Einleitung
Die Enthüllungen über das mörderische Treiben des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) haben die Forderung nach dem NPD-Verbot erneut auf die politische Tagesordnung gebracht. Zwar hat sich die Partei eilends von "den abstoßenden Taten des Kriminellen-Trios" distanziert und erklärt, "dass sie Terrorismus und Gewalt jedweder politischer Richtung ablehnt und aufs Schärfste verurteilt".
Ist es mithin angesichts der deutschen Vergangenheit nicht ein dringendes Gebot politischer Hygiene, die NPD mittels Verbot aus dem politischen Prozess auszuschließen? Wollen wir etwa "in einem Land mit braunen Flecken leben"?
Parteiverbot als Instrument der "streitbaren Demokratie"
Parteiverbote sind kein selbstverständlicher Bestandteil des Demokratieschutzes - wie etwa die alten Verfassungsstaaten Großbritannien und USA zeigen, die ein solches Instrument nicht kennen.
Anders als das Vereinigungsverbot (Art. 9 Abs. 2) ist das Parteiverbot jedoch kein einfach zu handhabendes Instrument der Exekutive. Wegen der elementaren Bedeutung des Parteienpluralismus für das Funktionieren eines demokratischen politischen Prozesses kann es nur von der höchsten Instanz der Judikative, dem Bundesverfassungsgericht, ausgesprochen werden. Dies ist in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nur zweimal erfolgt: 1952 gegen die rechtsextremistische Sozialistische Reichspartei (SRP) und 1956 gegen die linksextremistische Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Allerdings tat sich das Gericht im Falle der (an Ost-Berlin und Moskau orientierten) KPD schwerer als in dem der (am Nationalsozialismus orientierten) SRP. Im KPD-Urteil wurde daher betont, eine Partei sei "nicht schon dann verfassungswidrig", wenn sie die "obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkennt, sie ablehnt, ihnen andere entgegensetzt. Es muss vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen; sie muss planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen."
Diese hohe Hürde trug dazu bei, dass Parteiverbote zwar öfters öffentlich gefordert, aber selten in die Tat umzusetzen versucht wurden, zumal sich das "Weimar-Trauma" im Zuge des Konsolidierungsprozesses der Bundesrepublik Deutschland allmählich abschwächte. Die NPD war schon in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre nach einer Serie von Wahlerfolgen auf Landesebene Gegenstand einer erregt geführten Verbotsdiskussion.
Argumente der Verbotsgegner
Die Einstellung des NPD-Verbotsverfahrens im Jahr 2003 bedeutete Wasser auf die Mühlen derer, die seit Langem demokratische Fundamentalkritik am Konzept der "streitbaren Demokratie" üben.
Während Verbotsgegner wie Leggewie und Meier ein NPD-Verbot für illegitim erachten, solange die Partei nicht systematisch Gewalt als Mittel der Politik propagiert und praktiziert, machen Anhänger des Konzepts der "streitbaren Demokratie" die Frage der Legitimität eines NPD-Verbots nicht von deren Gewalttätigkeit abhängig. Das heißt aber keineswegs im Umkehrschluss, jene müssten ein NPD-Verbot unter allen Umständen befürworten. Denn ungeachtet der Frage der Legitimität und grundsätzlichen Rechtmäßigkeit eines Verbots (also der Annahme, die rechtlichen Voraussetzungen, insbesondere aggressive Verfassungsfeindlichkeit, seien nach Lage der Dinge erfüllt) gilt es, Gesichtspunkte der Liberalität, Praktikabilität und Zweckmäßigkeit zu beachten. So weist Eckhard Jesse als prinzipieller Anhänger der "streitbaren Demokratie" darauf hin, dass ein erneuter NPD-Verbotsantrag nur dann Aussicht auf Erfolg hätte, sofern eine vorherige "Abschaltung" der V-Leute in den Führungsgremien der Partei erfolge. Aber auch wenn dies geschehe, erscheine die Zweckmäßigkeit eines NPD-Verbots mehr als zweifelhaft. Zum einen sei die Partei - und in diesem Punkt teilt Jesse die Einschätzung Horst Meiers - keine wirkliche Gefahr für die konsolidierte deutsche Demokratie. Zum anderen würden mit dem Verbot die Ziele nicht erreicht, die sich die Verbotsbefürworter erhofften: Es sei aller Wahrscheinlichkeit nach kein wirksamer Beitrag zur Bekämpfung politischer Gewalt, da von der Verstrickung einzelner Mitglieder in militante Szenen und Gewalttaten nicht auf das Gesamtverhalten der Partei und ihrer Führungen geschlossen werden könne; man müsse als Folge eines Verbots mit einer flexiblen Reorganisation des rechtsextremen Lagers und dem Auftreten "weicherer" und womöglich erfolgreicherer Parteien rechtsaußen rechnen; "auch unter dem Gesichtspunkt der Liberalität" würde sich die Zivilgesellschaft mit einem Verbot "ein Armutszeugnis" ausstellen.
