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Finanztransaktionssteuer - Möglichkeiten und Grenzen

Benjamin Cortez Thorsten Vogel Thorsten Vogel Benjamin Cortez /

/ 17 Minuten zu lesen

Die Diskussion um eine Finanztransaktionssteuer nimmt Fahrt auf. Der Beitrag soll das Konzept der FTS einordnen sowie Erfahrungen mit einer solchen Steuer und Auswirkungen auf die Finanzmärkte aufzeigen.

Einleitung

The introduction of a substantial government transfer tax on all transactions might prove the most serviceable reform available, with a view of mitigating the predominance of speculation over enterprise.
John Maynard Keynes

Im Zuge der Aufarbeitung der Folgen der Weltfinanzkrise der Jahre 2007 bis 2010 hat die Diskussion über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTS) zunehmend an Relevanz gewonnen. So wird sowohl auf europäischer wie auch auf einzelstaatlicher Ebene erwogen, eine Steuer auf Finanztransaktionen zu erheben.

Neben der Generierung von Steueraufkommen liegt das Hauptziel einer FTS in der Eindämmung der als unerwünscht und schädlich erachteten Finanzmarktspekulation. So sollen durch die Erhebung einer Steuer auf Finanztransaktionen kurzfristig-spekulative Handelsaktivitäten eingedämmt und somit ein Beitrag zur Stabilität des Finanzsystems geleistet werden.

Zugleich soll das Steueraufkommen dazu beitragen, die finanziellen Folgen der Finanzkrise für den Staat zu mindern und zukünftige Budgetdefizite zu verringern.

Regulatorische Reaktionen auf die Finanzkrise

Neben der Frage, wie der Finanzsektor steuerlich an den Kosten der Finanzkrise beteiligt werden soll, wurden auf europäischer Ebene flankierende, regulatorische Maßnahmen getroffen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Stabilität des globalen Finanzmarktes zu gewährleisten, künftige Krisen zu vermeiden und zugleich die finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte als Folge der im Rahmen der Finanzkrise implementierten Stabilisierungsmaßnahmen zu mindern. So wendeten im Verlauf der Krise allein die EU-Mitgliedstaaten rund 4,6 Billionen Euro zur "Rettung" des Finanzsektors auf. Die Eckpunkte der Unterstützungs- und Regulierungsmaßnahmen werden im Folgenden kurz dargestellt.

Finanzgarantien und Rekapitalisierung.

Als Reaktion auf die Verwerfungen an den globalen Kapitalmärkten und den damit einhergehenden Vertrauensverlust in die Märkte und die Marktakteure haben zahlreiche Mitgliedstaaten der EU nationale Programme zur Bereitstellung von Finanzgarantien verabschiedet. Das Ziel der Programme liegt darin, die Liquidität der Banken auf Basis eines funktionsfähigen Interbankenmarktes durch die Bereitstellung staatlicher Finanzgarantien oder mittels unmittelbarer Versorgung des Kapitalmarkts bzw. von Finanzinstituten sicherzustellen.

Veräußerung "toxischer" Vermögenswerte.

Als Folge der Finanzkrise enthielten die Bilanzen der Finanzinstitute teilweise in erheblichem Umfang notleidende Wertpapiere (sog. toxische Vermögenswerte). Aufgrund der sich hieraus ergebenden erhöhten Risikoprämie stellten diese eine signifikante Belastung für die Liquidität der Finanzinstitute dar. Um die sich daraus ergebende Belastung zu mindern, wurden von zahlreichen Staaten Abwicklungs- oder Auffangbanken (sog. Bad Banks) als gesonderte Kreditinstitute zur Aufnahme der schädlichen Vermögenswerte errichtet. Durch die Übertragung der "toxischen" Vermögenswerte auf die Abwicklungsbanken konnten die Bilanzen der Finanzinstitute entlastet und die Liquiditätssituation verbessert werden.

Regulatorische Maßnahmen auf EU-Ebene.

Zentrale regulatorische Maßnahmen der EU betreffen die Tätigkeit der Ratingagenturen, eine Regulierung betreffend Hedgefonds (Directive on Alternative Fund Managers), die Implementierung einer europäischen Institution zur Überwachung der Risiken der Stabilität der Finanzmärkte (European Systemic Risk Board/ESRB) sowie die Etablierung einer Institution zur Stärkung der Vernetzung und Zusammenarbeit der nationalen Überwachungsgremien der Mitgliedstaaten (European System of Financial Supervisors/ESFS). Daneben erwägen die EU sowie einzelne Mitgliedstaaten die Erhebung einer Bankenabgabe sowie eine Steuer auf Finanztransaktionen.

