"Machen Sie deutlich darauf aufmerksam, dass Sie ein Journalist sind (tragen Sie keine Kleidung im Military-Look) und zeigen Sie deutlich Ihre Ausrüstung, so dass man Sie nicht mit einem Kriegsteilnehmer verwechselt. Überlegen Sie sich im Vorhinein sorgfältig Ihre Bewegungen. Beobachten Sie die Gewohnheiten der Einheimischen. (…) Stellen Sie sich tot, falls Sie verwundet werden.“
Diese überlebenswichtigen Tipps sind einem schmalen Notizblock entnommen, den die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen gemeinsam mit der UNESCO zum persönlichen Schutz an solche Journalisten verteilt, die berufsbedingt in Krisengebiete reisen. Das im Original in englischer Sprache publizierte Büchlein trägt den bescheidenen Titel "Handbook for Journalists“ und ist zu einer Art internationalem Survival-Guide für Krisenjournalisten geworden: Es versucht mit nützlichen Ratschlägen und Hinweisen die gesamte Bandbreite an heiklen Extremsituationen abzudecken, in die Krisenreporter geraten können, wenn etwa Heckenschützen, Kidnapper, schwere Artillerie oder auch aufgebrachte Menschenmassen ihre Sicherheit bedrohen. Es klärt außerdem über psychologische Risiken wie Traumata auf, nennt potenzielle Unwägbarkeiten und schlägt Trainingsübungen zur Vor- und Nachbereitung von Kriseneinsätzen vor. Dieses Handbuch unterscheidet sich damit von so ziemlich allem, was "gewöhnliche“ Journalistinnen und Journalisten im Laufe ihres Berufslebens an praktischen Handlungsempfehlungen jemals zu hören und zu lesen bekommen.
Aufgrund ihrer Sonderstellung im journalistischen Aufgabenspektrum diente die Krisen- und Kriegsberichterstattung schon immer vielen gestandenen Journalisten als Karrieresprungbrett und begeistert auch heute junge Nachwuchsreporter. Bei "Kriseneinsätzen“ schien es weniger um reflektiertes Handeln mit einer rationalen Abwägung der (möglichen) Folgen zu gehen, sondern um soziale Instinkte und spontane "Bauchentscheidungen“, von denen sich die Krisenreporter vor Ort leiten lassen, um unter widrigen Bedingungen über die Welt in Schieflage berichten zu können. Dabei geht es selten um heroische Taten, in der Regel auch nicht um eine schöne Schreibe oder die Jagd nach exklusiven Schlagzeilen, sondern – unter dem Vorzeichen akuter sicherheitspolitischer Bedrohungen – zunächst um die eigene körperliche und seelische Unversehrtheit. Wie Krisenjournalisten arbeiten, welche Rolle ausgeklügelte Recherchepläne, vertraute Netzwerke und Kontakte zu Einheimischen oder sogenannten Stringern und Fixern spielen, also Ortskundigen, die um die kulturellen Friktionen in Krisengebieten wissen, ist weitgehend unerforscht. Wie wichtig sind Stolz oder persönlicher Ruhm im Vergleich zu pragmatischen Entscheidungen? Wie entscheidend sind Talent, aber auch Mut und Vertrauen in die eigenen professionellen Fähigkeiten, um sich in solche gefährlichen Krisengebiete vorzuwagen? Weil die jahrhundertealte Konzentration journalistischer Berichterstattung auf alles, was aktuell, relevant, überraschend sowie geografisch und psychologisch nah ist, im globalen Nachrichtengeschäft meist nur übertrumpft wird durch spektakuläre Großereignisse mit maximalen negativen Folgen,
Wie Krisenreporter täglich recherchieren und sich untereinander vernetzen, wie sie mit den Heimatredaktionen zusammenarbeiten und mit Gefahrensituationen umgehen, welche ihrer Geschichten über Kriege, Flutkatastrophen und Terroranschläge eine gewisse Eigendynamik entfalten und welche vernachlässigt werden, wurde im Rahmen einer explorativen Studie näher untersucht, welche speziell die Handelnden im Berufsfeld Krisenjournalismus in den Blick nahm.
