Einleitung
Während meiner offiziellen Besuche der 47 Mitgliedsstaaten des Europarates war ich erschüttert über die Wissensdefizite bezüglich der Menschenrechtsbelange von transgender Personen, sogar bei politischen Entscheidungsträgern."
Dieser Artikel bietet einen kurzen Abriss der Geschichte internationaler Menschenrechte in Bezug auf Geschlechtsidentität sowie globale Einblicke in die Lebens- und Diskriminierungssituation von Trans* und Inter*. Als deutsches Autor_innen-Team haben wir uns entschieden, mithilfe von lokalen Selbstzeugnissen internationaler Aktivist_innen den Weg von Unsichtbarmachung, Ausschluss und Unterdrückung hin zum Sichtbarwerden und zu wertschätzender Anerkennung von geschlechtlicher und körperlicher Vielfalt zu beschreiben.
Vielfalt von Geschlecht - ohne Recht?
Was meint eigentlich diese Vielfalt geschlechtlicher Identitäten genau, die nicht zu verwechseln ist mit dem deutschen Konzept der "sexuellen Identität"? Letzteres findet im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Anwendung und umfasst Homo-, Bi- Trans- und Intersexuelle, wird allerdings im internationalen Sprachgebrauch eher mit dem Begriffspaar sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität (SOGI) wiedergegeben. Global und auf der Ebene der Vereinten Nationen (VN) setzt sich zunehmend die Definition des englischen gender identity, wie in den Yogyakarta-Prinzipien (YP) formuliert, durch: "Unter 'geschlechtlicher Identität' versteht man das tief empfundene innere und persönliche Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, das mit dem Geschlecht, das der betroffene Mensch bei seiner Geburt hatte, übereinstimmt oder nicht übereinstimmt; dies schließt die Wahrnehmung des eigenen Körpers (darunter auch die freiwillige Veränderung des äußeren körperlichen Erscheinungsbildes oder der Funktionen des Körpers durch medizinische, chirurgische oder andere Eingriffe) sowie andere Ausdrucksformen des Geschlechts, z.B. durch Kleidung, Sprache und Verhaltensweisen, ein."
Indem die YP bewegungspolitische Formulierungen aufgreifen, geben sie trans* und inter* Menschen die Definitionsmacht über ihr ureigenes geschlechtliches Empfinden und dessen Ausdrucksform(en) zurück. Damit stehen die YP am Ende einer über 60-jährigen, kontroversen und bis in die jüngste Vergangenheit vorwiegend medizinisch-psychologisch geführten Debatte zur Identitätsbestimmung, die Trans- und Intersexualität nach wie vor pathologisiert.
Wie gestaltet sich nun der aktuelle internationale Diskriminierungs- und Menschenrechtsschutz? Die Anerkennung und der Schutz von Geschlechtsidentität sind in den VN-Menschenrechtsverträgen selbst nicht explizit genannt, dennoch ist ein allgemeines Diskriminierungsverbot gegeben, das alle Menschen - also auch Trans* und Inter* - umfasst. Die Anerkennungsgeschichte von sexueller Orientierung ist dabei der von Geschlechtsidentität vorgängig und verläuft teilweise überlappend. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte schon 1981 und damit als erste internationale gerichtliche Instanz fest, dass die Verfolgung von einvernehmlichen homosexuellen Handlungen unter Erwachsenen menschenrechtswidrig sei. Diesem Urteil folgten zahlreiche weitere Entscheidungen bezüglich der Legalisierung homosexueller Praktiken. Aus Perspektive von trans* oder inter* Personen mag der sexualitätsbezogene Aspekt des internationalen Menschenrechtsschutzes auf den ersten Blick nicht relevant erscheinen. Aber da in vielen Ländern der Welt die juristische und/oder medizinische Anpassung an das Identitätsgeschlecht nicht vorgesehen ist, können sie sich im Falle der Strafbarkeit von gleichgeschlechtlichen Handlungen jener schuldig machen - selbst wenn sie heterosexuelle Kontakte und Partnerschaften suchen.
