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NPD-Verbot: Pro und Contra | Rechtsextremismus | bpb.de

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NPD-Verbot: Pro und Contra

Uwe Backes

/ 16 Minuten zu lesen

In der wissenschaftlichen und publizistischen Debatte um das NPD-Verbot ist keine Rechts-Links-Frontenbildung festzustellen. Sowohl Befürworter als auch Skeptiker eines erneuten Verbotsverfahrens haben nachvollziehbare Argumente.

Einleitung

Die Enthüllungen über das mörderische Treiben des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) haben die Forderung nach dem NPD-Verbot erneut auf die politische Tagesordnung gebracht. Zwar hat sich die Partei eilends von "den abstoßenden Taten des Kriminellen-Trios" distanziert und erklärt, "dass sie Terrorismus und Gewalt jedweder politischer Richtung ablehnt und aufs Schärfste verurteilt". Aber wie schon bei vielen früheren Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund fehlte es auch im Fall der "Zwickauer Terrorzelle" nicht an Spuren, die vom militanten Milieu in die Partei führen. Am 29. November 2011 wurde der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben in Jena unter dem Verdacht festgenommen, die Gruppe von Ende der 1990er Jahre an finanziell unterstützt und ihr eine Schusswaffe mit Munition beschafft zu haben. Ab 1999 war er mit Unterbrechungen Mitglied des thüringischen NPD-Landesvorstandes. Solche Verbindungen sind kein Zufall, hat sich die NPD doch seit 1996 für Aktivisten aus NS-affinen "Kameradschaften", "Freien Kräften" und subkulturellen Gruppierungen (Skinheads, Hooligans) geöffnet, sie für Demonstrationen und Wahlkampfeinsätze eingespannt und bis in die Vorstandsebene hinein integriert. Ihr symbiotisches Verhältnis zu militanten Szenen und ihre geistige Nähe zum historischen Nationalsozialismus unterscheiden die NPD im europäischen Vergleich von den meisten der bei Wahlen erfolgreichen Formationen am rechten Rand des politischen Spektrums.

Ist es mithin angesichts der deutschen Vergangenheit nicht ein dringendes Gebot politischer Hygiene, die NPD mittels Verbot aus dem politischen Prozess auszuschließen? Wollen wir etwa "in einem Land mit braunen Flecken leben"? Oder wäre ein NPD-Verbot kaum mehr als eine billige "Ersatzhandlung", mit der angesichts rechtsextremistischer Mordtaten einem emotionalen Bedürfnis nachgegeben wird, "etwas zu tun, ein Zeichen zu setzen", ohne die Folgen kühl kalkulierend abzuwägen? Besteht die Gefahr, dass der demokratische Staat mit einem erneuten NPD-Verbotsantrag in eine "unsägliche Falle" tappt, weil die Erfolgsaussichten zuvor nicht hinreichend geprüft werden? Unter welchen Voraussetzungen kann ein NPD-Verbot überhaupt Erfolg haben? Welche Wirkungen wären von ihm zu erwarten? Welche Chancen, welche Risiken sind damit verbunden? Antworten auf diese Fragen sucht der folgende Beitrag zu geben, indem er zunächst eine Informationsgrundlage zum Instrument des Parteiverbots schafft. Anschließend werden die Argumente der Verbotsskeptiker wie der Verbotsbefürworter einander gegenübergestellt, um zu einer bilanzierenden Einordnung der komplexen Problematik zu gelangen.

Parteiverbot als Instrument der "streitbaren Demokratie"

