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Kulturgütermärkte im Schatten des Urheberrechts – zur Pluralität praktizierter Regelungsformen

Jeanette Hofmann Christian Katzenbach Merlin Münch

/ 17 Minuten zu lesen

Die Digitalisierung hat eine heftige Diskussion über das Urheberrecht ausgelöst. Diese Diskussion wird überwiegend normativ geführt. Meist geht es dabei um rechtliche Grundsätze oder die allgemeine (Zahlungs-)Moral und nur selten um die konkrete Praxis der Produktion und Vermarktung von Kulturgütern. Tatsächlich haben wir relativ wenig systematisches Wissen darüber, wie das Urheberrecht praktisch wirkt. Im Unterschied zum Patentrecht, dessen Annahmen und Effekte vielfach untersucht worden sind, steckt die sozialwissenschaftliche Forschung zum Urheberrecht noch in den Kinderschuhen. Eine sinnvolle Reaktion auf die polarisierende Debatte um das Urheberrecht könnte deshalb darin bestehen, mehr Klarheit über seine Wirkungsweise zu gewinnen und so weitere Reformüberlegungen auf eine breitere empirische Grundlage zu stellen.

Eine solche Betrachtung kann anknüpfen an eine Reihe von Studien, welche die grundlegenden Annahmen des Urheberrechts empirisch und konzeptionell in den Blick genommen und hinterfragt haben. So hat etwa die Literaturwissenschaft den Begriff des originalen Werks wie auch den des Autors problematisiert. Die Rechts- und Sozialwissenschaften haben sich kritisch mit dem Konzept des geistigen Eigentums auseinandergesetzt, und die Wirtschaftswissenschaften schließlich haben auf die Ineffizienz und Konzentration der Informationsgütermärkte hingewiesen.

In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit der Frage nach der Bedeutung des Urheberrechts für den Handel mit kulturellen Werken. Die dem Urheberrecht und den Reform-Debatten zugrunde liegende Annahme ist hier, dass staatlich garantierte Ausschlussrechte für den Handel mit Informationsgütern notwendig sind, weil Musik, Literatur oder Film andernfalls nicht im gewünschten Umfang geschaffen werden und es in der Folge zu einem Marktversagen kommt. Aus diesem Grund wird dem Urheberrecht im Allgemeinen eine marktschaffende Rolle zugeschrieben. Gegen diese Annahme spricht allerdings, dass zum einen nicht alle relevanten Kulturgüter urheberrechtlich geschützt sind und zum anderen, dass einige Kulturgütermärkte durch beträchtliche rechtliche Unsicherheit gekennzeichnet sind, weil die Anwendbarkeit gesetzlicher Ausschlussrechte auf die jeweiligen kreativen Leistungen umstritten ist.

Für eine empirische Untersuchung der Bedeutung gesetzlicher Rechte für die Zirkulation von Kulturgütern sind diese Märkte "im Schatten“ des Rechts besonders instruktiv. Denn diese machen eine Pluralität und Heterogenität möglicher Regelungsarrangements sichtbar, die durch die Fokussierung der gängigen Diskussion auf das Urheberrecht häufig verdeckt wird.

Im Folgenden werden wir deshalb einige Beispiele für Märkte vorstellen, in denen Kulturgüter gehandelt werden, die nicht oder nur sehr schwach durch das Urheberrecht reguliert werden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Zirkulation von Witzen unter Stand-up-Comedians, Kopien und Nachahmungen von japanischen Comics durch Amateurzeichner, den Handel von Fernsehformaten und die Entwicklung von Computerspielen.

Stand-up-Comedy: Ideenschutz und Total Buyout

Spätestens seit der deutsche Komiker Mario Barth im Spätsommer 2008 das Berliner Olympiastadion mit 70.000 Zuschauern füllte, ist klar, dass Stand-up-Comedy zur kommerziell massentauglichen Unterhaltungsform herangewachsen ist. Aufstiegsmöglichkeiten sind jedoch rar, Auftritte und Spielzeiten hart umkämpft, und die Konkurrenz ist stets bemüht, einen Schritt voraus zu sein. Das wichtigste Mittel im Kampf um das Rampenlicht ist gleichzeitig auch das höchste Gut eines jeden Komikers – der Witz. Interessant ist daher, dass der Schutz von und der Handel mit Gütern in der Comedy-Branche gänzlich ohne das Urheberrecht auskommt, obwohl dieses formell durchaus auf Witze oder ein ganzes Programm anwendbar ist. Stattdessen werden Fragen der Autorschaft und des Eigentums sowie Rechtetransfers und die Ahndung von Verstößen auf Basis eines über die Zeit entstandenen Systems sozialer Normen reguliert.

