Regionen konnten dadurch zu Zonen erklärt werden, in denen es keine ausbeuterische Kinderarbeit mehr gibt. Ähnliche Projekte entstanden in anderen Teilen Indiens und es laufen Versuche, das Muster in abgewandelter Form in weitere Staaten zu exportieren.

Vielfältige Ansätze

Die geschilderten Beispiele aus dem Kakao- und dem Haselnussanbau sowie die Projekte in Indien belegen, dass es genauso wenig wie es die eine Art von Kinderarbeit gibt, eine Standard-Maßnahme gegen sie geben kann. Direkte Einflussmöglichkeiten haben wir in Deutschland als Konsumenten der Produkte, die von Kindern für den deutschen Markt hergestellt werden, da hier die Möglichkeit besteht, Druck auf importierende Unternehmen sowie auf die Regierungen der Produktionsländer aufzubauen. Der indische Ansatz geht dagegen wesentlich weiter, da flächendeckend in ganzen Regionen alle Arten der Kinderarbeit reduziert werden sollen, nicht nur die für Exportprodukte. Letztendlich führen viele Wege zum Ziel, sie müssen nur gegangen werden. Dabei sollten ideologische Scheuklappen abgelegt und nach pragmatischen Lösungen gesucht werden, die das Wohl der Kinder in den Mittelpunkt stellen.

M.A., geb. 1966; studierte Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaftslehre, seit 1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Südwind e.V. – Institut für Ökonomie und Ökumene, Lindenstraße 58–60, 53721 Siegburg. E-Mail Link: huetz-adams@suedwind-institut.de