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Nachhaltigkeit als Herausforderung für die marktwirtschaftliche Ordnung. Ein Plädoyer

Johannes Hoffmann Gerhard Scherhorn

/ 16 Minuten zu lesen

Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen." So lautet eine offizielle Definition, auf die man sich politisch einigen konnte, weil sie den widerstreitenden Interessen gleiches Recht einräumt. Die Vorstellung von den drei gleichberechtigten Säulen ("Gesichtspunkten") der Nachhaltigkeit "scheint der Preis zu sein, unter dem der Nachhaltigkeitsgedanke in den 1990er Jahren eine politische Anerkennung gefunden hat", denn wer die Nachhaltigkeitspolitik gründet auf eine Gleichberechtigung "des Ganzen (der Natur) mit einem Teil des Ganzen (der Gesellschaft) und obendrein mit einem Teil dieses Teils (der Wirtschaft)", der will nicht so genau wissen (oder nicht so unverblümt sagen), worauf es ankommt.

Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet Substanzerhaltung, Erhaltung der naturgegebenen Lebens- und Produktionsgrundlagen, die für die Gesamtheit allen Lebens auf der Erde bestimmt sind (denn es gibt keine anderen) und damit auch für die künftigen Menschengenerationen. Sie müssen also von der heutigen Generation bewahrt und weitergegeben werden. Die naturgegebenen Lebensgrundlagen wie Atemluft, Biodiversität, Bodenfruchtbarkeit, Fischreichtum, Klimasystem, Rohstoffvorkommen, Trinkwasser bewahren wir nur, wenn wir ihnen das zurückgeben, was wir für unsere Zwecke von ihnen genutzt und verbraucht haben. Geben wir es nicht zurück, so verzehren wir die ererbte Substanz.

Das gilt ähnlich auch für die sozial gestalteten Lebensgrundlagen wie die Partizipation aller Erwerbswilligen an einem gesellschaftlichen System selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit, die soziale Integration von Neuhinzukommenden und Benachteiligten, die Gleichheit der Bildungschancen, die soziale und gesundheitliche Sicherung, die gerechte Verteilung der Einkommen und Vermögen, um nur die wichtigsten zu nennen. Sie müssen funktionsfähig erhalten und zu diesem Zwecke von Zeit zu Zeit an veränderte Bedingungen angepasst werden, damit auch die Künftigen in einer intakten Gesellschaft leben und sich entwickeln können.

Beide haben den Charakter von Commons, von Gemeingütern beziehungsweise Gemeinressourcen. Doch weder die natürlichen noch die sozialen Lebensgrundlagen können ungeschmälert erhalten bleiben, wenn sie als "freie" Gemeingüter oder Gemeinressourcen behandelt werden, so als ob sie in unendlicher Fülle zur Verfügung stünden. Wir erleben zwar zusehends, dass sie nicht nur im Prinzip endlich sind, sondern auch tatsächlich knapper werden, fühlen uns aber bisher nicht generell und konsequent verpflichtet, sie sich selbst regenerieren zu lassen, sie wiederzugewinnen oder durch gleichwertige zu ersetzen. Unsere privatwirtschaftlichen Produktions- und Konsumgüter erneuern wir selbstverständlich, wenn sie abgenutzt sind; die natürlichen Gemeinressourcen dagegen, und nicht selten auch die sozialen, behandeln wir, als erneuerten sie sich von selbst.

Da man inzwischen weiß, dass das nicht mehr zeitgemäß ist, kann das Wort "gleichberechtigt“ in der eingangs zitierten Definition auch als Aufforderung gemeint sein, in die Erhaltung der natürlichen und sozialen Gemeinressourcen ebenso zu reinvestieren wie in die der privatwirtschaftlichen Ressourcen, also alle die Kosten selbst zu tragen, die heute auf Gemeinressourcen abgewälzt ("externalisiert“) werden, alle die Preise anzuheben, die heute durch Substanzverzehr verbilligt sind, und auf alle die Gewinne zu verzichten, die dadurch überhöht sind. So kann die Definition gemeint sein.

