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Geld anders einrichten

Peter Knauer

/ 16 Minuten zu lesen

Liquides Geld hat zu seinem Nennwert einen Mehrwert pro Zeit. Würde für dessen Genuss eine mit der Liquidität verbunden bleibende Bereitstellungsgebühr eingeführt, könnte niemand nur mit Geld mehr Geld machen.

Einleitung

Im Folgenden soll - vor dem Hintergrund der aktuellen Krise des Euro - im Wesentlichen die Geldtheorie von Dieter Suhr dargestellt werden.

Geld ersetzt einen schwierigen Tausch zwischen Ware und Ware durch zwei einfache Tauschvorgänge: Ware gegen Geld und Geld gegen Ware. Es bietet auch den Vorteil, sich beliebig stückeln und wieder zusammensetzen zu lassen. Man kann damit transregional und transtemporal tauschen, ohne umständlich alles aufschreiben zu müssen. Bei einem Naturalientausch ist nach seiner Durchführung alles beendet. Dagegen bleibt nach einem Tausch von Ware gegen Geld und Geld gegen Ware der Tauschmittler Geld vorhanden und kann weitere Austausche vermitteln. Deshalb müssen immer neue Waren und Leistungen auf den Markt kommen. Sonst würde der Letzte in der Austauschkette für sein Geld nichts mehr erhalten. Ohne Geld kommen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft Angebot und Nachfrage nicht zueinander. Der Anbieter bleibt auf seinen Waren sitzen, und der Bedarf des Nachfragers bleibt ungestillt.

Wie entsteht Geld?

Für die Entstehung von Geld genügt es, dass ein Staat Münzen und Geldscheine herstellt und sie zum allgemeinen Zahlungsmittel erklärt: Man kann mit ihnen Steuern und Abgaben bezahlen. Natürlich muss der Staat Sorge tragen, dass Geldmenge mal Umlaufgeschwindigkeit in einem sinnvollen Verhältnis zur volkswirtschaftlichen Leistungskraft des Landes bleibt. Neues Geld gelangt heute gewöhnlich kreditweise und gegen Sicherheiten in Verkehr, ausgegeben von der Zentralbank und von den Geschäftsbanken an ihre Kunden vermittelt. Da für dieses Geld noch niemand gespart hat, lassen sich die dafür von Anfang an geforderten Zinsen am besten als "Bereitstellungsgebühr" für den Liquiditätsvorteil des Geldes verstehen.

In einer Broschüre der Deutschen Bundesbank über "Geld und Geldpolitik" heißt es, dass nicht nur die Zentralbank Zentralbankgeld schaffen könne, sondern dass auch die Geschäftsbanken Giralgeld schafften: "Die Giralgeldschöpfung ist (...) ein Buchungsvorgang." Es stellt sich dann die Frage: "Wie kann das Eurosystem sicherstellen, dass die Geschäftsbanken nicht übermäßig viel Giralgeld schaffen und darüber das Ziel Preisstabilität gefährden?" Ein wichtiges Instrument dafür ist nach dieser Broschüre die sogenannte Mindestreserve der Geschäftsbanken bei der Zentralbank, welche aber gegenwärtig nur zwei Prozent des verliehenen Geldes beträgt.

Für von Kunden eingebrachte Ersparnisse in Form von Zentralbankgeld kann eine Geschäftsbank also theoretisch als Giralgeld bis zum Fünfzigfachen an Krediten ausgeben und dafür Zinsen einnehmen. Man spricht hier vom Giralgeldschöpfungsfaktor, dem reziproken Wert der Mindestreserve. Faktisch wird dieser Giralgeldschöpfungsfaktor jedoch durch die Menge des umlaufenden Bargeldes im Verhältnis zu den Sichteinlagen mitbestimmt; er beträgt wohl für das Eurogebiet gegenwärtig nur zwischen dem Zwölf- bis Dreizehnfachen. Zu fragen ist, ob es sich bei der Giralgeldschöpfung mit einer Mindestreserve von nur zwei Prozent an Zentralbankgeld nicht genau deshalb in Wirklichkeit um eine Art legalisiertes Falschgeld handelt.

Grundfunktionen von Geld

Liquides Geld hat einen dreifachen Nutzen (monetary service stream). Erstens kann es als Wertmaßstab dienen; zweitens ist es Tauschmittler, und drittens ist es eine Art Zeit überbrückender Speicher für Anwartschaft auf Werte. Aber alle drei Funktionen des Geldes bringen auch Probleme mit sich.

