Einleitung
The introduction of a substantial government transfer tax on all transactions might prove the most serviceable reform available, with a view of mitigating the predominance of speculation over enterprise.
John Maynard Keynes
Im Zuge der Aufarbeitung der Folgen der Weltfinanzkrise der Jahre 2007 bis 2010 hat die Diskussion über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTS) zunehmend an Relevanz gewonnen. So wird sowohl auf europäischer wie auch auf einzelstaatlicher Ebene erwogen, eine Steuer auf Finanztransaktionen zu erheben.
Neben der Generierung von Steueraufkommen liegt das Hauptziel einer FTS in der Eindämmung der als unerwünscht und schädlich erachteten Finanzmarktspekulation. So sollen durch die Erhebung einer Steuer auf Finanztransaktionen kurzfristig-spekulative Handelsaktivitäten eingedämmt und somit ein Beitrag zur Stabilität des Finanzsystems geleistet werden.
Zugleich soll das Steueraufkommen dazu beitragen, die finanziellen Folgen der Finanzkrise für den Staat zu mindern und zukünftige Budgetdefizite zu verringern.
Regulatorische Reaktionen auf die Finanzkrise
Neben der Frage, wie der Finanzsektor steuerlich an den Kosten der Finanzkrise beteiligt werden soll, wurden auf europäischer Ebene flankierende, regulatorische Maßnahmen getroffen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Stabilität des globalen Finanzmarktes zu gewährleisten, künftige Krisen zu vermeiden und zugleich die finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte als Folge der im Rahmen der Finanzkrise implementierten Stabilisierungsmaßnahmen zu mindern. So wendeten im Verlauf der Krise allein die EU-Mitgliedstaaten rund 4,6 Billionen Euro zur "Rettung" des Finanzsektors auf.
Finanzgarantien und Rekapitalisierung.
Als Reaktion auf die Verwerfungen an den globalen Kapitalmärkten und den damit einhergehenden Vertrauensverlust in die Märkte und die Marktakteure haben zahlreiche Mitgliedstaaten der EU nationale Programme zur Bereitstellung von Finanzgarantien verabschiedet. Das Ziel der Programme liegt darin, die Liquidität der Banken auf Basis eines funktionsfähigen Interbankenmarktes durch die Bereitstellung staatlicher Finanzgarantien oder mittels unmittelbarer Versorgung des Kapitalmarkts bzw. von Finanzinstituten sicherzustellen.
Veräußerung "toxischer" Vermögenswerte.
Als Folge der Finanzkrise enthielten die Bilanzen der Finanzinstitute teilweise in erheblichem Umfang notleidende Wertpapiere (sog. toxische Vermögenswerte). Aufgrund der sich hieraus ergebenden erhöhten Risikoprämie stellten diese eine signifikante Belastung für die Liquidität der Finanzinstitute dar. Um die sich daraus ergebende Belastung zu mindern, wurden von zahlreichen Staaten Abwicklungs- oder Auffangbanken (sog. Bad Banks) als gesonderte Kreditinstitute zur Aufnahme der schädlichen Vermögenswerte errichtet. Durch die Übertragung der "toxischen" Vermögenswerte auf die Abwicklungsbanken konnten die Bilanzen der Finanzinstitute entlastet und die Liquiditätssituation verbessert werden.
Regulatorische Maßnahmen auf EU-Ebene.
Zentrale regulatorische Maßnahmen der EU betreffen die Tätigkeit der Ratingagenturen,
Im Rahmen des G-20-Treffens in Pittsburgh im September 2009 wurde der Internationale Währungsfonds (IWF) beauftragt, Lösungsansätze auszuarbeiten, wie die Finanzbranche an den Kosten der Finanzkrise beteiligt werden könnte.
Vor dem Hintergrund der faktischen Unmöglichkeit der weltweiten Einführung einer Steuer auf Finanzinstitute nahmen die G-20 im Rahmen ihres Treffens am 26. Juni 2010 in Toronto von diesem Ansatz Abstand.
Innerhalb der EU wird zudem seit Juni 2010 neben der Einführung einer EU-weiten Bankenabgabe die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen erwogen. Eine FTS, die insbesondere von Deutschland, Frankreich und Österreich befürwortet wird, wäre eine von einer Bankenabgabe unabhängige Steuer auf Finanztransaktionen. Mit der Veröffentlichung eines Richtlinienvorschlags zur Einführung einer FTS vom September 2011 hat die Europäische Kommission einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Einführung einer solchen Steuer unternommen.
