Jedes siebte Kind auf der Welt muss arbeiten. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) kämpft seit vielen Jahren für die Abschaffung der Kinderarbeit. Konzertierte internationale Anstrengungen haben inzwischen zu einigen Erfolgen geführt. So ergab eine umfassende Erhebung der ILO für den Zeitraum 2000 bis 2004 einen Rückgang der Zahl der Kinderarbeiter um elf Prozent auf 222 Millionen.
Zunächst ist es für entsprechende Erhebungen wichtig abzugrenzen, wo Kinderarbeit genau anfängt. Ist es Kinderarbeit, wenn Kinder nach der Schule noch Zeitungen austragen oder unbezahlt im Familienbetrieb mitarbeiten, zum Beispiel in der Landwirtschaft? Oft hat dies ja die Funktion, die Kinder auf die spätere Übernahme des kleinen Ladens oder der landwirtschaftlichen Fläche vorzubereiten oder ihnen handwerkliche Fähigkeiten beizubringen.
ILO-Übereinkommen gegen Kinderarbeit
Genau definiert ist der Begriff "Kinderarbeit" durch das ILO-Übereinkommen (auch als ILO-Konvention bekannt) Nummer 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung. Dieses Übereinkommen aus dem Jahr 1973, das inzwischen von 163 Staaten ratifiziert wurde, gehört zu den Kernarbeitsnormen – ebenso wie das Verbot von Zwangsarbeit, von Diskriminierung bei der Arbeit sowie das Recht auf Vereinigungsfreiheit. Die Kernarbeitsnormen sind Menschenrechte und besitzen als solche universelle Gültigkeit, selbst in den Ländern, die das Übereinkommen nicht ratifiziert haben. Zu diesen gehören beispielsweise Indien, Bangladesch und Saudi-Arabien, aber auch Kanada und die USA.
Das Übereinkommen enthält entgegen einer weitverbreiteten Annahme kein Verbot der Kinderarbeit. Vielmehr verpflichtet es die Mitgliedstaaten der ILO dazu, "eine innerstaatliche Politik zu verfolgen, die dazu bestimmt ist, die tatsächliche Abschaffung der Kinderarbeit sicherzustellen und das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung oder Arbeit fortschreitend bis auf einen Stand anzuheben, bei dem die volle körperliche und geistige Entwicklung der Jugendlichen gesichert ist" (Artikel 1).
Dieses Alter wird mit 15 Jahren angegeben, wobei Entwicklungsländer für eine Übergangszeit 14 Jahre als Mindestalter ansetzen können; sie müssen jedoch regelmäßig in Berichten begründen, ob und warum sie diese Übergangsklausel weiter in Anspruch nehmen wollen. Generell gilt, dass Kinder zwischen 13 und 15 Jahren wöchentlich einige Stunden leichte Arbeit verrichten dürfen – wie viele Stunden genau, können die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Gesetzen festlegen. Entscheidend ist, dass dadurch der Schulbesuch nicht infrage gestellt sein darf.
Der Kampf gegen Kinderarbeit erhielt 1999 einen kräftigen Impuls, als das Übereinkommen 182 über das Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit verabschiedet wurde. Kaum ein Land konnte und wollte sich deren Bekämpfung verweigern. Heute haben 175 der 185 ILO-Mitgliedstaaten das Übereinkommen, das ebenfalls zu den Kernarbeitsnormen zählt, ratifiziert. Dank der internationalen Aufmerksamkeit, die das Übereinkommen über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit erhielt, profitierte übrigens auch das ältere Übereinkommen 138 über das Mindestalter von einem Ratifizierungsschub.