Wertmaßstäbe sollten sich gleich bleiben. Doch Geld ist wohl der einzige Maßstab, der gewöhnlich schrumpft (normal sind rund zwei Prozent Inflation im Jahr). Geld ist hilfreicher Tauschmittler. Dies bedeutet, dass es durch seine Liquidität (Austauschbarkeit gegen alle Waren und Leistungen auf dem Markt) über seinen Nennwert hinaus noch einen Mehrwert hat. Es ist gegenüber Waren und Leistungen nicht neutral, sondern privilegiert, jedenfalls dann, wenn man es übrig hat, das heißt, wenn die existentiellen Lebensbedürfnisse bereits erfüllt sind. Denn dann kann man kaufen, wann und was man will. Der Mehrwert des Geldes besteht in diesem Mehr an Freiheit. Das Problem bei der Wertspeicherfunktion des Geldes lässt sich wie folgt fassen: Wer Geld in seiner Kasse behält, entzieht es für diese Zeit seiner Tauschmittelfunktion und unterbricht für andere eine ganze Kette von Austauschen. Speicher- und Tauschmittelfunktion des Geldes können nur alternativ und nicht gleichzeitig ausgeübt werden.

Nennwert und Mehrwert

Der Nennwert des Geldes steht auf den Münzen und Banknoten. Darüber hinaus hat Geld jedoch aufgrund seiner Liquidität (Austauschbarkeit gegenüber allen Waren und Leistungen auf dem Markt) noch einen Mehrwert, der entsteht, wenn man sein Geld nicht mehr unmittelbar zur Erfüllung existentieller Bedürfnisse braucht, sondern es erübrigen kann. Wer mit Waren und Leistungen auf den Markt kommt, hat gewöhnlich hinzukommende Transport-, Frischhalte- und Reklamekosten. Und er muss dann immer noch auf Kunden warten. Wer dagegen mit Geld auf den Markt geht, dem liegt der ganze Markt zu Füßen. Sobald seine existentiellen Bedürfnisse erfüllt sind und er Geld übrig hat, hat er die doppelte Freiheit, zu bestimmen, was und wann er kauft. Durch seinen Liquiditätsvorteil ist Geld der Joker auf dem Markt, der alle anderen Karten "sticht".

Diesen Mehrwert des Geldes kann man wiederum mit Geld messen. Während aber der Nennwert einfach wie Kilometer (km) als eine Bestandsgröße gemessen wird, ist der Mehrwert in demselben Maß, aber pro Zeiteinheit anzugeben, also wie km pro Stunde (km/h). Hier geht es um eine Flussgröße, den Gegenwert zum monetary service stream. Dieses Zugleich von Nennwert und Mehrwert, Bestandsgröße und Flussgröße, macht unser Geld kompliziert und eher schwierig zu verstehen.

Wer Geld übrig hat, kann den Mehrwert des Geldes zu Spekulationen nutzen. Nach einer Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung ist heute das Volumen der globalen Finanztransaktionen 73,5-mal höher als das Welt-Bruttoinlandsprodukt und damit als die realen Transaktionen zum Austausch von Waren; 1990 belief es sich erst auf das 15,3-Fache.

Zinsen

Man kann sein Geld verleihen und andere mit diesem Geld arbeiten lassen. Dafür bekommt man Zinsen. Sind Zinsen also eine Art Prämie dafür, dass einer mit dem Spielverderb des Geldhortens aufhört? Sie sind jedenfalls der Gegenwert für den realen Verzicht auf den Liquiditätsvorteil des Geldes für die Zeit des Verleihens. Nach der am meisten verbreiteten Zinstheorie sind Zinsen eine Prämie für Konsumverzicht. Der Mensch sei von Natur aus geneigt, seine Bedürfnisse sofort zu erfüllen, heißt es; einen Aufschub müsse man ihm durch eine Prämie schmackhaft machen. Aber warum eigentlich sollte man den Genuss gegenwärtig reichlich vorhandener Güter, zum Beispiel von Birnen im Sommer, auf die Zukunft verschieben? Die Knappheit von gegenwärtigen Gütern würde besser in deren Preis selbst ausgedrückt als in einer Prämie für Konsumverzicht.