Das formelle Recht spielt im Comedy-Bereich vor allem deshalb keine Rolle, weil die grundlegenden Kategorien und Annahmen des Urheberrechts in zentralen Dimensionen nicht mit den Praktiken und Normen der Künstler übereinstimmen. Der erste Aspekt betrifft die essenzielle Frage nach dem Gegenstand der normativen Ansprüche. Das Urheberrecht schützt Werke, keine Ideen. Es ist bei einem Witz aber primär die Idee, aus der sich die Komik ergibt. Diese Idee kann auf sehr unterschiedliche Art und Weise zum Ausdruck gebracht werden, so dass das Urheberrecht dem Komiker kaum dabei hilft, einen Originalitätsanspruch auf sein Material zu erheben. Zudem testen Comedians ihre Witze meist zunächst am Publikum, und entwickeln sie daraufhin kontinuierlich weiter. Einem Konkurrent bieten sich so oft Gelegenheiten, das Material für sein eigenes Programm zu übernehmen. Ausgehend von diesem Problem, das eigenständige Schaffen und somit die Originalität eines Witzes nachzuweisen, hat sich unter den Comedians eine Norm durchgesetzt, die sich nicht nur auf den Schutz des Ausdrucks einer Idee, sondern auch auf die Idee an sich bezieht. Die Grenze zwischen akzeptierter Inspiration und unzulässigem Plagiat wird im informellen Regelungssystem interessanterweise damit wesentlich enger gezogen als im Urheberrecht, selbst recht allgemeine Ideen sind hier geschützt. Auch bezüglich der Dauer ist die Regel der Comedians strikter als das Recht. Während urheberrechtliche Ansprüche nach einer bestimmten Zeit erlöschen (in Deutschland sind es 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers), ist unter Comedians die Aufnahme fremder Ideen ins eigene Repertoire niemals zulässig.

Das informelle Normensystem reguliert auch den Handel mit Witzen. Dabei kommen die in der Regel mündlich abgeschlossenen Transaktionen meist einem total buy-out gleich, indem der Verkäufer sämtliche Rechte an seinem Material abtritt und sich dazu verpflichtet, das verkaufte Material ab dem Zeitpunkt der Transaktion nicht mehr zu verwenden. Gleichzeitig verzichtet der Urheber ebenfalls auf jeglichen Anspruch auf Anerkennung für das Schaffen des Materials: "(When I buy a joke,) it’s mine, lock, stock and barrel. He can’t perform them and my (…) oral agreement with my writers is you can’t even tell anybody that you wrote the joke.“

Die Durchsetzung und Sanktionierung dieser informellen Normen erfolgt an erster Stelle durch persönliche Konfrontation. Sollte sich der Konflikt nicht durch eine Aussprache lösen lassen, kann es zu einer Reihe unterschiedlicher Sanktionen kommen. Ausgrenzung aus der Community, Verweigerung der Zusammenarbeit, üble Nachrede oder in manchen, eher seltenen Fällen, körperliche Gewalt sind die Maßnahmen, die auf einen Verstoß gegen die Anti-Plagiatsnorm folgen können.

Diese Aspekte zeigen, dass sich unter Stand-up-Comedians ein Normensystem herausgebildet hat, das die Zirkulation von Witzen informell reguliert und bei Verstößen auch sanktioniert. Interessanterweise ist das informelle Regelungssystem der Comedians in vielen Aspekten weitreichender und strenger als das formelle Urheberrecht. Dies reflektiert die Tatsache, dass es sich hier um Produzentennormen handelt, die kein Interesse an Zugänglichkeit und Nutzbarkeit haben.

Dojinshis: Unausgesprochene Übereinkommen und geregelte Regelverletzung

Ein weiterer Bereich, in dem die Zirkulation von Kulturgütern wesentlich durch nicht-rechtliche Regeln gerahmt wird, und gleichzeitig ein kapitalstarker Markt entstanden ist, sind japanische Comics und ihre Adaptionen. Mangas stellen mit einem Marktanteil von knapp 22 Prozent der insgesamt pro Jahr veröffentlichten Printmedien und einem jährlichen Gesamtumsatz von etwa 4,2 Milliarden US-Dollar einen beträchtlichen Wirtschaftsfaktor in Japan dar. Rund um die Hefte und Bücher ist eine milliardenschwere Industrie entstanden, die mit Filmen und Fernsehserien bis hin zu Videospielen und Sammelkarten den Bedarf einer stets wachsenden, internationalen Fangemeinde deckt.

