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Das Zusammenspiel von Kultur, Religion, Ethnizität und Geschlecht im antimuslimischen Rassismus | Ungleichheit, Ungleichwertigkeit | bpb.de

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Das Zusammenspiel von Kultur, Religion, Ethnizität und Geschlecht im antimuslimischen Rassismus

Yasemin Shooman

/ 12 Minuten zu lesen

Der erste Beitrag beschreibt, was Intersektionalität ist, und mit welchen Problemen dieser Ansatz verbunden ist. Der zweite Beitrag untersucht das Zusammenspiel von Kultur, Ethnizität und Geschlecht im antimuslimischen Rassismus.

Yasemin Shooman

Am 7. Februar 2012 kam es zu einem Tumult in der französischen Nationalversammlung. Parlamentarier der Regierungspartei UMP verließen aus Protest den Saal, während der Schwarze Abgeordnete Serge Letchimy aus Martinique den Innenminister Claude Guéant scharf angriff: "Sie, Monsieur Guéant, (...) bringen uns Tag um Tag zurück zu jenen europäischen Ideologien, welche die Konzentrationslager hervorbrachten am Ende einer langen Kette der Sklaverei und des Kolonialismus." Zuvor hatte der Innenminister erklärt, dass nicht alle Kulturen gleichwertig seien und Frankreich seine Kultur vor "minderwertigen" Kulturen schützen müsse. Guéant verwies dabei auf französische Muslime, die aus Platzmangel in Moscheen auf der Straße gebetet hatten, was die französische Regierung im September 2011 verboten hatte.

Letchimys Rede provozierte, weil sie einen Zusammenhang zwischen den historischen rassistischen Ideologien im Kontext von Sklaverei, Kolonialismus und Nationalsozialismus sowie Guéants Postulat der Ungleichwertigkeit von Kulturen herstellte. Die damit berührte Frage nach Kontinuität und Wandlungsfähigkeit von Rassismen spielt auch in deutschen Debatten eine wichtige Rolle, wo der Begriff des Rassismus im medialen und politischen Diskurs nach wie vor gemieden wird. Seine Benutzung beschränkt sich oft auf die Thematisierung des Nationalsozialismus und heutigen Rechtsextremismus - womit das Problem des Rassismus gleichsam historisiert und als gesellschaftliches Randphänomen marginalisiert wird. Neu geprägte Begriffe und Hilfskonstruktionen wie Ausländerfeindlichkeit führen dazu, dass historische Traditionslinien aktueller Rassismen unsichtbar gemacht werden. Dabei richtet sich das als Ausländerfeindlichkeit beschriebene Phänomen weder per se gegen Ausländerinnen und Ausländer (sofern es sich beispielsweise um weiße US-Amerikanerinnen und -Amerikaner handelt), noch sind davon nur Menschen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit betroffen.

Biologistische Rassentheorien, die von der Existenz von "Menschenrassen" ausgehen, sind zwar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa offiziell diskreditiert. Doch verschwanden keinesfalls rassistische Denk- und Handlungsweisen, die Menschen kategorisieren und diese Kategorien mit unterschiedlichen Wertungen versehen. Im Alltagsrassismus wie auch auf der strukturellen Ebene spielen Ausgrenzungsmechanismen aufgrund der Hautfarbe weiterhin eine zentrale Rolle. Das soziale und politische Konstrukt der "Rasse" wirkt implizit fort und ist mittlerweile untrennbar mit kulturellen und religiösen Zuschreibungen verbunden. Zugleich wird seit mindestens zwei Jahrzehnten unter dem Schlagwort vom "Rassismus ohne Rassen" (Étienne Balibar/Stuart Hall) eine zunehmende Verschiebung vom biologistisch argumentierenden Rassismus zu einem Neo- beziehungsweise Kulturrassismus diskutiert. Dieser lässt sich als eine Modernisierungsstrategie verstehen, mit deren Hilfe die Inhalte des biologistischen Rassismus weitertransportiert werden können, ohne den "Rasse"-Begriff zu bemühen.