Zutreffend an der Theorie vom Konsumverzicht ist nur: Wer sein Geld verleiht, verzichtet damit offenbar in Wirklichkeit nicht nur auf eigenen Konsum. Er verzichtet auch darauf, sein Geld zu eigener Produktion einzusetzen. Anstatt überhaupt selber wirtschaftlich tätig zu sein, stellt er den Liquiditätsvorteil seines Geldes anderen zur Verfügung. Er lässt "sein Geld arbeiten", tatsächlich jedoch andere Menschen, die das Geld brauchen, weil sie sonst mit niemandem ins Geschäft kommen können. Die von ihm eingenommenen Zinsen erscheinen so genau genommen eher nur als der Gegenwert für den Verzicht auf den Liquiditätsvorteil des Geldes während der Zeit der Ausleihe.

Vielleicht nutzt der Kreditnehmer das aufgenommene Geld bereits am ersten Tag zum Kauf von Baumaterial. Damit geht das Geld mit seinem Liquiditätsvorteil in andere Hände über. Merkwürdig allerdings ist, dass im heutigen System die Kosten für den Liquiditätsvorteil dieses Geldes für die ganze Laufzeit des Kredits beim ursprünglichen Kreditnehmer hängen bleiben. Das Geld mit seinem Liquiditätsvorteil geht von dem Moment an, in dem es zu einem Kauf verwandt wird, den einen Weg, die Verpflichtung zur Zahlung der Zinsen verbleibt auf dem anderen. Ich nenne diese Trennung der Wege den "Geldknick" - ein grundlegender Systemfehler unseres Geldes.

Sollte der Verkäufer des Baumaterials bereits über genügend Geld verfügen, könnte er seinerseits das soeben beim Verkauf eingenommene Geld aufgrund des mit ihm verbunden bleibenden Liquiditätsvorteils erneut gegen Zinsen verleihen, die nun in seine Tasche fließen. Dieselbe Geldmenge würde also in fast derselben Laufzeit ein zweites Mal zur Zahlung von Zinsen verpflichten. Und dies ist durchaus noch mehrmals wiederholbar.

Paradox ist auch, dass Zinsen gewöhnlich umso höher sind, je größer das Risiko ist, dass ein Kredit nicht zurückgezahlt werden kann. Aber genau dies macht die Rückzahlung des Kredits selber erst recht schwierig. Eine sehr schädliche Auswirkung der Nichtneutralität von Geld ist ferner: Unternehmen, die zwar noch immer rentabel wären, aber nicht die Rentabilität des Geldes erreichen, werden normalerweise unterbleiben. Denn warum sollte man sich mit einem eigenen Unternehmen selber abmühen, wenn man durch bloßes Verleihen seines Geldes mehr Gewinn hat?

Vor Jahren veröffentlichte die Bank für Gemeinwirtschaft eine Reklame für Geldanlagen mit dem Bild eines Faulenzers auf seinem Bett. Am Telefon antwortet er auf die Frage, was er gerade mache: "Ich verdiene Geld." Die Überschrift: "Wie Sie zu Geld kommen, ohne einen Finger krumm zu machen." Es gibt eine freiwillige Arbeitslosigkeit, die erzwungene Arbeitslosigkeit anderer zur Folge hat: Die Börsenkurse vieler Unternehmen steigen, je mehr Beschäftigte sie entlassen.

Zinseszinsen

Im Bürgerlichen Gesetzbuch steht unter §248 "Zinseszinsen": "(1) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, dass fällige Zinsen wieder Zinsen tragen sollen, ist nichtig. (2) Sparkassen, Kreditanstalten und Inhaber von Bankgeschäften können im Voraus vereinbaren, dass nicht erhobene [= nicht abgehobene, P.K.] Zinsen von Einlagen als neue verzinsliche Einlagen gelten sollen. Kreditanstalten, die berechtigt sind, für den Betrag der von ihnen gewährten Darlehen verzinsliche Schuldverschreibungen auf den Inhaber auszugeben, können sich bei solchen Darlehen die Verzinsung rückständiger Zinsen im Voraus versprechen lassen."