Im Rahmen des G-20-Treffens in Pittsburgh im September 2009 wurde der Internationale Währungsfonds (IWF) beauftragt, Lösungsansätze auszuarbeiten, wie die Finanzbranche an den Kosten der Finanzkrise beteiligt werden könnte. Der Zwischenbericht des IWF an die G-20 vom April 2010 sah mit der Einführung eines Finanzstabilitätsbeitrages (Financial Stability Contribution/FSC; auch Bankenabgabe), einer Finanzaktivitätssteuer (Financial Activities Tax/FAT) sowie einer FTS drei Ansätze vor. Der IWF nahm im Hinblick auf die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen eine kritische Position ein und favorisierte eine Finanzaktivitätssteuer.

Vor dem Hintergrund der faktischen Unmöglichkeit der weltweiten Einführung einer Steuer auf Finanzinstitute nahmen die G-20 im Rahmen ihres Treffens am 26. Juni 2010 in Toronto von diesem Ansatz Abstand. Vielmehr verlagerte sich der Fokus nun auf die Einführung einer Bankenabgabe auf einzelstaatlicher Ebene. Diesbezüglich haben sich verschiedene Staaten dazu entschlossen, eine Bankenabgabe einzuführen. So haben etwa Deutschland, Großbritannien und Österreich auf der Basis nationaler Gesetze eine solche Abgabe eingeführt, während auf der Ebene der Europäischen Kommission weiter erwogen wird, eine EU-einheitliche Bankenabgabe einzuführen.

Innerhalb der EU wird zudem seit Juni 2010 neben der Einführung einer EU-weiten Bankenabgabe die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen erwogen. Eine FTS, die insbesondere von Deutschland, Frankreich und Österreich befürwortet wird, wäre eine von einer Bankenabgabe unabhängige Steuer auf Finanztransaktionen. Mit der Veröffentlichung eines Richtlinienvorschlags zur Einführung einer FTS vom September 2011 hat die Europäische Kommission einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Einführung einer solchen Steuer unternommen. Innerhalb der EU stößt die Einführung einer FTS indes auf erheblichen Widerstand von Seiten Schwedens und Großbritanniens. Aufgrund der Position Londons als weltweit bedeutender und innerhalb Europas bedeutendster Finanzplatz hat die Gegnerschaft Großbritanniens besonderes Gewicht.

Konzepte zur steuerlichen Belastung des Finanzsektors

Bevor das Konzept der FTS ausführlich beleuchtet wird, soll zunächst ein Überblick über aktuell diskutierte Konzepte zur Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Finanzkrise gegeben werden (siehe Abbildung der PDF-Version).

Bei der innerhalb der EU diskutierten FTS handelt es sich um eine Kapitalverkehrssteuer, die ihren Ursprung in der 1972 von dem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler James Tobin nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems (feste Wechselkurse) veröffentlichten Idee der Einführung einer (sehr niedrigen) Steuer auf sämtliche internationalen Devisengeschäfte hat. Während die sog. Tobin-Steuer zum Ziel hat, kurzfristige Spekulationen auf Währungsschwankungen durch eine internationale und multilaterale Lenkungsabgabe auf alle Devisentransaktionen einzudämmen, sieht die Einführung einer allgemeinen FTS eine hoheitlich auferlegte Abgabe auf börsliche und außerbörsliche Transaktionen vor. Während es sich bei der Tobin-Steuer um eine Steuer auf spezifische Finanztransaktionen handelt, belastet eine allgemeine FTS sämtliche Transaktionen mit Finanzwerten wie Aktien, Renten, Finanz- und Rohstoffderivaten oder Devisen mit einer Steuer, so dass deren Anwendungsbereich deutlich weitergefasst ist.

Eine Steuer auf Finanztransaktionen ist in Deutschland nicht unbekannt. So existierte in der Bundesrepublik bis 1990 mit der Börsenumsatzsteuer eine spezielle Form einer FTS, die auf Umsätze mit Gesellschaftsrechten an Kapitalgesellschaften im Sekundärmarkt (z.B. Aktienerwerb an Börsen, Erwerb von GmbH-Anteilen vom Vorbesitzer) erhoben wurde. Die Börsenumsatzsteuer belastete börsliche Transaktionen, während außerbörsliche unbelastet blieben. Die Börsenumsatzsteuer wurde vor dem Hintergrund eines möglichen Wettbewerbsnachteils für den Finanzplatz Deutschland durch das Finanzmarktförderungsgesetz 1991 abgeschafft.

