Vorurteile und Stereotype helfen, Umweltreize aufzunehmen, zu strukturieren und zu verarbeiten. In diesem Sinne hat jeder Mensch Vorurteile. Problematisch wird es dann, wenn Menschen aufgrund bestimmter Zuordnungen und Zuschreibungen abgewertet oder diskriminiert werden. Dies widerspricht dem Grundprinzip moderner Gesellschaften, dass alle Menschen gleich und gleichwertig sind: Nicht Herkunft und Abstammung, sondern allein selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Handeln sollen den gesellschaftlichen Status eines Menschen bestimmen (meritokratisches Prinzip). Entsprechend werden soziale Hierarchien durch individuell getroffene Entscheidungen und Leistungen legitimiert.
Doch lassen sich gesellschaftliche Entwicklungstendenzen beobachten, die das Autonomie- und Leistungsprinzip aushöhlen. So begünstigen das Bildungssystem und der Arbeitsmarkt sozialstrukturelle Ausschließungsmechanismen: Nicht nur eigene Leistung, auch Herkunft und Zuschreibungen Anderer beeinflussen den individuellen Erfolg. Vorurteile aufgrund des Geschlechts, der ethnischen und sozialen Herkunft, des Alters oder auch der sexuellen Orientierung befördern Ungleichbehandlungen.
Es kommt zu einer komplexen Wechselwirkung zwischen sozialer Ungleichheit und Ungleichwertigkeit, die sich in Zeiten sozialer Umbrüche verdichtet: Die Tendenz zur Aufteilung der Gesellschaft in "Dazugehörige" und "Nicht-Dazugehörige" oder in ökonomisch "Nützliche" und "nicht Nützliche" verstärkt sich. Es gilt, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Solidarität trotz zunehmender Abstiegsängste zu bewahren. "Intoleranz und Rassismus äußern sich keineswegs erst in Gewalt. Gefährlich sind nicht nur Extremisten. (...) Wie wichtig sind daher Sensibilität und ein waches Bewusstsein dafür, wann Ausgrenzung, wann Abwertung beginnt", betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremer Gewalt am 23. Februar 2012.