Offenbar sieht der Gesetzgeber Zinseszinsen zunächst als gefährlich an und möchte sie eigentlich verbieten. Denn sie bilden eine exponentielle Kurve, die nur am Anfang langsam und dann immer schneller steigt. Der Zeitraum für die Verdoppelung einer Schuld aufgrund von Zinseszins lässt sich (wenigstens annäherungsweise) sehr einfach berechnen: Man braucht nur die Zahl 72 durch den Zinssatz zu teilen und erhält die Zeitangabe. Bei 6% Zinsen verdoppelt sich eine Schuld alle zwölf Jahre. Bei 10% sind es nur noch alle 7,2 Jahre. Nach ebenso vielen weiteren Jahren hat sich die ursprüngliche Schuld vervierfacht.

Einige weitere Zahlenbeispiele: $10000 zu 3% einfachen Zinsen angelegt ergeben in 50 Jahren $25000; mit Zinsenzinsen dagegen $43839. Zu 4% einfachen Zinsen würden sich $30000 ergeben; mit Zinseszinsen jedoch bereits $71066, also gegenüber einfachen Zinsen mehr als das Doppelte. Und wenn es sich um 11 oder gar 12% Zinsen handelt? Der Unterschied ist auch hier nur 1%. Bei 11% ergibt sich mit einfachen Zinsen in 50 Jahren die Summe von $65000, mit Zinseszinsen $1845648; bei 12% führen einfache Zinsen zu $70000, Zinseszinsen zu $2890021, also etwa eine Million $ mehr als bei 11%. In den ersten zehn Jahren würden $10000 bei zwölfprozentiger Verzinsung allerdings nur auf $31058 wachsen; aber dann wird die Kurve steil.

Warum hat der Gesetzgeber für Banken eine Ausnahme von seinem Verbot von Zinseszinsen gemacht? Wenn Geld Zinsen bringt, gibt es keine praktikable technische Möglichkeit, Zinseszinsen zu verhindern. Aber könnte man nicht einfach von vornherein die Zinsen selbst verbieten? Auch dies wäre nicht nur kaum praktikabel, sondern ungerecht. Denn Zinsen sind der Gegenwert für den Liquiditätsvorteil des Geldes, auf dessen Genuss ja derjenige tatsächlich verzichtet, der sein Geld verleiht.

Umverteilung und Wachstumszwang

In einer alternden Volkswirtschaft wird der Anteil der Zinsen und Zinseszinsen am Gesamtkuchen immer größer. Dies lässt sich nur dadurch verhindern, dass der Gesamtkuchen wächst. Darin liegt der Hauptgrund für den Wachstumszwang für die Wirtschaft: Wenn ein Tortenstück größer werden soll, ohne dass sein Winkel größer wird, muss die Gesamttorte wachsen. Wenn die Gesamtwirtschaft nicht jährlich um rund 3,5 Prozent wächst, wird der Zinsanteil gegenüber allem anderen prozentual immer größer werden. Gewöhnlich geht dies auf Kosten der Sozialleistungen.

In Deutschland gibt es seit Dezember 2009 ein "Wachstumsbeschleunigungsgesetz". Aber ein solcher Wachstumszwang läuft auf Raubbau an allen Ressourcen hinaus. "Wer glaubt, dass exponentielles Wachstum in einer endlichen Welt für immer weitergehen kann, ist entweder verrückt oder ein Wirtschaftswissenschaftler", so ein Bonmot des Wirtschaftswissenschaftlers Kenneth E. Boulding. Wenn man in Deutschland alle Haushalte in zehn gleich große Gruppen mit jeweils steigendem Einkommen aufteilt, dann hat die oberste Gruppe, also die ersten zehn Prozent, hohen Gewinn durch Zinsen. Die restlichen 90% der Bevölkerung, haben, selbst wenn sie auf ihrem Konto auch Zinsen bekommen, in Wirklichkeit einen negativen Zinssaldo. Denn sie zahlen ungleich mehr, als sie an Zinsen erhalten, an in den Preisen für Waren und Leistungen versteckten Zinsen für die Schulden anderer Leute. In Deutschland dürften heute in den Preisen für Mieten und alle anderen Waren und Leistungen als Durchschnittswert zwischen 30 und 40% Zinsen versteckt sein. Die obersten 10% der Bevölkerung besaßen Ende 2010 etwa die Hälfte des Geldvermögens der Deutschen von etwa 4,88 Billionen Euro. Bereits bei nur zweiprozentiger Verzinsung erhalten sie pro Tag mehr als hundert Millionen Euro.