Mit dem Restrukturierungsgesetz vom November 2010 hat der Gesetzgeber eine Sonderabgabe für Banken eingeführt. Die Höhe der Bankenabgabe richtet sich nach Risikoausrichtung, Geschäftsvolumen, Größe und Vernetzung des beitragspflichtigen Kreditinstituts im Finanzmarkt. Dabei ist die Summe der eingegangenen Verbindlichkeiten bzw. Passiva (neben weiteren Positionen ist das Eigenkapital ausgenommen) und der Umfang der noch nicht abgewickelten Termingeschäfte maßgebend. Die Beiträge müssen so bemessen sein, dass sie ausreichen, um die Maßnahmen und Kosten des Restrukturierungsfonds zu finanzieren. Neben den Jahresbeiträgen können auch Sonderbeiträge erhoben werden. Die Einzelheiten für die Ermittlung der Jahres- und Sonderbeiträge werden in der Verordnung über die Erhebung der Beiträge zum Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute (RStruktFV) geregelt. Demnach enthält die Bankenabgabe eine Zumutbarkeits- oder Kappungsgrenze, wonach beispielsweise festgelegt wurde, dass die Abgabe ein Fünftel des Gewinns einer Bank nicht übersteigen darf. Durch die Abgabe konnte der Bund im Jahr 2011 Einnahmen in Höhe von 600 Millionen Euro erzielen. Hierdurch soll ein Restrukturierungsfonds gespeist werden, um den Bankensektor an den Kosten der gegenwärtigen sowie künftiger Finanzkrisen zu beteiligen. So sollen in Krisenzeiten die Fondsmittel eingesetzt werden, um den Bankensektor zu stabilisieren. Die Bankenabgabe belastet insofern Kreditinstitute, während die FTS einzelne Transaktionen belastet.

In der politischen Diskussion besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass eine Bankenabgabe der Einführung einer FTS nicht entgegensteht. Vielmehr soll die Bankenabgabe durch eine generelle FTS ergänzt werden. Die generelle FTS steht gewissermaßen in Konkurrenz zu der vom IWF favorisierten Finanzaktivitätssteuer, die eine spezifische Steuer nur auf Gewinne aus einzelnen Aktivitäten und Vergütungen der Kreditinstitute darstellt.

Erfahrungen in Schweden und Großbritannien

Die FTS ist keine exotische Steuer. So erhebt ein Großteil der Staaten der Welt in der einen oder anderen Form eine Transaktionssteuer auf Geschäfte mit Wertpapieren aller Art. Bedeutende Ausnahmen bilden Deutschland, Japan und insbesondere die USA. Für eine (erste) Einschätzung der Probleme und Risiken, die mit der Implementierung einer FTS in Deutschland oder auf EU-Ebene einhergehen können, kann auf die Erfahrungen mit einer solchen Steuer in Schweden (negatives Beispiel) oder Großbritannien (positives Beispiel) zurückgegriffen werden.

Schweden

erhob von 1984 bis 1991 eine Steuer auf Finanztransaktionen, die in diesem Zeitraum zahlreichen Änderungen unterlag. Zunächst umfasste die Steuer nur den Aktienhandel und Derivatetransaktionen. Der Steuersatz belief sich anfänglich auf 1% und wurde zum Juli 1986 auf 2% erhöht. Ferner kam es zu einer deutlichen Ausweitung der Bemessungsgrundlage, mit der Konsequenz, dass ab 1987 zunächst auch Transaktionen zwischen Händlern und ab 1989 auch festverzinsliche Wertpapiere der FTS unterlagen.

Die Verdopplung des Steuersatzes sowie die Ausweitung der Bemessungsgrundlage rief starke Vermeidungsreaktionen an den schwedischen Finanzmärkten hervor. So wanderte im Jahr 1986 bereits 60% des Handelsvolumens der elf größten schwedischen Aktien nach London ab, was über 30% des gesamten schwedischen Handelsvolumens entsprach. Bis 1990 verringerte sich das Handelsvolumen sogar um fast 50%. Insbesondere die Ausweitung der Bemessungsgrundlage auf festverzinsliche Wertpapiere ab 1989 brachte die schwedischen Finanzmärkte fast völlig zum Erliegen, so dass das Handelsvolumen mit festverzinslichen Wertpapieren gegenüber dem Niveau von 1987 um ca. 85%, der Handel mit Futures auf diese Papiere sogar um 98% zurückging und das Optionsgeschäft praktisch nicht mehr existierte. Auch weil die schwedische Notenbank im Zuge dieser Entwicklungen kaum mehr in der Lage war, eine effektive Geldpolitik zu betreiben, wurde die FTS bis Ende 1991 abgeschafft. In den Folgejahren kehrte das Handelsvolumen schließlich nach Schweden zurück.