Parteiverbote sind kein selbstverständlicher Bestandteil des Demokratieschutzes - wie etwa die alten Verfassungsstaaten Großbritannien und USA zeigen, die ein solches Instrument nicht kennen. Umgekehrt suchen Diktatoren ihre Herrschaft nicht selten mit Parteiverboten zu stabilisieren. Wenn die Väter und (wenigen) Mütter des Grundgesetzes ein Parteiverbot in der Verfassung verankerten, so stand ihnen nicht das Sozialistengesetz des Kaiserreiches (Verbot sozialistischer/sozialdemokratischer Organisationen unter Bismarck) vor Augen, sondern der Untergang der Weimarer Republik, die sich nach verbreiteter Lesart nur halbherzig gegen ihre Feinde zur Wehr gesetzt hatte. Mit dem Konzept der "streitbaren" oder "wehrhaften Demokratie" nahm der Parlamentarische Rat Forderungen aus dem demokratischen Widerstand und Exil auf, die darauf zielten, die neue deutsche Demokratie gegen Extremismus resistent zu machen und einen erneuten autokratischen Rückfall zu verhindern. Die Betonung der Wertebasis des Grundgesetzes, der Menschenwürde (Art. 1), und des damit verbundenen institutionellen Kerngehalts (Art. 20; Art. 79 Abs. 3) fand ihre Entsprechung in Abwehrinstrumenten wie dem Parteiverbot (Art. 21 Abs. 2), die nicht erst wirksam werden sollten, wenn der Versuch eines gewaltsamen Umsturzes unternommen würde. Stattdessen war daran gedacht, extremistischen Bestrebungen bereits dann entschieden entgegenzutreten, wenn diese sich der von den Nationalsozialisten praktizierten "Legalitätstaktik" bedienten, also den Versuch unternähmen, die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln (Wahlen, Parlamente) zu schlagen, Gewaltenkontrolle, Pluralismus, Minderheitenschutz und Freiheitsrechte außer Kraft zu setzen.

Anders als das Vereinigungsverbot (Art. 9 Abs. 2) ist das Parteiverbot jedoch kein einfach zu handhabendes Instrument der Exekutive. Wegen der elementaren Bedeutung des Parteienpluralismus für das Funktionieren eines demokratischen politischen Prozesses kann es nur von der höchsten Instanz der Judikative, dem Bundesverfassungsgericht, ausgesprochen werden. Dies ist in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nur zweimal erfolgt: 1952 gegen die rechtsextremistische Sozialistische Reichspartei (SRP) und 1956 gegen die linksextremistische Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Allerdings tat sich das Gericht im Falle der (an Ost-Berlin und Moskau orientierten) KPD schwerer als in dem der (am Nationalsozialismus orientierten) SRP. Im KPD-Urteil wurde daher betont, eine Partei sei "nicht schon dann verfassungswidrig", wenn sie die "obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkennt, sie ablehnt, ihnen andere entgegensetzt. Es muss vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen; sie muss planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen."

Diese hohe Hürde trug dazu bei, dass Parteiverbote zwar öfters öffentlich gefordert, aber selten in die Tat umzusetzen versucht wurden, zumal sich das "Weimar-Trauma" im Zuge des Konsolidierungsprozesses der Bundesrepublik Deutschland allmählich abschwächte. Die NPD war schon in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre nach einer Serie von Wahlerfolgen auf Landesebene Gegenstand einer erregt geführten Verbotsdiskussion. Die Chancen, ein Verbot durchzusetzen, waren jedoch gering, da die besitzbürgerlichen und deutschnationalen Elemente der Partei Adolf von Thaddens dominierten, so schwer die Vorbehalte gegenüber ihrer Verfassungstreue auch wogen. Die ideologisch wie strategisch weiter radikalisierte NPD der zweiten Hälfte der 1990er Jahre bot demgegenüber ein anderes Bild, sodass die Partei im 2001 eingeleiteten Verfahren wohl verboten worden wäre, hätten drei der sieben zuständigen Verfassungsrichter aufgrund der V-Mann-Problematik (Präsenz zahlreicher Informanten des Verfassungsschutzes in NPD-Vorständen; Nutzung der Aussagen von Informanten zum Nachweis der Verfassungswidrigkeit der Partei in den Verbotsanträgen) nicht letztlich unüberwindbare Schwierigkeiten für die Gewährleistung eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens gesehen. So wird ein neues Verfahren nur dann erfolgreich geführt werden können, wenn jeglicher Verdacht der unzulässigen staatlichen Beeinflussung der Parteileitungen entkräftet ist.