Rollenbilder im Krisenjournalismus
Abenteurer, Aufklärer oder Weltverbesserer versus Rechercheure, Prinzipienverfechter oder Chronisten: Das Selbstverständnis der befragten Krisenreporter unterscheidet sich zum Teil gravierend voneinander. Ihre auf sich selbst projizierten Rollenbilder deuten darauf hin, um was für ein uneinheitliches Berufsbild es sich beim Krisenjournalismus handelt. Ein Krisenreporter steht beispielsweise immer vor dem Problem, Krisen- oder Kriegszustände zu beschreiben, die unsere herkömmliche Urteilkraft übersteigen: Wie soll etwas beurteilt oder beschrieben werden, das schwer zu begreifen ist? Krisengebiete seien nicht einfach nur fremd und anders, sondern auch moralisch verstörend, sagt Carolin Emcke ("Die Zeit“): "Deshalb sagen wir so oft diese Floskeln: 'unfassbar‘, 'unaussprechlich‘, 'unbegreiflich‘.“ Emcke nennt dies eine "Lücke des Verstehens“: "Wir wollen nicht begreifen, dass sich Menschen Verbrechen antun, wir wollen nicht verstehen, wie Gewalt sich einschreibt in Menschen.“ Das sei ein psychisches Phänomen, dem sich auch Krisenreporter kaum entziehen könnten. Sie und ihre Kollegen müssten jedoch gegen diesen – inneren wie äußeren – Widerstand der kognitiven Sprachlosigkeit anschreiben.
Krisenreporter finden sich bisweilen schnell in der Rolle der Vorkämpfer wieder, die sich, wie Susanne Koelbl ("Der Spiegel“) bestätigt, in Regionen vorwagen, über die seit langer Zeit niemand mehr berichtet hat. Von diesem Pioniercharakter zeugen auch alle möglichen Schilderungen der Befragten, wenn es zum Beispiel um die Überwindung bürokratischer, finanzieller oder rein praktischer Hürden etwa bei Reise- und Recherchetätigkeiten geht. Angetrieben werden viele von ihrer Entdeckerlust: "Meine Neugierde ist eigentlich immer dieselbe“, sagt RTL-Auslandsreporterin Antonia Rados – egal, ob sie aus dem Jemen oder Iran, über den Krieg oder die Ruhe vor dem Sturm, die Bundeswehr oder afghanische Frauen berichte.
Krisen-Hopping oder Wurzeln schlagen?
Auch wenn es die redaktionellen Ressourcen immer seltener zulassen, versuchen viele der befragten Experten mindestens für mehrere Monate im Krisengebiet zu bleiben. So können sie sich in der Regel auf das jeweilige Gebiet spezialisieren, in einen engeren Kontakt mit der Bevölkerung kommen, die politischen Machtverhältnisse eruieren, sich besser mit einheimischen Informanten vernetzen und insgesamt die kulturellen und sozialen Gepflogenheiten besser studieren. Für die Recherchebedingungen wird der längerfristige Umgang mit Einheimischen durchweg als positiv und gewinnbringend für die journalistische Arbeit empfunden, weil hierdurch ein authentisches Bild von den Lebensweisen und kulturellen Umständen vermittelt werden könne.
Ein fester Wohnsitz am Brennpunkt birgt für die Korrespondenten jedoch auch Risiken: Sie könnten die professionelle Distanz verlieren oder sich mit bestimmten Akteuren und Ansichten gemein machen. Daraus können emotionale Abstumpfung, (politische oder soziale) Parteinahme in Konfliktsituationen und Schwierigkeiten bei der neutralen Berichterstattung aktueller Entwicklungen folgen, die aus einem voreingenommenen Blick auf die Region resultieren.
