Als am 11. Februar 2011 Präsident Husni Mubarak vom Militär zum Abdanken gezwungen wurde, feierten die Revolutionäre auf dem Kairoer Tahrir-Platz dies als Sieg über das politische System, das sie endgültig abschaffen wollten. Ein halbes Jahr später ist ihr Slogan "Das Volk will den Sturz des Regimes" zwar noch nicht verklungen, doch ist unklar, ob sich das Land auf dem Weg zu einer wirklichen Demokratie befindet. Misstrauen und Unsicherheit prägen das neue Ägypten genauso wie das Gefühl der Erneuerung und des Aufbruchs. Deutlich wird das neue politische Selbstbewusstsein mit Blick auf die große Anzahl neuer politischer Gruppierungen: Zahlreiche Parteien haben sich seit Februar gegründet und wollen zu den Parlamentswahlen, die voraussichtlich im November 2011 stattfinden werden, antreten. In den improvisierten Hauptquartieren der Aktionsgruppen herrscht ein ständiges Kommen und Gehen: Demonstrationen werden vorbereitet, politische Diskussionen veranstaltet und Interessenten in Workshops geschult. Das Bewusstsein, politisch etwas erreichen zu können, ist groß, genauso das Misstrauen gegenüber dem Militärrat, der die Macht übernommen hat.
Auch wenn sich alle Aktivisten um Verständigung bemühen, so wächst die Kluft zwischen den politischen Gruppierungen: Bewegungen, die noch im Januar gemeinsam mit Islamisten den Tahrir-Platz besetzten, stehen sich mit diesen immer öfter unversöhnlich gegenüber. Während die Muslimbruderschaft - deren Führer immer wieder darauf verweisen, dass sie nicht die Errichtung einer Theokratie anstreben
Noch bemerkenswerter ist, dass trotz der Aufbruchstimmung im Land nur 60 Prozent der Wahlberechtigten an dieser Abstimmung teilnahmen. Obwohl dies nahezu eine Verdoppelung der Wahlbeteiligung im Vergleich zu den Parlamentswahlen von 2009 darstellt, treten hier die Probleme der Demokratiebewegungen zutage: Zwar war die ägyptische Revolution eine Massenbewegung; doch steckt die zivilgesellschaftliche Organisation außerhalb der Großstädte noch in ihren Kinderschuhen. Anders als die Islamisten sind viele der säkularen Parteien und Jugendbewegungen nur ansatzweise in ländlichen Gebieten und urbanen Armutsvierteln verankert. Viele ihrer Aktivisten, die sich aus der städtischen Ober- und Mittelschicht rekrutieren, sind kaum mit der Lebensrealität der armen Bevölkerung vertraut. Gleichzeitig wird wohl keine der Parteien bei Wahlen eine absolute Mehrheit auf sich vereinen können.
Wirtschaftslage
Grundsätzlich ist die wirtschaftliche Lage im postrevolutionären Ägypten besser als viele Beobachter erwartet haben: Weder ist das ägyptische Pfund stark gefallen, noch ist die Börse bei ihrer Wiedereröffnung eingebrochen - ein Umstand, der angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, weitverbreiteten Armut (20 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze) gerade unter der politisierten Jugend positiv zur Stabilisierung der politischen Situation beiträgt. Denn laut United Nations Development Programme (UNDP) sind 90 Prozent der Arbeitslosen in Ägypten unter 29 Jahren;
In den vergangenen Jahren ist die ägyptische Privatwirtschaft in Fahrt gekommen - im Jahr 2010 verzeichnete das Bruttosozialprodukt einen Zuwachs von 5,3 Prozent. Doch stiegen die Einkommen nicht im selben Maße wie die Lebenshaltungskosten und Nahrungsmittelpreise. Problematisch bleiben auch die hohen Staatsausgaben. Konzeptionell nicht ausgereifte staatliche Maßnahmen wie eine Jobgarantie für Universitätsabsolventen im öffentlichen Sektor (die bis 1995 Anwendung fand) haben zu einem aufgeblähten und ineffektiven Bürokratieapparat geführt, der die öffentlichen Kassen belastet. Aufgrund knapper Arbeitsmarktressourcen grassiert ein seit Jahrzehnten gewachsenes Geflecht von Korruption und Nepotismus, das nicht in wenigen Monaten reformiert werden kann. Während manche Fachleute zur Konsolidierung des Staatshaushalts durch Einsparungen im Staatshaushalt raten,
Die Diskussionen über die Privatisierung von staatseigenen Betrieben im Rahmen einer Liberalisierung der ägyptischen Wirtschaft werden überlagert von den Erfahrungen im Rahmen der Privatisierungen in den vergangenen Jahrzehnten. Nur wenige elitäre Kreise im Umfeld von Gamal Mubarak, Sohn des ehemaligen Präsidenten, und Parteigrößen der ehemaligen Staatspartei NDP wie Ahmed Ezz und Zakaria Azmi profitierten von Privatisierungen, insbesondere in der Baubranche, im Immobilienhandel und im Telekommunikationssektor. Unantastbar sind zurzeit auch die Wirtschaftsunternehmen des ägyptischen Militärs, die je nach Sektor 10 bis 30 Prozent der Wirtschaftsaktivitäten bestimmen.