Aber sie ist nicht so eindeutig formuliert, dass man sie so verstehen muss. Das Bild von den drei Säulen der Nachhaltigkeit muss nicht so interpretiert werden, als seien in erster Linie die natürlichen und in zweiter auch die sozialen Gemeinressourcen kompromisslos zu erhalten. Denn es erlaubt den Leserinnen und Lesern, davon auszugehen, dass die Gesamtheit des privaten Wirtschafts- und Finanzkapitals endlos weiter wächst. Das ist letztlich nur möglich, indem das Kapital von den beiden anderen Säulen zehrt. Dann aber ist die Vorstellung von prinzipieller Gleichberechtigung nur zu vertreten, wenn man daran glaubt, dass der technische Fortschritt den Verzehr der Gemeinressourcen durch Anreicherung des privatwirtschaftlichen Kapitals ausgleichen wird. Unter Ökonominnen und Ökonomen ist dies bekanntlich eine geläufige Vorstellung. Aber sie setzt Unvereinbares gleich. Auch die Menschen auf der Osterinsel mögen daran geglaubt haben, dass sie für die Errichtung ihrer steinernen Monumente, der Moai-Skulpturen, das Abholzen der Palmwälder in Kauf nehmen könnten.

Wettbewerb darf nicht länger Externalisierung erzwingen

Eine eindeutige Definition muss klarstellen, dass Nachhaltigkeit in der Erhaltung der Gemeingüter besteht, welche die Substanz unserer Lebens- und Produktionsgrundlagen bilden. Externalisierung von Kosten ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Denn in der wirtschaftlichen Realität sind die Gemeinressourcen ebenso wenig "extern“ wie die privaten Gebäude, Maschinen und Werkzeuge. Solange wir zwar das selbstverständliche Recht haben, gemeine und private Ressourcen für unsere Zwecke zu nutzen, aber bei den gemeinen nicht verpflichtet sind, die Abnutzung so zu kompensieren, dass die Ressource oder ein Äquivalent für künftige Nutzer ungeschmälert erhalten bleiben, solange behandeln wir sie als externe Wohlstandsquellen, die gleichsam für sich selbst sorgen.

Wir wissen inzwischen, dass sie das nicht können und wir die Verantwortung dafür übernehmen müssten, dass sie erhalten bleiben. Aber in unserem Rechtssystem wirkt sich dieses Wissen noch immer nicht aus. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) garantiert in Paragraf 903 den Eigentümern die beliebige Verwendung ihres Privateigentums. Aber es schützt die Gemeinressourcen nicht vor ihnen. Sie können aus ihrem Eigentum heraus ungehindert auf sie zugreifen: aus ihrem Garten auf den Boden und das Grundwasser darunter, auf die Vegetation darauf und den Luftraum darüber, aus ihren Schiffen auf die Fischbestände, aus ihren Produktionsanlagen auf die Atemluft, die Atmosphäre, die Gesundheit. Dabei werden die Eigentümer, von einigen Umweltschutzvorschriften abgesehen, eben nicht durch die Pflicht eingeschränkt, die von ihnen verbrauchten Gemeingüter, soweit sie sich nicht selbst regenerieren, wiederherzustellen oder zu ersetzen.

Im Gegenteil: Verschafft sich ein Unternehmen dadurch einen Wettbewerbsvorteil, dass es seine Produkte günstiger (billiger oder größer, schneller, komfortabler, kostbarer) anbietet als es könnte, wenn es in die verbrauchten Gemeingüter reinvestierte, so gilt das als normaler, erwünschter Wettbewerb. Doch in Wahrheit diskreditiert es die Wettbewerbsordnung, wenn es erlaubt ist, Produkte durch Raubbau an Gemeinressourcen günstiger anzubieten – und den Abnehmern vorzuspiegeln, dass sie das einer überlegenen Marktleistung verdanken. Solange das nicht verboten ist, erzwingt der Wettbewerb die Externalisierung, denn ein Anbieter, der seine Produkte durch freiwillige Umweltschutzausgaben verteuert oder beispielweise durch sparsamere Verwendung von Rohstoffen verschlankt und dadurch die Leistung oder den Komfort verringert, läuft Gefahr, von den anderen auskonkurriert zu werden.