Argumente der Verbotsgegner

Die Einstellung des NPD-Verbotsverfahrens im Jahr 2003 bedeutete Wasser auf die Mühlen derer, die seit Langem demokratische Fundamentalkritik am Konzept der "streitbaren Demokratie" üben. Für nicht wenige Juristen und Sozialwissenschaftler ist das Parteiverbot ein "autoritärer Systembruch": "Eine Verfassung, die nicht erst die Anwendung politisch motivierter Gewalt sanktioniert, also das 'Verhalten' der Parteianhänger, sondern auch schon die Propagierung verfassungsfeindlicher 'Ziele', also Gesinnungen - eine solche Verfassung ist keine voll demokratische." Konsequenterweise hat Horst Meier, von dem dieses Zitat stammt, gemeinsam mit Claus Leggewie lange vor dem 2003 abgebrochenen Verbotsverfahren dafür plädiert, zum Republikschutz der Weimarer Republik zurückzukehren. Der "vielgescholtene Relativismus der Weimarer Reichsverfassung" sei nämlich durchaus die "angemessene Regelung der politischen Auseinandersetzung". Er fordere die "friedliche Form des politischen Kampfes, ohne den Spielraum für dessen Inhalte einzuengen". Die Vorverlagerung des Verfassungsschutzes in den Bereich nicht-gewaltförmigen Handelns beeinträchtige das vom Katalog verbürgter Grundrechte abzuleitende Gebot der Chancengleichheit für alle politischen Kräfte, behindere den freien Austausch der Meinungen und Ideen und leiste der Entstehung von Duckmäusertum Vorschub.

Während Verbotsgegner wie Leggewie und Meier ein NPD-Verbot für illegitim erachten, solange die Partei nicht systematisch Gewalt als Mittel der Politik propagiert und praktiziert, machen Anhänger des Konzepts der "streitbaren Demokratie" die Frage der Legitimität eines NPD-Verbots nicht von deren Gewalttätigkeit abhängig. Das heißt aber keineswegs im Umkehrschluss, jene müssten ein NPD-Verbot unter allen Umständen befürworten. Denn ungeachtet der Frage der Legitimität und grundsätzlichen Rechtmäßigkeit eines Verbots (also der Annahme, die rechtlichen Voraussetzungen, insbesondere aggressive Verfassungsfeindlichkeit, seien nach Lage der Dinge erfüllt) gilt es, Gesichtspunkte der Liberalität, Praktikabilität und Zweckmäßigkeit zu beachten. So weist Eckhard Jesse als prinzipieller Anhänger der "streitbaren Demokratie" darauf hin, dass ein erneuter NPD-Verbotsantrag nur dann Aussicht auf Erfolg hätte, sofern eine vorherige "Abschaltung" der V-Leute in den Führungsgremien der Partei erfolge. Aber auch wenn dies geschehe, erscheine die Zweckmäßigkeit eines NPD-Verbots mehr als zweifelhaft. Zum einen sei die Partei - und in diesem Punkt teilt Jesse die Einschätzung Horst Meiers - keine wirkliche Gefahr für die konsolidierte deutsche Demokratie. Zum anderen würden mit dem Verbot die Ziele nicht erreicht, die sich die Verbotsbefürworter erhofften: Es sei aller Wahrscheinlichkeit nach kein wirksamer Beitrag zur Bekämpfung politischer Gewalt, da von der Verstrickung einzelner Mitglieder in militante Szenen und Gewalttaten nicht auf das Gesamtverhalten der Partei und ihrer Führungen geschlossen werden könne; man müsse als Folge eines Verbots mit einer flexiblen Reorganisation des rechtsextremen Lagers und dem Auftreten "weicherer" und womöglich erfolgreicherer Parteien rechtsaußen rechnen; "auch unter dem Gesichtspunkt der Liberalität" würde sich die Zivilgesellschaft mit einem Verbot "ein Armutszeugnis" ausstellen.