Im Gegensatz zu den Erfahrungen in Schweden wird im Rahmen der Diskussion um die Einführung einer FTS häufig Großbritannien als Erfolgsbeispiel angeführt. So wird in Großbritannien neben der seit 1694 bestehenden, jedoch 2003 bis auf wenige Ausnahmen weitestgehend abgeschafften Stamp Duty (SD) auch die im Rahmen des Finance Act 1986 eingeführte Stamp Duty Reserve Tax (SDRT) bei der Übertragung von Geschäftsanteilen und Wertpapieren zusätzlich erhoben. Während die SD als eine Stempelsteuer bei der Übertragung von Geschäftsanteilen und Wertpapieren, die in zertifizierter Form gehalten werden und deren Transfer nur mittels eines physischen Formulars (Stock Transfer Form) möglich ist, erhoben wird, beschränkt sich die SDRT auf den Kauf von Aktien, börsenfähigen Wertpapieren und bestimmten Geschäftsanteilen bei elektronischen Transaktionen.

Trotz der Bezeichnung als Stempelsteuer handelt es sich bei der SDRT um eine reine Transfersteuer. Da es sich bei der Übertragung von Wertpapieren und Geschäftsanteilen üblicherweise um elektronische Transaktionen ohne die Notwendigkeit eines physischen Übertragungsformulars handelt, nimmt die SDRT im Verhältnis zur SD die bedeutendere Rolle ein.

Für die SD wie auch für die SDRT kommt ein Steuersatz von 0,5% des jeweiligen Kaufpreises zur Anwendung. Hiervon abweichend kommt ein höherer Satz von 1,5% bei der Übertragung von Aktien oder börsenfähigen Wertpapieren an Clearingstellen oder zur Umwandlung in Einlagenzertifikate zur Anwendung. Der Satz von 1,5% gilt quasi als exit charge und kommt etwa dann zur Geltung, wenn auf Finanzprodukte umgestiegen wird, auf die keine SDRT anfällt. Insoweit handelt es sich bei der britischen Version der FTS um eine Transaktionssteuer, die unabhängig vom Ort der Transaktion und der Ansässigkeit des Erwerbers erhoben wird. Entscheidend ist lediglich, ob es sich bei dem erworbenen Anteil um den eines in Großbritannien ansässigen Unternehmens handelt. Der Anwendungsbereich der SDRT ist aufgrund zahlreicher Ausnahmen, etwa für britische Staatspapiere, Transaktionen durch zugelassene Vermittler oder Derivate, stark eingeschränkt.

Eine FTS birgt also zahlreiche Risiken, die bei ihrer Ausgestaltung bedacht werden müssen. Negative Erfahrungen mit der Implementierung einer FTS wie in Schweden zeigen, dass insbesondere Vermeidungsmöglichkeiten eingeschränkt werden müssen. Zugleich zeigen die positiven Erfahrungen mit der SDRT in Großbritannien mit ihrer nun fast 25-jährigen Geschichte und der ungebrochenen Bedeutung des Finanzplatzes London als internationalem Finanzzentrum, dass eine erfolgreiche Umsetzung einer Steuer auf Finanztransaktionen ohne negative Auswirkungen auf den Kapitalmarkt möglich ist.

Ein Grund für den Erfolg der SDRT in Großbritannien ist wohl auch in den umfangreichen Ausnahmeregelungen zu sehen. Die Nichterfassung von Derivaten unter die SDRT allein schließt einen signifikanten Anteil der Transaktionen aus dem Anwendungsbereich der Steuer aus, welches, sofern es schädliche, spekulative Transaktionen betrifft, der gewünschten Lenkungswirkung einer FTS entgegensteht.

Die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen stellt für den Gesetzgeber daher eine Gratwanderung dar: Während auf der einen Seite der Anwendungsbereich zur Einschränkung von Vermeidungsreaktionen möglichst groß sein muss, ist es zugleich zwingend erforderlich, das Funktionieren der Kapitalmärkte nicht unnötig einzuschränken. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise und der in der Eindämmung schädlicher Finanztransaktionen gesehenen Zielsetzung der FTS ist es notwendig, ökonomisch angemessene Transaktionen nicht unnötig zu belasten.