Das liegt jedoch nicht am Wettbewerbsprinzip, denn das hat durchaus das Potenzial, die nachhaltige Entwicklung voranzutreiben, statt sie wie bisher zu behindern. Es liegt an der Einseitigkeit des Eigentumsrechts, der Schutzlosigkeit der Gemeingüter. Dem Recht der Privateigentümer in Paragraf 903 BGB müsste hinzugefügt werden, dass Eigentümer die ihnen zugänglichen natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen als Gemeinressourcen nutzen können, aber eine ihrer Nutzung zuzurechnende Verminderung oder Verschlechterung so ausgleichen müssen, dass die genutzte Ressource sich regeneriert oder durch eine gleichwertige andere ersetzt oder in ihrer Funktionsfähigkeit wiederhergestellt wird. Im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb müsste zusätzlich klargestellt werden, dass das Erwecken des Eindrucks, ein durch Externalisierung gewonnener Marktvorteil sei eine Marktleistung des Unternehmens, als unlauter gilt und verboten ist.

Durch diese beiden Änderungen würde die Wettbewerbsordnung zu einem Instrument der nachhaltigen Entwicklung, die dann die Externalisierung verhindern und den Unternehmen den Freiraum verschaffen könnte, sich auf Innovationen zu konzentrieren, die dem Wohlstand dienen, ohne die Gemeingüter zu zerstören.

Gemeingüter schützen, nicht kommerzialisieren

Durch den Schutz der Gemeinressourcen werden diese "in Wert gesetzt“. Das wird sich zwangsläufig daraus ergeben, dass ermittelt werden muss, wie viel zum Beispiel von einem Rohstoff oder einem Ökosystem verbraucht worden ist und was es kostet, den Rohstoff aus dem verbrauchten Produkt wiederzugewinnen oder das Ökosystem sich regenerieren zu lassen. Die Inwertsetzung geschieht beim Schutz der Gemeingüter also anhand der Kosten der Erhaltungsinvestition. Sie werden infolge der heute erlaubten Externalisierung "gespart“ und auch gar nicht ausgewiesen; deshalb kann bisher auch der Ertrag verschwiegen werden, den man der kostenlosen Nutzung einer Gemeinressource verdankt. Wird es dagegen künftig zur Pflicht, die Erhaltungskosten zu internalisieren, also selbst zu "tragen“ und damit sichtbar zu machen, so wird man auch den Ertrag ermitteln, welcher der Nutzung der Gemeinressource zugeschrieben werden kann, um entscheiden zu können, ob es vielleicht vorteilhafter ist, diese gar nicht in Anspruch zu nehmen.

Auf diese Weise wird aus der "wilden“ Nutzung eines Gemeinguts, die man sich bisher regellos angeeignet hat, eine geregelte Nutzung. Das hat den Vorteil, dass die Gemeinressource vor Missbrauch bewahrt werden kann. Es hat aber den Nachteil, dass die Nutzer ihr Nutzungsrecht einfordern und gegebenenfalls einklagen können. Dieses muss folglich so eingeschränkt und kontrolliert werden, dass die Gemeinressource nicht dezimiert (also vor Übernutzung geschützt) wird und dass sie nicht von einzelnen Nutzern monopolisiert wird, sodass andere in Abhängigkeit geraten. Übernutzt wird beispielsweise das Klimasystem, weil zu viele Nutzer zu viele CO2-Äquivalente emittieren, also müssen die Emissionen begrenzt werden. Monopolisiert wird beispielsweise das Saatgut, wenn ein Hersteller ein Patent darauf hält, also darf dies nicht oder nur für sehr kurze Zeit gewährt werden. Die Kontrolle können die Nutzer durch gegenseitige Beobachtung selbst organisieren, vorausgesetzt ihre Anzahl ist überschaubar, wie im Falle der lokalen Allmende, und die Machtunterschiede zwischen ihnen sind nicht zu groß. Dann genügt eine Schiedsinstanz, in anderen Fällen ist eine Kontrollbehörde erforderlich.