Kultureller Rassismus

Grundlage ist der Glaube an eine historisch gewachsene Inkompatibilität und Hierarchie der Kulturen (und der Religionen als Bestandteil von Kulturen), die als essenzialistische, also als nach innen und nach außen abgeschlossene, unwandelbare Gebilde gedacht werden. Damit geht eine Naturalisierung kultureller Eigenschaften einher: Bestimmte Merkmale werden allen Personen einer kulturell homogen definierten Gruppe zugeschrieben, und das soziale Verhalten der Mitglieder dieser Gruppe wird vorrangig oder gar ausschließlich aus der Gruppenzugehörigkeit und den damit verbundenen unterstellten Eigenschaften abgeleitet. Im Falle des antimuslimischen Rassismus bedeutet dies, dass jedes (negative) Verhalten von Menschen, die als Muslime markiert sind, auf "den Islam" zurückgeführt wird. In diesem Zuschreibungsprozess, der auf ein vermeintlich zeitloses "Wesen" des Islams abhebt, aus dem sich das Denken, Fühlen und Handeln jedes Muslims und jeder Muslimin ableiten ließe, wird die Selbstverortung des Individuums ausgeblendet. Zudem treten seine sonstigen Identitäten - die sich etwa aus dem Geschlecht, dem Alter, der politischen Einstellung oder dem Beruf ergeben - in den Hintergrund. Dieser Auffassung nach determiniert die Kultur das Dasein des Individuums aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Kollektiv ("Kulturkreis"), die wiederum genealogisch über eine gemeinsame "Abstammung" hergeleitet wird.

Konstitutiv für den antimuslimischen Rassismus, wie er im Verhältnis von nicht muslimischen Mehrheitsgesellschaften und muslimischen oder als solchen wahrgenommenen Minderheiten bedeutsam wird, ist eine dichotome Konstruktion von "westlicher" ("christlich-abendländischer") und "islamischer" Kultur, die einander als statische Entitäten gegenüberstehen und als unvereinbar angesehen werden. Üblicherweise wird bei einer solchen bipolaren Sicht auf den "Islam" und den "Westen" Letzterer als emanzipativ, aufgeklärt, demokratieaffin und fortschrittlich beschrieben, während "der Islam" als rückständig, frauenfeindlich, unwandelbar, irrational und gewaltbereit gilt. Die Traditionen einer solchen Konstruktion des "Orients" als kulturelles Gegenbild des "Westens" reichen bis in koloniale Diskurse zurück, die der Literaturwissenschaftler Edward Said in seinem Konzept des Orientalismus nachgezeichnet hat. Viele Elemente des heutigen Islam-Diskurses speisen sich aus diesen tradierten Vorstellungen. Während sich orientalistische Diskurse an einem externen Anderen abarbeiten, fokussiert der aktuelle antimuslimische Rassismus jedoch das Andere im Inneren der heutigen europäischen Migrationsgesellschaften.

Seinen Niederschlag findet dieser Rassismus unter anderem in der Diskussion um die "Integrierbarkeit" der Musliminnen und Muslime. Dabei lässt sich in Deutschland eine Wahrnehmungsverschiebung ausmachen, im Zuge derer aus den ehemaligen "Gastarbeitern" oder "Türken" zusehends "Muslime" geworden sind. Die Kategorien "Kultur" und "Religion" spielten in der Argumentationsfigur einer drohenden Überfremdung, aber auch schon Anfang der 1980er Jahre im Diskurs über "Gastarbeiter" und Ausländer eine entscheidende Rolle. So beklagte eine Reihe deutscher Professoren im "Heidelberger Manifest" vom 17. Juni 1981 beispielsweise "die Unterwanderung des deutschen Volkes durch Zuzug von vielen Millionen von Ausländern und ihren Familien, die Überfremdung unserer Sprache, unserer Kultur und unseres Volkstums" und forderte "die Erhaltung des deutschen Volkes und seiner geistigen Identität auf der Grundlage unseres christlich-abendländischen Erbes". Auch in gegenwärtigen Debatten wird das christliche Abendland (das gelegentlich um den Zusatz "jüdisch" erweitert wird) in Abgrenzung zum Islam beschworen. Nicht nur "die Muslime" erscheinen dabei oft als ein monolithischer Block, der einen Fremdkörper in der Gesellschaft bildet. Auch in den Reihen der Mehrheitsgesellschaft wird Homogenität suggeriert, wodurch Gegensätze im Inneren überdeckt werden.