Ökonomische Anreize

Eine FTS kann einerseits Anreize zur Erfüllung eines explizit (politisch) erwünschten Lenkungszweckes setzen, andererseits jedoch unerwünschte Nebeneffekte mit sich bringen, die so weit wie möglich verhindert werden müssen. Ein wesentlicher Diskussionspunkt sind die Auswirkungen auf die Volatilität an den Kapitalmärkten. So sehen die Befürworter in der FTS eine geeignete Maßnahme zur Einschränkung der durch kurzfristig und spekulativ agierende Händler, noise-trader, verursachte Volatilitäten (Kursschwankungen). Doch basieren deren Transaktionen weniger auf veränderten Fundamentaldaten, sondern vielmehr auf technischen oder computerbasierten Analyseverfahren. Hier besteht jedoch das Problem, dass eine FTS im Grundsatz alle Finanzmarkttransaktionen treffen würde und nicht nur solche, die als noise-trading destabilisierende Wirkung entfalten. Auch Geschäfte, die tatsächlich als Reaktion auf veränderte Fundamentaldaten getätigt werden, also neue Informationen in die Kurse einfließen lassen und damit der Markteffizienz dienen, würden gleichermaßen von einer FTS getroffen.

Unstrittig ist, dass durch die Einführung einer FTS die Transaktionskosten steigen, was in Konsequenz wiederum das Handelsvolumen und die Anzahl der Transaktionen verringert. Als Folge der gestiegenen Transaktionskosten fließt insgesamt weniger Kapital in die Märkte, wodurch die Liquidität sinkt. Deutliche Unterschiede bestehen zwischen den verschiedenen Wertpapierkategorien: Je liquider die Wertpapiere, desto größer wäre der Liquiditätsverlust durch eine FTS. Die größten Auswirkungen ergäben sich demzufolge auf sehr liquide Wertpapiere und Märkte.

Ferner könnte es auch zu einer durch eine FTS bedingten Reduzierung des Handelsvolumens an den Finanzmärkten kommen. So haben Steuerpflichtige generell das Ziel, Steuerzahlungen so gering als möglich zu halten, was im Regime einer FTS dadurch erreicht werden kann, dass weniger Mittel in von der FTS betroffene Produkte investiert werden. Je kürzer dabei die Laufzeit oder geplante Haltefrist eines Produktes ist, desto stärker wäre bei konstantem Steuersatz der Rückgang in diesem Segment; Derivate- und Optionsmärkte hätten mit einem besonders starken Rückgang zu rechnen.

Zwischen der Rendite einer Anlage und den Transaktionskosten gibt es einen engen Zusammenhang. Die Kapitalkosten eines Unternehmens werden von der von den Kapitalgebern verlangten Mindestrendite determiniert. Steigen aufgrund einer FTS die Transaktionskosten, so könnte dies mit der Forderung von Investoren einhergehen, dass auch die Mindestrendite steigen muss. Für die Unternehmen würde dies einen Anstieg der Kapitalkosten bedeuten.

Grundsätzliche Funktionsweise einer Finanztransaktionssteuer

Am 28. September 2011 hat die Europäische Kommission einen Richtlinienentwurf zur Implementierung einer FTS auf EU-Ebene vorgelegt. Ziel ist es, diese bis 2014 EU-weit einzuführen. Im Folgenden sollen die Eckpunkte des Richtlinienvorschlags kurz dargestellt und analysiert werden.

Persönlicher Anwendungsbereich.

FTS-pflichtig sollen grundsätzlich alle Transaktionen sein, bei welchen einer der beiden Akteure (Käufer oder Verkäufer) innerhalb der EU ansässig ist sowie ein Finanzinstitut eine Transaktionspartei darstellt, wobei das Finanzinstitut entweder auf eigene oder auf fremde Rechnung tätig werden kann. Es wird bei der persönlichen Steuerpflicht das Ansässigkeitsprinzip verfolgt; der Ort, an dem die Transaktion stattfindet, ist grundsätzlich irrelevant. Hier sind insbesondere die schwedischen Erfahrungen eingeflossen, wo bei der Anknüpfung an den Ort der Transaktion massive Abwanderungstendenzen in ausländische Finanzzentren aufgetreten sind.