Beide Einschränkungen des Nutzungsrechts – der Schutz vor Übernutzung und vor Monopolisierung – ergeben sich aus dem Wesen jedes Gemeinguts: Es muss auch für künftige Nutzer verfügbar bleiben, und es muss für alle gegenwärtigen Nutzer gleichermaßen verfügbar sein.

Eine weitere Einschränkung gilt für die irdischen Gemeinressourcen, die an Orte gebunden und mit Lebewesen verbunden sind – gleich ob sie sich in der Atemluft, im oder auf dem Boden oder im Wasser befinden –, denn ihre Nutzung betrifft stets auch ihr Umfeld, die dort angesiedelten oder davon berührten Pflanzen, Tiere, Menschen, aber auch Bewegungen der Elemente wie den Golfstrom. Die Nutzung dieser Gemeinressourcen darf nicht "kommodifiziert“ werden, als seien sie beliebig handelbare Massenwaren (commodities), auf deren Herkunft und Umfeld man keine Rücksicht nehmen muss. Beispielsweise müssen die Menschen bei der Vergabe eines Schürf- oder Abbaurechts mitbestimmen können und müssen andere Lebewesen berücksichtigt werden, deren Lebensraum davon betroffen ist, selbst wenn das zur Verweigerung einer solchen Nutzung führt. Und die Bedingungen eines lokalen Tauschrings oder einer lokalen Vereinbarung zwischen Fischern zur Begrenzung von Fangquoten dürfen nicht durch Berufung auf das Währungsmonopol oder den Freihandel infrage gestellt werden.

So ist die Ausgabe von handelbaren Emissionsrechten zwar im Klimaschutz anwendbar, darf aber nicht auf beliebige andere Gemeingüter übertragen werden. Die Emission von Klimaschadgasen betrifft die Atmosphäre in ihrer Gesamtheit und ist mit keiner Nutzung irdischer Gemeinressourcen auf der Erde vergleichbar. Selbst Extraktionsrechte für Rohstoffe dürfen nicht wie Emissionszertifikate gehandelt werden. Rohstoffvorkommen sind nicht ungebunden wie industriell hergestellte Waren, sondern sind ortsgebunden. Ihre Extraktion hat Auswirkungen auf ihr Umfeld und die dort Lebenden. Der Vergabe von Abbaurechten muss eine sorgfältige Prüfung der Folgen vorausgehen, die von der Verantwortung für die Menschenrechte und für die natürliche Mitwelt geleitet wird.

Dass diese Prüfung in der Vergangenheit häufig vernachlässigt wurde, darf kein Argument dafür sein, sie in Zukunft zu unterlassen. Sinngemäß gilt diese Überlegung auch für die Arten, die Ökosysteme, für Bildung, Gesundheit, Integration und Verteilung. Weder die naturgegebenen noch die sozial gestalteten Gemeingüter sind Waren, ihre Nutzung muss stets mit der Verpflichtung verbunden sein, sie für die Allgemeinheit zu erhalten beziehungsweise zu erneuern.

Deshalb muss man die neuerdings diskutierten Ansätze wie "Grüne Ökonomie" des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) oder "Umweltverträgliches Wachstum" der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zwar nicht pauschal "als Greenwashing, als grünen Kapitalismus oder Wolf im grünen Schafspelz“ abtun. Aber man muss darauf bestehen, dass aus der Ökonomie, die man bekanntlich ohne Ethik zu denken können glaubte, durch systematische Einbeziehung der Gemeingüter endgültig ein Wissensgebiet auf ethischer Grundlage wird, aus dem die Begrenzung der Konsumansprüche, Machtprivilegien, Einkommen, Vermögen und Unternehmensgrößen nicht mehr ausgeklammert werden kann.

