Einleitung
Wie kaum eine andere liberale Demokratie definiert sich die Bundesrepublik aus der Abgrenzung gegen eine totalitäre Vergangenheit und der entschiedenen Absage an jeden Rechtsextremismus. Wie viele andere solcher Demokratien ist aber auch Deutschland in Wellenbewegungen mit den unterschiedlichsten Erscheinungsformen eines solchen Extremismus konfrontiert. Die dazugehörigen Einstellungen - von Sympathien für autoritäre Strukturen bis hin zu antisemitischen und fremdenfeindlichen Tendenzen - reichen sogar bis in die Mitte der Gesellschaft hinein, wie alle entsprechenden Erhebungen der vergangenen Jahre relativ zuverlässig ergeben haben.
Doch nicht alles, was hier theoretisch denkbar ist, ist auch rechtlich und praktisch möglich. Vielmehr sind Hindernisse verschiedener Art zu beachten: Grenzen aus der Freiheit und Offenheit des politischen Prozesses, die Grundrechte, die auch für Rechtsextremisten gelten, Gesichtspunkte der Praktikabilität und Angemessenheit. Nicht zuletzt muss in einer liberalen Ordnung jedes Einschreiten abgewogen werden gegen die Einschränkungen an Liberalität, die mit ihm verbunden sind. Vor diesem Hintergrund lohnt ein Überblick über das, was rechtlich möglich ist, was bereits getan wird und was in Zukunft noch getan werden könnte oder vielleicht zu tun wäre.
Parteiverbot
Derzeit richten sich die größten Hoffnungen auf ein Verbot der NPD, als seien die Probleme im Wesentlichen gelöst, wenn diese nur erst aus dem Weg geräumt wäre. Das deckt sich mit dem Selbstbild der NPD, die sich als die Speerspitze der deutschen Rechten sieht. Tatsächlich greift sie ein gutes Viertel der Mitglieder der Szene ab, sie ist in zwei Landtagen vertreten, in einigen Landstrichen Ostdeutschlands sind ihre organisatorischen Strukturen denen der Volksparteien schon überlegen.
Über den Wortlaut des Art. 21 Abs. 2 GG hinaus setzt ein Verbot jedenfalls eine "aktiv kämpferische, aggressive Haltung" der Partei gegenüber der bestehenden Ordnung voraus, die unter anderem zu belegen wäre durch eine Gesamtbetrachtung von offiziellem Parteiprogramm, sonstigen parteiamtlichen Erklärungen, Reden von Funktionären und einfachen Mitgliedern, verwendetem Schulungs- und Propagandamaterial, Schriften der als maßgebend angesehenen Autoren, Verhalten einzelner Mitglieder sowie Einstellungen der Basis.
Eine erfolgversprechende Prozessstrategie würde angesichts dessen wesentlich darauf setzen müssen, eine Verbindung der NPD zum Rechtsterrorismus oder anderen gewaltbereiten Teilen der Szene zu belegen. Dafür wird es aber nicht ausreichen, dass ein oder zwei Helfershelfer der "Zwickauer Zelle" früher einmal Mitglieder oder auch Funktionäre der NPD oder ihrer Jugendorganisationen waren, zumal die Verbrechen selbst lange zurückliegen. Stattdessen käme es auf eine programmatische, strukturelle oder organisatorische Verzahnung an; zumindest müsste nachgewiesen werden, dass die NPD das Klima für politisch motivierte Gewalt vorbereitet hat, mit ihr stillschweigend sympathisiert oder sie hinnimmt. Das erforderte allerdings eine Ausforschung des Innenlebens der Partei, also etwa nachrichtendienstliche Kontakte zu führenden Parteimitgliedern oder auch ihre Rekrutierung als sogenannte Verbindungsleute (V-Leute). Gerade dem hat das BVerfG - genauer gesagt eine relevante Sperrminorität von drei Richtern - im bislang letzten und ebenfalls gegen die NPD gerichteten Parteiverbotsverfahren 2003 jedoch einen Riegel vorgeschoben. Danach müssen die Verfassungsschutzämter rechtzeitig vor Einleitung des Verbotsverfahrens - spätestens mit der öffentlichen Bekanntmachung der Absicht, den Antrag zu stellen - und während des gesamten Verfahrens eingeschleuste V-Leute zurückziehen und auf jede mit weiterer Informationsgewinnung verbundene "Nachsorge" verzichten.
Die antragsberechtigten Organe stürzt dies in ein kaum lösbares Dilemma: Damit der Antrag hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, muss man die Partei ausforschen; forscht man sie aber aus, könnten die Anforderungen verfehlt werden, die das BVerfG an ein rechtsstaatsgemäßes Verfahren stellt.