Von mindestens fünf Staaten ist bekannt, dass sie ein drittes Geschlecht anerkennen beziehungsweise in Reisepässen als Geschlechtseintrag ein "X" vorsehen (Indien, Pakistan, Nepal, Australien, Neuseeland). In Bezug auf völkerrechtliche Abkommen fanden sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität 2009 in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 20 des VN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erstmals Erwähnung. Jener bekräftigte darin, dass sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in die Kategorie des sonstigen Status (Artikel 2.2) des internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte fallen. Damit fand gleichzeitig das Konzept der Geschlechtsidentität als verbotener Diskriminierungsgrund zum ersten Mal Eingang bei den VN. Die Einführung der ersten Resolution zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität führte über drei vergebliche Resolutionsanläufe und erhebliche Widerstände hinweg 2011 schließlich zum Erfolg.
Auf regionaler Ebene finden im interamerikanischen Menschenrechtssystem der Organisation Amerikanischer Staaten erste Auseinandersetzungen mit beiden Merkmalen der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität statt. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte und ihr Gerichtshof befassten sich bisher "nur" mit sexueller Orientierung. Die afrikanische Charta der Menschenrechte der Afrikanischen Union ist seit 1986 in Kraft, seit 2004 gibt es auch einen afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, allerdings war die Frage der Geschlechtsidentität bisher noch nicht Gegenstand von Rechtsprechung oder Erlassen. Im asiatisch-pazifischen Raum hat 2009 das Asien-Pazifik-Forum die Annahme der Yogyakarta-Prinzipien beschlossen, die seitdem Leitprinzip sind.
Im europäischen Menschenrechtssystem hat das zwar nicht bindende, aber Grundlagen schaffende Themenpapier zu Geschlechtsidentität und Menschenrechten von Thomas Hammarberg zentrale Bedeutung und wird von trans* Aktivist_innen geschätzt. Hier wurden 2009 insbesondere für trans* Personen wegweisende menschenrechtliche, aber auch gesundheitliche und soziale Standards formuliert - inter* Perspektiven jedoch größtenteils vernachlässigt. 2010 folgten die Verabschiedung von Empfehlungen im Ministerrat und ein Beschluss der Generalversammlung des Europarates, die sich gegen die Diskriminierung auch aufgrund von Geschlechtsidentität wenden. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich der Europarat als die weltweit erste zwischenstaatliche Einrichtung schon 1989 zu den Bedingungen von Transsexuellen äußerte. Er sprach Empfehlungen wie die Ermöglichung von geschlechtsangleichenden Maßnahmen an die Mitgliedstaaten aus, die allerdings größtenteils folgenlos blieben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) behandelt Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität seit 2002 als "Verletzung von Persönlichkeitsrechten, also von Freiheitsrechten".
Lebenslagen und Diskriminierung von Inter* und Trans*
Weltweit sind viele Trans* und Inter* trotz der sich allmählich verbessernden internationalen Menschenrechtslage nach wie vor Ziel von Diskriminierung und Gewalt bis hin zu Kapitalverbrechen.
Gesundheit.
In den meisten Ländern dieser Welt ist eine juristische sowie medizinische Geschlechtsangleichung an das Identitätsgeschlecht versagt beziehungsweise ist an hohe und entmündigende Hürden geknüpft. Dies können zwingend vorgeschriebene Operationen, die Sterilisation oder auch hohe Behandlungskosten sein.
Die medizinischen Diagnosen Transsexualität und Intersexualität werden einerseits dazu benutzt, Trans* und Inter* als abweichend und krank zu stigmatisieren. Andererseits bildet der Krankheitsstatus beziehungsweise der Leidensdruck an der gesellschaftlichen Reaktion in manchen Ländern die Basis für die Kostenerstattung medizinischer Maßnahmen. Zugang zu medizinisch überwachter und bezahlbarer Hormontherapie und geschlechtsangleichenden Maßnahmen gibt es nur in wenigen Ländern.
In Ländern, in denen keine trans*- oder inter*-spezifische gesundheitliche Betreuung existiert, und dort, wo Trans* und Inter* nicht die Vorbedingungen für eine medizinische Behandlung erfüllen, besorgen sie sich häufig die Hormone auf dem Schwarzmarkt und nehmen diese ohne medizinische Betreuung ein. Ebenso ohne medizinische Aufsicht spritzen viele Transfrauen industrielles Silikon zum Brustaufbau ein oder lassen Genitalanpassungen (vor allem Emaskulationen) ausführen - mit oft gravierenden gesundheitlichen Schäden bis hin zur Todesfolge.