Finanzmärkte müssen der Realwirtschaft dienen

Auch die Finanzmärkte sind Gemeingüter. Sie dienen dem Wohl der Allgemeinheit, wenn sie zwischen kapitalsuchenden Investoren und anlagebereiten Kapitalgebern vermitteln und dabei das Anlagekapital in die bestmöglichen realen Verwendungen lenken. Seit den 1980er Jahren ist ein Großteil der Kapitalverkehrskontrollen, die sie an die realwirtschaftlichen Grundlagen gekoppelt hatten, abgebaut worden. Das hat sie zu Spekulationsmärkten gemacht, die nicht wie die Gütermärkte der ökonomischen Theorie zum Gleichgewicht neigen, sondern zu Eruptionen. Die Deregulierung muss korrigiert werden, sonst wird das Entstehen und Platzen von Finanzblasen die Regel und verhindert nachhaltige Entwicklung.

Das derzeit nahezu grenzenlose Geldschöpfungspotenzial der Banken muss wirksam eingeschränkt werden. Die Banken müssen ihrer Kreditvergabe mehr Eigenkapital unterlegen als bisher, und zwar umso mehr, je größer die Bank ist, damit den "systemrelevanten“ Banken wirksame Zügel angelegt werden. Die Eigenkapitalunterlegung muss unterschiedslos auch für Kredite mit angeblich geringerem Risiko gelten, wie etwa für den Kauf von Anleihen von Staaten mit hoher Bonität.

Die Banken- und Börsenaufsicht muss auf alle Akteure einschließlich der Hedgefonds und alle Finanzprodukte einschließlich der Derivate erweitert und ihre Kontrollbefugnis intensiviert werden. So müssen alle gegenwärtigen und künftigen "Finanzinnovationen“ bei den Aufsichtsorganen genehmigungs- und alle Transaktionen berichtspflichtig werden. Eine Bank darf nicht zugleich Kreditgeschäfte und Investmentgeschäfte betreiben. Geschäfte außerhalb der Bilanz und over the counter müssen den gleichen Regeln unterliegen und ebenso strikt der Bankenaufsicht unterworfen sein wie die bilanzierten Geschäfte. Es muss eine wirksame internationale Finanzaufsicht errichtet werden. Solange diese nicht besteht, muss die jeweilige nationale Bankenaufsicht Kredite an offshore residierende Akteure begrenzen und auch ganz untersagen können. In Deutschland müssen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Bundesbank besser koordiniert werden, in der EU die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt besser mit der Wertpapieraufsicht in Paris, der Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht in Frankfurt und der Bankenaufsicht in London.

Bei der Emission von Finanzprodukten müssen die Emittenten (neben den Banken auch etwa Pensionsfonds, Hedgefonds, Staatsfonds, Private Equity-Gesellschaften) zur Transparenz aller Risiken verpflichtet werden, Transparenz auch gebündelter Wertpapiere, sodass die einzelnen Bestandteile zu ihren Emittenten zurückverfolgt werden können. Finanzakteure müssen für ihre Fehler haften, auch bei Umweltschäden. Boni dürfen erst nach erfolgreichem Verlauf des Geschäfts ausgezahlt werden. Die Vergütung auch der Spitzengehälter muss nachvollziehbaren Leistungskriterien folgen. An die Geschäftslage gekoppelte Bezüge müssen nicht nur im Aufschwung steigen, sondern im Abschwung auch wieder sinken. Spekulation darf nur zur Absicherung realer Geschäfte zum Beispiel gegen Währungsschwankungen bei Weizenlieferung zugelassen sein, und nur für den, der den Weizen real liefert beziehungsweise abnimmt. Alle anderen Spekulationen müssen erschwert werden, vor allem durch eine Finanztransaktionssteuer, die auch den computergesteuerten Hochfrequenzhandel unterbindet.

