"Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleitegriechen … und die Akropolis gleich mit" – solche und ähnliche Schlagzeilen deutscher Boulevardzeitungen mussten die Griechen in den vergangenen Jahren immer wieder lesen. Sie fügten sich ein in ein kontinuierliches Griechenland-Bashing, das der Journalist Michael Spreng, einst Chefredakteur der "Bild am Sonntag", auf die kurze Formel brachte: "Das grenzt an Volksverhetzung."
In der Tat: Nimmt man seriöse Presseorgane aus, so dürfte Pantelouris im Großen und Ganzen Recht haben, wenn er den deutschen Medien drei fundamentale Fehler ankreidet: "Der erste, 'die Griechen' als eine Gruppe zusammenzufassen, die in der Politik und Bevölkerung an einem Strang ziehen, um Europas reiche Nordländer auszunehmen; der zweite, 'den Griechen' moralische Verdorbenheit zu unterstellen, denen Faulheit, Korruption und Betrug zur Natur geworden sind – was angesichts der Tatsache, dass sich in Griechenland in praktisch allen großen Korruptionsskandalen deutsche Firmen besonders hervortun, für Verbitterung und heftige polemische Gegenwehr sorgt. Und drittens ist offensichtlich, dass viele, wenn nicht die meisten Redaktionen überfordert sind mit der Einordnung der komplexen Informationen."
Es drängt sich auch die Frage auf, warum sich manche deutsche Zeitungen gerade Griechenland als Sündenbock aussuchten und andere Krisenländer wie Italien, Spanien, Portugal oder Irland verschonten. Zumindest für Letzteres glaubt ein irischer Journalist eine plausible Erklärung gefunden zu haben – es ginge um den Schutz des Pensionsfonds des Springer-Hauses: "The Berlin correspondent of the Irish Times recently asked a member of the Bild staff why his newspaper hadn’t followed its diatribes against 'greasy Greeks' with a similar denunciation of the Irish: it turns out that the staff pension fund is heavily exposed to the Irish banking sector and they don’t want to make things worse for themselves."
Kampagnen-Journalismus
Es war aber nicht "Bild" allein, die in einer in der europäischen Presselandschaft einmaligen Kampagne über Griechenland herfiel. So lautete eine "Focus"-Titelgeschichte vom 20. Februar 2010: "Betrüger in der Eurofamilie". Das Titelbild – die Aphrodite von Milos mit Stinkefinger – erregte die Griechen aufs Höchste, der Fall beschäftigte gar die Gerichte. Ein griechisches Blatt "revanchierte" sich mit einem Bild der Berliner Siegessäule, auf der die Göttin Nike ein Hakenkreuz in der Hand hält.
Viel mehr Interesse verdient aber ein Beitrag in derselben Ausgabe, in dem sich ein Redakteur mit offensichtlich wenig Sachkenntnis über 2000 Jahre griechische Kulturgeschichte äußerte. Da heißt es etwa, das neue Griechenland habe nicht einen bedeutenden Dichter hervorgebracht und das griechische Kino fast nie einen Film, über den man in Europa spricht.
Nun gehören die Gedichte von Konstantin Kavafis und Jannis Ritsos vielleicht nicht zum Lektürekanon deutscher Kulturredakteure, aber von den Nobelpreisträgern für Literatur Giorgos Seferis und Odysseas Elytis sollte man schon einmal gehört haben.
Dass der entsprechende Redakteur das alles nicht weiß, ist eines. Aber dass die Redaktion jemanden über ein Thema schreiben lässt, von dem er offensichtlich kaum Ahnung hat, nährt den Verdacht, dass es auf die Fakten nicht ankommt.
Nicht nur Boulevardzeitungen bedienen Vorurteile über Griechenland und seine Bevölkerung und greifen ungeprüft auf, was europäische Entscheidungsträgerinnen und -träger über die "faulen Griechen" (und die anderen Südländer) mitzuteilen haben – obwohl es seriöse Statistiken gibt, denen genaue Zahlen über Wochen- und Lebensarbeitszeit und Urlaubstage zu entnehmen sind. Bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gibt es hierzu folgende Zahlen: In Deutschland arbeiten Beschäftigte im Durchschnitt um ein Drittel weniger als in Griechenland, nämlich 1.390 Stunden pro Jahr im Vergleich zu 2.119 Stunden (2010 waren es 1.408 Stunden im Vergleich zu 2.017 Stunden) – was im Übrigen die längste Jahresarbeitszeit in allen OECD-Ländern ist.
