Einleitung
Im Jahr 2011 gab es aus mehreren Kommunen beunruhigende Nachrichten. Ibrahimo Alberto, 1981 aus Mosambik zum Studium in die DDR gekommen und ehrenamtlicher Ausländerbeauftragter von Schwedt, kehrte der uckermärkischen Stadt den Rücken. Noch wenige Jahre zuvor erzählte er, "er habe keine Angst. Er sei das Kämpfen schließlich gewohnt, und zwar in mehrfacher Hinsicht: als Sportler, als Sozialarbeiter, der vielen gewaltbereiten Jugendlichen neue Wege aufgezeigt hat, als ehrenamtlicher Ausländerbeauftragter und als einer der wenigen Schwarzen in der brandenburgischen Grenzstadt Schwedt. Rassismus war ein steter Begleiter in seinem ostdeutschen Leben (...). Zu achtzig Prozent sei sein Weggang den zunehmenden rechtsextremen Anfeindungen geschuldet, denen er und seine Familie ausgesetzt seien. Die Stadt teilt seine Position nicht."
Beide Fälle werfen ein Licht auf die Stimmung in Deutschland. Kommunen können oder wollen ihre eigenen Vertreter nicht schützen oder unterstützen. Sie kapitulieren vor dem "braunen Mob", stimmen seinen Ansichten in Teilen gar zu oder ignorieren systematisch stattfindende Ausgrenzungen oder eine Stabilisierung rechtsextremer Strukturen. Diese Affinität der Einstellungsmuster zwischen Mitte und rechtem Rand - nachdrücklich in mehreren aktuellen Studien belegt
"Heile Welten" in der Krise
Astrid Geisler und Christoph Schultheis haben jüngst in unaufgeregter Weise rechtsextreme "Heile Welten" quer durch die Republik beschrieben. Sie porträtieren zum Beispiel eine rechtsextreme Mutter in der Kleinstadt Strehla, die als Schöffin am Amtsgericht und als Elternvertreterin im Schulelternbeirat fungiert, während ihr Mann als parlamentarischer Berater für die sächsische NPD-Landtagsfraktion tätig ist. Sie schildern die kommunalpolitische Verankerung von Neonazis in einem Dorf in Ostvorpommern und die Einbindung eines Jugendlichen in eine rechtsextreme Kameradschaft in einer süddeutschen Kleinstadt. Ihr Fazit lautet, sie "hätten auch überall sonst in Deutschland hinfahren können und wären doch wieder in jener Zone der Gesellschaft angekommen, die gerne als 'rechter Rand' bezeichnet wird".
Rechtsextreme Aktivisten können überall angetroffen werden. Ihre engen Zirkel überschreiten sie aber nur dort, wo sie nicht als Bedrohung, sondern als Hilfe und Unterstützung betrachtet werden. Im Umkehrschluss bedeutet das: Solange der Rechtsextremismus nicht in der Lage ist, sich lokal zu verankern und für die Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner "nützlich" zu sein, stellt er zwar für einzelne Menschen eine Gefahr dar, ist aber nicht in der Lage, die gesellschaftlichen Diskurse zu steuern und strukturell Macht auszuüben. Deshalb kommt der Verankerung rechtsextremer Aktivitäten in der Zivilgesellschaft bedeutende Funktion zu. Sie wird begünstigt durch Krisensituationen, die aus einem systematischen Rückgang ökonomischer Infrastruktur und ziviler Sozialstrukturen resultieren. Ein Ergebnis in solchen strukturschwachen Regionen ist der finanzielle Kollaps der Kommunen und damit der kommunale Rückzug aus sozialen Feldern wie der Jugendsozialarbeit. Diese Lücken können strategisch von anderen besetzt werden. Diese Besetzung geschieht von rechts her zwar nicht flächendeckend, aber exemplarisch zur Bestätigung der eigenen Leistungsfähigkeit und Demonstration der Verbindung mit der Bevölkerung. Das Engagement rechtsextremer Aktivisten und Aktivistinnen, solche brachliegenden "sozialen Äcker" zu "bestellen", kann schon seit geraumer Zeit beobachtet werden. Hierbei steht gewöhnlich der ländliche und kleinstädtische Raum im Fokus.
Doch nicht nur auf dem Lande wenden sich frustrierte Bürgerinnen und Bürger rechtsextremen Gruppierungen - und hier insbesondere der NPD - zu. Auch in krisengeschüttelten und finanzschwachen Ballungsräumen (nicht von ungefähr beginnen die Kommunen im Ruhrgebiet erneut den Solidarpakt Ost infrage zu stellen) entwickeln sich rechtsextreme Szenen und erhalten rechtspopulistische Parolen Aufmerksamkeit, insbesondere dann, wenn sie islamfeindlich untermauert sind.