Rolle des Militärs
Große Aufmerksamkeit galt dem Prozessauftakt gegen den ehemaligen Präsidenten und seine Söhnen am 3. August 2011: Das Bild des ehemaligen Diktators hinter Gittern war für viele das Symbol eines Neubeginns. Beobachter aus den Reihen der liberalen Bewegungen wie etwa der Blogger Mahmud Salam warnten hingegen, dass das Militär den Prozess als Ablenkungsmanöver vom eigenen Reformunwillen instrumentalisieren könnte. Denn weiterhin beklagen Menschenrechtsorganisationen die Intransparenz des Militärrats im Hinblick auf das Sicherheits- und Justizsystem. Es häufen sich die Fälle, in denen Protestierende vom Militär festgenommen und misshandelt werden: Laut ägyptischen Organisationen sind seit Februar 2011 bis zu 12000 Personen vor Militärgerichten verurteilt worden.
Die Strafverfolgung von Angehörigen der Polizei und der Geheimdienste für ihre Rolle während der Revolution geht hingegen schleppend und meist nur auf öffentlichen Druck hin voran. Auch der Prozess gegen die Mubarak-Familie war nur nach monatelangen Protesten von Angehörigen derjenigen, die während der Revolution getötet wurden, zustande gekommen. Das Misstrauen vieler Aktivisten gegenüber der Staatsführung wird nicht zuletzt durch die Propaganda verstärkt, derer sich auch die Militärführung bedient: Die lokalen Medien quellen über von Geschichten über vermeintlich ausländische Aufrührer, die sich unter die Demonstrierenden mischten, um das Land zu destabilisieren. Diese Art der Propaganda soll die Demonstrationen diskreditieren.
Es bleibt unklar, ob es primär autoritäre Reflexe des Militärs sind aus Angst davor, dass die Situation im Land unkontrollierbar wird, oder ob die Generalität ein Interesse daran hat, den Ausgang der politischen Transformation zu ihren Gunsten vorherzubestimmen. Gegenüber westlichen Diplomaten betonen die Militärs, das ihnen lediglich daran gelegen sei, einen stabilen und raschen Übergang zu ermöglichen. Dies hieße in ihren Augen, zwar die Revolution von der Straße in die Konferenzzimmer zu verlagern, aber möglichst wenige Reformen einzuleiten, da dies letzten Endes in der Verantwortung einer gewählten Regierung liege. Andererseits war die Generalität eine wichtige Stütze und Teil des Patronagesystems Mubaraks. Daher kann davon ausgegangen werden, dass auch sie Eigeninteressen an der Erhaltung desselben haben. So verwundert es nicht, dass Mubaraks Anwalt drohte, den Vorsitzenden des Militärrats und ehemaligen Mubarak-Vertrauten Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi selbst in den Zeugenstand zu laden.
Ausblick
Währenddessen entladen sich die in den vergangenen Jahren angeheizten konfessionellen Spannungen immer öfter in Gewalt. Noch ist unklar, in welche Richtung sich die ägyptische Revolution bewegen wird. Ein inklusiveres politisches System wird ohne Frage für mehr Pluralismus sorgen, weshalb auch von einer Beteiligung islamistischer Kräfte ausgegangen werden kann. Ob dies zu ihrer weiteren politischen Integration führen wird oder im Falle eines politischen Versagens zur Radikalisierung des Diskurses durch salafitische Gruppen, wird sich zeigen.
Die neue zivile Regierung wird vor der Herausforderung stehen, die hohen Erwartungen der Bevölkerung bezüglich einer "Revolutionsdividende" zu erfüllen. Die Einsicht, dass ein demokratisches System nicht zwangsläufig und kurzfristig ökonomischen Wohlstand mit sich bringt, könnte gerade unter der ärmeren Bevölkerung zu Frustration führen. Das Militär wird mittelfristig kaum die Regierungsgewalt behalten wollen, gleichzeitig erscheint es unwahrscheinlich, dass sein Einfluss vollständig eingehegt werden kann. Das Ergebnis wäre ein teilliberalisiertes System unter ziviler und militärischer Kontrolle mit weitgehend bürgerlichen Freiheiten, aber immer noch großen ökonomischen Disparitäten.