Wenn anlagesuchendes überschüssiges Geld statt in reale Investitionen auf Sachwerte (Edelmetalle, Rohstoffe, Ländereien, Immobilien) ausweicht, die allein zum Horten beziehungsweise zur Spekulation auf Preissteigerungen gekauft werden, ist die dadurch entstehende Vermögensinflation zugleich der Vorbote einer Konsumpreisinflation, weil sie die Mieten und die Preise der mit den Rohstoffen produzierten Konsumgüter steigert. Um dem entgegenzusteuern, muss man an der Ursache ansetzen: der einseitigen Einkommensvermehrung bei dem höchsten ein Prozent der Einkommensbezieher.

Der Wegfall der Externalisierungsgewinne wird nicht genügen. Die Steuerminderung durch konzerninterne Verrechnungspreise und Kreditzinsen muss strengen Regeln unterliegen und darf nicht anerkannt werden, wenn sie zur Verschiebung von Gewinnen in Niedrigsteuerländer führt. Die Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte darf nicht niedriger sein als die Steuer auf Arbeitseinkommen, der Spitzensteuersatz muss progressiv mit der Einkommenshöhe auch über 50 Prozent hinaus zunehmen.

Geldanlage nach ethischen Kriterien

Alles bisher Gesagte hängt in der Luft, wenn die Geldanleger, vom kleinen Sparer bis zu den Pensionsfonds und Versicherungen, weiter in der Vorstellung handeln, ihr Geld verschaffe ihnen einen Anspruch auf arbeitsloses Einkommen. Mindestens eine Leistung kann von ihnen erwartet werden: dass sie sich bemühen, durch die Auswahl der Anlageprodukte zur Nachhaltigkeit beizutragen. Voraussetzung ist natürlich ein Bewertungsinstrument, mit dem die Natur-, Sozial- und Kulturverträglichkeit von Unternehmen und Kapitalanlagen bewertet werden konnten. Am Fachbereich Katholische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt nahm sich die Projektgruppe Ethisch-Ökologisches Rating dieser Aufgabe an. Ein erstes Ergebnis war der Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden – eine Kriteriologie, die im Corporate Responsibility Rating der "oekom research“ ihren Niederschlag gefunden hat. Aktuell fließen die Ratings von "oekom research“ in ein Kapitalanlagevolumen von über 140 Milliarden Euro ein.

Nachhaltige Geldanlagen erweisen sich auch für Großinvestoren wie etwa Pensionskassen oder Versicherungen interessant. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass langfristige (zehn Jahre und länger) ethisch-ökologische Anlagen in die Realwirtschaft (Green Building, nachhaltige Infrastruktur sowie Land und Forst) bei einer Rendite über der Inflationsrate und geringem Risiko das erwirtschaften, was diese Institutionen für die Erfüllung ihrer Vertragspflichten benötigen, und gleichzeitig nachhaltige Projekte der Realwirtschaft fördern. Doch die Informationsmöglichkeiten für ethisch orientierte Anleger sind noch bei Weitem nicht flächendeckend. Zahlreiche Agenturen haben weiter vornehmlich die Kapitalrendite im Blick, nur eine kleine Gruppe kann wertorientiert genannt werden. Qualität und Vergleichbarkeit der existierenden Nachhaltigkeitsratings sind unterschiedlich. Unter den Privatanlegern sind immer noch 40 Prozent der Ansicht, dass nachhaltige Geldanlagen weniger Rendite bringen, und über 30 Prozent würden gerne nachhaltig ihr Geld anlegen, kennen aber keine entsprechenden Produkte.

Zudem schätzen unterschiedliche Ratingagenturen, die mit dem Anspruch auftreten, "Nachhaltigkeit“ zu bewerten, die Nachhaltigkeitsperformance der gleichen Unternehmen unterschiedlich ein. Es wird Zeit, dass die Maßstäbe sich annähern. Auch hierzu muss Ethisches Investment durch Gesetze flankiert werden. Zur Förderung der ethischen Geldanlage muss für die Anlageberatung die Pflicht gelten, Kunden über die Kriterien der Nachhaltigkeit von Finanzprodukten aufzuklären und sich dabei auf die ethische Beurteilung von Unternehmen durch vertrauenswürdige Agenturen zu stützen. Unternehmen müssen dazu angehalten werden, über ihre nichtfinanziellen Ergebnisse mit gleicher Intensität zu berichten wie über die finanziellen. Wirtschaftsprüfern sollte vorgeschrieben werden, dass sie Prüfung auf das Erreichen zumindest der Nachhaltigkeitsziele ausdehnen, die das Unternehmen sich auferlegt hat oder die ihm auferlegt wurden. Fondsmanager könnten dazu verpflichtet werden, sich bei der Zusammenstellung der Portfolios an den Kriterien der Natur- und Sozialverträglichkeit zu orientieren. Nicht zuletzt sollten Banken verpflichtet sein, bei der Kreditgewährung Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen, was bisher nur wenige tun.

