Das parlamentarische System gerät stärker unter Druck. Als Triebfedern dieser Entwicklung werden oft die Pluralisierung von Lebenswelten und eine fortschreitende Individualisierung genannt. Für Großorganisationen wie Parteien ist die Aufgabe, individuelle Bedürfnisse zu bündeln und übergeordnete Gemeinwohlinteressen zu identifizieren, dadurch noch schwieriger geworden. Die zunehmende Komplexität politischer Sachfragen und die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf die europäische Ebene engen die Gestaltungsräume nationaler Parlamente zusätzlich ein und verschärfen den Legitimitätsverlust institutioneller Politik. Im Ergebnis erscheint parlamentarische Politik bisweilen intransparent, unzureichend und sogar antiquiert.
Plädoyers für "maximale Transparenz" politischer Entscheidungsprozesse sowie mehr direkte Demokratie sind wohlfeile Konsequenzen. Beschleunigt wird diese Entwicklung durch technologische Innovationen: Die Generation der digital natives drängt in die parlamentarische Arena und fordert einen "Systemneustart". Politische Prozesse müssten sich der veränderten Kommunikationskultur im Internetzeitalter anpassen, soll die "alte Tante Politik" ihre Responsivität gegenüber der Gesellschaft nicht verlieren.
Doch bleiben Fragen: Wie lassen sich "neue" Kommunikationskulturen und "traditionelle" Strukturen der repräsentativen Demokratie miteinander vereinbaren? An welchen Orten des parlamentarischen Systems sind Abläufe neu zu organisieren, an welchen gilt es, sich dem Trend zur "Verflüssigung" der Politik zu widersetzen? Welches Verständnis von Transparenz und Beteiligung liegt den Reformvorschlägen zugrunde? Wie wirken sich diese Forderungen auf das zentrale Versprechen der Demokratie – die politische Gleichheit aller – aus? Ist Partizipation aller überall und zu jeder Zeit wirklich ein erstrebenswertes Ziel?