Dabei gibt es genügend negative Fakten, über die zu berichten wäre: beispielsweise über sinnlose Waffenimporte in irrsinnigem Ausmaß, darüber, wer sich daran eine goldene Nase verdient und warum bislang nur ein einziger der korrupten griechischen Politiker als Schmiergeldempfänger in Haft kam. Die griechischen Regierungen haben in den vergangenen Jahrzehnten "über ihre Verhältnisse" Waffen gekauft. Nach Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI haben sie über Jahre hinweg bis zu 17 Prozent der weltweiten Waffenexporte Deutschlands abgenommen,
Von diesen Zahlen ist im aktuellen Griechenland-Diskurs der deutschen Presse seltener die Rede. Dass die deutschen Waffengeschäfte mit Griechenland auch nach Bekanntwerden der griechischen Haushaltsmisere munter weitergingen, kann man gelegentlich sogar in den deutschen Mainstream-Medien lesen – seltener jedoch kann man lesen, welcher Zusammenhang zwischen Waffenkäufen und Finanzhilfen der europäischen Partner bestand.
Aber da wäre dann auch zu berichten, was man in Berlin und Brüssel über die Athener Bilanz-Kosmetik wusste, und warum man trotzdem darüber hinwegsah. So hat kein geringerer als Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker auf einer Pressekonferenz in Washington anlässlich einer Sitzung des Weltwährungsfonds am 10. Oktober 2010 die Brüsseler Versäumnisse kritisch reflektiert: Er habe die griechische Krise schon lange kommen sehen, darüber mit den Deutschen und den Franzosen diskutiert, aber nicht öffentlich machen dürfen, was er wusste, wegen der guten Geschäfte beider Länder mit Griechenland, wie die französische Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP) berichtete.
Feindbild Griechenland: frustrierte Philhellenen
Ein negatives Griechenland-Bild hat es im katholischen Europa seit den Kreuzzügen gegeben. Der Topos von der perfidia graecorum ist in katholischen Milieus immer noch verbreitet: Byzanz übe Verrat an der Sache Gottes, schimpften die Kreuzfahrer nach ihrer Niederlage gegen die Seldschuken im Jahr 1102; Papst Paschalis tat es ihnen gleich, und die gegen die orthodoxen "Schismatiker" von Byzanz gerichtete Propaganda wurde über die Jahrhunderte sorgfältig geschürt.
Eher ein deutscher Fall war die enttäuschte Liebe der Philhellenen. Als im Jahr 1821 die Nachricht vom Aufstand der Griechen gegen die osmanische Herrschaft nach Europa kam, gab es eine Welle des Mitleids und der Solidarität. Man sah in Griechenland Freiheitskämpfer am Werk, die es zu unterstützen galt. Aber während die realistischen Briten nicht nur dichtende Philhellenen wie Lord Byron nach Hellas schickten, sondern vor allem erfahrene Generäle und Admiräle, ebenso wie die Franzosen und die Russen (aus wohlerwogenem geopolitischem Kalkül), schwärmten in Deutschland die Dichter und Denker (vor allem der heute nur noch als Texter der Schubert-Lieder bekannte Wilhelm Müller, wegen seiner Hellas-Hymnen zu Lebzeiten aber auch "Griechen-Müller" genannt) von einer Wiedergeburt des antiken Hellas.
Die Enttäuschung blieb nicht aus, vermerkte 1878 Wilhelm Wagner: "Schwer haben es die heutigen Griechen seit der Errichtung eines selbständigen griechischen Staates büßen müssen, dass die ihnen seit dem zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts zugewandten und in ihrem Freiheitskampf bestätigten Sympathien Europas zum Theil auf einem Irrtum beruhten. Man schwärmte für die Griechen und stand ihnen gegen die Türken bei nicht aus allgemeiner Humanität, aus Mitgefühl für die Geknechteten und Unterdrückten, sondern doch hauptsächlich deshalb, weil man sie für die echten Nachkommen der alten Hellenen hielt – man wähnte, man müsse den Enkeln die Schuld abzahlen, deren die europäische Cultur den Ahnen gegenüber sich bewusst war. Es war ein Wahn, auf welchen der Rückschlag nicht ausbleiben konnte. Die in's Land geeilten Philhellenen wurden bald durch die nackte Wirklichkeit von ihren unklaren Schwärmereien geheilt und kehrten meist gründlich ernüchtert, oft mit Ingrimm und Haß gegen diese 'Griechen' erfüllt, in die Heimath zurück."