Dagegen scheinen journalistische Kurzeinsätze bei aller Kritik gegenüber einem "Krisentourismus“ den Vorteil zu eröffnen, über einzelne Krisengebiete unvoreingenommener berichten zu können. Bei mehreren kurzen Reisen über längere Zeiträume hinweg werden Ursachen und Andersartigkeiten zwischen unterschiedlichen Krisen zudem häufig differenzierter wahrgenommen, was das Beurteilungsvermögen insgesamt schärfen kann. Ein solches "Krisen-Hopping“ ist also durchaus ein geeignetes Mittel, um die professionelle Distanz aufrechtzuerhalten, verlangt dem Reporter aber zusätzliche Kompetenzen und Anstrengungen ab, um die entstehenden Wissens- und Erfahrungslücken zu kompensieren.
Ökonomische Zwänge, neue Einflüsse und alte Widerstände
Die beruflichen Rahmenbedingungen für professionelle Krisenjournalisten haben sich gerade unter dem Druck der Medienkrise in den vergangenen Jahren drastisch verschlechtert – meinen zumindest die Betroffenen: Auch wenn die ökonomische Situation nach Aussage einzelner Befragter bei einschlägigen deutschen Wochenzeitungen, Nachrichtenmagazinen und den öffentlich-rechtlichen Medien komfortabler zu sein scheint als bei Tageszeitungen, gibt es sogar hier erste spürbare Einschnitte und Rationalisierungsansätze: Die Auslandsberichterstattung insgesamt ist nach Einschätzung der Befragten vergleichsweise unpopulär geworden und geht mengenmäßig gesehen zurück oder stagniert seit einigen Jahren.
Der Schwerpunkt verschiebt sich dabei auf mediale Großereignisse: Finanzielle Mittel werden, wenn überhaupt, eher für eine geballte Event-Berichterstattung über Katastrophen und Kriege mit großer Tragweite zur Verfügung gestellt als für Berichte über schwelende Konflikte und latente Krisenherde. Es droht ein Missverhältnis, was auch auf das rasch abflauende öffentliche Interesse zurückzuführen ist, sobald der Verlauf der Krise nicht mehr einer gefälligen Dramaturgie und Inszenierungslogik der Medien folgt wie schon wenige Wochen nach Beginn des Irak-Kriegs 2003 oder der Erdbebenkatastrophe in Haiti im Januar 2010. Die geringe Kontinuität der Berichterstattung droht Klischees und Vorurteile über die jeweiligen Krisen im öffentlichen Bewusstsein dauerhaft zu verankern und das Image von der "hoffnungslosen“ oder "verlorenen“ Krisenregion zu erhärten.
Unter den aktuellen Medienbedingungen führt auch im Krisenjournalismus kein Weg an Social Media vorbei, das zeigte insbesondere der "Arabische Frühling“, bei dem Soziale Netzwerke, YouTube und Twitter als wesentliche Kommunikations- und Verbreitungsplattformen für nutzergenerierte Inhalte über die Proteste in vielen nordafrikanischen und Nahost-Staaten fungierten. Neue Medientechnologien werden im Zusammenhang mit der Krisenberichterstattung von den Befragten jedoch als ambivalent eingeschätzt. Zwar können die Authentizität und Aktualität einzelner Blogger im Vergleich zu den eher monolithisch wirkenden Nachrichtenorganisationen mit ihren Starreportern die aktuelle Vermittlung und Wahrnehmung von Krisen wesentlich beeinflussen. Auch ergänzen die neuen Kommunikationsmedien die Arbeit der Krisenjournalisten auf vielfältige Weise, zum Beispiel durch Mehrwert bei Recherchen oder wenn es darum geht, Stimmungen und Meinungen der einheimischen Bevölkerung in die Berichterstattung einfließen zu lassen. Blogs und soziale Medien erschweren die journalistische Quellenprüfung aber auch. Zu unsicher sind die Identitäten derjenigen, die eine Nachricht über diese Kanäle verbreiten, zu wenig belastbar die Herkunft der von ihnen angebotenen Informationen. Die Suche nach validen Quellen wird für Krisenjournalisten eher unübersichtlicher und stellt sie vor neue, nicht zu unterschätzende Herausforderungen, weil herkömmliche Prüfmechanismen in der digitalen Umgebung nicht eins zu eins anwendbar sind, sondern angepasste Strategien erfordern.