In Indien wird Trans* häufig unterstellt, HIV-positiv beziehungsweise an AIDS erkrankt zu sein.
Während Trans* häufig unter der Verweigerung gewollter medizinischer Behandlung leiden, werden Inter* durch Zwangsbehandlungen traumatisiert. Sie werden vor allem in den ausdifferenzierten Gesundheitssystemen des globalen Nordens, aber auch vermehrt im Süden, im nicht-einwilligungsfähigen Alter ohne tatsächliche medizinische Notwendigkeit geschlechtszuweisend operiert. Kleinkindliche Genitale gelten bis zu einer gewissen Größe als "uneindeutig" und werden operationstechnisch bedingt meist als weiblich angelegt. Traumatisierende Weiterbehandlungsmethoden (etwa Bougieren, das künstliche Weiten der Neo-Vagina) sind die Folge. Die meisten Neo-Genitale weisen - entgegen medizinischer Machbarkeitsversprechen - keine oder keine ausgeprägte Sensibilität auf, Unfruchtbarkeit ist oft eine weitere Konsequenz. Medizinische Fehler oder Fehlbehandlungen können kaum nachvollzogen werden, da eine Akteneinsicht vor allem für im Säuglingsalter vorgenommene Eingriffe oft nicht gewährleistet ist beziehungsweise Verjährungsfristen greifen. Inter* Aktivist_innen bezeichnen diese in vielen Ländern gängige Praxis als Genitalverstümmelung,
Klinische Ethikkommissionen, bestehend aus Psycholog_innen, Medizinethiker_innen, Endokrinolog_innen und weiterem Fachpersonal, sollen neuerdings etwa in Brasilien Eltern bei der Geburt eines als DSD
In Australien und Kolumbien haben Gerichtsurteile das elterliche Zustimmungsrecht anstelle ihrer geschäftsunfähigen Kinder bei geschlechtszuweisenden Eingriffen bereits stark eingeschränkt - aber nicht unmöglich gemacht.
Personenstand und rechtliche Lage.
Um diskriminierungsfrei im Identitätsgeschlecht zu leben, ist für viele Trans* und manche Inter* der Zugang zu Verfahren für die Geschlechtseintragung und Vornamensänderung entscheidend.
Im Rahmen des Transrespekt-versus-Transphobie-Projektes wurden 61 Länder unter anderem auf die Möglichkeit hin untersucht, den Vornamen sowie die Geschlechtseintragung rechtlich zu ändern. In 30 Ländern sind Änderungen möglich, allerdings sind diese an jeweils variierende Bedingungen geknüpft, in der Regel jedoch psychiatrische Gutachten, geschlechtsangleichende Maßnahmen und mitunter auch die Unfruchtbarmachung umfassen.
Auch in den meisten afrikanischen Ländern fehlt bisher eine geschlechterspezifische Antidiskriminierungsgesetzgebung. Eine Ausnahme bildet die Gender Recognition Legislation in Südafrika. Das Problem liegt hier allerdings in der Umsetzung des Gesetzes: In der Realität stoßen viele Trans* und Inter* ohne operative geschlechtsangleichende Maßnahmen, die im Gesetz zwar nicht explizit gefordert werden, trotzdem auf Probleme bei den Behörden. Diese können häufig erst dann gelöst werden, wenn mit Hilfe von Selbsthilfegruppen Anwälte eingeschaltet werden oder dies angedroht wird. Allerdings haben viele Trans* (wie auch Lesben, Schwule, Bisexuelle und Inter*) häufig keinen Zugang zu den wenigen Beratungsangeboten und wissen demnach nicht, wie sie die grundsätzlich gute Rechtslage zu ihrem Schutz einsetzen können.