Wodurch kann Geld ungerecht sein?

Inflationäres Geld begünstigt Schuldner zu Lasten der Gläubiger, wenn nicht ein Bestandteil der Zinsen zum Inflationsausgleich dient. Bei inflationärem Geld bleibt die Schuld zwar in ihrem Nennwert gleich, aber die Kaufkraft dieses Nennwertes verringert sich. Aber auch bei einem solchen Inflationsausgleich für die Gläubiger trifft Inflation dann immer noch alle anderen am Markt Beteiligten.

Deflationäres Geld begünstigt umgekehrt die Gläubiger zu Lasten der Schuldner. Sie müssen im Nennwert der ursprünglichen Schuld Geld mit größerer Kaufkraft zurückgeben, als sie ursprünglich als Kredit empfangen hatten. So möchte es scheinen, dass nur in seinem Wert stabil bleibendes Geld gerecht ist. Aber auch dies ist nach Suhr nicht der Fall, weil Geld für den, der es übrig hat, einen zu seinem Nennwert hinzukommenden Mehrwert hat und er dadurch privilegiert ist. Wenn er sein Geld verleiht, genießt er den Liquiditätsvorteil seines Geldes noch immer und erst recht, nämlich in der Form von Zinsen und Zinseszinsen.

Der Mehrwert des Geldes ist für den, der für den Verkauf einer Ware oder Leistung Geld empfängt, im heutigen System eine Gratiszugabe. Wenigstens dann, wenn seine existentiellen Bedürfnisse bereits erfüllt sind; denn wer zum Beispiel Hunger hat, ist ja noch nicht frei, sein Geld für was und wann er will zu verwenden. Aber wenn jemand das empfangene Geld verleihen kann, weil er es aktuell nicht braucht, dann sind die Zinsen, die er dafür empfängt, der Ausgleich für seinen zeitweiligen Verzicht auf diese Gratiszugabe. Zustande kommt diese Gratiszugabe jedoch durch eine öffentliche Leistung. Sie besteht zum einen darin, dass der Staat seine Währung zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt, mit dem man insbesondere auch Steuern und Abgaben zahlen kann. Zum anderen ist sie die Leistung auch aller anderen, die tatsächlich bereit sind, dieses Geld anzunehmen und weiterzugeben anstatt es zu horten. Sie sind damit Miterzeuger des Liquiditätsvorteils des Geldes.

Dass jemand, der sein Geld verleiht, für die ganze Zeit der Ausleihe Zinsen erhält, erscheint zwar auf den ersten Blick nur recht und billig, weil er ja auch für diese ganze Zeit auf den Liquiditätsvorteil des Geldes verzichtet. Nur wird dabei außer Acht gelassen, dass er selber dieses Produkt öffentlicher Leistung gratis zum Nennwert des Geldes dazu bekommen hat. Aber warum muss auf der anderen Seite ein Kreditnehmer für die ganze Laufzeit seines Kredits die Zinsen als den Ausgleich für den Verzicht des Gläubigers auf den Liquiditätsvorteil des Geldes zahlen, wenn doch das Geld selbst mitsamt seinem Liquiditätsvorteil vielleicht bereits am ersten Tag der Kreditaufnahme in andere Hände übergegangen ist? Derjenige, der dann das Geld empfängt, bekommt dessen Liquiditätsvorteil wieder gratis hinzu.

Vorschlag: "Bereitstellungsgebühr"

Sobald man bedenkt, dass der Liquiditätsvorteil des Geldes durch öffentliche Leistung zustande kommt, liegt es nahe, für seine Bereitstellung eine Gebühr einzuführen, die im Unterschied zum oben erwähnten "Geldknick" immer mit dem liquiden Geld selber verbunden bliebe. Sie würde ungefähr dem heutigen Zinssatz entsprechen. Dadurch würde das Geld nicht seine Liquidität verlieren, aber der damit gegebene Vorteil würde durch die Gebühr ausgeglichen. Unser Geld würde neutral. Diese Gebühr wäre immer von demjenigen zu entrichten, der und solange er selber den Liquiditätsvorteil des Geldes genießt, also Kasse hält. Wer sein Geld verleiht, würde von dieser Gebühr für die Zeit der Ausleihe befreit. So bleibt durchaus ein Anreiz, Geld, das man nicht unmittelbar braucht, zu verleihen und damit, anstatt es zu horten, wieder seiner Funktion als Tauschmittler zuzuführen.