Als die schlimmsten Formen der Kinderarbeit definiert das Übereinkommen 182 folgende Arbeiten von Kindern unter 18 Jahren: Kinderprostitution und -pornografie, der Einsatz als Soldaten, illegale Tätigkeiten wie Drogenschmuggel sowie generell Arbeit, die "für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit schädlich ist". Hierunter lassen sich zum Beispiel auch das Tragen schwerer Lasten etwa in Steinbrüchen, Arbeit unter Tage oder in großen Höhen, der Umgang mit gefährlichen Chemikalien beziehungsweise Maschinen oder sehr lange Arbeitszeiten und Nachtarbeit zählen. Anders als das Übereinkommen 138 über das Mindestalter verlangt das Übereinkommen 182 explizit das Verbot dieser schlimmsten Formen der Kinderarbeit in der nationalen Gesetzgebung. Ebenfalls verboten sind laut dem Übereinkommen jegliche Arbeit von Kindern unter zwölf Jahren sowie Kinderhandel, Leibeigenschaft und Zwangs- oder Pflichtarbeit von Kindern.
Statistische Trends
Im Jahr 2006 setzte sich die ILO ein visionäres Ziel: die schlimmsten Formen der Kinderarbeit bis 2016 zu beseitigen. Ist dieses Ziel überhaupt realistisch? Die vorliegenden Statistiken, die allerdings lediglich bis zum Jahr 2008 reichen, enthalten eindeutige Zeichen für Fortschritte, aber auch beunruhigende Lücken. "So wie die Dinge heute liegen, reicht das Tempo des Fortschritts nicht aus, um das für 2016 angepeilte Ziel zu erreichen", stand im ILO-Bericht "Das Vorgehen gegen Kinderarbeit forcieren" von 2010.
Im Folgenden werden die Daten aus diesem Bericht sowie aus den detaillierteren statistischen Informationen dazu präsentiert.
Die Kinderarbeit war demzufolge im Zeitraum 2004 bis 2008 zwar rückläufig, aber nur in relativ bescheidenem Umfang. 215 Millionen Kinder – 13,6 Prozent der Altersgruppe zwischen 5 und 17 Jahren – waren 2008 immer noch davon betroffen, das sind 3,2 Prozent weniger als 2004. Zwischen 2000 und 2004 hingegen hatte sich der Rückgang auf 11 Prozent belaufen. (Vgl. Tabelle 1 in der PDF-Version)
Immer noch ist die Zahl von 115 Millionen Kindern in gefährlicher Arbeit – 7,3 Prozent aller Kinder zwischen 5 und 17 Jahren – erschütternd hoch. Gefährliche Arbeit, beispielsweise in Steinbrüchen oder mit gefährlichen Geräten, wird oft als Ersatzindikator für die schlimmsten Formen der Kinderarbeit verwendet, denn viele davon sind statistisch kaum zu erfassen, weil sie im Verborgenen stattfinden, etwa in illegalen Bordellen oder bewaffneten Konflikten.
Insgesamt gilt: Je schädlicher die Arbeit und je verwundbarer die beteiligten Kinder, umso ausgeprägter der Rückgang. Während die Zahl der Kinderarbeiter insgesamt zwischen 2004 und 2008 um nur gut 3 Prozent sank, betrug der Rückgang bei den Kindern in gefährlicher Arbeit immerhin 10,2 Prozent. Die Anzahl der Mädchen in gefährlicher Arbeit fiel sogar um fast ein Viertel. 2008 gingen somit noch 5,4 Prozent aller Mädchen gefährlichen Arbeiten nach, während es bei den Jungen immer noch 9 Prozent waren. Auch ergab sich ein Rückgang der gefährlichen Arbeit bei den jüngeren Kindern (bis 14 Jahre) um immerhin fast 31 Prozent.
Diese Trends mögen als Anzeichen dafür gelten, dass die Politik Prioritäten gesetzt hat und dass entsprechende Bemühungen von Regierungen, Sozialpartnern und Zivilgesellschaft tatsächlich einen Unterschied machen. Die Entwicklungen zeigen jedoch auch, dass es noch viel zu tun gibt. Denn leider sind in manchen Bereichen auch erschütternde Zuwächse zu verzeichnen: bei den Jungen (plus 7 Prozent), bei der gefährlichen Arbeit in der Altersgruppe 15 bis 17 Jahre (plus 20 Prozent) und generell in Afrika südlich der Sahara.