In früheren Diskussionen haben Verbotsskeptiker auf ein Dilemma hingewiesen: Verbote bewirkten nicht viel, solange eine Organisation eher unbedeutend sei; sie würden hingegen unmöglich, wenn eine Organisation Massenresonanz erziele. In der französischen Debatte um den möglichen Nutzen eines Verbots des Front National ist ein in deutschen Diskussionen nicht unbekanntes Argument vorgebracht worden: Ein Parteiverbot laufe darauf hinaus, das Thermometer zu zerbrechen, ohne das Fieber zu senken. Denn Erfolge extremistischer Parteien dienten als Indikator für Problemlagen, die von den "Etablierten" vernachlässigt worden seien. Mit dem Verbot aber würden weder die Probleme noch das Anhänger- und Einstellungspotenzial beseitigt. Verbote könnten darüber hinaus unerwünschte Folgen nach sich ziehen: Sie erhöhten die Attraktivität gewaltsamer Handlungsoptionen. Die Anhänger einer verbotenen Partei fühlten sich als Märtyrer, gingen womöglich in den Untergrund, bedienten sich konspirativer Techniken und ließen sich dann von den Sicherheitsbehörden schwerer beobachten und kontrollieren als zuvor.

Die mehr als 30 Vereinigungsverbote meist NS-affiner Gruppierungen in den Jahren 1992 bis 2010 (auf Bundes- und Landesebene) nähren die Verbotsskepsis: Die erhoffte dauerhafte Verunsicherung und Schwächung militanter rechtsextremer Szenen blieb aus. Stattdessen stieg deren Personenpotenzial nach Angaben der Verfassungsschutzbehörden beinahe kontinuierlich an: von 6300 Aktiven 1991 auf knapp 14000 im Jahr 2010 (mit geringfügigem Rückgang in den vergangenen Jahren). Die Vereinigungsverbote bewirkten in der Szene "eine ungeheure organisatorische Flexibilität". Zudem wurde die NPD als organisatorisches Auffangbecken nun erst "wirklich attraktiv", "was aber keineswegs dazu führte, dass die Kameradschaften verschwunden wären: Wer meint, ein NPD-Verbot würde dies bewirken, hat sich schon jetzt getäuscht". Immerhin lässt sich zumindest nicht pauschal behaupten, durch die Vereinigungsverbote seien Radikalisierungsprozesse in Richtung Rechtsterrorismus begünstigt worden, zumal organisiertes, planhaftes Gewalthandeln aus dem Untergrund (wie im Falle der NSU) bislang eher selten auftrat.

Argumente der Verbotsbefürworter

Die Verbotsbefürworter argumentieren keineswegs alle auf der Grundlage des Konzepts der "streitbaren Demokratie", halten ein NPD-Verbot jedoch grundsätzlich für demokratietheoretisch legitim. Die Anhänger der "streitbaren Demokratie" verweisen gegenüber den Kritikern des Parteiverbots auf die normativen Grenzen von Freiheit und Toleranz, wenn diese für illiberale und intolerante Zwecke missbraucht würden. Das Kriterium der Anwendung von Gewalt muss dafür nicht erfüllt sein. Die "Vorverlagerung" des Demokratieschutzes in den Bereich nicht-gewaltsamen, aber aggressiv-verfassungsfeindlichen Handelns ist aus dieser Sicht die Schlussfolgerung aus der bitteren Lektion, die den Anhängern des Weimarer Republikschutzes von Hitler, Goebbels & Co. mit der geschickten Ausnutzung der legalen Wege zur "Machtergreifung" erteilt worden war.

So gesehen entspricht es dem Geist der Verfassung, gegen die NPD, deren Verfassungsfeindlichkeit keiner der professionellen Beobachter bestreitet, ein Verbotsverfahren einzuleiten. Gegen wen, wenn nicht gegen die NPD, solle das Parteiverbot überhaupt zur Anwendung gelangen, wird gefragt. So äußerte Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sein Unverständnis darüber, dass "in einer demokratischen Parteienlandschaft eine antidemokratische Partei agieren und mitentscheiden" könne. Bei der NPD handele es sich um eine "politische Kampftruppe, die sich frontal gegen die moralischen und sozialen Werte dieses Landes stellt. Sie bildet ein faschistisches Netzwerk von Menschenhassern, das seine antisemitische und rassistische Propaganda sogar noch mit Steuergeld finanzieren kann." Im Berliner Wahlkampf 2011 habe sie ihre Perfidie auf die Spitze getrieben, als sie mit dem Slogan "Gas geben" "in der Nähe des Denkmals für die ermordeten Juden Europas oder des Jüdischen Museums" plakatierte, "um zu zeigen, wem das gilt". Das "politische Flaggschiff der Rechtsterroristen" müsse "politisch und juristisch versenkt werden und darf niemals wieder auftauchen".