In vielen Ländern werden trans*- und inter*-spezifische Bedürfnisse kaum von nicht-trans* oder -inter* Menschen, der Öffentlichkeit und auch der Politik wahrgenommen werden. Es existieren kaum Informationsangebote, verschiedene Geschlechtidentitäten und sexuelle Orientierungen werden von den wenigen, die sensibilisiert sind, unter der Kategorie LSBTI zusammengefasst und in der öffentlichen Wahrnehmung häufig mit Homosexualität gleichgesetzt - und sexuelle Handlungen zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen sind in einer Vielzahl von afrikanischen und islamisch geprägten Staaten kriminalisiert, die Strafen gehen bis hin zur Todesstrafe. Insgesamt ist ein besorgniserregender Trend zur Kriminalisierung auch von trans* Ausdrucksweisen zu beobachten.
Obwohl hierzulande vor allem von Ethnolog_innen oft als Positivbeispiel zitiert, kämpft auch die trans*, inter* und hijra-Community in Indien nach wie vor um eine rechtliche Anerkennung ihrer Identität(en). 2009 wurden die Begriffe sexuelle Orientierung und LSBT in die indische Verfassung aufgenommen. Geschlechtsidentität und Trans*/Inter*/hijra werden jedoch nicht explizit genannt. In Dokumenten, wie dem Pass, der Wähleridentifikationskarte oder auch im Zensus können sich Trans* inzwischen als "andere(s)" Geschlecht eintragen, wenn sie sich nicht als Mann oder Frau identifizieren. Individuelle Trans*-Identitäten können jedoch nicht angegeben werden. Ebenso kann das Geschlecht auf Geburtsurkunden nach wie vor nicht geändert werden. Am fortschrittlichsten innerhalb Indiens ist die Gesetzgebung für Trans* im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. Dieser verfolgt eine offene Politik gegenüber Transfrauen/hijra und hat eine Reihe unterstützender Maßnahmen eingeführt, unter anderem eine besondere Zuständigkeit für Trans* in den sozialen Sicherungssystemen. Die National Legal Services Authority hat die Transgender inzwischen in die Definition marginalisierter Gruppen integriert. Dies ermöglicht Trans* beispielsweise die Inanspruchnahme eines kostenlosen Rechtsbeistands.
Obwohl auf nationaler Ebene gesetzlich nicht kriminalisiert, sind in Argentinien travesti, Transsexuelle und Transgender ähnlichen lokalen Regelungen unterworfen, die zum Beispiel das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechtes in der Öffentlichkeit oder das Anbieten von Sex-Dienstleistungen - oft die einzige Einnahmequelle - im Namen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral und Ordnung unterbinden.
Aufgrund der noch kaum existenten inter*-Bewegung und der allgemeinen Unsichtbarkeit von Inter* werden nur äußerst selten Fälle von Diskriminierung aktenkundig. Einer der wenigen ist der Fall Muasya in Kenia. Die intersexuelle Person, die als Mann lebte und wegen der Teilnahme an der Gruppenvergewaltigung einer Frau verurteilt wurde, reichte gegen die für sie als falsch empfundene Unterbringung im Männergefängnis Klage ein.
Sozioökonomische Situation.
Armut und Arbeitslosigkeit stellen für trans* Personen überall auf der Welt eine elementare Sorge dar. In den meisten Ländern des Globalen Südens sind sie damit automatisch in ihrer Existenz bedroht. Viele sehen aufgrund ihrer extremen Stigmatisierung keinen anderen Ausweg als Sexarbeit oder die Arbeit in anderen illegalen oder gefährlichen Untergrundökonomien. Sind Trans* berufstätig, sind sie an ihrem Arbeitsplatz Diskriminierung im Sinne von Mobbing und Schikanen durch die Arbeitgeber_innen oder Kolleg_innen ausgesetzt.
Gewalt, gesellschaftliche Diskriminierung
und Stigmatisierung.