Was die Auswirkung der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise auf das Schicksal von Kindern anbelangt, deutet eine vorläufige Analyse der Situation in Schwellenländern auf eine differenzierte Entwicklung hin, abhängig von verschiedenen Faktoren wie etwa der Verfügbarkeit von Krediten oder eines sozialen Netzes.
In welchen Bereichen Kinder arbeiten
Die meisten Kinderarbeiter finden sich in der Landwirtschaft (60 Prozent), gefolgt von 26 Prozent im Dienstleistungsbereich und nur 7 Prozent in der Industrie (der restliche Anteil ist nicht näher bestimmbar). Während in der industriellen Produktion vor allem Jungen beschäftigt sind, stellen Mädchen die Mehrheit der im Dienstleistungssektor arbeitenden Kinder.
Viele von ihnen müssen als Haushaltshilfen schuften, meist ohne Bezahlung und von der Öffentlichkeit weggesperrt. Sie putzen, waschen und bügeln, helfen beim Einkaufen und Kochen und beaufsichtigen die Kinder ihrer Arbeitgeber. Weil die Arbeit im Privaten stattfindet, liegen kaum verlässliche Zahlen über das Ausmaß vor. Die ILO nennt in ihrem jüngsten Report Schätzungen, wonach beispielsweise in Indonesien 688.000 Kinder unter 18 Jahren als Haushaltshilfen arbeiten und rund 175.000 in Mittelamerika. In Guatemala sollen allein 38.000 Kinder zwischen 5 und 7 Jahren in Privathaushalten arbeiten.
In zahlreichen Kulturen ist diese Form der Kinderarbeit nach wie vor sozial akzeptiert und gilt vor allem für Mädchen als eine sinnvolle Vorbereitung auf künftige Aufgaben als verheiratete Frau und als gute Alternative zu anderen Arbeiten. Ignoriert werden dabei die Gefahren dieser Arbeit: lange Arbeitszeiten und unzureichende Nahrung, das Tragen schwerer Lasten, der Umgang mit potenziell gefährlichen Chemikalien, mit Feuer und scharfen Messern oder Beilen und dazu noch allzu häufig Misshandlungen und sexueller Missbrauch.
Dieses mangelnde Bewusstsein für die Probleme ist auch ein Grund dafür, dass viele Staaten kaum oder keine Maßnahmen gegen diese Art der Kinderarbeit ergreifen. Die Verabschiedung des ILO-Übereinkommens 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte im Juni 2011 könnte hier ein erster wichtiger Schritt sein, da die Staatengemeinschaft damit erstmals anerkannt hat, dass auch Hausangestellte Arbeitnehmer sind und die gleichen Rechte haben. Umgekehrt haben auch die Arbeitgeber entsprechende Pflichten, und dazu gehört der Verzicht auf Kinderarbeit.
Es lässt sich generell beobachten, dass Kinder besonders häufig im informellen Sektor arbeiten, nicht nur in Privathaushalten. Dieser Sektor ist nicht nur riesig – in Lateinamerika und Afrika macht er über 50 Prozent der Beschäftigung aus, in Asien sogar 78 Prozent –, sondern er wächst auch noch. Viele Staaten, die die ILO-Übereinkommen gegen Kinderarbeit ratifiziert haben, haben ihre Gesetze zur Umsetzung dieser Normen jedoch darauf nicht abgestimmt. Diesem Problem will die ILO künftig mehr Aufmerksamkeit schenken.
Welche Möglichkeiten zum Gegensteuern bestehen, zeigt unter anderem ein Beispiel aus Bangladesch. In der Hauptstadt Dhaka wird inzwischen auch der informelle Sektor von den normalen Arbeitsinspektoren abgedeckt. Arbeitgeber, die Kinder nicht von gefährlichen Arbeiten abziehen, müssen nun mit dem Entzug ihrer Lizenz rechnen.