Obwohl der vor allem durch die Iran-Krise 2009 ausgelöste Hype um Twitter, Facebook oder Blogs als primäre Quellen für Nachrichten aus erster Hand längst nicht mehr neu ist, ist das handwerkliche Rüstzeug von Krisenberichterstattern weitgehend gleich geblieben. Noch wurde der Königsweg nicht gefunden, Quellen über diese Kanäle verlässlich zu verifizieren und einzuordnen.
Bei der Themensetzung (Agenda Setting) ist der Korrespondent nach Aussagen der befragten Journalisten das schwächste Glied in der Berichterstattungskette. Die Heimatredaktionen stützen sich häufig auf die herrschende Nachrichtenlage führender (internationaler) Leitmedien wie der "New York Times“, CNN oder BBC und richten ihre aktuelle Themenplanung insbesondere nach den Eilmeldungen der großen Nachrichtenagenturen aus, sodass gegenläufige Meinungen und Perspektiven tendenziell unberücksichtigt bleiben. Gegen diesen publizistischen Einfluss kann sich die Einschätzung der Korrespondenten, was vor Ort wichtig und relevant ist, immer seltener durchsetzen: Eigene Sichtweisen, Interpretationen und Analysen müssen sie aufwendig und teilweise gegen den Willen der Redakteure ins Blatt oder auf den Sender bringen. Dass die eigenen Reporter Krisensituationen in den betreffenden Regionen besser einschätzen und schlüssiger einordnen können, wird aus Sicht der Befragten nicht selten geflissentlich ignoriert. Auch an der Heimatfront herrscht somit ein gefühltes Desinteresse gegenüber ohnehin vernachlässigten Themen.
Ohne Risiko keine Krisenberichterstattung
Seit Beginn des weltweiten "Kriegs gegen den Terror“ im Jahr 2001 sind Krisenjournalisten selbst vermehrt zu Opfern von Gewaltakten und Geiselnahmen geworden. In einigen Krisenregionen werden sie nicht mehr als neutrale Beobachter und Rechercheure akzeptiert. Terroristen sehen ihre Entführung als lukrative Möglichkeit, hohe Lösegeldsummen von westlichen Regierungen und Medienunternehmen zu erpressen oder aber – meist noch wichtiger – eine breite Medienpräsenz für ihre Botschaften zu erwirken, was die Gefahr erhöht, dass Medienschaffende ein besonders attraktives Angriffsziel für Terroristen werden. Die befragten Korrespondenten versuchen sich mit unterschiedlichen Vorkehrungen gegen die gefährlichen Unwägbarkeiten bei ihren Kriseneinsätzen zu wappnen, die hauptsächlich auf individuellen Erfahrungen basieren. Das Gros der Befragten versucht dabei jedoch auch, den Zwang zu spontanen Instinkthandlungen und Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu vermeiden, um ihr Wohl oder Wehe nicht allein ihrem Glück und dem Zufall zu überlassen.