Das Thema Islam und Muslime scheint auch auf supranationaler Ebene eine integrierende Funktion bei der Anrufung einer gemeinsamen europäischen (abendländischen) Identität zu besitzen. Dies zeigt die Rhetorik zahlreicher rechtspopulistischer Parteien Europas. Bei "Anti-Islamisierungskongressen" und "Anti-Minarettkonferenzen" kommen Vertreter der deutschen Pro-Bewegungen mit Mitgliedern des belgischen Vlaams Belang, der Schweizerischen Volkspartei, der italienischen Lega Nord und der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) zusammen. Da die politische Rechte auf die Anschlussfähigkeit ihres Feindbilds Islam in der breiten Bevölkerung setzt, dient die religiös aufgeladene antimuslimische Rhetorik als Modernisierungsstrategie und hat die alte Parole "Ausländer raus" vielfach abgelöst. Erinnert sei hier beispielsweise an den Slogan "Abendland in Christenhand", den die FPÖ wiederholt in ihrem Wahlkampf nutzte und der 2010 von ProNRW für den Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen entliehen wurde. Ein Unbehagen angesichts des Vorhandenseins muslimischer Minderheiten verspüren aber nicht nur Rechtspopulisten: Insgesamt stimmten bei einer 2011 veröffentlichten repräsentativen Untersuchung in acht EU-Mitgliedsstaaten über 44 Prozent der Befragten der Aussage zu, in ihrem Land lebten zu viele Musliminnen und Muslime. In solchen Ländern, in denen der Anteil der muslimischen Bevölkerung unter einem Prozent liegt, wie in Polen oder Ungarn, lagen die Werte sogar noch höher, was zeigt, dass antimuslimische Ressentiments nicht an die reale Präsenz ihrer Objekte (und damit auch nicht an reale Erfahrungen) gebunden sind.

Rassifizierung von Musliminnen und Muslimen

Wer von antimuslimischem Rassismus spricht, sieht sich häufig mit dem Einwand konfrontiert, dass religiöse Zugehörigkeit doch frei wählbar und damit veränderlich sei. Abgesehen davon, dass diesem Argument implizit ein auf den Biologismus beschränktes und damit verkürztes Rassismusverständnis zugrunde liegt, gibt es Gründe, die gegen eine solche Auffassung sprechen. So lässt sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Ethnisierung der Kategorie "Muslim" nachweisen. Dies zeigt sich beispielsweise in der synonymen Verwendung der Bezeichnungen "Türke", "Araber", "Migrant" und "Muslim", wie sie im medialen, politischen und auch wissenschaftlichen Diskurs existiert. In zahlreichen Studien über Musliminnen und Muslime in Deutschland wird beispielsweise die soziale Integration der Befragten (mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit) unter anderem mit der Frage nach dem "Umfang der Kontakte zu Deutschen" gemessen. Damit wird explizit ein Antagonismus zwischen dem Muslim-Sein und dem Deutsch-Sein postuliert. Für diese wie für andere quantitative Studien wurden die Befragten zudem über die Einwohnermeldeämter oder Telefonbücher ermittelt. Die "Identifikation" als Muslimin beziehungsweise Muslim erfolgte also über den Namen. Weitere Merkmale, die zum Stigma werden können, sind ein bestimmtes Äußeres (wie schwarze Haare oder Bart), die Sprache und religiöse Kleidung (wie das Kopftuch).