Im Kontext der hier aufgeworfenen Fragen zur Zirkulation von Kulturgütern ist es von besonderem Interesse, dass auf Basis des Manga-Marktes ein zweiter Markt entstanden ist, der im Wesentlichen auf der nicht lizenzierten Nutzung von Manga-Geschichten und -Charakteren basiert. So genannte Dojinshis – sinngemäß "Zeitschrift für Gleichgesinnte“ – sind von Amateurzeichnern auf Eigeninitiative herausgegebene Mangas, die Charaktere und Handlungsstränge bekannter Mangas aufgreifen und nach ihren eigenen Vorstellungen weiterentwickeln. Es mag verwundern, dass eine enorm kapitalstarke Branche, die rund um fiktionale Geschichten und Charaktere lukrative Verwertungsketten aufbaut, nicht auf die strikte Durchsetzung von Immaterialgüterrechten setzt. Tatsächlich herrscht aber das Anmoku no ryokai, ein "Unausgesprochenes Übereinkommen“, zwischen den Verlagen und Künstlern einerseits und den Amateurzeichnern andererseits. Die zentrale Regel dieses informellen Regelungsrahmens bezieht sich auf die Grenzziehung zwischen Plagiat und Adaption. Ein Dojinshi darf nie eine bloße Kopie des Originals darstellen, sondern muss stets als eine Art Parodie erkennbar werden. Um dieser Forderung nachzukommen, entwickeln die Zeichner eigene Stilelemente, die sie als individuelle Künstler erkennbar machen und ihr Werk eindeutig vom Original abgrenzen. Dojinshis verstehen sich in diesem Sinne also als Neuinterpretationen, aber auch als Hommage an das Original, weshalb ein bestimmter Grad der Imitation unausweichlich ist und somit geduldet wird. Darüber hinaus hat die Imitation von Charakteren, beispielsweise religiöser Figuren und Figuren aus volkstümlichen Märchen, aber auch bekannter Sportler und Schauspieler, in der Welt der Mangas eine lange Tradition. Das Verständnis von Urheberschaft weicht in der Manga-Gemeinschaft so deutlich von der westlichen Idee des individuellen Urhebers ab.

Abseits der eher ideellen Aspekte ergibt sich das Einverständnis zwischen Autoren, Verlegern, Verwertern und Amateuren aus einer Reihe ökonomischer Überlegungen. So erkennen zunehmend viele Verleger das Potenzial der Amateurcomics, das Verhältnis von Produzent und Konsument neu zu definieren und darüber hinaus zu einem höheren Maß an Identifikation mit dem "Produkt“ zu verhelfen. Ähnlich der Open-source-Community im Softwarebereich verstehen sich Mitglieder der Dojinshi-Community als "Prosumenten“ – ein Nutzertypus der gleichzeitig produziert und konsumiert und sich somit maßgeblich an der Formgebung eines bestimmten Produkts beteiligt. Diese neue Form der Auseinandersetzung mit den Comics ermöglicht Verlegern so Zugriff auf ein stetig wachsendes Reservoir potenzieller Nachwuchstalente. Anhand der meistimitierten Mangas lässt sich zudem feststellen, in welche Richtung sich der Trend innerhalb der Szene bewegt. Entsprechend früh können die Verlage auf solche Impulse reagieren und versuchen, den Markt in die entsprechende Richtung zu leiten. Paradoxerweise sind also Bewegungen im "Kopien-Markt“ wegweisend für Trends im eigentlichen Manga-Markt.

Wie erste Gespräche verdeutlichen, ist den Akteuren der Branche die Ambivalenz der Situation durchaus bewusst. Einerseits sollten in ihren Augen Verfügungsrechte der Urheber geschützt werden, andererseits sichere gerade das "Nicht-so-genau-nehmen“ Kreativität und Innovation in der Branche. Die informellen Regeln wiederum scheinen vor allem deshalb erfolgreich zu sein, weil die Akteure gewillt sind, im Dialog zu bleiben.

Im Ergebnis zeigt sich, dass in diesem Feld Urheber und Verwerter bewusst auf die Durchsetzung partieller Nutzungs- und Verwertungsrechte verzichten, da sie von den nachgelagerten Märkten auch profitieren. Gleichzeitig ziehen informelle Regeln durchaus Grenzen zwischen tolerierter Nachahmung und illegitimem Plagiat. Das Einhalten dieser Regeln garantiert den Dojinshi-Zeichnern die fortwährende Toleranz der Verlage.