In früheren Diskussionen haben Verbotsskeptiker auf ein Dilemma hingewiesen: Verbote bewirkten nicht viel, solange eine Organisation eher unbedeutend sei; sie würden hingegen unmöglich, wenn eine Organisation Massenresonanz erziele.
Die mehr als 30 Vereinigungsverbote meist NS-affiner Gruppierungen in den Jahren 1992 bis 2010 (auf Bundes- und Landesebene) nähren die Verbotsskepsis: Die erhoffte dauerhafte Verunsicherung und Schwächung militanter rechtsextremer Szenen blieb aus. Stattdessen stieg deren Personenpotenzial nach Angaben der Verfassungsschutzbehörden beinahe kontinuierlich an: von 6300 Aktiven 1991 auf knapp 14000 im Jahr 2010 (mit geringfügigem Rückgang in den vergangenen Jahren).
Argumente der Verbotsbefürworter
Die Verbotsbefürworter argumentieren keineswegs alle auf der Grundlage des Konzepts der "streitbaren Demokratie", halten ein NPD-Verbot jedoch grundsätzlich für demokratietheoretisch legitim. Die Anhänger der "streitbaren Demokratie" verweisen gegenüber den Kritikern des Parteiverbots auf die normativen Grenzen von Freiheit und Toleranz, wenn diese für illiberale und intolerante Zwecke missbraucht würden.
So gesehen entspricht es dem Geist der Verfassung, gegen die NPD, deren Verfassungsfeindlichkeit keiner der professionellen Beobachter bestreitet, ein Verbotsverfahren einzuleiten. Gegen wen, wenn nicht gegen die NPD, solle das Parteiverbot überhaupt zur Anwendung gelangen, wird gefragt. So äußerte Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sein Unverständnis darüber, dass "in einer demokratischen Parteienlandschaft eine antidemokratische Partei agieren und mitentscheiden" könne. Bei der NPD handele es sich um eine "politische Kampftruppe, die sich frontal gegen die moralischen und sozialen Werte dieses Landes stellt. Sie bildet ein faschistisches Netzwerk von Menschenhassern, das seine antisemitische und rassistische Propaganda sogar noch mit Steuergeld finanzieren kann." Im Berliner Wahlkampf 2011 habe sie ihre Perfidie auf die Spitze getrieben, als sie mit dem Slogan "Gas geben" "in der Nähe des Denkmals für die ermordeten Juden Europas oder des Jüdischen Museums" plakatierte, "um zu zeigen, wem das gilt". Das "politische Flaggschiff der Rechtsterroristen" müsse "politisch und juristisch versenkt werden und darf niemals wieder auftauchen".
Verbotsbefürworter beurteilen die Erfolgschancen eines neuerlichen Verbotsantrages optimistisch. Das erste Verfahren sei schließlich nicht aufgrund inhaltlicher Bewertungen, sondern aus verfahrenstechnischen Gründen gescheitert. Zudem sei die prozessuale Problematik lösbar. Das Argument der Verbotsskeptiker, das "Abschalten" der V-Leute in den Führungsgremien der Partei beraube die Antragsteller einer höchst bedeutsamen Erkenntnisquelle, werde schon dadurch widerlegt, dass die "gut platzierten V-Leute in den vergangenen zwei Jahrzehnten innerhalb der NPD nichts Außergewöhnliches aufgedeckt haben".