Kinderarbeit auf dem Land
Kinderarbeit ist besonders häufig dort anzutreffen, wo Armut, Analphabetismus und eine geringe Schuldichte sowie ein geringer gewerkschaftlicher Organisationsgrad vorherrschen, und diese Charakteristiken treffen ganz besonders auf ländliche Gebiete zu. Es ist also kein Wunder, dass gerade hier so viele Kinder arbeiten – auf 129 Millionen schätzt die ILO ihre Zahl. In Brasilien beispielsweise sind rund 20 Prozent der Kinderarbeiter im ländlichen Raum tätig und nur 3,7 Prozent im städtischen.
Nicht nur konzentriert sich die Mehrheit der arbeitenden Kinder in der Landwirtschaft, auch zählen diese Arbeiten oft zu den gefährlichen. Neben Bergwerken und dem Baugewerbe ist die Landwirtschaft einer der drei unfallträchtigsten Wirtschaftssektoren. Umso gefährlicher ist die Arbeit dort für Kinder, etwa wenn sie mit scharfen Mäh- und Schneidewerkzeugen hantieren, mit großen Tieren umgehen oder Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt sind. In Bangladesch etwa werden jeden Tag durchschnittlich 50 Kinder durch landwirtschaftliche Maschinen verletzt.
Mehr als zwei Drittel der betroffenen Kinder auf dem Land arbeiten als unbezahlte Arbeitskräfte in der Familie. Wenn es um Mitarbeit auf dem eigenen Hof oder das Hüten des eigenen Viehs geht, kann dies durchaus auch einen positiven Beitrag leisten zur Weitergabe von Wissen an Kinder und zu ihrer eigenen Ernährungssicherheit. Daher muss unbedingt unterschieden werden zwischen solchen leichten Tätigkeiten auf der einen Seite und Kinderarbeit, welche die Kinder vom Schulbesuch abhält und sie zudem oft großen Gefahren aussetzt.
2007 hat die ILO ein Bündnis mit fünf internationalen Agrarorganisationen geschlossen, darunter die Internationale Vereinigung der Agrarproduzenten (IFAP) und der Dachverband der Agrargewerkschaften (IUF), um Strategien und Projekte gemeinsam mit den jeweiligen nationalen Behörden und Organisationen zu erarbeiten und umzusetzen. Dazu gehören insbesondere Gesetze zum Schutz der Kinder, die Schaffung besserer Einkommensmöglichkeiten und die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit auf dem Land sowie der Ausbau von Schulen und die Ermöglichung des Schulbesuchs.
Schlimmste Formen von Kinderarbeit
Neben der Arbeit in Privathaushalten sind Mädchen überdurchschnittlich häufig von sexueller Ausbeutung betroffen, sei es in der Prostitution, auch im Sextourismus, sei es im Bereich Pornografie. Auch wenn Zahlen wegen der Illegalität sehr vage sind, geht aus ILO-Schätzungen aus dem Jahr 2000 hervor, dass weltweit davon 1,8 Millionen Kinder betroffen sein dürften. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF ging 2006 von 2 Millionen aus. Vor allem auch Mädchen, die bereits in anderen Formen der Kinderarbeit gefangen sind, insbesondere als Hausangestellte, Straßenverkäuferinnen und Müllsammlerinnen, sind stark gefährdet. Der Kampf gegen Kinderprostitution und -pornografie muss daher Hand in Hand gehen mit dem Kampf gegen jegliche Art der Kinderarbeit.
Der wahrscheinlich schlimmsten aller Formen der Kinderarbeit sind Zehntausende von Jungen und auch Mädchen ausgesetzt, die in bewaffneten Konflikten in mindestens 17 Ländern der Welt eingesetzt werden. Bei weitem nicht alle von ihnen sind Kindersoldaten im engeren Sinne, viele arbeiten als Träger, Boten, Spione, Köche oder Zwangsprostituierte. Ein Zusatzprotokoll zum UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes verbietet ausdrücklich die Rekrutierung von Kindern unter 18 Jahren für Armeen und bewaffnete Gruppen. Und das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs stuft die Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren sogar als Kriegsverbrechen ein.