Fernsehformate: Format-Bibeln und Fliegende Produzenten

Ein weiterer Markt, der sich unter den Bedingungen rechtlicher Unsicherheit entwickelt hat, ist der nationale und internationale Handel von Fernsehformaten. Casting-Shows wie "Deutschland sucht den Superstar“, Reality-Formate wie "Bauer sucht Frau“ oder "Dschungel-Camp“, Kochsendungen und Daily Soaps machen seit den späten 1990er Jahren einen bedeutenden Anteil des Fernsehprogramms aus. Das ökonomisch Interessante an TV-Formaten ist, dass sie auf Basis einer Idee ganze Ketten von Vervielfältigungen und Vermarktungen aufbauen. Jedes Format verfügt über eine Grundstruktur, die in der seriellen Produktion sowie der Anpassung für andere Märkte leicht variiert wird. Ein TV-Programm zu "formatieren“ heißt demnach, es "in eine exportierbare Handelsware zu verwandeln“.

Für einzelne Elemente eines TV-Formats können durchaus eine Reihe von Schutzrechten geltend gemacht werden: Urheberrechte, Markenrechte, der Schutz vor unlauterem Wettbewerb oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen. Einen übergreifenden rechtlichen Schutz für TV-Formate gibt es jedoch weder in Deutschland noch in anderen Ländern, auch weil die Format-Idee an sich nicht schutzfähig ist. Das Dilemma besteht nun darin, dass sich TV-Formate erst verkaufen lassen, wenn sie sich bereits auf einem Markt bewiesen haben und die Idee folglich öffentlich ist. Im Ergebnis könne sich, so der Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger, "ein Fernsehunternehmen kaum juristisch dagegen wehren, wenn ein Konkurrent ein Plagiat eines angekauften Formats auf den Markt bringt“.

Praktisch bewältigt wird diese rechtliche Unsicherheit durch personen- und organisationsbezogenes Know-how, marktliche Strategien und – wie im Bereich Stand-up-Comedy und Dojinshis – informelle Konventionen und Normen. Die für den Formathandel zentrale Konvention besteht darin, "so zu tun, als ob es einen umfassenden juristischen Formatschutz“ gäbe: Statt sich ungeschützte Ideen einfach anzueignen und weiterzuentwickeln, erwerben Produzenten und Sender teure Lizenzen für internationaler Formate. Kernelement dieser Lizenzen ist das in der "Format-Bibel“ beschriebene Know-how, ergänzt durch das implizite Wissen von erfahrenen Mitarbeitern, den flying producers. Mit der Formatlizenz kaufen TV-Sender also nicht nur eine kopierbare Idee, sondern ein als Marke konzipiertes Erfolgsrezept, das auf einem Schlüsselmarkt schon einmal erfolgreich realisiert wurde.

Auch die internationalen Distributionsketten werden zum Schutz von TV-Formaten eingesetzt. Nachahmer haben es unter Umständen schwer, ihre Produkte zu vertreiben und weitere Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Ob es überhaupt klare Kriterien für die Grenzziehung zwischen akzeptierter Adaption und illegitimer Kopie gibt, ist eine offene Frage, die sich nur durch empirische Forschung klären lässt. Interessant ist immerhin, dass die Idee eines umfassenden rechtlichen Formatschutzes in der Praxis auf Skepsis stößt, weil eine stärkere Kodifizierung des Erlaubten und Unerlaubten nachteilige Auswirkungen für die Innovationspraktiken der Branche mit sich bringen könnte.

Computer- und Videospiele: Copycats und Innovationen

Die Computer – und Videospielbranche ist seit ihren Anfängen in der Hackerkultur der frühen 1970er Jahre zu einer der weltweit umsatzstärksten Unterhaltungsindustrien herangewachsen und liegt mit einem im Jahr 2010 auf 65 Milliarden US-Dollar geschätzten weltweiten Umsatz nur noch knapp hinter der Filmindustrie. Computerspiele sind "Hybridwerke“ (Till Kreutzer), die aus verschiedenen Werktypen wie dem Programmcode und Video- und Audioelementen bestehen, deren Nutzung jeweils spezifischen Schutzrechten unterliegen. Dazu gehören unter anderem das Urheber-, das Patent- und das Markenrecht, aber auch das Wettbewerbsrecht. Obwohl also die einzelnen Komponenten eines Videospiels geschützt sind, gilt das nicht für die zentrale Idee, die ihm zugrunde liegt.