Die Ansässigkeit eines Finanzinstituts in der EU wird durch folgende Tatbestände konkretisiert: vorhandene Genehmigung, in einem EU-Mitgliedstaat als Finanzinstitut tätig zu sein (z.B. Banklizenz); der eingetragene Sitz des Finanzinstituts liegt in der EU; eine feste Anschrift oder der gewöhnliche Sitz des Finanzinstituts liegt in der EU; das Finanzinstitut hat eine Zweigstelle in der EU, in deren Namen die Transaktion durchgeführt wird oder es ist Gegenpartei eines nach den obigen Bedingungen in der EU ansässigen Finanzinstituts. Zu beachten ist, dass nur einer dieser Tatbestände erfüllt sein muss, um die FTS-Pflicht auszulösen. Eine (legale) Umgehung mit Stützung auf die Ansässigkeitsfrage ist nur durch kompletten Rückzug aus der EU und unter Aufgabe des Tätigwerdens als Finanzinstitut in der EU möglich.

Sachlicher Anwendungsbereich.

Grundsätzlich wird der Anwendungsbereich bezüglich der steuerpflichtigen Finanzprodukte möglichst umfassend gehalten. Nicht nur Aktien, Anleihen und ähnliche Produkte, sondern insbesondere auch Derivate sollen der FTS-Pflicht unterliegen. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob eine Transaktion an einer Börse oder außerhalb einer Börse (over the counter) stattfindet. Um der Zielsetzung einer FTS gerecht zu werden, soll der Handel mit Finanzinstrumenten besteuert werden, nicht jedoch die erstmalige Emission: Die Ausgabe von Aktien und Anleihen (Primärmarkt) wird nicht besteuert; steuerpflichtig ist der Handel mit Finanzinstrumenten auf dem Sekundärmarkt. Bemessungsgrundlage der FTS ist generell der Bruttowert einer Transaktion, im Falle von Derivatetransaktionen der Nominalbetrag des Derivats zum Transaktionszeitpunkt.

Steuersatz.

Die EU-Kommission möchte den Mitgliedstaaten nur einen Mindeststeuersatz vorschreiben, der von einzelnen Staaten demzufolge auch erhöht werden kann. Dieser Steuersatz soll grundsätzlich 0,1% der Bemessungsgrundlage betragen, bei Derivaten 0,01%. Aus wettbewerbspolitischen Gründen dürften die meisten Staaten kaum von ihrem Recht Gebrauch machen, höhere Steuersätze zu implementieren; dies auch deshalb, da das Steueraufkommen sowieso dem EU-Haushalt und nicht den nationalstaatlichen Haushalten zufließen soll.

Ausgestaltung als originäre EU-Steuer.

Zumindest teilweise sollen die Einnahmen, die von der Kommission bei einer Umsetzung des Vorschlags mit jährlich 57 Milliarden Euro beziffert werden, direkt in den EU-Haushalt eingestellt werden. Im Gegenzug könnten die jährlichen Zuweisungen aus den Mitgliedstaaten an die EU reduziert werden. Zwar wäre eine solche EU-Steuer ein Meilenstein der europäischen Integration und würde die EU unabhängiger von einzelnen Beitragszahlern machen, jedoch ist zu beachten, dass das Steueraufkommen tatsächlich zu großen Teilen an den europäischen Finanzzentren (London und Frankfurt/Main) generiert würde. Faktisch würde damit dort entstehendes Steueraufkommen an die EU transferiert. Auch hiermit könnte der Widerstand Großbritanniens gegen eine solche Steuer erklärt werden.

Politische Entwicklungen und Vermeidungsgefahren

Der Flaschenhals im Rahmen der Umsetzung des europäischen Richtlinienkonzeptes stellt insbesondere die intendierte Einführung auf Ebene der EU-27 dar. Denn dies erfordert notwendigerweise den Einbezug von strikt opponierenden Ländern, im Speziellen also den Einbezug von Großbritannien. Demzufolge ist die Umsetzung des Richtlinienvorschlags in diesem Punkt aus politischen Gründen sehr fraglich. Alternativ könnte eine Abänderung des FTS-Konzeptes erwogen werden. Folgende Konzepte werden in diesem Zusammenhang diskutiert bzw. wären denkbar.

Umsetzung des EU-Richtlinienvorschlages auf Ebene der Eurozone (EU-17).

Weil die schärfsten Gegner einer FTS nicht der Eurozone angehören, dürfte ein solcher Vorschlag zumindest politisch große Umsetzungschancen haben. Die Gefahren bestehen jedoch darin, dass eine solche FTS ihre Wirkung nur dann entfalten kann, wenn Abwanderungstendenzen, insbesondere nach London, vermieden werden können. Dies ist in Umsetzung des Kommissionsvorschlags nur dann möglich, wenn die nicht teilnehmenden Nicht-Euroländer für Zwecke der FTS vollumfänglich als Drittländer (d.h. als nicht-EU-zugehörig) behandelt werden. Faktisch dürfte dies nicht zulässig sein, da Konflikte mit den Europäischen Grundfreiheiten (Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, allgemeines Diskriminierungsverbot) offenkundig wären und nur durch eine Änderung der Europäischen Verträge unterbleiben könnten. Dass aber aufgrund einer FTS die Grundpfeiler des Europäischen Binnenmarktes und des Lissabon-Vertrages aufgeweicht werden, scheint kaum denkbar.