Konzepte zur steuerlichen Belastung des Finanzsektors
Bevor das Konzept der FTS ausführlich beleuchtet wird, soll zunächst ein Überblick über aktuell diskutierte Konzepte zur Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Finanzkrise gegeben werden (siehe Abbildung der PDF-Version).
Bei der innerhalb der EU diskutierten FTS handelt es sich um eine Kapitalverkehrssteuer, die ihren Ursprung in der 1972 von dem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler James Tobin nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems (feste Wechselkurse) veröffentlichten Idee der Einführung einer (sehr niedrigen) Steuer auf sämtliche internationalen Devisengeschäfte hat. Während die sog. Tobin-Steuer zum Ziel hat, kurzfristige Spekulationen auf Währungsschwankungen durch eine internationale und multilaterale Lenkungsabgabe auf alle Devisentransaktionen einzudämmen, sieht die Einführung einer allgemeinen FTS eine hoheitlich auferlegte Abgabe auf börsliche und außerbörsliche Transaktionen vor.
Eine Steuer auf Finanztransaktionen ist in Deutschland nicht unbekannt. So existierte in der Bundesrepublik bis 1990 mit der Börsenumsatzsteuer eine spezielle Form einer FTS, die auf Umsätze mit Gesellschaftsrechten an Kapitalgesellschaften im Sekundärmarkt (z.B. Aktienerwerb an Börsen, Erwerb von GmbH-Anteilen vom Vorbesitzer) erhoben wurde.
Mit dem Restrukturierungsgesetz vom November 2010 hat der Gesetzgeber eine Sonderabgabe für Banken eingeführt. Die Höhe der Bankenabgabe richtet sich nach Risikoausrichtung, Geschäftsvolumen, Größe und Vernetzung des beitragspflichtigen Kreditinstituts im Finanzmarkt. Dabei ist die Summe der eingegangenen Verbindlichkeiten bzw. Passiva (neben weiteren Positionen ist das Eigenkapital ausgenommen) und der Umfang der noch nicht abgewickelten Termingeschäfte maßgebend. Die Beiträge müssen so bemessen sein, dass sie ausreichen, um die Maßnahmen und Kosten des Restrukturierungsfonds zu finanzieren. Neben den Jahresbeiträgen können auch Sonderbeiträge erhoben werden. Die Einzelheiten für die Ermittlung der Jahres- und Sonderbeiträge werden in der Verordnung über die Erhebung der Beiträge zum Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute (RStruktFV) geregelt. Demnach enthält die Bankenabgabe eine Zumutbarkeits- oder Kappungsgrenze, wonach beispielsweise festgelegt wurde, dass die Abgabe ein Fünftel des Gewinns einer Bank nicht übersteigen darf. Durch die Abgabe konnte der Bund im Jahr 2011 Einnahmen in Höhe von 600 Millionen Euro erzielen.
In der politischen Diskussion besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass eine Bankenabgabe der Einführung einer FTS nicht entgegensteht. Vielmehr soll die Bankenabgabe durch eine generelle FTS ergänzt werden. Die generelle FTS steht gewissermaßen in Konkurrenz zu der vom IWF favorisierten Finanzaktivitätssteuer, die eine spezifische Steuer nur auf Gewinne aus einzelnen Aktivitäten und Vergütungen der Kreditinstitute darstellt.
Erfahrungen in Schweden und Großbritannien
Die FTS ist keine exotische Steuer. So erhebt ein Großteil der Staaten der Welt in der einen oder anderen Form eine Transaktionssteuer auf Geschäfte mit Wertpapieren aller Art. Bedeutende Ausnahmen bilden Deutschland, Japan und insbesondere die USA. Für eine (erste) Einschätzung der Probleme und Risiken, die mit der Implementierung einer FTS in Deutschland oder auf EU-Ebene einhergehen können, kann auf die Erfahrungen mit einer solchen Steuer in Schweden (negatives Beispiel) oder Großbritannien (positives Beispiel) zurückgegriffen werden.
Schweden
erhob von 1984 bis 1991 eine Steuer auf Finanztransaktionen, die in diesem Zeitraum zahlreichen Änderungen unterlag.