Diesen sprach der Philologe und Publizist Jakob Philipp Fallmerayer aus dem Herzen. Er stellte bei Feldforschungen in der Peloponnes (wo die neugriechische Staatsgründung ihren Anfang nahm) fest, dass einerseits bedeutende Teile der dortigen Bevölkerung albanische Dialekte sprachen und andererseits viele Ortsnamen slawischen Ursprungs waren, was sich aus einer zeitweiligen Besiedlung aus dem serbischen Norden der Balkanhalbinsel erkläre. Fallmerayers für viele Philhellenen provokantes Resümee lautete: "Das Geschlecht der Hellenen ist in Europa ausgerottet, denn auch nicht ein Tropfen edlen und ungemischten Hellenenblutes fließt in den Adern der christlichen Bevölkerung des heutigen Griechenlands."
Mit seiner rassenbiologischen These löste Fallmerayer heftigen Widerspruch und Empörung bei den Griechen aus. Wobei ein Teil der Griechen sich auf das biologistische Argument einließ und mit dem Versuch reagierte, Fallmerayers Behauptungen auf derselben Argumentationsebene zu widerlegen, während andere mit einem modernen geistig-kulturellen Begriff von Volk und Nation argumentierten: Grieche sei, wer griechisch spricht und das griechische Kulturerbe als das seine betrachtet.
Der Philologe Curt Wachsmuth kam ihnen zu Hilfe – in einer viel beachteten Bonner Universitätsrede von 1864 antwortete er Fallmerayer: "Schließlich aber ist ja fürwahr die Nationalität eines Volkes nimmer in absoluter Unversetztheit mit fremden Bestandtheilen beschlossen. Oder wären wir deswegen keine Deutsche mehr, weil wir ein gut Theil slavisches und wendisches Blut in uns aufgenommen haben? Das Wesen und die Eigenständigkeit einer Nation liegt, meine ich, ganz ungleich mehr in seiner Sprache, seinem Denken und Empfinden, seiner ganzen Art und Gesittung. (…) Eine mit Händen zu greifende Ahnenprobe giebt vor allem die Sprache, der auch in erster Reihe die Griechen die Erhaltung ihrer Eigenart in den langen Jahrhunderten der Fremdherrschaft zu verdanken haben."
Griechenland-Bild der Generäle
Heute liest kaum mehr ein Griechenland-Reisender Fallmerayer. Aber dass sein Griechenland-Bild auch nach seinem Tod 1861 nicht in Vergessenheit geriet, dafür haben gelegentlich immer wieder Publizisten gesorgt. Einer von ihnen war Adolf Hitlers späterer Chefideologe Alfred Rosenberg. Ganz im Sinne Fallmerayers schrieb auch er, dass der Hellene die Erde auf ewig verlassen habe und mit ihm "jene herrliche Rassenseele, die einst die Pallas Athene und den Apoll erschuf", weil die "vielfache Übermacht des Vorderasiatentums durch tausend Kanäle einsickerte, Hellas vergiftete und anstelle des Griechen den schwächlichen Levantiner zeugte, der mit dem Griechen nur den Namen gemeinsam hat".
Hasstiraden, die allerdings nicht von Anfang an zum offiziellen Griechenland-Bild des "Dritten Reiches" passten, solange das Liebeswerben um den anglophilen Joannis Metaxas anhielt, der seit dem 4. August 1936 in Athen Diktator von Königs Gnaden war und nach deutschem Vorbild eine Dritte griechische Zivilisation errichten wollte. Da störten Rosenbergs Schmäh-Parolen, stattdessen kamen aus dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda noch 1938 ganz andere Töne: So schrieb Ministerialrat Franz Baron von Weyssenhoff von "der Straße, die von Alt-Hellas nach Neu-Griechenland führt, jener niemals unterbrochenen, niemals verschüttet gewesenen Straße, auf der eines der ältesten Kulturvölker Europas immer mit erhobenem Haupt dahingeschritten ist". Alle Versuche der fremden Eroberer, so von Weyssenhoff im Widerspruch zu Rosenberg, seien "immer wieder daran gescheitert, daß die Griechen sich dem Vermengen mit fremdem Volkstum instinktiv und bewußt widersetzten". Man werde "immer wieder, wenn man mit dem Herzen und auch dem Verstande sich hineinfühlt in die Seele dieses Volkes, empfinden, unweigerlich empfinden müssen: unsterbliches Hellas".
Solche emphatischen Bekenntnisse waren zunächst ganz im Sinne des "Führers", von dem bekannt war, dass er als Verehrer der klassischen Antike galt. Er liebte deshalb den Bildhauer Arno Breker und dessen schwülstigen antikisierenden Bombast. Auch habe er sich, so Breker in seinen Memoiren, im Sommer 1941 bei dessen griechischer Frau persönlich für den Krieg gegen Griechenland entschuldigt.