Umsetzung auf Ebene einzelner Länder.

Eine einzelstaatliche Vorgehensweise dürfte naturgemäß die größten territorialen Abwanderungsgefahren innerhalb der EU hervorrufen. Grundsätzlich gelten hier dieselben Aussagen wie oben, nur entsprechend stärker ausgeprägt, wenn noch weniger Länder als die 17 Euroländer eine FTS implementieren. Zudem müssten bei mehreren unterschiedlichen FTS-Regimen in der EU Regelungen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung getroffen werden. Dieser Vorschlag dürfte nur dann sinnvoll sein, wenn sich der die FTS implementierende Staat in einer Vorreiterrolle sieht und damit rechnet, dass andere Staaten nachziehen.

In der politischen Diskussion wurde als weiterer Vorschlag angebracht, das britische FTS-System der SD/SDRT auch für die restlichen EU-Länder zu übernehmen. Diese Vorgehensweise hätte den Charme, dass Großbritannien automatisch mit im Boot wäre und damit die Abwanderungstendenzen des Euro-Zonen-Vorschlags vermieden werden könnten. Nachteilig wäre bei diesem Vorschlag jedoch, dass die SD/SDRT zahlreiche Ausnahmetatbestände vorsieht, die zum einen das angestrebte und erhoffte Steueraufkommen deutlich verringern dürfte; zum anderen sollte aufgrund der Befreiung von Derivatetransaktionen ein potenzieller Lenkungseffekt hin zu einer Eindämmung "schädlicher Finanzmarktspekulation" dann erst recht nicht mehr erreichbar sein. Zur reinen Aufkommensgenerierung in kleinerem Umfang scheint dieser Vorschlag jedoch geeignet.

Das potentielle FTS-Regime der EU zu umgehen, ist auf illegalem Wege denkbar: Privatanleger könnten Transaktionen etwa über nicht-personenbezogene Drittstaaten-Nummernkonten, etwa in der Schweiz, durchführen. Zudem könnten Deklarationspflichten durch die zu einer FTS-Erklärung und -Voranmeldung verpflichteten Institute bewusst verletzt werden und Transaktionen verschleiert werden. Für die Finanzverwaltung wären in jedem Fall speziell ausgebildete Außenprüfer notwendig.

Nicht zu vergessen ist bei allen Gefahren jedoch die Tatsache, dass es weltweit unzählige funktionierende FTS-Regime gibt. Vor allem Anleger, die nicht nur kurzfristig orientiert sind und demzufolge auch nicht täglich zahlreiche Transaktionen durchführen, könnte eine FTS in Höhe von 0,1% wohl kaum dazu veranlassen, Vermeidungsreaktionen zu zeigen - vor allem auch deswegen, weil schon jetzt Bank-, Makler- und Börsengebühren anfallen, die teilweise stärker ins Gewicht fallen, als es eine FTS jemals könnte.

Fazit

Die Einführung einer FTS birgt zahlreiche Risiken, die vom Gesetzgeber bedacht werden müssen. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, den Reiz des Steueraufkommens mit den Risiken der Implementierung einer FTS abzuwägen. Eine europäische Lösung ist gegenüber isolierter, nationalstaatlicher Regelungen zu favorisieren.

Die Europäische Kommission hat mit der Veröffentlichung des Richtlinienentwurfes einen ersten Schritt zu einer europäischen FTS unternommen. Es erscheint jedoch fraglich, ob das Vorhaben der Einführung einer FTS den zu erwartenden starken Widerständen der Finanzbranche und einzelner Länder trotzen kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. General Theory of Employment, Interest and Money, London 1936, S. 143.

  2. Vgl. Peter Wahl/Peter Waldow, Devisenumsatzsteuer - Ein Konzept mit Zukunft, Bonn 2001, S. 5ff.; Stephan Schulmeister, Overcoming Short-termism, Washington, D.C. 2009, S. 1ff.

  3. Vgl. Rede von José Manuel Barroso vom 28.9.2011, Speech/11/607, online: http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.
    do?reference=SPEECH/11/607&format=HTML
    &aged=0&language=DE&guiLanguage=en (19.2.2012).