Diese Markierungspraxis ist Teil eines sozialen Prozesses, der in der angelsächsischen Rassismusforschung mit dem Terminus racialization erfasst wird und den ich in Anlehnung an Mark Terkessidis und Maisha Eggers als Rassifizierung von Muslimen bezeichne: Aus einer dominanten gesellschaftlichen Position heraus werden sie jenseits eines individuellen Glaubensbekenntnisses als eine homogene und natürliche Gruppe in binärer Anordnung zu weißen christlichen/atheistischen Deutschen beziehungsweise Europäern konstruiert und mit kollektiven Zuschreibungen versehen; es wird ein Wissen über sie und ihr Wesen als Gruppe erzeugt und sie gelten anhand verschiedener Merkmale als "identifizierbar". Arun Kundnani kommt in Bezug auf antimuslimischen Rassismus im britischen Kontext zu dem Urteil, dass "religious belonging has come to act as a symbol of racial difference. The new official language (...) largely takes faith to be, like race, a destiny set at birth and something that someone can observe about you from your appearance". Es findet also eine Amalgamierung von kulturell-religiösen und somatischen (körperlichen) Faktoren statt, die als Hinweis auf eine "fremde Herkunft" gelesen werden. Für bestimmte als "ethnisch" gefasste Gruppen gilt, dass ihnen (nicht nur) im rassistischen Diskurs die religiöse Markierung als Muslim eingeschrieben ist. Diese Kategorien können daher weder einfach addiert noch auseinandergerechnet werden. Vielmehr muss in einem intersektionalen Verständnis von antimuslimischem Rassismus davon ausgegangen werden, dass diese Zuschreibungen fest miteinander verflochten sind und spezifische Erfahrungen generieren.

"Geschlecht" im antimuslimischen Rassismus

Der antimuslimische Rassismus zeichnet sich durch ein Anknüpfen an emanzipative Diskurse aus. Häufig werden antimuslimische Positionen mit dem Eintreten für Menschen-, insbesondere für Frauenrechte legitimiert. Der Sexismus wird im antimuslimischen Rassismus zu einem kulturellen Wesenszug des Islams erklärt, dem als Musliminnen und Muslime markierte Menschen nicht entrinnen können. Aus psychoanalytischer Sicht lässt sich das Fremdbild als Kehrseite des Selbstbildes begreifen. Durch Projektion auf den Anderen können negative Elemente des Eigenen externalisiert werden.

Die Funktion solcher Fremd- und Selbstbilder liegt auf der Hand: Wenn patriarchale Gewalt und Sexismus in erster Linie bei den Anderen verortet und nicht in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext gestellt werden (schließlich beherbergen Frauenhäuser auch mehrheitsdeutsche Frauen), kann das Phänomen ausgelagert werden. Die unterdrückte Muslimin fungiert in diesem Wahrnehmungsmuster als Kontrastfigur, deren Pendant die emanzipierte westliche Europäerin bildet. Entsprechend geht die Dämonisierung der Muslime als sexistisches Kollektiv oftmals mit einer Idealisierung der deutschen Mehrheitsgesellschaft einher, in der das Projekt der Geschlechtergleichheit realisiert zu sein scheint.

Dass dem Verweis auf einen vermeintlich genuin muslimischen Sexismus nicht unbedingt eine antisexistische Haltung zugrunde liegt, lässt sich empirisch nachweisen: Bei der oben zitierten EU-Studie stimmten in Deutschland 76,1 Prozent der Befragten der These zu "Die muslimischen Ansichten über Frauen widersprechen unseren Werten". 52,7 Prozent derselben Befragten waren gleichzeitig der Meinung, "Frauen sollten ihre Rolle als Ehefrau und Mutter ernster nehmen" - und artikulierten damit selbst ein konservatives Geschlechterverständnis.

Neben der Instrumentalisierung feministischer Diskurse fällt im antimuslimischen Rassismus die vergeschlechtlichte Symbolik auf, die bei der Beschwörung einer sich vermeintlich ausbreitenden "islamischen Gefahr" bemüht wird. In antimuslimischen Diskursen stellt die Gebärfähigkeit der Muslimin eine "Waffe" dar. Mit dem Fokus auf ihre Fortpflanzungsfähigkeit wird der Figur der "unterdrückten Muslimin" die Figur der "gefährlichen Muslimin" zur Seite gestellt und in die Tradition biologistisch-rassistischer Argumentationsweisen eingebettet. In dem Bild der permanent Gebärenden fließen das Stereotyp der unterdrückten und das der gefährlichen Muslimin zusammen: Weil sie so unemanzipiert ist, bekommt sie so viele Kinder, und weil sie so viel Nachwuchs produziert, vermehren sich Muslime als unerwünschter Bevölkerungsteil überproportional, so die Argumentationskette.