Dennoch bekennen die Befragten, dass der Versuch, Kontrolle über das Chaos zu gewinnen, immer Grenzen habe. Es gelte stets: "Ohne Risiko keine Krisenberichterstattung“, wie es Antonia Rados ausdrückt. Wichtig sei jedoch, so Christoph Reuter vom "Spiegel“, dass die eigene Vernunft (und jene der Auftraggeber) handlungsleitend bleibe: Man sollte "keine zu großen Risiken eingehen. Denn genau das machen ja viele, dass sie sagen: "Wenn ich 1.000 Dollar dafür kriege, dann mache ich alles!‘ Man findet immer jemanden, der sein eigenes Leben für 1.000 Dollar auf Spiel setzt, leider aber dann auch das des Journalisten, mit dem sie unterwegs sind.“
Unabhängig und abhängig zugleich – von Kollegen, Helfern und dem Militär
Krisenjournalisten entsprechen üblicherweise nicht dem Klischee eines Einzelgängers, der für die Berufsehre sein Leben riskiert. Vielmehr führen sowohl Sicherheitserwägungen als auch die Sorge, wichtige Informationen zu verpassen, häufig zu einer eigenwilligen Rudelbildung: Das Phänomen, dass Medienakteure in Krisengebieten mitunter regelrecht aufeinanderhocken, sich also geballt in einem Hotel einmieten und sich regelmäßig untereinander austauschen, wird als Palestine-Syndrom bezeichnet (nach dem in den Irak-Kriegen bekannt gewordenen Journalisten-Hotel "Palestine“ in Bagdad). In diesen alltäglichen Situationen inmitten von Krisenkontexten drohen nicht nur psychosoziale Spannungen aufgrund des begrenzten Raums und der prekären Sicherheitslage, auch berichten einige der Befragten, dass sich Kollegen gegenseitig zu übertrumpfen versuchen.
Das Beisammensein von Krisenreportern ergebe noch keineswegs eine verschworene Gemeinschaft, sagt Katrin Sandmann (ehemals N24). Ganz im Gegenteil: Diejenigen Korrespondenten, die Erfahrung hätten, würden um alles in der Welt einen Lagerkoller vermeiden wollen. Daher werde ein ausgeprägtes Miteinander nur unter wenigen Kollegen zelebriert. Der Charme einer solchen Art von "Hotel-Berichterstattung“ entspringe oft einzig und allein der Möglichkeit, seinen Stress mit spontanen Journalisten-Partys abzubauen, um sich vom schweren Druck des Arbeitsalltags im Krisengebiet und vom Wahnsinn der Krise selbst abzulenken. Die generelle Stimmung unter den Kollegen hat sich allerdings offensichtlich zusehends verschlechtert. Einzelne Befragte wie "Spiegel Online“-Chefreporter Matthias Gebauer berichten davon, dass Journalisten in Krisengebieten mitunter versuchen würden, sich gegenseitig zu beschatten und auszuspionieren.
"Ohne Stringer oder Dolmetscher kommt man im Grunde nicht mehr aus, wenn man in die Tiefe recherchieren will und nicht nur im Hotel hocken möchte.“ Matthias Gebauer hat den Wert von lokalen Helfern und Helfershelfern bei der Recherchetätigkeit in Krisengebieten über viele Jahre zu schätzen gelernt. Stringer oder Fixer fädeln gemäß der Ursprungsbedeutung der englischen Begriffe ein, sie legen Schnüre, knüpfen Kontakte. Für ausländische Journalisten sind sie durch ihr Detailwissen für eine bestimmte Region meist mehr als bloße Dienstleister, die logistische oder sprachliche Hürden überwinden. Sie sind auch Ratgeber in unbekannten und unsicheren Gegenden und Kontexten, sie recherchieren und organisieren und tragen mit ihrem Erfahrungsschatz entscheidend dazu bei, wie und zum Teil auch worüber aus Krisengebieten berichtet wird.
Aus der großen Abhängigkeit der Korrespondenten von ihren Informantennetzwerken und der organisatorischen Unterstützung von Stringern und Fixern entsteht ein Gefangenendilemma, weil Manipulation und Missbrauch nie gänzlich ausgeschlossen werden können, insbesondere wegen der in erster Linie geschäftlichen Beziehung zwischen Krisenjournalisten und einheimischen Helfenden. Das Verhältnis steht zudem auf wackeligen Füßen: Die zunehmende Unprofessionalität von Stringern manifestiert sich bisweilen in Abwerbungen durch konkurrierende Journalisten, Käuflichkeit oder Parteinahme.