Das ILO-Programm zur Bekämpfung der Kinderarbeit hat in Ländern Zentralafrikas, in Kolumbien, auf Sri Lanka und den Philippinen Projekte für die Reintegration betroffener Kinder eingerichtet. Doch darf darüber nicht vergessen werden, dass sich generell Kriege und andere Konflikte in einer Weise verheerend auf das ökonomische und soziale Umfeld der Kinder auswirken, was die Wahrscheinlichkeit für Kinderarbeit stark ansteigen lässt.
Regionale Unterschiede
Erfolge im Kampf gegen die Kinderarbeit wurden vor allem im asiatisch-pazifischen Raum sowie in Lateinamerika und der Karibik erzielt. Hingegen verzeichnen die Länder Afrikas südlich der Sahara, sowohl relativ als auch absolut gesehen, eine Zunahme.
In absoluten Zahlen gibt es im Raum Asien und Pazifik mit 114 Millionen nach wie vor die meisten arbeitenden Kinder, gefolgt von Afrika südlich der Sahara mit 65 Millionen und Lateinamerika/Karibik mit 14 Millionen. Betrachtet man jedoch die relativen Zahlen, bietet vor allem das subsaharische Afrika ein alarmierendes Bild. Jedes vierte Kind muss hier arbeiten, verglichen mit jedem achten Kind in der asiatisch-pazifischen Region und jedem zehnten in Lateinamerika und der Karibik. Zudem verrichten 15 Prozent aller Kinder in Afrika gefährliche Arbeiten gegenüber 5,6 Prozent im Raum Asien/Pazifik beziehungsweise 6,7 Prozent in Lateinamerika und der Karibik. (Vgl. Tabelle 2 in der PDF-Version)
Um die Entwicklung im Zeitraum 2004 bis 2008 nachzuverfolgen, muss auf die weniger aussagekräftige Kategorie der Kinder in Beschäftigung zwischen 5 und 14 Jahren zurückgegriffen werden, da frühere Schätzungen weder die Kinderarbeit im engeren Sinn noch die schlimmsten Formen der Kinderarbeit in der Altersgruppe von 15 bis 17 Jahren erfassten. Diese Kategorie umfasst neben den oben beschriebenen Formen der Kinderarbeit auch erlaubte Arbeit im Umfang weniger Stunden pro Woche. Die Zahlen ergeben, dass sowohl absolut als auch relativ praktisch überall ein Rückgang der Beschäftigung von Kindern zu verzeichnen war – mit Ausnahme Afrikas südlich der Sahara. Dort stieg die Zahl der beschäftigten Kinder sogar steil an von 49 Millionen im Jahr 2004 auf 58 Millionen vier Jahre später. Ihr Anteil erhöhte sich von 25,4 auf 28,4 Prozent.
Die ILO engagiert sich deshalb in Afrika besonders stark gegen Kinderarbeit. Ein Beispiel dafür ist die 2002 ins Leben gerufene "International Cacao Initiative", ein breites Bündnis aus Schokoladenindustrie, Gewerkschaften, Kakaoproduzenten, Verbraucherverbänden und Nichtregierungsorganisationen gegen Kinderarbeit auf Kakaoplantagen. Hinzu kommt das ebenfalls von der ILO unterstützte Programm "West Africa Cocoa and Commercial Agriculture Project to Combat Hazardous and Exploitative Child Labour" (WACAP), das durch Aufklärung aller Beteiligten und Sensibilisierung der Bevölkerung zunächst ein Ausbreiten der Kinderarbeit in diesem Bereich verhindern will. Das Projekt bietet Kindern zudem die Möglichkeit des Schulbesuchs und fördert alternative Einkommensmöglichkeiten für die Eltern.