Zum Begriff der Zivilgesellschaft
Es gibt ein "bereichslogisches und ein handlungslogisches Verständnis" von Zivilgesellschaft: "Während ersteres Zivilgesellschaft als Sphäre jenseits von Staat, Familie und zum Teil Wirtschaft fasst, wird Zivilgesellschaft in letzterem als ein Ensemble von Interaktionen verstanden, die auf das Gemeinwohl zielen, gewaltfrei sind und auf der Anerkennung des Anderen beruhen."
Der deskriptive, nicht normativ aufgeladene Begriff der Zivilgesellschaft wendet sich gegen diese "idealistische Reinigung" der Mitte. Er stützt sich insbesondere auf Antonio Gramsci, demzufolge zur Zivilgesellschaft alle sozialen Aktivitäten gehören, die nicht über staatliche Institutionen gesteuert werden.
Gramscis Begriff der Zivilgesellschaft hat für die Diskussion über den Rechtsextremismus entscheidende Bedeutung. Er unterstützt die Kritik am problematischen Begriff des Rechtsextremismus im Sinne einer Verlagerung der gesellschaftlichen Erscheinungsform des Rechtsextremismus an den Rand dieser Gesellschaft. Diese Verlagerung ist bereits im Begriff "Rechtsextremismus" angelegt, weshalb er im vorliegenden Aufsatz zwar als terminus technicus - aber mit dem Wissen, eigentlich unzutreffend zu sein - verwendet wird. Der normative Begriff der Zivilgesellschaft unterstützt die soziologische Exklusion des Rechtsextremismus aus der Gegenwartsgesellschaft und ignoriert, dass der Rechtsextremismus selbst ein gesellschaftliches Erzeugnis, dass er selbst Teil der Gesellschaft ist. Statt sich der Herausforderung zu stellen, ernsthaft zu analysieren, in welcher Verbindung die vielbeschworene "Mitte der Gesellschaft" mit rechtsextremen Tendenzen steht, wird mit dem normativen Begriff der Zivilgesellschaft und dem Rechtsextremismusbegriff die gesellschaftliche Dimension und Verknüpfung der rechten Weltanschauung ignoriert. Rechtsextremismus gilt als das Andere von Gesellschaft. Die aktuellen Statistiken aus dem Bereich der alltäglichen Einstellungen aber sprechen leider eine andere Sprache.
Rechte Strategien in Anknüpfung an Einstellungsmuster
Mit der 2011 abgeschlossenen Langzeitstudie "Deutsche Zustände"
Rassistische Einstellungen
Ob "Angstzonen", auch "No-go-Areas" oder im Duktus der Rechtsextremen "national befreite Zonen" genannt, als kulturell und sozial hegemonial dominierte, geschlossene und auf Dauer gestellte Sozialräume in Deutschland existieren, wird zu Recht bezweifelt. Eine große Gefahr der Realisierung aber besteht in den Gegenden, die zu "rechtsextremen Modellregionen" auserkoren wurden wie Ostvorpommern oder Westmecklenburg. Bei dieser Strategie geht es zum einen um symbolischen Raumgewinnungsanspruch (auch als Signal an die potenziellen Opfer und Gegner), zum anderen um sozialräumliche Präsenz. Dazu gehören Demonstrationen, der regelmäßige Aufenthalt an öffentlichen Plätzen, die "Übernahme" von Jugendclubs, Gaststätten oder Kleingartenanlagen.
Hier muss unterschieden werden zwischen Raumaneignungen in Konfrontation oder in Einklang mit der Umgebung. Während erstere den im Sozialraum vorgefundenen Interessen zunächst konträr gegenübersteht, stützt sich letztere von Anfang an auf die Zustimmung der lokalen Bevölkerung. "An weniger attraktiven Orten, wie manchen Lokalen oder Jugendeinrichtungen, verlief die Aneignung sukzessive. Es zeigte sich zudem, dass Gelegenheitsstrukturen, wie der Umgang von Kneipenwirten mit rechten/rechtsextremen Gästen oder mangelnde konzeptionelle Richtlinien für eine Sozialarbeit mit rechten/rechtsextremen Jugendlichen oder JugendclubbesucherInnen, die Möglichkeit einer 'schleichenden' Besetzung halböffentlicher Orte boten. Gewaltsame Ortsaneignungen durch rechte/rechtsextreme Gesellungen, oftmals verbunden mit Nutzungskonflikten, waren hauptsächlich bei begehrten Orten zu finden."