Nicht nur daher ist für viele Krisenreporter der Schulterschluss mit dem Militär alternativlos, um aus Territorien zu berichten, in denen die Sicherheit nicht ausreichend gewährleistet ist. "Der Weg zum Krieg führt über die Armee“, sagt etwa Katrin Sandmann. Entsprechend haben Krisenreporter auch hier mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass sie sich – indem sie sich in die Obhut einer staatlichen Ordnungsmacht begeben – auf ein direktes Abhängigkeitsverhältnis einlassen. Sich von der Bundeswehr oder dem Militär der NATO-Bündnispartner "einbetten“ zu lassen, ist laut Auskunft der befragten Korrespondenten mittlerweile eine anerkannte Recherchemethode, über die gemeinhin keine hitzigen Debatten (mehr) geführt werden. Die offenkundigen Vorteile für Krisenreporter beträfen in erster Linie die ungehinderten Einblicke in die Organisationsabläufe und in die Psyche der Soldaten – ein Thema, das automatisch wichtiger wird, sobald sich eine Nation im Ausland militärisch engagiert. Allerdings birgt das Embedding das Risiko eines professionellen Distanzverlusts, der den unvoreingenommenen Blick der Korrespondenten auf die jeweilige Krise manipulieren könnte und von ihnen kaum offen thematisiert wird. Wer sich embedden lasse, könne kaum etwas gegen die korrumpierende Nähe ausrichten.
Auf dem Prüfstand
Um sich über mögliche praxisorientierte Vorschläge und Konzepte auszutauschen, wie der Krisenjournalismus insgesamt verbessert werden kann, lassen sich aus der Sicht der befragten Berichterstatter folgende maßgebliche Kernprobleme des Tätigkeitsfeldes zusammenfassen:
Die redaktionelle Vorbereitung von Kriseneinsätzen wird als problematisch eingeschätzt, wobei das zuweilen praktizierte autodidaktische Prinzip enorme Risiken birgt.
Für eine psychologische Nachbereitung von Kriseneinsätzen gibt es keine verlässlichen Anlaufstellen und Abläufe in den meisten Heimatredaktionen.
Der zunehmende Zeit- und Arbeitsdruck, der auf den Heimatredaktionen lastet, untergräbt die Sicherheit, Unabhängigkeit und Betreuung der eigenen Krisenreporter.
Krisenjournalisten sind häufig auf sich allein gestellt und können sich gerade in Gefahrensituationen bisweilen nur auf die eigenen Erfahrungswerte und Instinkte verlassen.
Die Qualität der Krisenberichterstattung ist insgesamt verbesserungswürdig, vor allem, was die Unterstützung und den Austausch mit den Reportern vor Ort angeht.
Ausgehend von den geführten Expertengesprächen sowie im Rückgriff auf den allgemeinen Forschungsstand zu den Friktionen und Defiziten im Krisenjournalismus können auf Grundlage einer Zusammenfassung der von den Befragten identifizierten Missstände einige Handlungsempfehlungen formuliert werden, die zur generellen Steigerung der Qualität in der Krisen- und Kriegsberichterstattung beitragen können. Im Vordergrund stehen strukturelle und handwerkliche Verbesserungen, die zur Schärfung des krisenjournalistischen Berufsprofils, zur Systematisierung und Verstetigung seiner Ausbildungswege und zur Professionalisierung des Tätigkeitsfeldes insgesamt beitragen sollen. Abgesehen von generellen Erfordernissen (wie eine nachhaltige Investition in die Auslands- und Krisenberichterstattung statt Rationalisierungsmaßnahmen) werden folgende strukturelle und handwerkliche Verbesserungen vorgeschlagen:
Auch wenn in Krisengebieten vor allem die Eigenverantwortung und das Einfühlungsvermögen der Reporter gefragt sind und diese generell Richtlinienkatalogen skeptisch gegenüberstehen: Die zunehmenden Probleme im Krisenjournalismus erfordern ein klares krisenjournalistisches Berufsprofil, zugeschnittene Verhaltenskodizes und redaktionelle Richtlinien, die eine wahrheitsgemäße, ausgewogene, ideologiefreie und – zumindest in Teilen – transparente Berichterstattung in Ausnahmesituationen unter erschwerten Arbeitsbedingungen ermöglichen.