Geld würde sich jedoch nicht mehr ohne die eigene Arbeit vermehren lassen. Nicht nur Zinsen, sondern erst recht Zinseszinsen würden obsolet, ohne jedes Verbot. Sie würden entfallen. In einem solchen neuen System mit Bereitstellungsgebühr für den Genuss des Liquiditätsvorteils müsste ein Kreditnehmer anstelle der bisherigen Zinsen für die ganze Laufzeit des von ihm genommenen Kredits nur für die Zeit die Bereitstellungsgebühr zahlen, in der sich das geliehene Geld in seiner Kasse befindet. Wenn er damit einen Kauf tätigt, gehen sowohl der Liquiditätsvorteil des Geldes wie die damit verbundene Verpflichtung zur Bezahlung der Bereitstellungsgebühr in andere Hände über. Der ursprüngliche Kreditnehmer hat nur noch nach Ablauf der vereinbarten Frist den Kredit selber zurückzugeben. Das wird ihm leichter fallen, als wenn er zusätzlich für die ganze Zeit hätte Zinsen zahlen müssen.

Bei einer immer mit dem Liquiditätsvorteil des Geldes verbunden bleibenden Bereitstellungsgebühr könnte man nicht mehr die gleiche Geldmenge zu gleicher Zeit mehrmals mit Zinsen behängen. Dies war nur aufgrund des erwähnten "Geldknicks" überhaupt möglich. Würde bei einem solchen mit einer Bereitstellungsgebühr verbundenem Geld, für das man keine Zinsen mehr bekäme, überhaupt noch ein Anreiz bestehen, sein Geld zu verleihen? Natürlich, denn man würde ja für die Zeit, in der man sein Geld verleiht, von der Bereitstellungsgebühr befreit und stünde sich damit besser, als wollte man sein Geld horten.

Wie lässt sich die Bereitstellungsgebühr erheben? Von Girokonten könnte diese Bereitstellungsgebühr pro Zeiteinheit automatisch abgebucht werden. Etwas schwieriger ist es bei Bargeld: Banknoten müssten von Zeit zu Zeit gegen Gebühr umgetauscht werden. Oder es könnte auf ihnen etwa ein Kalender von Monaten stehen und jeweils die Angabe, welchen Nennwert die Note in dem betreffenden Monat nach Abzug der Gebühr hat. Bei Münzen könnte man eventuell auf eine Bereitstellungsgebühr verzichten; denn niemand würde Säcke von Kleingeld mit sich herumschleppen wollen. Sollte unser Geld irgendwann einmal ganz auf elektronisches Geld umgestellt werden (so dass alle Zahlungen durch Abbuchung von einem Chip geschähen), wäre die Einführung einer Bereitstellungsgebühr am einfachsten.

Abgrenzungen und Antwort auf Einwände

Worin liegt der Unterschied zu einer Inflation? Durch Inflation wird die Währung als Ganze abgewertet, so dass man für einen gleichgebliebenen Nennwert nach einiger Zeit weniger bekommt. Bei der Bereitstellungsgebühr bleibt jedoch die Kaufkraft der Währung selbst vollkommen stabil; nicht einmal eine bloß zweiprozentige Inflation wäre mehr nötig. Die Geldmenge, die jemandem, der länger Kasse halten will, zur Verfügung steht, nähme allerdings mit der Zeit durch den Abzug der Gebühr ab, wenn auch nur geringfügig.

Die Einführung einer Bereitstellungsgebühr wäre gewiss auch ein Instrument, sozusagen ein "archimedisches Knöpfchen", zur Feinregulierung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Handelt es sich also um eine "Umlaufsicherungsgebühr"? Eine solche Bezeichnung würde den Eindruck erwecken, man müsse diese Gebühr gleichsam selbstlos zahlen zur Erreichung eines sozialen Zwecks. Aber der eigentliche Grund für diese Gebühr ist, dass sie die gerechte Kostenerstattung für den gegenwärtigen privaten Genuss des Liquiditätsvorteils ist, der doch Produkt einer Leistung der Öffentlichkeit ist. Irreführend wäre ferner die Behauptung, durch die Verpflichtung zur Zahlung einer Bereitstellungsgebühr werde der Genuss von Liquidität "bestraft", oder es handele sich um eine "Einschränkung der Handlungs- und Entschließungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte". Es geht nur darum, dass die Kosten für die Ermöglichung von Handlungs- und Entschließungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte dann auch von diesen selber getragen werden sollten.