Welthandel in Balance bringen

Nachhaltige Entwicklung wird zum ersten Mal in der Geschichte eine Wirtschaftsform hervorbringen, die auf Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Generationen gebaut ist. Sie verlangt darüber hinaus eine Balance der Verteilungsrelationen zwischen den Regionen, zwischen den Nationen, zwischen den Kontinenten. Die weltwirtschaftliche Balance fordert von jeder Volkswirtschaft, dass sie dauernde außenwirtschaftliche Ungleichgewichte vermeidet, indem sie im Kern für den eigenen Bedarf produziert und mit anderen Einheiten lediglich die etwa anfallenden Überschüsse tauscht.

Diese Maxime hat schon Aristoteles jeder selbstständigen Wirtschaftseinheit mit eigener Produktion, eigenen Grenzen und eigenem Budget (von der antiken Hauswirtschaft bis zur modernen Volkswirtschaft) ins Stammbuch geschrieben. Ein dauernder Exportüberschuss ist für die Balance der außenwirtschaftlichen Beziehungen ebenso schädlich wie ein dauernder Überschuss der Importe. Das war "vielleicht der prophetischste Hinweis, der jemals im Bereich der Sozialwissenschaften gegeben wurde“.

Er erklärt, warum es ein verhängnisvoller Fehler war, bei der Neuordnung des Weltwährungssystems 1944 nicht eine supranationale Reservewährung und eine die Transaktionen zwischen den Staaten abwickelnde Clearing Union einzuführen, die Defizite und Überschüsse mit Strafzinsen belegt. Die USA haben stattdessen auf dem Dollar als Leitwährung bestanden. Ein Leitwährungsland muss mehr von der eigenen Währung in Umlauf setzen, als es für die eigenen Transaktionen braucht. Das führt es in Versuchung, seine Währung auch zum nationalen Vorteil zu verwenden. Da diese als Reservewährung dient, müssen alle anderen ihre eigene Zahlungsfähigkeit sichern, indem sie Dollarguthaben und auf Dollar lautende Schuldverschreibungen halten. So kann das Leitwährungsland die weltweiten Ersparnisse an sich ziehen und mit dem Geld der anderen den eigenen Importüberschuss finanzieren.

Das haben die USA in hohem Maße getan: Seit den 1980er Jahren ist ihr Leistungsbilanzdefizit von 20 auf 900 Milliarden US-Dollar angestiegen, und die Gesamtverschuldung der öffentlichen und privaten Haushalte sowie der Banken und Unternehmen wuchs von eine auf zwölf Billionen US-Dollar; sie beträgt jetzt mehr als das Vierfache des amerikanischen Sozialprodukts. Sobald das Vertrauen in den Dollar einbricht, wird die Welt in eine Krise geraten, die noch weit zerstörerischer sein wird als die jetzige.

Die Lösung liegt in einer Reform des Weltwährungssystems, die über die nationalen Währungen eine globale Währung stülpt; dieser wird die Funktion der Reservewährung übertragen. Sie kann vom Internationalen Währungsfonds verwaltet werden, der ja einst dafür gedacht war. Dieser muss mit Sanktionen dafür sorgen, dass nationale Export- und Importüberschüsse regelmäßig zurückgeführt werden, und kann vorübergehend auftretende Defizite aus einem gemeinsamen Reservefonds ausgleichen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Rat für Nachhaltige Entwicklung: Externer Link: http://www.nachhaltigkeitsrat.de/nachhaltigkeit (1.6.2012).