Die Verdopplung des Steuersatzes sowie die Ausweitung der Bemessungsgrundlage rief starke Vermeidungsreaktionen an den schwedischen Finanzmärkten hervor. So wanderte im Jahr 1986 bereits 60% des Handelsvolumens der elf größten schwedischen Aktien nach London ab, was über 30% des gesamten schwedischen Handelsvolumens entsprach. Bis 1990 verringerte sich das Handelsvolumen sogar um fast 50%.
Im Gegensatz zu den Erfahrungen in Schweden wird im Rahmen der Diskussion um die Einführung einer FTS häufig Großbritannien als Erfolgsbeispiel angeführt. So wird in Großbritannien neben der seit 1694 bestehenden, jedoch 2003 bis auf wenige Ausnahmen weitestgehend abgeschafften Stamp Duty (SD) auch die im Rahmen des Finance Act 1986 eingeführte Stamp Duty Reserve Tax (SDRT) bei der Übertragung von Geschäftsanteilen und Wertpapieren zusätzlich erhoben.
Trotz der Bezeichnung als Stempelsteuer handelt es sich bei der SDRT um eine reine Transfersteuer. Da es sich bei der Übertragung von Wertpapieren und Geschäftsanteilen üblicherweise um elektronische Transaktionen ohne die Notwendigkeit eines physischen Übertragungsformulars handelt, nimmt die SDRT im Verhältnis zur SD die bedeutendere Rolle ein.
Für die SD wie auch für die SDRT kommt ein Steuersatz von 0,5% des jeweiligen Kaufpreises zur Anwendung. Hiervon abweichend kommt ein höherer Satz von 1,5% bei der Übertragung von Aktien oder börsenfähigen Wertpapieren an Clearingstellen oder zur Umwandlung in Einlagenzertifikate zur Anwendung. Der Satz von 1,5% gilt quasi als exit charge und kommt etwa dann zur Geltung, wenn auf Finanzprodukte umgestiegen wird, auf die keine SDRT anfällt. Insoweit handelt es sich bei der britischen Version der FTS um eine Transaktionssteuer, die unabhängig vom Ort der Transaktion und der Ansässigkeit des Erwerbers erhoben wird.
Eine FTS birgt also zahlreiche Risiken, die bei ihrer Ausgestaltung bedacht werden müssen. Negative Erfahrungen mit der Implementierung einer FTS wie in Schweden zeigen, dass insbesondere Vermeidungsmöglichkeiten eingeschränkt werden müssen. Zugleich zeigen die positiven Erfahrungen mit der SDRT in Großbritannien mit ihrer nun fast 25-jährigen Geschichte und der ungebrochenen Bedeutung des Finanzplatzes London als internationalem Finanzzentrum, dass eine erfolgreiche Umsetzung einer Steuer auf Finanztransaktionen ohne negative Auswirkungen auf den Kapitalmarkt möglich ist.
Ein Grund für den Erfolg der SDRT in Großbritannien ist wohl auch in den umfangreichen Ausnahmeregelungen zu sehen.
Die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen stellt für den Gesetzgeber daher eine Gratwanderung dar: Während auf der einen Seite der Anwendungsbereich zur Einschränkung von Vermeidungsreaktionen möglichst groß sein muss, ist es zugleich zwingend erforderlich, das Funktionieren der Kapitalmärkte nicht unnötig einzuschränken. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise und der in der Eindämmung schädlicher Finanztransaktionen gesehenen Zielsetzung der FTS ist es notwendig, ökonomisch angemessene Transaktionen nicht unnötig zu belasten.
Ökonomische Anreize
Eine FTS kann einerseits Anreize zur Erfüllung eines explizit (politisch) erwünschten Lenkungszweckes setzen, andererseits jedoch unerwünschte Nebeneffekte mit sich bringen, die so weit wie möglich verhindert werden müssen. Ein wesentlicher Diskussionspunkt sind die Auswirkungen auf die Volatilität an den Kapitalmärkten. So sehen die Befürworter in der FTS eine geeignete Maßnahme zur Einschränkung der durch kurzfristig und spekulativ agierende Händler, noise-trader, verursachte Volatilitäten (Kursschwankungen). Doch basieren deren Transaktionen weniger auf veränderten Fundamentaldaten, sondern vielmehr auf technischen oder computerbasierten Analyseverfahren. Hier besteht jedoch das Problem, dass eine FTS im Grundsatz alle Finanzmarkttransaktionen treffen würde und nicht nur solche, die als noise-trading destabilisierende Wirkung entfalten. Auch Geschäfte, die tatsächlich als Reaktion auf veränderte Fundamentaldaten getätigt werden, also neue Informationen in die Kurse einfließen lassen und damit der Markteffizienz dienen, würden gleichermaßen von einer FTS getroffen.