Was tun gegen Kinderarbeit?
Kinderarbeit ist kein naturgegebenes Phänomen, und meist ist es auch nicht die Armut per se, welche die Kinder von der Schule fern und in Kinderarbeit gefangen hält. Vielmehr zeigen zahlreiche Beispiele, dass es der politische Wille ist, der zählt. Regierungen haben Wahlmöglichkeiten, zum Beispiel was die Bereitstellung von Schulbildung und Sozialschutz anbelangt.
Ein bloßes gesetzliches Verbot kann weder ausreichend, noch zielführend für die Abschaffung der Kinderarbeit sein. Die meisten Kinder arbeiten schließlich, weil es für ihr eigenes Überleben oder das der Familie notwendig ist. Dies kann so weit reichen, dass Familien mitunter einzelne ihrer Kinder an Menschenhändler verkaufen. Es liegt auf der Hand, dass Verbote keine Antwort auf ein derartiges Elend sind. Ein weiteres nicht durch Verbote zu behebendes Problem ist, dass den Kindern oft keine Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die nicht eingeschulten Kinder aber drohen als "Arbeitskräftereservoir" wahrgenommen zu werden.
In ihrem globalen Bericht "Das Ende der Kinderarbeit: Zum Greifen nah" von 2006 stellt die ILO daher fest, dass die Beseitigung der Kinderarbeit und die Verringerung der Armut Hand in Hand gehen. Dazu gehört auch die Bereitstellung eines sozialen Basisschutzes, der die Verelendung von Familien verhindert. Eine entsprechende Empfehlung hat die Internationale Arbeitskonferenz, die Vollversammlung der ILO, im Juni 2012 verabschiedet. Im Bericht "Das Vorgehen gegen Kinderarbeit forcieren" von 2010 heißt es: "Wir werden die Kinderarbeit ohne universelle Bildung nicht beseitigen können, und wir werden umgekehrt nicht sicherstellen können, dass jedes Kind in die Schule geht, wenn wir die Kinderarbeit nicht beseitigen, vor allem ihre schlimmsten Formen."
Bei diesen Problemen setzt das Programm der ILO zur Abschaffung der Kinderarbeit (IPEC) an, welches das Wohlergehen der Kinder und ihrer Familien in den Mittelpunkt stellt. Die Erfahrungen in zahlreichen Ländern zeigen, dass neben der Armutsbekämpfung insbesondere Bildungsangebote und die Bekämpfung von HIV/AIDS – damit die Kinder nicht für erkrankte oder verstorbene Elternteile einspringen müssen – Länder an den Punkt bringen können, an dem die Beseitigung der Kinderarbeit realistisch erscheint.
Was die Bekämpfung der Kinderarbeit in der Praxis jedoch so schwierig macht, sind zum einen überkommene politische und gesellschaftliche Strukturen, zum anderen wirkt Kinderarbeit in vielen Ländern selbstverstärkend. Wo Kinderarbeit ein Teil der Überlebensstrategie armer Familien ist, vergrößert dies das Angebot von billigen Arbeitskräften, was die Löhne weiter drückt. Die Familien sehen dadurch eine noch größere Notwendigkeit, die Kinder zum Arbeiten statt zur Schule zu schicken. Die mangelnde Ausbildung trägt weiter dazu bei, dass die Löhne niedrig bleiben. Der Ausbruch aus diesem Teufelskreis kann jedoch gelingen durch eine mehrgleisige Strategie, die Armutsbekämpfung und flächendeckende (Grund-)Schulbildung in den Mittelpunkt stellt. Die Erfolge einer solchen Strategie sollen im Folgenden zwei Fallbeispiele veranschaulichen.