Ideologisch gefestigte Islamfeindlichkeit

Islamfeindliche Diskurse, die auf ein geschlossenes Weltbild rekurrieren, reichern den antimuslimischen Rassismus mit Verschwörungstheorien an und rücken die Religion in den Mittelpunkt. Die muslimische Fertilitätsrate wird hierbei als planvolle Vermehrung im Sinne eines "Geburtenjihads" - eines religiös motivierten Kriegs - skandalisiert und in Zusammenhang mit einer vermeintlichen Unterwanderung des Abendlandes gestellt. Solche Vorstellungen aktualisieren europäisch-christliche Angstszenarien des Mittelalters. Denn einerseits prägt die Inferiorität der Musliminnen und Muslime seit dem Kolonialismus den (west-) europäischen Islamdiskurs. Aus der im kulturellen Gedächtnis tradierten kollektiven Erinnerung an die Ausbreitung des Islams und die damit einhergehende Zurückdrängung des Christentums, die Kreuzzüge sowie die Türkenkriege speisen sich andererseits Topoi, die im aktuellen antimuslimischen Rassismus ebenso präsent sind. Im historischen Diskurs über die "Türkengefahr" wurde davon ausgegangen, "dass die gesamte Christenheit vom Antichrist in Gestalt der Osmanen überrollt zu werden drohte". Dieses apokalyptische Narrativ findet seinen Widerhall im gegenwärtigen Topos einer drohenden "Islamisierung Europas". Im aktuellen antimuslimischen Rassismus fließen also verschiedene Wahrnehmungstraditionen zusammen, welche die Gleichzeitigkeit von zugeschriebener Unterlegenheit und Übermacht bedingen.

Eine ideologisch gefestigte Islamfeindlichkeit, die in Verkehrung realer Machtverhältnisse eine bevorstehende gesellschaftliche Dominanz von Musliminnen und Muslimen beschwört, entlädt sich in Deutschland insbesondere im Internet. Auch jenseits der virtuellen Welt findet dieser Diskurs seine Verbreitung, unter anderem in der rechtspopulistischen Partei "Die Freiheit". Diese orientiert sich an dem Vorbild der niederländischen Partei von Geert Wilders. Auf ihrem Bundesparteitag in Frankfurt am Main am 10. Dezember 2011 wurde die "drohende Islamisierung Deutschlands" debattiert. Der bayrische Landesvorsitzende Michael Stürzenberger warnte: "Es ist ja verrückt, es sind fünf Prozent der Bevölkerung und sie fordern, fordern, fordern. Es ist ein planmäßiger Eroberungsfeldzug, das muss man so klar sagen. Und je frühzeitiger wir jetzt daran gehen, den Islam zu entschärfen, desto besser ist es, denn in einigen Jahren wird es sehr sehr schwierig werden, dann werden schon Schlüsselpositionen in Gesellschaft, in Politik, in Justiz, überall werden sie besetzt sein und dann wird ein Islamkritiker nicht mehr den Mund aufmachen können. Das prognostiziere ich euch. (...) Es wird der Islam nach der Macht greifen. (...) Wir sind hier in einem Kampf, in dem es keine zweite Chance gibt, was der Islam einmal in den Händen hat, das wird er nicht wieder loslassen."