Angesichts der nicht zu unterschätzenden Bedeutung kultureller Differenzen und Animositäten und dem Umgang damit sind eine Spezialisierung der Journalismusausbildung auf Krisen- und Konfliktsituationen und das begleitende Hintergrundwissen unabdingbar. Eine systematische Zusatzausbildung für Krisenberichterstatter würde über die anekdotische Qualität vereinzelter Seminare über journalistische Kriseneinsätze hinaus zu einem tieferen Verständnis der berufsethischen Prinzipien sowie zu einem schärfer konturierten Berufsbild des Krisenjournalisten insgesamt beitragen.
Während die inhaltlich-praktische Vorbereitung maßgeblich in der Eigenverantwortung der Krisenjournalisten liegt, muss von den Verlagen, Rundfunksendern und den Berufsverbänden eine Optimierungsstrategie bei der redaktionellen Vor- und Nachbereitung von Kriseneinsätzen eingefordert werden.
Mit den gestiegenen Risiken für Leib und Leben in vielen Teilen der Welt werden praktische Sicherheitstrainings gefordert, die auf die widrigen Umstände für Krisenreporter ausgerichtet sind. Dass Journalisten teils immer noch in solche Gebiete entsendet werden, ohne ein gesondertes Erste-Hilfe-Training durchlaufen, geschweige denn eine Sicherheitsschulung absolviert zu haben, ist fahrlässig und setzt Reporter wie auch die Redaktion vermeidbaren Gefahren aus. Unentschieden blieb unter den Befragten, wie und von wem solche Trainings realisiert werden sollen. Unbestritten jedoch ist, dass ein Sicherheitstraining wie das der Bundeswehr in Hammelburg alleine nicht ausreicht, sondern eine Spezialisierung im Hinblick auf die journalistischen Einsatzmodalitäten und typischen Gefahrensituationen bei der Berichterstattung vonnöten ist.
Ein ebenso vielversprechendes wie in einigen Redaktionen schon länger angedachtes Modell zur Vor- und Nachbereitung von Krisenreportern ist die Einrichtung sogenannter redaktioneller Task Forces. Hierbei handelt es sich um Sonderredaktionen, die zum Beispiel ressortübergreifend zusätzliches Personal einbeziehen, das schon einmal im Kriseneinsatz war oder sich darauf vorbereiten will. Solche redaktionseigenen Spezialeinheiten für die Krisenberichterstattung würden die notwendige Tradierung inhaltlicher Schwerpunkte und professioneller Erfahrungswerte unter anderem dadurch gewährleisten, dass die oftmals in unterschiedlichen Ressorts tätigen Kollegen regelmäßig miteinander in Kontakt treten und sich untereinander austauschen könnten.
Eine weitere Maßnahme wäre der Zugriff auf Rechercheure und Faktenprüfer, die vom Redaktionstisch aus die Krisenreporter bei Recherchen, Kontaktaufnahmen oder zum Informationsaustausch gezielt und als dauerhafte Ansprechpartner unterstützen, sodass Krisenreporter seltener auf sich allein gestellt sind und sich auf zuverlässige Zuarbeit aus der Heimatredaktion verlassen können. Eine redaktionsübergreifende Plattform zwischen erfahrenen und unerfahrenen Kollegen könnte durch ein Reporterforum ergänzt werden, das regelmäßig einlädt, um das Konkurrenzdenken zu überwinden und die rein handwerklich-praktischen Probleme bei Kriseneinsätzen zu diskutieren.
Um die ideologische Unabhängigkeit, Authentizität und Glaubwürdigkeit internationaler Krisenberichterstattung gewährleisten zu können, gilt es, die Ausbildung, die Recherchemöglichkeiten und die Sicherheitsbedingungen von Krisenjournalisten kontinuierlich zu verbessern. Hierdurch könnte sich die Presse auch effektiver dagegen wappnen, dass aus Krisen und Kriegen voyeuristisches Medienspektakel und aus Berichtenden unfreiwillige Spielbälle politischer Interessen werden.