In diesem Sinne steht die Spieleindustrie vor einem ähnlichen Problem wie die Produzenten von TV-Shows: Sobald die Idee für ein Spiel bekannt wird, besteht die Gefahr von copycats, also der Imitation und Weiterentwicklung schon vorliegender Spiele. Entsprechend gruppieren sich Innovationen in diesem Markt jeweils um bestimmte Genres von Spielen, wie etwa die derzeit populären Bauernhofsimulationen. "FarmVille“, das erfolgreichste dieser Spiele, war denn auch keineswegs das erste seiner Art; es war bloß massenmarkttauglicher als Konkurrenten wie "My Farm“ oder "Farm Town“, wie Brian Reynolds, Designchef von "FarmVille“-Hersteller Zynga, der für seine Imitationsstrategien vielfach kritisiert worden ist, freimütig zugibt. "FarmVille“ und sein Nachfolger "FrontierVille“ hätten viele Neuerungen hervorgebracht, die wiederum von Wettbewerbern, etwa in "Castleville“ aufgegriffen worden seien. Erfolgreich im Spielemarkt, so Reynolds, seien die Produzenten, die Imitation und Innovation miteinander kombinierten.

Das Kopieren erfolgreicher Spiele, so auch der Games-Experte Kyle Orland, sei praktisch so alt wie die Branche selbst. Allerdings hat das notorische copycatting seine Grenzen, wie der Protest einzelner Studios und die Klagen gegen Zynga und andere zeigen. Der Gerichtsprozess, so Orland, löse die Frage, was denn ein originäres Spiel genau ausmache aus dem nebulös moralischen Kontext der Branche, und überantworte sie dem rechtlichen Raum von Schuld und Unschuld. Allerdings mit unsicheren Erfolgsaussichten, weil die Ähnlichkeit von Charakteren, Narrativen und Features für sich genommen kaum als Urheberrechtsverletzung gewertet werde. Obwohl einzelne Spielelemente also schutzfähig sind, erweist sich die Durchsetzung dieser Rechte als problematisch.

Ähnliche Beobachtungen lassen sich mit Blick auf das Verhältnis zwischen Produzenten und Fangemeinde machen. Das Äquivalent zu Dojinshis bilden die mods, von Nutzern programmierte, auf dem Originalcode aufbauende Versionen von Spielen, die zwischen Fans geteilt werden. Ein kommerzieller Vertrieb verstößt unter moddern gegen die Etikette. Die von der Fangemeinde entwickelten mods reichen von leicht abgewandelten Versionen über Importe aus anderen Spielen bis zu kompletten Neuentwicklungen. Nach anfänglichen Klagen gegen dieses Treiben begann die Branche das kreative Potenzial der "wildernden“ Fangemeinde anzuerkennen und in Maßen zu unterstützen. Obwohl beide Seiten von dieser Form der Koproduktion profitieren, scheint das Verhältnis häufig spannungsgeladen und durch konfligierende Nutzungsansprüche geprägt zu sein. Trotz der Schwierigkeiten, Ausschlussrechte gegenüber Konkurrenten und Nutzern geltend zu machen, gilt die Gamesbranche als ein hochinnovativer Wachstumsbereich.

Fazit: Pluralität von Regelungsformen

Die hier vorgenommene Betrachtung von Kulturgütermärkten im Schatten des Rechts hat gezeigt, dass schwache oder fehlende Schutzrechte nicht notwendigerweise zu Marktversagen führen. Der Grund dafür besteht darin, dass die Abwesenheit beziehungsweise Ineffektivität von (Urheber-)Rechten nicht gleichbedeutend mit dem Fehlen von Regeln ist. Vielmehr sind unter den Bedingungen rechtlicher Unsicherheit Normen und Konventionen entstanden, die in der Grauzone zwischen Imitation und Innovation die für die Beteiligten mehr oder minder verlässlichen Grenzen zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem ziehen und damit zugleich Märkte für Kulturgüter stabilisieren.