  4. Vgl. European Commission, Regulation No. 1060/2009 on Credit Rating Agencies, 16.9.2009. Hierzu weitergehend Benjamin Cortez/Stephan Schön, Die neue EU-Verordnung über Ratingagenturen, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 63 (2010) 5, S. 226-229.

  5. Vgl. European Commission, Press Release, Financial Services: Commission Proposes EU Framework for Managers of Alternative Investment Funds, 29.4.2009, online: http://ec.europa.eu/internal_market/
    investment/alternative_investments_en.htm (19.2.2012).

  6. Vgl. European Commission, Press Release, Commission adopts legislative proposals to strengthen financial supervision in Europe, 23.9.2009, online: http://europa.eu/rapid/pressReleases
    Action.do?reference=IP/09/1347 (19.2.2012).

  7. Vgl. ebd.

  8. Vgl. IMF, News from G-20 Meeting, November 16, 2009, online www.imf.org/external/np/exr/cs/news/
    2009/cso108.htm (19.2.2012).

  9. "A FTT does not appear well suited to the specific purposes set out in the mandate from G-20 leaders"; vgl. IMF, A fair and substantial contribution by the financial sector - Interim report for the G-20, 16.4.2010, S. 16, online: www.imf.org/external/np/g20/pdf/062710b.pdf (19.2.2012).

  10. Vgl. G20, The G20 Toronto Summit Declaration, June 26, 2010, No. 21, online: www.g8.utoronto.ca/g20/2010/g20_
    declaration_en.pdf (19.2.2012).

  11. Vgl. KPMG, Proposed bank levies - comparison of certain jurisdictions, 9/2010, online: www.kpmg.com/IE/en/IssuesAndInsights/
    ArticlesPublications/Documents/FS-BankingFinance/BankLevvies.pdf (19.2.2012).

  12. Vgl. hierzu Thorsten Vogel, Der EU-Richtlinienvorschlag zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer, in: Internationales Steuerrecht, 21 (2012) 1, S. 12-17.

  13. Vgl. Stephan Schulmeister, in: WIFO (Hrsg.), Eine generelle Finanztransaktionssteuer, Wien 2009, S. 2f.

  14. Vgl. Bernhard Strodthoff, Die Börsenumsatzsteuer - ein Grundriß, Freiburg i.Br. 1976, S. 5ff.

  15. Vgl. Frank M. Drost, Bund lässt sich bei Bankenabgabe hohe Einnahmen entgehen, in: Handelsblatt vom 3.1.2012, online: www.handelsblatt.com/unternehmen/
    banken/kreditwirtschaft-bund-laesst-sich-bei-bankenabgabe-hohe-einnahmen-entgehen/6016998.html (19.2.2012).

  16. Vgl. IMF (Anm. 9), S. 16.

  17. Vgl. zur schwedischen FTS: Steven R. Umlauf, Transaction taxes and the behavior of the Swedish stock market, in: Journal of Financial Economics, 33 (1993), S. 227-240.

  18. Vgl. ebd., S. 229f.

  19. Vgl. Benjamin Cortez/Thorsten Vogel, A Financial Transaction Tax for Europe?, in: EC Tax Review, 20 (2011) 1, S. 26.

  20. Vgl. Patrick Cannon, Tolley's Stamp Duties and Stamp Duty Reserve Tax 2001-02, London 2001, S. 61.

  21. Vgl. B. Cortez/T. Vogel (Anm. 19), S. 27.

  22. Vgl. Richtlinienvorschlag KOM(2011) 594 vom 28.9.2011, Art. 1 Abs. 2, online: http://eur-ex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0594:FIN:DE:PDF (18.2.2012).

  23. Vgl. ebd., Art. 3 Abs. 1.

  24. Vgl. hierzu auch T. Vogel (Anm. 12), S. 16f.

  25. Vgl. ebd., S. 14.

  26. Vgl. Richtlinienvorschlag KOM(2011) 594 (Anm. 22), S. 12.

  27. Vgl. Gerard Meussen, A New Tax Strategy for the European Union: FTT and FAT, Realistic or a Bridge too Far?, in: European Taxation, 51 (2011) 2-3, S. 101.

Dipl. oec., geb. 1982; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Prüfungswesen an der Universität Hohenheim, 70593 Stuttgart. E-Mail Link: sbcortez@uni-hohenheim.de

Dipl. oec., geb. 1985; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Prüfungswesen an der Universität Hohenheim (s.o.). E-Mail Link: thorsten.vogel@uni-hohenheim.de