  2. Klaus Michael Meyer-Abich, Nachhaltigkeit, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 2 (2001) 3, S. 303f.

  3. Vgl. Artikel 20 a Grundgesetz: "Der Staat schützt auch die natürlichen Lebensgrundlagen."

  4. Vgl. hierzu: APuZ Gemeingüter, (2011) 28–30. (Anm. d. Red.)

  5. Vgl. Gerhard Scherhorn/C. Henning Wilts, Schwach nachhaltig wird die Erde zerstört, GAIA 10, Nr. 4, 2001, S. 249–255.

  6. Vgl. Jared Diamond, Kollaps, Frankfurt/M. 2006, S. 103–153.

  7. Vgl. die Netzplattform der "Projektgruppe Ethisch-Ökologisches Rating": Externer Link: http://www.nehmenundgeben.de/ (1.6.2012).

  8. Vgl. Barbara Unmüßig/Wolfgang Sachs/Thomas Fatheuer, Kritik der grünen Ökonomie, Berlin 2012, S. 26.

  9. Vgl. Benoit Mandelbrot/Richard L. Hudson, Fraktale und Finanzen, München 2007.

  10. Vgl. Gerhard Scherhorn, Geld soll dienen, nicht herrschen, Wien 2009.

  11. Vgl. Externer Link: http://www.ethisches-consulting.de/ (1.6.2012).

  12. Vgl. Johannes Hoffmann/Konrad Ott/Gerhard Scherhorn (Hrsg.), Ethische Kriterien für die Bewertung von Unternehmen, Frankfurt/M. 1997.

  13. Vgl. Henry Schäfer et al., Transparenzstudie zur Beschreibung ausgewählter international verbreiteter Rating-Systeme zur Erfassung von Corporate Social Responsibility, Gütersloh 2004.

  14. Vgl. Claudia Döpfner/Hans-Albert Schneider, Nachhaltigkeitsratings auf dem Prüfstand, 2012, online: Externer Link: http://www.cric-online.org/images/individual_upload/publikationen/nachhaltigkeitsstudie2012.pdf (1.6.2012).

  15. Vgl. Studien aus den Jahren 2011 und 2012: Externer Link: http://privatanleger.axa-im.de/studien (1.6.2012).

  16. Vgl. Johannes Hoffmann, Ethische Kritik des Wettbewerbsrechtes, in: ders./Gerhard Scherhorn (Hrsg.), Eine Politik für Nachhaltigkeit, Erkelenz 2009, S. 23–55.

  17. Das Bilanzreformgesetz verpflichtet große Kapitalgesellschaften seit 2005, "nichtfinanzielle Leistungsindikatoren“ in die Berichterstattung einzubeziehen, allerdings nur sofern diese "relevant für den Unternehmenserfolg“ sind. Diese Einschränkung könnte durch die Pflicht zur Information über den Beitrag des Unternehmens zur nachhaltigen Entwicklung ersetzt werden.

  18. Karl Polanyi, The Great Transformation, Frankfurt/M. 1990, S. 85.

  19. Vgl. Harald Schumann/Christiane Grefe, Der globale Countdown, Köln 2008, S. 125–147.

  20. Vgl. Josef Stiglitz, Die Chancen der Globalisierung, München 2006.

Dr. theol., geb. 1937; Prof. em. für Sozialethik und Wirtschaftsethik am Fachbereich Katholische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt; Co-Leiter der Projektgruppe Ethisch-Ökologisches Rating, Am Weiherhaag 19, 65779 Kelkheim. E-Mail Link: j.hoffmann@em.uni-frankfurt.de

Dr. rer. pol., geb. 1930; Prof. em. für Konsumökonomik an der Universität Hohenheim; Co-Leiter der Projektgruppe Ethisch-Ökologisches Rating; Senior Consultant im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. E-Mail Link: gerhard.scherhorn@wupperinst.org