Wie das Beispiel Stand-up-Comedy illustriert, können soziale Normen dort, wo das Urheberrecht nicht greift, dieses unter Umständen ersetzen. Ähnliche Befunde liegen für die Haute Cuisine, für Zaubertricks und mit Einschränkungen für die Mode vor. Soziale Normen können das Urheberrecht aber auch modifizieren, indem sie Schutzrechte reduzieren oder ausdehnen. Das Beispiel Stand-up-Comedy ist in diesem Zusammenhang besonders instruktiv, weil die "moralische Ökonomie“ der Comedians auch die Nutzung fremder Ideen sanktioniert und damit die für das Urheberrecht grundlegende Unterscheidung zwischen freien Ideen und ihrem schutzfähigen Ausdruck aufhebt. Auch kennen die Konventionen der Comedians weder Schrankenregelungen noch Schutzfristen und gehen daher deutlich über die gesetzlichen Ausschlussrechte hinaus. Gesellschaftliche, informelle Normen müssen also keineswegs immer "weicher“ sein als gesetzliche Regelungen.

Dojinshis und mods können dagegen als tolerierte Urheberrechtsüberschreitungen verstanden werden. Manga-Produzenten und Spieleentwickler verzichten bewusst auf einzelne Rechte und profitieren von den nachgelagerten Märkten und Aktivitäten der jeweiligen Fangemeinde. Allerdings gibt es auch zwischen Produzenten und Amateuren informelle Regeln, die darauf zielen, Grenzen zwischen tolerierter Nachahmung, Modifikation und sanktioniertem Plagiat zu ziehen.

Gemeinsam scheint diesen Regeln im Schatten des Urheberrechts zu sein, dass sie die spezifischen Produktionsbedingungen und Eigenarten von kreativen Gütern reflektieren. In diesem Sinne zeichnen sich informelle Schutznormen nicht nur durch größere Flexibilität, sondern wohl auch durch eine höhere Sensibilität für ihre Auswirkungen auf die branchentypischen Produktions- beziehungsweise Innovationsstrategien aus als das Urheberrecht, das auf einheitliche Regeln zielen muss. Im Unterschied zum Urheberrecht verfolgen informelle Normen andererseits nicht das Ziel, eine Balance zwischen den Interessen von Öffentlichkeit und Kulturschaffenden herzustellen. Dem Anspruch eines Interessenausgleichs werden soziale Normen daher in vielen Fällen nicht gerecht.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die populäre Vorstellung eines Marktversagens ohne ein starkes Urheberrecht die Bedeutung gesetzlicher Schutzrechte wahrscheinlich übergeneralisiert. Die Beispiele zeigen, dass soziale Normen unter Umständen, über die wir zugegebenermaßen bisher zu wenig wissen, eine ähnliche funktionale Wirkung entfalten wie gesetzliche Normen. Weiterhin zeigt sich, dass der partielle Verzicht auf gesetzliche Ausschlussrechte den Marktwert bestimmter Kulturgüter sogar steigern kann. Das Beispiel TV-Formate legt schließlich nahe, dass – unter innovationsstrategischen Gesichtspunkten besehen – einer uneindeutigen Rechtslage sogar manchmal der Vorzug gegenüber einem klaren Rechtsrahmen gegeben werden kann.

Während die aktuelle Auseinandersetzung über das Urheberrecht dazu verleitet, gesetzlichen Normen die zentrale Bedeutung für die Entwicklung von Kulturgütermärkten zuzuschreiben, lässt die hier skizzierte empirische Perspektive eine Vielzahl von Praktiken und Normen sichtbar werden, die ebenfalls Märkte koordinieren und Originalitäts- beziehungsweise Verwertungsansprüche von Urhebern regeln. Damit ist die noch im Entstehen begriffene Forschung zur Pluralität von Regulierungsformen und ihrer Bedeutung für die Funktionsweise von Kulturgütermärkten nicht nur von akademischem Interesse. Wenn es stimmt, dass soziale Normen und Praktiken wesentlich zur Handelbarkeit von Kulturgütern und zur Konstitution ihrer Märkten beitragen, so ist dies sowohl für wirtschaftliche als auch für regulierungspolitische Strategien hoch relevant.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für einen Überblick vgl. Ingrid Schneider, Das Europäische Patentsystem. Wandel von Governance durch Parlamente und Zivilgesellschaft, Frankfurt/M.–New York 2010.

  2. Die folgenden Ausführungen sind Überlegungen und erste Ergebnisse aus dem auf mehrere Jahre angelegten Projekt "Koordination der Allokation von Kulturgüter“ am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, online: Externer Link: www.hiig.de/forschung/internet-policy-regulierung/koordination-der-allokation-von-kulturgutern/ (17.9.2012).