Verbotsbefürworter beurteilen die Erfolgschancen eines neuerlichen Verbotsantrages optimistisch. Das erste Verfahren sei schließlich nicht aufgrund inhaltlicher Bewertungen, sondern aus verfahrenstechnischen Gründen gescheitert. Zudem sei die prozessuale Problematik lösbar. Das Argument der Verbotsskeptiker, das "Abschalten" der V-Leute in den Führungsgremien der Partei beraube die Antragsteller einer höchst bedeutsamen Erkenntnisquelle, werde schon dadurch widerlegt, dass die "gut platzierten V-Leute in den vergangenen zwei Jahrzehnten innerhalb der NPD nichts Außergewöhnliches aufgedeckt haben". Vielmehr lasse sich der verfassungsfeindliche Charakter der Partei durch das offen zugängliche Material zweifelsfrei belegen.

Die Verbotsbefürworter beurteilen auch die Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit eines NPD-Verbotes zuversichtlich. Die Erfahrungen aus dem ersten Verbotsverfahren gäben keinerlei Anlass zu der Befürchtung, die NPD-Aktivisten würden nach einem Verbot in den Untergrund gehen und terroristische Zellen bilden. In einer "Märtyrerrolle" sähen sich Rechtsextremisten ohnehin; daran werde auch ein Verbot nichts ändern. Ihre Attraktivität werde dadurch wohl kaum zunehmen: "Denn die große Mehrheit der Gesellschaft steht jeder Form des politischen Märtyrertums skeptisch gegenüber." Das Verbot werde sich daher kaum propagandistisch ausnutzen lassen. Die Risiken eines NPD-Verbots seien mithin gering. Umso gewichtiger wögen daher die zu erwartenden positiven Effekte: Mit dem NPD-Verbot verschwände ein "Flaggschiff des Rechtsextremismus", das "für die Neonazis die Stätte darstellt, an der sie Zuflucht finden und von der sie sich Zuwendungen erhoffen". Ein Verbot schwäche die "Infrastruktur des organisierten Rechtsextremismus in Deutschland auf Jahre hinaus erheblich". Es "würde nicht nur den Abgeordneten dieser Partei ihre Sitze in den Parlamenten nehmen, zur Auflösung der Parteistrukturen zwingen und zur Einstellung ihrer Publikationen führen. Die NPD würde auch den Anspruch auf staatliche Finanzierungsmittel verlieren. Zudem würde ein Verbot der Partei die Aufgabe des Staates erleichtern, gegen den gesamten Rechtsextremismus, seine öffentlichen Aktivitäten und seine Presse vorzugehen." Ein milderes Instrument - wie etwa der von den Innenministern der Länder zeitweilig diskutierte Ausschluss von der Parteienfinanzierung - stehe nicht zu Verfügung, da dieser als unzulässiger Eingriff in das Parteienprivileg zu bewerten sei.

Bilanz

In der wissenschaftlichen und publizistischen Debatte um das NPD-Verbot ist keine Rechts-Links-Frontenbildung festzustellen. Es gibt konservative Verbotsbefürworter und linke Verbotsgegner. Gleiches gilt für den Parteienstreit, zumal sich konservative Anhänger eines "starken Staates" ungern von linken Kritikern nachsagen lassen, sie ließen es an Wachsamkeit gegenüber dem Rechtsextremismus fehlen. Die Forderung nach einem NPD-Verbot hat aus diesem Grund, mehr aber noch wegen der Last der Vergangenheit, eine starke symbolische Dimension, die nicht generell als wohlfeil-nutzloses Mittel politischer Selbstdarstellung abgetan werden sollte.