Vereinsverbote und Grundrechtsverwirkung
Das Grundgesetz selbst hält allerdings, was in der gegenwärtigen Diskussion um ein neues Verbotsverfahren leicht übersehen wird, neben dem Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 noch zwei weitere Instrumente vor, mit denen ein Angriff auf ihre eigene Substanz abgewehrt werden soll. Dies sind die Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 und das "normale" Vereinsverbot nach Art. 9 Abs. 2, die ebenso wie das Parteiverbot auf eine generelle Aberkennung der politischen Beteiligungsrechte für die je von ihnen betroffenen Personen bzw. Gruppierungen zielen. Zusammen werden diese Instrumente meist als Ausdruck einer Grundentscheidung für die wehrhafte, streitbare oder militante Demokratie gelesen, mit der man sich bei Schaffung des Grundgesetzes gegen das Wiedererstarken eines politischen Extremismus hinreichend gewappnet glaubte.
Von ihnen hat sich allerdings die Grundrechtsverwirkung als so ineffektiv erwiesen, dass sie in der heutigen Diskussion zu Recht keine Rolle spielt: Ausgesprochen werden kann sie nur durch das BVerfG, und dieses hat die wenigen Anträge, die es in dieser Richtung bislang gab - darunter einen gegen den langjährigen DVU-Vorsitzenden und Herausgeber der "Deutschen Nationalzeitung", Gerhard Frey -, mit zunehmendem Unwillen zurückgewiesen.
Eine ungleich wirksamere Waffe stellt angesichts dessen eben doch das Parteiverbot dar, und zwar sowohl vom verfassungsrechtlichen Zuschnitt als auch von den praktischen Konsequenzen her. Mit den Parteien zielt es gerade auf die Organisationen, die sich von allen anderen dadurch unterscheiden, dass ihnen eine privilegierte Stellung im Staat eingeräumt wird. Von den möglichen Verbotswirkungen her muss man sehen, dass die Parteien innerhalb der rechtsextremen Szene die mit Abstand größte Zahl an Mitgliedern aufweisen und über das größte strategische Potenzial verfügen. Man kann deshalb ohne Übertreibung sagen, dass das Grundgesetz selbst das Parteiverbot als das Hauptinstrument gegen den politischen Extremismus konzipiert. Gerade dessen Einsatz ist aber heute hochgradig riskant geworden.
Beschränkung des Wahlkampfs und Austrocknung der Finanzquellen
Der weitgehende Ausfall des Hauptinstruments wirft eine Reihe von Folgeproblemen auf, über deren inneren Zusammenhang nicht immer die notwendige Klarheit herrscht. Einerseits steigt mit diesem Ausfall der Bedarf an alternativen Formen und Strategien der Bekämpfung, die unterhalb seiner Schwelle liegen. Andererseits ist der Rückgriff auf sie dadurch versperrt, dass der Katalog der verfassungsrechtlichen Instrumente ganz überwiegend als abschließend angesehen und davon ausgegangen wird, dass sich die Grundentscheidung für die wehrhafte Demokratie darin verbraucht hat. Insbesondere der Vorschrift des Art. 21 Abs. 2 GG wird insoweit eine oft als "Parteienprivileg" bezeichnete Schutzwirkung zugunsten der Parteien entnommen, die aus der Monopolisierung der Verbotskompetenz beim BVerfG resultiert.
Als Grenze der Wahlwerbung kommen jedoch in allen Fällen nur die allgemeinen Strafgesetze und hier vor allem der Tatbestand der Volksverhetzung (Paragraf 130 Strafgesetzbuch, StGB) in Betracht, die - zurückhaltend formuliert - von den Gerichten sehr unterschiedlich ausgelegt werden.
Dasselbe gilt im Ergebnis für die Idee, den Rechtsextremismus dadurch einzudämmen, dass man seinen größten Organisationen den Geldhahn zudreht. Derzeit erhalten vor allem die NPD und die DVU erhebliche Summen aus der staatlichen Parteienfinanzierung.
Einsatz des Strafrechts
Solange es an solchen in die Fläche wirkenden Instrumenten fehlt, wird die staatliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus notwendig punktuell und zunächst dort geführt, wo einzelne genau definierte Grenzen überschritten werden. Zu einem der Haupteinsatzgebiete hat sich dabei vor allem das Strafrecht entwickelt. Der jüngste Verfassungsschutzbericht verzeichnet für das Jahr 2010 insgesamt 15905 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund, von denen allerdings nur der kleinere Teil auf Gewaltdelikte (762 Fälle) oder Sachbeschädigungen (1335 Fälle) entfällt. Den mit Abstand größten Anteil machen die Propagandadelikte nach den StGB-Paragrafen 86 und 86a sowie andere Straftaten wie Volksverhetzung nach Paragraf 130 StGB aus (11384 bzw. 2279 Fälle).