  3. Vgl. Martha Woodmansee, The Genius and the Copyright: Economic and Legal Conditions of the Emergence of the 'Author‘, in: Eighteenth-Century Studies, 17 (1984) 4, S. 425–448.

  4. Vgl. Mark Rose, Authors and Owners: The Invention of Copyright, Harvard 1993.

  5. Vgl. Bruce G. Carruthers/Laura Ariovich, The Sociology of Property Rights, in: Annual Review of Sociology, 30 (2004), S. 23–46; Thomas Dreier, Verdichtungen und unscharfe Ränder. Propertisierungstendenzen im nationalen und internationalen Recht des geistigen Eigentums, in: Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung, 16 (2006) 5–6, S. 172–201.

  6. Vgl. Peter Drahos, The Regulation of Public Goods, in: Journal of International Economic Law, 7 (2004) 2, S. 321–339; Paul A. David/Dominique Foray, Economic Fundamentals of the Knowledge Society, in: Policy Futures in Education, 1 (2003) 1, S. 20–49.

  7. Vgl. Kenneth J. Arrow, Economic Welfare and the Allocation of Resources for Invention, in: Universities-National Bureau (ed.), The Rate and Direction of Inventive Activity: Economic and Social Factors, Princeton 1962, S. 609–626.

  8. Nach US-amerikanischem Recht ist es beispielsweise möglich, Witze und Programme mithilfe des sogenannten Copyright Registration System zu registrieren und somit rechtlich abzusichern. Jedoch nutzt nur ein verschwindend geringer Teil der Comedians nach eigenen Angaben diese Option. Vgl. Dotan Oliar/Christopher J. Sprigman, There’s No Free Laugh (Anymore): The Emergence of Intellectual Property Norms and the Transformation of Stand-Up Comedy, in: Virginia Law Review, 94 (2008) 8, S. 1787–1867, hier: S. 1800.

  9. Vgl. ebd.

  10. Vgl. ebd., S. 1823f.

  11. Ebd., S. 1828.

  12. So kam es beispielsweise zu Handgreiflichkeiten, nachdem der amerikanische Komödiant George Lopez seinen Kollegen Carlos Mencia mit dem Vorwurf konfrontierte, 13 Minuten seines Materials gestohlen und umformuliert zu haben. Der Vorfall hatte zur Konsequenz, dass Mencia von weiteren Kollegen öffentlich des Diebstahls bezichtigt wurde und zunehmend Comedians gemeinsame Auftritte mit ihm verweigerten. Vgl. D. Oliar/Ch. F. Sprigman (Anm. 8).

  13. Vgl. Daniel H. Pink, Japan, Ink: Inside the Manga Industrial Complex, 22.10.2007, online: Externer Link: www.wired.com/techbiz/media/magazine/15-11/ff_manga?currentPage=all (17.9.2012).

  14. Vgl. Hye-Kyun Lee, Between fan culture and copyright infringement: manga scanlation, in: Media, Culture & Society, 36 (2009), S. 1011–1022.

  15. Vgl. D.H. Pink (Anm. 13).

  16. Vgl. Salil K. Mehra, Copyright and Comics in Japan: Does Law Explain Why All the Cartoons My Kid Watches are Japanese Imports?, in: Rutgers Law Review, 552002), S. 1–65.

  17. Vgl. Macimilian Probst/Kilian Trotier, Lernt zu teilen! Bevor es zu spät ist, in: Die Zeit, Nr. 12 vom 15.3.2012, online: Externer Link: www.zeit.de/2012/12/Urheberrechtsdebatte (17.9.2012).

  18. Vgl. S.K. Mehra (Anm. 16).

  19. Interview mit dem Vorsitzenden des Vereins Animmex auf der Connichi 2012, Kassel, 8.9.2012.

  20. „Indeed, there is evidence, that the manga industry and the markets do not merely coexist; rather, they appear to provide benefits to each other.“ S.K. Mehra (Anm. 16), S. 8.

  21. Vgl. etwa die Definition von Dominik Koch-Gombert, Fernsehformate und Formatfernsehen. TV-Angebotsentwicklung in Deutschland zwischen Programmgeschichte und Marketingstrategie, München 2005, S. 29ff.

  22. Gerd Hallenberger, Fernsehformate und Internationaler Formathandel, in: Hans-Bredow-Institut (Hrsg.), Internationales Handbuch Medien 2009, S. 155.