Kulturelle Hegemonie und Gegenstrategie
Die im Nordosten der Republik aus rechtsextremen Kameradschaften heraus gegründete Bürgerinitiative "Schöner und sicherer Wohnen in Ueckermünde" initiierte 2003 eine Kampagne gegen die Verlegung einer Flüchtlingsunterkunft ins Zentrum des Ortes. Bei einer Unterschriftensammlung für ein entsprechendes Bürgerbegehren im Jahr 2004 unterschrieben knapp 2000 Personen die Liste der Bürgerinitiative, die damit ein Element direkter Demokratie nutzte. Die Flüchtlingsunterkunft wurde nie verlegt. "Die Bürgerinitiative feierte diese Absage an ein Flüchtlingsheim als ihren politischen Erfolg und deutete die Anzahl der Unterschriften als tiefe Verankerung im städtischen Gemeinwesen. Örtliche Repräsentanten widersprachen dieser Analyse und meinten, viele hätten ihre Unterschrift nicht gegeben, wenn der rechtsextreme Hintergrund der Bürgerinitiative bekannter gewesen wäre."
Von Rechtsextremen initiierte Bürgerinitiativen sind keine Einzelfälle. Die von ihnen ausgelösten oder mitgestalteten lokalen Auseinandersetzungen zeigen gerade am Beispiel von kleineren Gemeinden oder Stadtteilen paradigmatisch die unterschiedlichen Positionen in den sozialen Auseinandersetzungen. Vielfältige Aktivitäten wenden sich bereits seit Jahren gegen die Ausbreitung des rechtsextremen zivilgesellschaftlichen Engagements. Aus der Vielzahl gut dokumentierter Beispiele
Ausgangspunkt des Planspiels sind Desintegrationserfahrungen in der fiktiven Kleinstadt Cityville, die eine mutmaßlich rechtsextreme Bürgerinitiative veranlasst, eine Bürgerversammlung einberufen zu lassen, die sich der Frage einer Bürgerwehr widmet. Die Teilnehmenden werden in vier Gruppen aufgeteilt, die unterschiedlichen politischen Fraktionen angehören (Bürgeroffensive "Sicheres Cityville", Bündnis "Cityville Nazifrei", Konservative Bürgerinnen und Bürger, Liberale Bürgerinnen und Bürger), und erschließen sich im Vorfeld der fiktiven Bürgerversammlung rechtsextreme Argumente und kritische Analysen dieser Argumentationen. Auf der Versammlung, die von Teilnehmenden in der Rolle des Bürgermeisters oder der Bürgermeisterin (in der Regel unterstützt von der Seminarleitung) formal korrekt moderiert wird, hat jede Gruppe die gleiche Redezeit, um ihre Position zur Errichtung einer Bürgerwehr zu begründen. Nach einer Diskussion gibt es eine Abstimmung. Nachdem die Teilnehmenden aus ihren Rollen herausgetreten sind, schließt eine Reflexionseinheit an, um gemeinsam die Strategien der Argumentationen und das Abstimmungsergebnis in der Gruppe zu diskutieren.
Das erstaunlich realitätsnahe Fazit der bisherigen Praxiserfahrungen mit dem Planspiel lautet: "Auf beiden Veranstaltungen präsentierte sich das Bürgerbündnis 'Sicheres Cityville' bei der Antragstellung sehr selbstbewusst, aber moderat als 'Anwalt der kleinen Leute' und richtete sich direkt an Betroffene von Kriminalität und an besorgte Bürgerinnen und Bürger oder Eltern, die Angst um ihre Kinder haben. Im Verlauf der Diskussion brachten sie erst dann rechtsextreme Vorstellungen ein, wenn sie den Eindruck hatten, andere Teilnehmende könnten ihnen Recht geben. Während sie teils tatsächlich Zustimmung erhielten, waren sie aber auch schnell mit klaren Abgrenzungen zu ihrer Position konfrontiert und begaben sich in die Gefahr, als rechtsextrem betitelt zu werden. Parallel verfolgten sie die Argumentation, Jugendlichen über die Bürgerwehr eine sinnvolle Tätigkeit anzubieten, dadurch zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern und so der Verwahrlosung und Gewalt vorzubeugen."
Fazit
Zur erfolgreichen Bekämpfung des Rechtsextremismus bedarf es eines nüchternen Blicks auf seine Strukturen. Weder Über- noch Untertreibung helfen weiter, auch begriffliche Schärfe ist bei der Betrachtung notwendig. Ohne zu dramatisieren lässt sich konstatieren, dass der organisierte Rechtsextremismus nicht nur in Anbetracht seiner massiven Gewalttaten politisch und sozial eine nicht zu ignorierende Rolle spielt. Zugleich aber ist er auch regional von einer hegemonialen Dominanz weit entfernt. Dennoch lässt sich durch den Blick auf das Extrem etwas über die Normalität unserer Gesellschaft erfahren. Und diese Normalität zeigt teils bedenkliche Affinitäten zu rassistischem Denken und diskriminierendem Handeln. Das aber drückt sich am deutlichsten und unmittelbarsten vor Ort im Zusammenleben der Menschen aus.