Ein besonders markantes Zeichen in diese Richtung setzten die sukzessiven Verschärfungen des Volksverhetzungstatbestands aus Paragraf 130 StGB, der zunächst 1994 um das Verbot der Holocaust-Leugnung (Abs. 3) und 2005 um das Verbot der Verherrlichung, Billigung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (Abs. 4) ergänzt wurde, nachdem er bereits 1960 auf die Erfassung antisemitischer und nazistischer Vorfälle zugeschnitten worden war.
Allerdings sind die Reichweite und Folgen dieser Weichenstellung nicht hinreichend klar, und zwar nicht einmal für die spezielle Vorschrift des Paragrafen 130 Abs. 4 StGB, für die sie formuliert war. Das BVerfG konterkariert sie vielmehr durch eine restriktive Auslegung dieser Vorschrift, die dann ihrerseits in deren Anwendung auf den konkreten Fall nicht durchgehalten wird. Der öffentliche Frieden soll danach nicht schon durch die "Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen" gefährdet sein, selbst wenn diese "auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind", sondern erst dort, wo der "Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch" markiert wird.
Beschränkungen der Versammlungsfreiheit
Die sich daraus ergebenden Irritationen und Unklarheiten wirken sich auch auf den Umgang mit den Versammlungen Rechtsextremer aus. Im Schnitt wird an jedem zweiten Tag irgendwo in Deutschland eine solche Versammlung abgehalten, davon etwa die Hälfte von der NPD und ihrer Jugendorganisation.
Bezogen auf die Gesamtzahl sind damit aber offenbar nur solche Kundgebungen erfasst, die in dieser oder jener Weise an einen einzelnen neuralgischen Punkt rühren. Der Lackmustest liegt deshalb auch hier in der Frage, ob gegen rechtsextreme Veranstaltungen schon deshalb vorgegangen werden kann, weil mit ihnen überhaupt ein gegen zentrale Wertentscheidungen der Verfassung gerichteter Inhalt transportiert werden soll. Dies wird bis heute vom BVerfG verneint. Die Grenzen dessen, was in einer liberalen Ordnung zulässigerweise gesagt und verkündet werden darf, sind danach abschließend durch das Strafrecht markiert: Im Übrigen aber, so das Gericht, seien die Bürger rechtlich nicht gehalten, die Wertsetzungen des Grundgesetzes persönlich zu teilen; im Gegenteil seien sie frei, auch grundlegende Wertungen infrage zu stellen, solange sie dadurch nur Rechtsgüter anderer nicht gefährdeten.
Vorsorgender Verfassungsschutz
Maßnahmen wie diese bewegen sich allerdings offensichtlich bereits in einem unklaren Zwischenreich zwischen Legalität und Dubiosität. Zumindest zu einem Teil dürfte dies auch für die vielfältigen Aktivitäten der Verfassungsschutzämter gelten, die sich unter dem Oberbegriff eines vorsorgenden Verfassungsschutzes zusammenfassen lassen: im Sinne eines Frühwarnsystems, das die gesamte Szene unter eine Art Dauerbeobachtung stellt, diese möglicherweise aber auch zu lenken und zu beeinflussen versucht. Die Palette ist weit gefächert und reicht von der systematischen Erfassung und Auswertung allgemein zugänglicher Informationen über das Angebot von Aussteigerprogrammen bis hin zur gezielten Ausforschung einzelner Gruppierungen mit Hilfe nachrichtendienstlicher Mittel. Die Ergebnisse werden der Öffentlichkeit anschließend in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder präsentiert, die in der Sache zugleich den Charakter amtlicher Warnungen haben.
Geht es um eine bislang nicht verbotene politische Partei wie die NPD oder die DVU, ist allerdings nicht ganz klar, wie das mit dem Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 GG zusammengeht, das an sich jeder aktiven Bekämpfung dieser Partei entgegensteht.
Schluss
Abgerundet werden all diese Maßnahmen schließlich durch die irgendwo zwischen Aufklärung und Sozialpädagogik angesiedelten Aktionsprogramme, mit denen Bund und Länder an die Schulen gehen, Internetplattformen einrichten oder zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus unterstützen.