Ob Wissenschaftler, Publizisten oder Politiker zur Verbotsskepsis oder zur Verbotsbefürwortung neigen, hängt unabhängig von ihrer politischen Tendenz von einer Reihe von Faktoren ab. Die Zugehörigkeit zu demokratietheoretischen Schulen spielt dabei eine wichtige Rolle: Wird Demokratie eher als ein "freier Marktplatz politischer Meinungen" begriffen oder eher als eine unveräußerlichen Werten verbundene politische Ordnung? Ebenso bedeutsam erscheint, welches Demokratieschutzkonzept favorisiert wird und wo bei der Beurteilung des Spannungsverhältnisses zwischen Freiheit und Sicherheit der Schwerpunkt bei der schwierigen Güterabwägung liegt: bei den individuellen Freiheitsrechten oder den Belangen öffentlicher Sicherheit? Auch die Einschätzung der von der NPD ausgehenden Gefährdung beeinflusst die Art der Beantwortung der Frage nach Legitimität, Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Praktikabilität eines NPD-Verbots. So hält etwa Horst Meier die Partei für "eine klägliche Ansammlung deutschtümelnder Rassisten, Antisemiten und politisch auch sonst ein wenig unterbelichteter Randexistenzen, die neben ihrer politischen Ohnmacht nunmehr auch in den finanziellen Ruin zu torkeln droht". Im Blick auf die "Stabilität der Bundesrepublik" sei sie "ungefährlich".

Dazu in schroffem Gegensatz steht das Urteil von Holger Hövelmann und Martin Krems, die eine konsequente Umsetzung der "wehrhaften Demokratie" fordern und einen Abschnitt ihrer Analyse mit der Überschrift versehen: "Die NPD ist eine reale Gefahr für die Demokratie." Seit der Einstellung des ersten Verbotsverfahrens habe die NPD an Boden gewonnen, und im Zeichen der Wirtschaftskrise bestehe die akute Gefahr, "dass Menschen ihre Hoffnungen auf autoritäre, demokratiefeindliche Scheinlösungen richten". Ein NPD-Verbot sei mithin längst überfällig.

Verbotsskeptiker verweisen in jüngster Zeit vermehrt auf das Risiko des Scheiterns am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit eines NPD-Verbots (nach dem Ausmaß der Gefährdung der freiheitlichen Ordnung) erhebliches Gewicht beimessen dürfte. Sie werden sich aber im Falle eines erneuten - und diesmal erfolgreichen - NPD-Verbotsverfahrens damit trösten, dass es sich bei der NPD um diejenige Partei in Deutschland handelt, für die das "schärfste Schwert" der "streitbaren Demokratie" am ehesten bestimmt scheint. Sie werden weiterhin unermüdlich die Anwendung der präventiven Instrumente im Umgang mit politischem Extremismus einfordern, die einer offenen Gesellschaft am angemessensten sind: geistig-politische Auseinandersetzung, politische Bildung und Erziehung, Förderung von Liberalität, Weltoffenheit, Toleranz und Demokratie. Und die meisten Verbotsbefürworter sind keine Illusionisten; sie wissen, dass die Arbeit nach einem erfolgreichen NPD-Verbot erst beginnt und die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus (wie auch mit allen anderen antikonstitutionellen und antidemokratischen Bestrebungen) nach aller Erfahrung eine Daueraufgabe bleibt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, NPD-Fraktion verurteilt jegliche Form des Terrorismus und fordert Aufklärung über geheimdienstliche Verstrickungen in Sachen "Döner-Morde", Meldung vom 14.11.2011.

  2. Vgl. Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes, Nr. 41/2011.

  3. Vgl. Porträt: Ex-NPD-Funktionär im Visier, in: Focus vom 29.11.2011.

  4. Vgl. Uwe Backes/Henrik Steglich (Hrsg.), Die NPD. Erfolgsbedingungen einer rechtsextremistischen Partei, Baden-Baden 2007; Marc Brandstetter, Die NPD im 21. Jahrhundert. Eine Analyse ihrer aktuellen Situation, ihrer Erfolgsbedingungen und -aussichten, Marburg 2006; Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) als Gravitationsfeld im Rechtsextremismus, Köln 2006; Uwe Hoffmann, Die NPD. Entwicklung, Ideologie und Struktur, Frankfurt/M. 1999; Richard Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, Berlin 2010.