Abgesehen vom Verschwörungsdenken und dem existenziellen Bedrohungsszenario, das hier gezeichnet wird, ist diese Rede noch in anderer Hinsicht aufschlussreich, offenbart sie doch, dass es die Partizipation und der gesellschaftliche Aufstieg von Musliminnen und Muslimen sind, die hier Abwehr hervorrufen. Laut Stuart Hall dient der Rassismus unter anderem dazu, "soziale, politische und ökonomische Praxen zu begründen, die bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen oder symbolischen Ressourcen ausschließen". Deshalb artikuliert er sich häufig gerade im Kontext des sozialen Wandels, der durch eine voranschreitende Inklusion ausgelöst wird. In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, dass es nicht die Hinterhofmoscheen sind, die Skepsis und Ablehnung hervorrufen, sondern repräsentative Gotteshäuser, die Musliminnen und Muslime als im Stadtbild sichtbare Mitglieder der Gesellschaft ausweisen.

Der antimuslimische Rassismus, wie er sich innerhalb der (west-) europäischen Migrationsgesellschaften oder auch den USA entwickelt hat, lässt sich zusammenfassend als ein komplexes Geflecht aus verschiedenen historisch tradierten Elementen im Zusammenspiel der Kategorien Kultur, Religion, Ethnizität und Geschlecht verstehen. Ein weiterer, hier nicht weiter beleuchteter Faktor ist die Frage nach der Klassen- und Schichtzugehörigkeit. In (West-) Europa vorzufindende Topoi, die auf ein "parasitäres Dasein" und "Sozialschmarotzertum" abheben, dürften beispielsweise in den USA - wo Musliminnen und Muslime (mit Ausnahme der African-American Muslims) zu einem großen Teil der Mittelschicht angehören - eine geringere Rolle spielen. Um solche Aspekte angemessen zu erfassen, bedarf es einer intersektionalen Analyseperspektive, die verschiedene Diskriminierungsmerkmale zusammendenkt und Rassismen in ihrer Spezifik an Raum und Zeit bindet.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Mitschnitt der Rede online: http://tempsreel.nouvelobs.com/election-presidentielle-2012/20120207.OBS0782/video-un-depute-evoque-gueant-et-le-nazisme-a-l-assemblee.html (12.3.2012).

  2. Vgl. Le Monde vom 5.2.2012.

  3. Vgl. Nora Räthzel (Hrsg.), Theorien über Rassismus, Hamburg 2000; Sebastian Friedrich (Hrsg.), Rassismus in der Leistungsgesellschaft, Münster 2011.

  4. Vgl. Iman Attia (Hrsg.), Orient- und IslamBilder, Münster 2007.

  5. Abdruck in: Peter Dudek/Hans Gerd Jaschke (Hrsg.), Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, Bd. 2, Opladen 1984, S. 302.

  6. Vgl. Andreas Zick et al., Die Abwertung der Anderen, Berlin 2011, S. 70.

  7. Vgl. Katrin Brettfeld/Peter Wetzels, Muslime in Deutschland, Hamburg 2007, S. 94; Wolfgang Frindte et al., Lebenswelten junger Muslime in Deutschland, Berlin 2011, S. 149.

  8. Vgl. Mark Terkessidis, Die Banalität des Rassismus, Bielefeld 2004, S. 98.

  9. Vgl. Maureen Maisha Eggers, Rassifizierte Machtdifferenz als Deutungsperspektive in der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland, in: dies. et al. (Hrsg.), Mythen, Masken und Subjekte, 2. überab. Auflage, Münster 2009, S. 57.

  10. Arun Kundnani, The End of Tolerance, London 2007, S. 127.

  11. Vgl. A. Zick et al. (Anm. 6), S. 70ff.

  12. Almut Höfert, Alteritätsdiskurse, in: Gabriele Haug-Moritz/Ludolf Pelizaeus (Hrsg.), Repräsentationen der islamischen Welt, Münster 2010, S. 28.

  13. Vgl. Yasemin Shooman, Islamfeindschaft im World Wide Web, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, 17 (2008), S. 69-96.

  14. Mitschnitt der Rede online: www.youtube.com/watch?v=wSGohyXKkBQ (12.3.2012).

  15. Stuart Hall, Rassismus als ideologischer Diskurs, in: N. Räthzel (Anm. 3), S. 7.

M.A., geb. 1980; Doktorandin am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Ernst-Reuter-Platz 7, 10587 Berlin. E-Mail Link: shooman@mail.tu-berlin.de