  23. Vgl. Sukhpreet Singh/Martin Kretschmer, Strategic Behaviour in the International Exploitation of TV Formats – A Case Study of the Idols Format, in: Koos Zwaan/Joost de Bruin (eds.), Adapting Idols: Authenticity, Identity and Performance in a Global Television Format, Farnham 2012. Für eine Übersicht über rechtliche Schutzmöglichkeiten vgl. FRAPA (ed.), FRAPA Report 2011 – Protecting Format Rights, Köln 2011; Frank Lobigs et al., Mehr Rechtsschutz für TV-Formate? Eine medienökonomische und medienrechtliche Untersuchung, in: Medien & Kommunikationswissenschaft, 53 (2005) 1, S. 93–129, hier: S. 100ff. Das Leiturteil in Deutschland hat der Bundesgerichtshof (BGH) 2003 gesprochen, indem ein urheberrechtlicher Schutz von Fernsehformaten deutlich verneint wird: Ein Konzept stelle kein schutzfähiges Werk dar, zudem sei eine nachahmende Nutzung keine Urheberrechtsverletzung (BGH, ZR 176/01, 26.6.2003).

  24. G. Hallenberger (Anm. 22), S. 157.

  25. Ebd., S. 157.

  26. Vgl. ebd.; Andrea Esser, Formatiertes Fernsehen: Die Bedeutung von Formaten für Fernsehsender und Produktionsmärkte, in: Media Perspektiven, (2010) 11, S. 502–514.

  27. Vgl. S. Singh/M. Kretschmer (Anm. 23).

  28. Vgl. Steven Levy, Hackers: heroes of the computer revolution, London 1994.

  29. Vgl. Tom Chatfield, Videogames now outperform Hollywood movies, in: The Observer vom 27.9.2009, online: Externer Link: www.guardian.co.uk/technology/gamesblog/2009/sep/27/videogames-hollywood (11.9.2012).

  30. Vgl. Volker Grassmuck, Branchenportrait Games, in: Wolfgang Coy/ders. (Hrsg.), Arbeit 2.0. Eine Untersuchung zu urheberrechtlicher Erwerbsarbeit in fünf Schlüsselbranchen, Abschlussbericht, Berlin 2009, S. 103ff.

  31. Vgl. Interview Kris Graft mit Brian Reynolds, in: Gamasutra 2012: Talking Copycats with Zynga’s Design Chef, 31.1.2012, online: Externer Link: www.gamasutra.com/view/feature/135054/talking_copycats_with_zyn-gas_.php (17.9.2012).

  32. Vgl. Kyle Orland, Game makers face uphill battle proving copyright infringement in court, 6.2.2012, online: Externer Link: http://arstechnica.com/gaming/2012/02/game-makers-face-uphill-battle-proving-copy-right-infringement-in-court/ (17.9.2012).

  33. Vgl. Sarah Coleman/Nick Dyer-Witheford, Playing on the Digital Commons: Collectivities, Capital and Contestation in Videogame Culture, in: Media, Culture & Society, 29 (2007) 6, S. 941.

  34. Vgl. Reina Y. Arakji/Karl Reiner Lang, Digital Consumer Networks and Producer-Consumer Collaboration: Innovation and Product Development in the Video Game Industry, in: Journal of Management Information Systems, 24 (2007) 2, S. 195–219.

  35. Vgl. Emmanuelle Fauchart/Ernst von Hippel, Norms-Based Intellectual Property Systems: The Case of French Chefs, in: Organization Science, 19 (2008) 2, S. 187–201; Jacob Loshin, Secrets Revealed: Protecting Magicians’ Intellectual Property without Law, in: Law and Magic. A Collection of Essays, Durham 2010, S. 123–142; Susan Scafidi, Intellectual Property and Fashion Design, in: Peter Yu (ed.), Intellectual Property and Information Wealth, Westport 2006, S. 115–31; Kal Raustiala/Christopher J. Sprigman, The Piracy Paradox: Innovation and Intellectual Property in Fashion Design, in: Virginia Law Review, 92 (2006), S. 1687–1777.

  36. Vgl. dazu auch Mark F. Schultz, Copynorms: Copyright Law and Social Norms, in: P. Yu (Anm. 35), S. 201–25.

Dr. rer. pol.; Politikwissenschaftlerin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung; Direktorin am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, Bebelplatz 1, 10099 Berlin. E-Mail Link: hofmann@hiig.de

M.A.; Studium der Kommunikationswissenschaft, Informatik und Philosophie; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (s.o.). E-Mail Link: katzenbach@hiig.de

Master in European Studies of Science and Technology; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (s.o.). E-Mail Link: muench@hiig.de