  5. Vgl. Uwe Backes, The Unsuccessful Parties - Ideologies, Strategies, and Conditions of the Failure, in: ders./Patrick Moreau (eds.), The Extreme Right in Europe. Current Trends and Perspectives, Göttingen 2012, S. 149-169.

  6. Claus Christian Malzahn, Die NPD ist antidemokratisch und gehört verboten, in: Die Welt vom 16.11.2011.

  7. Thomas Schmid, Warum ein NPD-Verbot völlig untauglich wäre, in: Die Welt vom 16.11.2011.

  8. So der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, in einem Interview in: Die Welt vom 4.12.2011.

  9. Vgl. Gregor Paul Boventer, Grenzen politischer Freiheit im demokratischen Staat. Das Konzept der streitbaren Demokratie in einem internationalen Vergleich, Berlin 1985; Gregory H. Fox/Georg Nolte, Intolerant Democracies, in: Harvard International Law Journal, 36 (1995) 1, S. 1-70; Dan Gordon, Limits on Extremist Political Parties: A Comparison of Israeli Jurisprudence with that of the United States and West Germany, in: Hastings International and Comparative Law Review, 10 (1987), S. 347-400; Eckhard Jesse, Demokratieschutz, in: ders./Roland Sturm (Hrsg.), Demokratien des 21. Jahrhunderts im Vergleich. Historische Zugänge, Gegenwartsprobleme, Reformperspektiven, Opladen 2003, S. 451-476.

  10. Vgl. Friedrich Karl Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz. Die verfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur, Berlin 19993 (1960); Armin Scherb, Präventiver Demokratieschutz als Problem der Verfassungsgebung nach 1945, Frankfurt/M. 1987.

  11. Vgl. Jürgen Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, Heidelberg 1992, S. 309-359; Johannes Lameyer, Streitbare Demokratie. Eine verfassungshermeneutische Untersuchung, Berlin 1978; Andreas Sattler, Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die streitbare Demokratie. Untersucht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Baden-Baden 1982.

  12. BVerfGE 5, 85 (251); vgl. auch: Markus Sichert, Das Parteiverbot in der wehrhaften Demokratie, in: Die Öffentliche Verwaltung, 54 (2001) 16, S. 671-681.

  13. Vgl. Lars Flemming, Das NPD-Verbotsverfahren. Vom "Aufstand der Anständigen" zum "Aufstand der Unfähigen", Baden-Baden 2005, S. 88-94.

  14. Vgl. etwa Peter Dudek/Hans-Gerd Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Zur Tradition einer besonderen politischen Kultur, Bd. 1, Opladen 1984, S. 344-353.

  15. Für eine kritische Bewertung vgl. Theresia Anna Gelberg, Das Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG am Beispiel des NPD-Verbotsverfahrens, Osnabrück 2009. Vgl. auch: L. Flemming (Anm. 13); Martin H.W. Möllers/Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.), Parteiverbotsverfahren, Frankfurt/M. 20113; Christoph Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand. Die neue NPD als Herausforderung, Bonn 2009.

  16. Vgl. die meisten Beiträge in: Claus Leggewie/Horst Meier (Hrsg.), Verbot der NPD oder Mit Rechtsradikalen leben?, Frankfurt/M. 2002.

  17. Horst Meier, Endlosdebatte NPD-Verbot, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 54 (2009) 10, S. 33ff., hier: S. 33. Vgl. auch ders., "Ob eine konkrete Gefahr besteht, ist belanglos". Kritik der Verbotsanträge gegen die NPD, in: C. Leggewie/ders. (Anm. 16), S. 14-29.

  18. Claus Leggewie/Horst Meier, Republikschutz. Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie, Reinbek 1995, S. 184.

  19. Eckhard Jesse, Wir müssen sie ertragen, in: Focus vom 19.12.2011. Zur Argumentation Jesses vgl. auch: ders., Soll die Nationaldemokratische Partei Deutschlands verboten werden? Der Parteiverbotsantrag war unzweckmäßig, ein Parteiverbot ist rechtmäßig, in: Politische Vierteljahresschrift, 42 (2001) 4, S. 683-697; ders., NPD-Verbot ist kein Gebot. Die endlose Diskussion um einen Verbotsantrag gegen die NPD, in: Deutschland Archiv, 41 (2008) 3, S. 392-396.