Es handelt sich bei der Bereitstellungsgebühr auch nicht um sogenannte "negative" Zinsen, weil sie ja nur für die Zeit von dem jeweiligen Geldbenutzer erhoben wird, in der er den Liquiditätsvorteil des Geldes genießt, indem er entweder Kasse in bar hält oder aber über Geld auf einem Girokonto verfügt. "Negative Zinsen", also einen Verlust beim Verleihen von Geld, hätte im gegenwärtigen System ein Gläubiger für die ganze Laufzeit des von ihm gegebenen Kredits hinzunehmen.

Auch von der heute häufig geforderten Finanztransaktionssteuer unterscheidet sich die Bereitstellungsgebühr wesentlich. Sie betrifft von vornherein den Genuss des Mehrwerts des Geldes, der eine Stromgröße ist, die unabhängig davon besteht, wie häufig Geld in andere Hände übergeht. Sie würde es dadurch von vornherein verhindern, dass jemand nur mit Geld zusätzliches Geld gewinnen kann, anstatt dass man dies zunächst zulässt und nur nachträglich und im Grunde doch nur wenig besteuert.

Der Haupteinwand gegen Suhrs These von der Nichtneutralität des Geldes aufgrund seines Mehrwerts lautet, dass doch die Nichtprivilegierung jedes Verkäufers genau dadurch ausgeglichen wird, dass er durch den Verkauf nun selber das privilegierte Geld erhält. Also haben abwechselnd alle an dessen Privilegierung teil. Antwort: Da es sich beim Mehrwert um eine Flussgröße im Zeitablauf handelt, entsteht er nur für denjenigen, der sein Geld nicht unverzüglich zur Erfüllung existentieller Bedürfnisse ausgeben muss (für Nahrung, Kleidung, Wohnung), sondern es für einen Zeitablauf erübrigen kann und damit frei ist, für was und wann er es verwenden will.

Bei mit einer Bereitstellungsgebühr verbunden bleibendem Geld hat man für Kredite - außer der Zahlung eben der Gebühr nur für die Dauer des Liquiditätsgenusses selbst - keine weiteren Zinsen zu zahlen. Dies erleichterte den Umgang mit Krediten erheblich. Es würde die Volkswirtschaft von den in den Preisen versteckten Zinsen für die Schulden anderer Leute befreien. Natürlich bliebe es dabei, dass man Kredite nur dann erhält, wenn Aussicht auf ihre Zurückzahlung besteht. Man wird also gewöhnlich eine Sicherheit bieten müssen.

Die Einführung einer immer mit dem Liquiditätsvorteil des Geldes verbunden bleibenden Bereitstellungsgebühr liefe auf eine Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus hinaus und würde sie wirklich sozial machen. Sie würde die Reichen nicht ihres Reichtums berauben, wohl aber eines zusätzlichen Privilegs, nämlich der Möglichkeit, aufgrund bloßen Geldvermögens ohne eigene Leistung noch ein zusätzliches Einkommen zu erzielen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieter Suhr (1939-1990) lehrte Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtsinformatik an der Universität Augsburg und war eine Zeitlang Verfassungsrichter in Bayern. Vgl. Dieter Suhr, The Capitalistic Cost-Benefit-Structure of Money. An Analysis of Money's Structural Nonneutrality and its Effects on the Economy, Berlin u.a. 1989; ders., Netzwerk-neutrales Geld. Eine kritische Analyse des herkömmlichen Geldes und das Konzept einer Finanzinnovation für neutrales Geld, online: http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/suhr/nng.html (14.1.2012).

  2. Vgl. www.bundesbank.de/download/bildung/
    geld_sec2/geld2_gesamt.pdf (14.1.2012), S. 67-72.

  3. Vgl. www.wifo.ac.at/wwa/downloadController/
    displayDbDoc.htm?item=WP_2009_352$.pdf (14.1.2012), S. 6.

S.J., geb. 1935; em. Professor für Fundamentaltheologie, Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt/M.; Mitarbeiter des Jesuit European Social Center in Brüssel; Rue des Trévires 18, 1040 Brüssel/Belgien. E-Mail Link: peter.knauer@jesuiten.org