Erfolgsmodelle
In Brasilien, wo Kinderarbeit lange als normaler Bestandteil des Arbeitsmarkts erschien, nahm die Regierung nach dem Ende der Militärdiktatur 1985 den Kampf dagegen auf. So führte die neue Verfassung eine achtjährige Schulpflicht ein (inzwischen auf neun Jahre verlängert), und das 1990 verabschiedete Kinder- und Jugendschutzgesetz schreibt unter anderem das Recht auf Bildung fest. 1992 trat Brasilien als eines der ersten Länder dem ILO-Programm zur Abschaffung der Kinderarbeit bei.
Einen großen Beitrag zum Erfolg dürfte ein 1996 aufgelegtes Cash-Transfer-Programm zur Abschaffung der Kinderarbeit, das "Programa de Erradicação do Trabalho Infantil", geleistet haben, das sich auf den ländlichen Raum konzentriert und Kindern unter anderem Angebote für die Nachschulzeit macht. Ergänzt wurde es durch eine stärkere Überprüfung der Gesetze gegen Kinderarbeit durch mobile Arbeitsinspektionseinheiten. Das Programm kann als Vorläufer der sehr viel weiter reichenden "Bolsa família" gelten, des 2003 eingeführten Sozialprogramms der brasilianischen Regierung zur Bekämpfung von Hunger und Armut, in dessen Rahmen arme Familien finanzielle Unterstützung erhalten – jedoch nur, wenn sie ihre Kinder in die Schule schicken und impfen lassen.
Die Statistik bietet einen eindrucksvollen Beleg des Erfolgs dieser Strategie: Die Erwerbsquote von Kindern der Altersgruppe von 10 bis 17 Jahren ging nach Angaben des brasilianischen Arbeitsministeriums zwischen 1992 und 2004 um mehr als ein Drittel zurück. Die Kinderarbeitsquote in der Altersgruppe von 5 bis 15 Jahren halbierte sich annähernd von 13,6 Prozent auf 7,3 Prozent im Jahr 2005.
Vor allem auf Bildung setzte auch der südindische Staat Kerala im Kampf gegen Kinderarbeit. Kerala ist für den Rest Indiens zu einem Modell für die Förderung der sozialen Entwicklung geworden, indem es eine Landreform, Ernährungssicherheit, Bildung und Gesundheit zu vorrangigen Anliegen machte.
Schon Anfang der 1960er Jahre gab der Staat 35 Prozent seines Budgets für Bildung aus, erheblich mehr als reichere Staaten, und förderte bewusst den Schulbesuch von Mädchen. Die Folge war, dass Anfang der 1970er Jahre die Erwerbsquote von Kindern in Kerala 1,9 Prozent betrug gegenüber der gesamtindischen Quote von 7,1 Prozent.
Gerade in Indien ist hier jedoch noch viel zu tun. Die Herausforderungen dort sind so groß wie in kaum einem anderen Land der Welt: Fast eine halbe Milliarde Kinder leben in Indien; das Land ist jedoch weit vom Ziel der universellen Schulbildung entfernt. Hier drängt sich der Vergleich mit China geradezu auf: Während China seit 1979 mehr Menschen aus der Armut herausgeführt hat als jedes andere Land und die meisten seiner Kinder eine Grundschule besuchen, hat sich dieses Ziel in Indien als unerreichbar erwiesen. Wie anders als durch politisches Engagement und eine klare Prioritätensetzung lässt sich diese Diskrepanz erklären?
Die Beispiele Brasiliens und Keralas zeigen, dass der Kampf gegen Kinderarbeit gewonnen werden kann. Sie zeigen auch, dass der entscheidende Faktor dabei der politische Wille ist, den Kampf überhaupt erst aufzunehmen.
"Die Herausforderung besteht darin, den politischen Willen zu mobilisieren, Kindern in den nationalen Haushalten und Entwicklungsanstrengungen Vorrang einzuräumen", schrieb die ILO in ihrem globalen Bericht 2010. "Es gibt keinen Grund und auch keine Entschuldigung dafür, dass die eingegangenen Verpflichtungen im Zuge der globalen Wirtschafts- und Beschäftigungskrise sich wandelnden Prioritäten zum Opfer fallen."