  20. Vgl. Michael Henkel/Oliver Lembcke, Die Dilemmata des Parteiverbotes. Probleme der wehrhaften Demokratie im Umgang mit dem Rechtsextremismus, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 32 (2001) 3, S. 572-585, hier: S. 580f.

  21. Vgl. Pierre Esplugas, L'interdiction des partis politiques, in: Revue française de droit constitutionnel, 36 (1999), S. 675-709, hier: S. 676; Hans-Gerd Jaschke, Die Zukunft der "streitbaren Demokratie", in: Totalitarismus und Demokratie, 1 (2004), S. 109-123.

  22. Vgl. Uwe Backes, Streitbare Demokratie: 1949-1989/90-2009, in: Eckhard Jesse (Hrsg.), Das vereinigte Deutschland, Köln 2012 (i.E.); Julia Gerlach, Auswirkungen der Verbote rechtsextremistischer Vereine auf die NPD, in: U. Backes/H. Steglich (Anm. 4), S. 233-260.

  23. Heiner Busch, Aktionismus statt Aufklärung: NPD-Verbot und Datensammelwut, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 57 (2012) 1, S. 53-58, hier: S. 58.

  24. Vgl. Hella Mandt, Grenzen politischer Toleranz in der offenen Gesellschaft. Zum Verfassungsgrundsatz der streitbaren Demokratie, in: APuZ, (1979) 3, S. 3-16; Klaus Schreiner, Toleranz, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 596-605; Uwe Volkmann, Feind und Freund, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.12.2011, S. 7.

  25. Dieter Graumann, NPD-Verbot. Wann, wenn nicht jetzt?, in: Süddeutsche Zeitung vom 18.1.2012. Ähnlich argumentierte 2008 der Generalsekretär des Zentralrats: Stephan J. Kramer, Zur Diskussion um das NPD-Verbotsverfahren, Kolumne für die Nachrichtenagentur ddp, 12.4.2008, online: www.zentralratdjuden.de/de/article/1636.html (2.3.2012).

  26. Walter Schilling, NPD-Verbot in Deutschland?, in: Europäische Rundschau, 37 (2009) 1, S. 75-80, hier: S. 76.

  27. Diesem Ziel diente auch folgende Dokumentation: Verfassungsfeind NPD. Dokumente eines Kampfes gegen die Demokratie, hrsg. von den Innenministern/Innensenatoren der Länder Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, Berlin 2009.

  28. W. Schilling (Anm. 26), S. 78.

  29. So der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, im Gespräch mit André Hatting, in: Deutschlandradio Kultur, 25.11.2011, online: www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1612683/ (2.3.2012).

  30. Sebastian Edathy, Für ein NPD-Verbot, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 55 (2010) 1, S. 32ff., hier: S. 34.

  31. W. Schilling (Anm. 26), S. 80.

  32. Vgl. Uwe Volkmann, Grundprobleme der staatlichen Bekämpfung des Rechtsextremismus, in: Juristen-Zeitung, 65 (2010) 5, S. 209-217, hier: S. 212f.

  33. Vgl. Peter Niesen, Zwischen Pfadabhängigkeit und Kommensuration: Verbote politischer Parteien in Europa, in: Christian Joerges/Matthias Mahlmann/Ulrich K. Preuß (Hrsg.), "Schmerzliche Erfahrungen der Vergangenheit" und der Prozess der Konstitutionalisierung Europas, Wiesbaden 2008, S. 258-273.

  34. H. Meier (Anm. 17), S. 33.

  35. Holger Hövelmann/Martin Krems, Die Republik braucht keine Nazis. Ein Plädoyer für die wehrhafte Demokratie, in: Stephan Braun/Alexander Geisler/Martin Gerster (Hrsg.), Strategien der extremen Rechten. Hintergründe - Analysen - Antworten, Wiesbaden 2009, S. 646-658, hier: S. 649.

Dr. phil., geb. 1960; apl. Professor am Institut für Politikwissenschaft und stellvertretender Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden, Helmholtzstraße 6, 01069 Dresden. E-Mail Link: backes@mail.zih.tu-dresden.de