Die Verbotsbefürworter beurteilen auch die Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit eines NPD-Verbotes zuversichtlich. Die Erfahrungen aus dem ersten Verbotsverfahren gäben keinerlei Anlass zu der Befürchtung, die NPD-Aktivisten würden nach einem Verbot in den Untergrund gehen und terroristische Zellen bilden. In einer "Märtyrerrolle" sähen sich Rechtsextremisten ohnehin; daran werde auch ein Verbot nichts ändern. Ihre Attraktivität werde dadurch wohl kaum zunehmen: "Denn die große Mehrheit der Gesellschaft steht jeder Form des politischen Märtyrertums skeptisch gegenüber."
Bilanz
In der wissenschaftlichen und publizistischen Debatte um das NPD-Verbot ist keine Rechts-Links-Frontenbildung festzustellen. Es gibt konservative Verbotsbefürworter und linke Verbotsgegner. Gleiches gilt für den Parteienstreit, zumal sich konservative Anhänger eines "starken Staates" ungern von linken Kritikern nachsagen lassen, sie ließen es an Wachsamkeit gegenüber dem Rechtsextremismus fehlen. Die Forderung nach einem NPD-Verbot hat aus diesem Grund, mehr aber noch wegen der Last der Vergangenheit, eine starke symbolische Dimension, die nicht generell als wohlfeil-nutzloses Mittel politischer Selbstdarstellung abgetan werden sollte.
Ob Wissenschaftler, Publizisten oder Politiker zur Verbotsskepsis oder zur Verbotsbefürwortung neigen, hängt unabhängig von ihrer politischen Tendenz von einer Reihe von Faktoren ab. Die Zugehörigkeit zu demokratietheoretischen Schulen spielt dabei eine wichtige Rolle: Wird Demokratie eher als ein "freier Marktplatz politischer Meinungen" begriffen oder eher als eine unveräußerlichen Werten verbundene politische Ordnung? Ebenso bedeutsam erscheint, welches Demokratieschutzkonzept favorisiert wird
Dazu in schroffem Gegensatz steht das Urteil von Holger Hövelmann und Martin Krems, die eine konsequente Umsetzung der "wehrhaften Demokratie" fordern und einen Abschnitt ihrer Analyse mit der Überschrift versehen: "Die NPD ist eine reale Gefahr für die Demokratie." Seit der Einstellung des ersten Verbotsverfahrens habe die NPD an Boden gewonnen, und im Zeichen der Wirtschaftskrise bestehe die akute Gefahr, "dass Menschen ihre Hoffnungen auf autoritäre, demokratiefeindliche Scheinlösungen richten".
Verbotsskeptiker verweisen in jüngster Zeit vermehrt auf das Risiko des Scheiterns am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit eines NPD-Verbots (nach dem Ausmaß der Gefährdung der freiheitlichen Ordnung) erhebliches Gewicht beimessen dürfte. Sie werden sich aber im Falle eines erneuten - und diesmal erfolgreichen - NPD-Verbotsverfahrens damit trösten, dass es sich bei der NPD um diejenige Partei in Deutschland handelt, für die das "schärfste Schwert" der "streitbaren Demokratie" am ehesten bestimmt scheint. Sie werden weiterhin unermüdlich die Anwendung der präventiven Instrumente im Umgang mit politischem Extremismus einfordern, die einer offenen Gesellschaft am angemessensten sind: geistig-politische Auseinandersetzung, politische Bildung und Erziehung, Förderung von Liberalität, Weltoffenheit, Toleranz und Demokratie. Und die meisten Verbotsbefürworter sind keine Illusionisten; sie wissen, dass die Arbeit nach einem erfolgreichen NPD-Verbot erst beginnt und die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus (wie auch mit allen anderen antikonstitutionellen und antidemokratischen Bestrebungen) nach aller Erfahrung eine Daueraufgabe bleibt.