Doch als die Griechen begannen, dem Eindringling Widerstand zu leisten, kam die Kehrtwende. Aus dem "unsterblichen Hellas" wurde das "Sauvolk", das "Land der Schieber, Nichtstuer und Korrupteure".
Viele einfache Soldaten mögen ihre Vorstellungen von den Einwohnern des besetzten Landes auch aus der Trivialbelletristik bezogen haben. Allen voran sei hier der Erfolgsschriftsteller Karl May genannt.
Welche Folgen das von der NS-Propaganda bei der Wehrmacht verbreitete Bild des jeweiligen Gegners beim Umgang mit der Zivilbevölkerung hatte, ist bekannt.
Sorbas, Mikis und Melina
Mit dem Ende des NS-Reichs war es auch mit der Verbreitung der Griechen-Hetze à la Rosenberg vorbei. Stattdessen begannen populäre Sympathieträger das negative Bild der Neugriechen zu überlagern. Allen voran Alexis Sorbas, die Hauptperson des großen Erfolgsromans von Nikos Kazantzakis, der allein in deutscher Übersetzung eine Million Mal verkauft wurde. Hinzu kam 1964 der große Erfolgsfilm zum Buch, "Zorba the Greek", unter der Regie von Michalis Kakojannis. Auch in Deutschland wurde er zu einem der größten Kassenschlager aller Zeiten, mit Hauptdarsteller Anthony Quinn als Sorbas und der Musik von Mikis Theodorakis. Beide wurden zu Lieblingen der Deutschen. Zu Sympathieträgerinnen wurden auch die Schauspielerin Melina Merkouri (das "Mädchen von Piräus") oder die Sängerin Nana Mouskouri mit ihren "Weißen Rosen aus Athen".
Was die Nationalsozialisten in Griechenland angerichtet hatten, wurde schnell und nachhaltig verdrängt.
Dass ein Teil der griechischen Journalisten das nun aufgreift – mehr noch: dass man in Griechenland vermehrt antideutsche Karikaturen zu sehen bekommt, die an den Zweiten Weltkrieg erinnern –, nehmen ihnen manche ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen übel.
"List und Arglist"
"Man kann es nicht mehr hören, was der nordwestlich von Athen gelegene Teil des Abendlandes den Griechen verdankt. Es kann aber hilfreich sein, sich Eigenschaften dieses einst stolzen Volkes ins Gedächtnis zu rufen. Die Griechen haben nicht nur den Wutanfall zum Kulturgut geadelt. Mit Odysseus haben sie auch die List hoffähig gemacht", so heißt es in der Legende zu einem auf der Titelseite der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" abgebildeten Vasenbild aus dem sechsten Jahrhundert vor Christus.
Arglist – darunter versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch eine absichtliche, boshafte Hinterlist, eine hinterhältige Handlung zum Nachteil anderer, aus niederen Beweggründen motiviert und daher moralisch verwerflich. Doch ist es ein Akt der Arglist, was Odysseus mit dem menschenfressenden Ungeheuer, das schon sechs seiner Begleiter verschlungen hatte, in seiner Höhle anstellt, und wie er sich und die seinen befreit, wollte der Redakteur der oben beschriebenen Titelseite auf eine Täuschung im Sinne des Paragrafen 123 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) hinaus?
Auf den ersten Blick nimmt man auf dem Vasenbild vor allem den listenreichen Odysseus wahr, wie er mit seinen Gefährten zur Blendung des betrunken gemachten einäugigen Polyphem ansetzt, er ist der Schurke im Stück. Erst beim näheren Hinsehen geraten die zwei menschlichen Beine ins Blickfeld, die der Riese in seinen Händen hält, Überreste seines letzten kannibalischen Mahls. Sich und die anderen Gefährten vor einem solchen Ende zu bewahren, ist hier das Tatmotiv – Notwehr, juristisch gesprochen. Arglist sei es, suggeriert der Redakteur und resümiert: "Dass moderne Griechen von ihren Vorfahren noch viel an sich haben, ist offensichtlich."
Und die verdienen keine Hilfe. Da verdient Beherzigung, was Kurt Biedenkopf, elder statesman und Professor emeritus für Nationalökonomie, eine der wenigen Stimmen der Vernunft im aktuellen deutschen Griechenland-Diskurs, den "Griechenland-Rettern" aus Presse und Politik ins Stammbuch geschrieben hat: "Wir retten Griechenland nicht. Wir helfen den Griechen, ihr Land zu retten, nachdem wir es vor 70 Jahren überfallen haben und heute als Europäer mit ihnen solidarisch fühlen – übrigens auch zu unserem eigenen Nutzen."