Transphobie
Von politischen Entscheidungsträgern und anderen wird die Gewalt entweder propagiert oder sie verhalten sich nicht dazu. Nur selten finden sich öffentliche Fürsprecher, die sich für den Schutz der Menschenrechte von LSBTI einsetzen. All dies schafft ein gesellschaftliches Klima der Kriminalisierung und Stigmatisierung. In verschiedenen Ländern wie dem Senegal wurden Trans* von der Polizei inhaftiert, misshandelt und missbraucht. Auch in Indien werden sie häufig von Polizisten zum Sex gezwungen - ohne eine Möglichkeit, Beschwerde einzulegen oder sich rechtlich dagegen zu wehren. In Tansania wurden mehrere Trans* exhumiert und deren Körper tagelang öffentlich zur Schau gestellt. Straflosigkeit bis offene Unterstützung bestärkt die Täter in ihrem Verhalten. Die menschenrechtlichen Garantien auf Schutz vor willkürlichen Festnahmen, Folter und unmenschlicher Behandlung werden von Polizei und Sicherheitskräften missachtet.
Es gibt auch Positivbeispiele zum Verhalten einflussreicher öffentlicher Personen, beispielsweise im pazifischen Raum. So wird das TLA & Pacific Sexual Diversity Network von hochrangigen Personen wie dem Premierminister von Samoa, den Präsidenten von Papua Neuguinea und Fidschi, verschiedenen Ministern und Mitgliedern des Königshauses Tonga unterstützt. Ein Grund hierfür liegt in der Tatsache, dass Trans* schon immer in der Region sichtbar waren. Präkoloniale Gesellschaftsordnungen des globalen Südens und Ostens hatten durchaus nicht-heteronormative und -binäre Lösungen vorgesehen, die jedoch häufig über die Kolonialzeit in Vergessenheit gerieten beziehungsweise durch diese gezielt verdrängt wurden.
Die Förderung der Menschenrechte von "T" und "I" wäre jedoch unvollständig, würde sie nur den globalen Süden und Osten in den Blick nehmen. Die westliche Introspektive zeigt schnell: Selbst in den Ländern des Nordens sind LSBTI weder rechtlich noch gesellschaftlich vollkommen gleichgestellt - auch nicht in Deutschland, wie die fortgesetzte Ungleichbehandlung der eingetragenen Lebenspartnerschaft, der medizinisch-rechtliche Umgang mit Zwittern sowie das erst 2011 vom Bundesverfassungsgericht als Menschenrechtsverletzung außer Kraft gesetzte Sterilitätsgebot im Transsexuellengesetz verdeutlichen. Das niederländische Transsexuellengesetz schreibt die Sterilität nach wie vor zwingend vor und ruft internationale Menschenrechtsorganisationen auf den Plan.
Bewegungspolitik stärken
Die Menschenrechtsverletzungen sind eindeutig, der Menschenrechtsschutz noch nicht.
Aktuelle Menschenrechtsinstrumente und an LSBTI gerichtete Programme verfolgen unter Verwendung des Begriffes Geschlechtsidentität eine einbeziehende Strategie, wobei jedoch die konzeptionelle Schärfe und Tiefe unterschiedlich sind. Meist herrscht die rein rhetorische Einbeziehung in SOGI ohne inhaltliche Entsprechung der Problemlagen von trans* und inter* Personen vor. Selbst wenn Geschlechtsidentität inhaltlich ausgestaltet ist, finden sich dann vor allem die Bedürfnisse von Trans* wieder. Inter*, ihre Anliegen und ihre körperliche und geschlechtliche Vielfalt sind selbst im Geschlechtsidentitätskonzept randständig bis unsichtbar - eine konzeptionelle Leerstelle, die sich auch im Ausbleiben von Fördermitteln widerspiegelt.
Sowohl die Trans*- als auch die Inter*-Bewegung werden von der großen LSB(TI)-Bewegung marginalisiert, es finden sich kaum trans* und inter* Repräsentant_innen. Während eine sich gerade formierende Trans*-Bewegung, die sich zunehmend auch international organisiert, erste Emanzipationsgewinne verzeichnen kann, steht die Inter*-Bewegung noch ganz am Anfang. Trans* und Inter* kämpfen manchmal zusammen - manchmal getrennt. Gemein ist beiden jungen Emanzipationsbewegungen, dass sie dringend mehr (bewegungs-)politische Aufmerksamkeit, Geld und Öffentlichkeit erhalten müssen. Denn sie allein sind in der Lage, die Entpathologisierung, Entstigmatisierung und als oberstes Primat die Selbstbestimmungsrechte ihrer Mitglieder durchzusetzen.