Unstrittig ist, dass durch die Einführung einer FTS die Transaktionskosten steigen, was in Konsequenz wiederum das Handelsvolumen und die Anzahl der Transaktionen verringert. Als Folge der gestiegenen Transaktionskosten fließt insgesamt weniger Kapital in die Märkte, wodurch die Liquidität sinkt. Deutliche Unterschiede bestehen zwischen den verschiedenen Wertpapierkategorien: Je liquider die Wertpapiere, desto größer wäre der Liquiditätsverlust durch eine FTS. Die größten Auswirkungen ergäben sich demzufolge auf sehr liquide Wertpapiere und Märkte.
Ferner könnte es auch zu einer durch eine FTS bedingten Reduzierung des Handelsvolumens an den Finanzmärkten kommen. So haben Steuerpflichtige generell das Ziel, Steuerzahlungen so gering als möglich zu halten, was im Regime einer FTS dadurch erreicht werden kann, dass weniger Mittel in von der FTS betroffene Produkte investiert werden. Je kürzer dabei die Laufzeit oder geplante Haltefrist eines Produktes ist, desto stärker wäre bei konstantem Steuersatz der Rückgang in diesem Segment; Derivate- und Optionsmärkte hätten mit einem besonders starken Rückgang zu rechnen.
Zwischen der Rendite einer Anlage und den Transaktionskosten gibt es einen engen Zusammenhang. Die Kapitalkosten eines Unternehmens werden von der von den Kapitalgebern verlangten Mindestrendite determiniert. Steigen aufgrund einer FTS die Transaktionskosten, so könnte dies mit der Forderung von Investoren einhergehen, dass auch die Mindestrendite steigen muss. Für die Unternehmen würde dies einen Anstieg der Kapitalkosten bedeuten.
Grundsätzliche Funktionsweise einer Finanztransaktionssteuer
Am 28. September 2011 hat die Europäische Kommission einen Richtlinienentwurf zur Implementierung einer FTS auf EU-Ebene vorgelegt. Ziel ist es, diese bis 2014 EU-weit einzuführen. Im Folgenden sollen die Eckpunkte des Richtlinienvorschlags kurz dargestellt und analysiert werden.
Persönlicher Anwendungsbereich.
FTS-pflichtig sollen grundsätzlich alle Transaktionen sein, bei welchen einer der beiden Akteure (Käufer oder Verkäufer) innerhalb der EU ansässig ist sowie ein Finanzinstitut eine Transaktionspartei darstellt, wobei das Finanzinstitut entweder auf eigene oder auf fremde Rechnung tätig werden kann.
Die Ansässigkeit eines Finanzinstituts in der EU wird durch folgende Tatbestände konkretisiert:
Sachlicher Anwendungsbereich.
Grundsätzlich wird der Anwendungsbereich bezüglich der steuerpflichtigen Finanzprodukte möglichst umfassend gehalten. Nicht nur Aktien, Anleihen und ähnliche Produkte, sondern insbesondere auch Derivate sollen der FTS-Pflicht unterliegen. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob eine Transaktion an einer Börse oder außerhalb einer Börse (over the counter) stattfindet. Um der Zielsetzung einer FTS gerecht zu werden, soll der Handel mit Finanzinstrumenten besteuert werden, nicht jedoch die erstmalige Emission: Die Ausgabe von Aktien und Anleihen (Primärmarkt) wird nicht besteuert; steuerpflichtig ist der Handel mit Finanzinstrumenten auf dem Sekundärmarkt. Bemessungsgrundlage der FTS ist generell der Bruttowert einer Transaktion, im Falle von Derivatetransaktionen der Nominalbetrag des Derivats zum Transaktionszeitpunkt.
Steuersatz.
Die EU-Kommission möchte den Mitgliedstaaten nur einen Mindeststeuersatz vorschreiben, der von einzelnen Staaten demzufolge auch erhöht werden kann. Dieser Steuersatz soll grundsätzlich 0,1% der Bemessungsgrundlage betragen, bei Derivaten 0,01%. Aus wettbewerbspolitischen Gründen dürften die meisten Staaten kaum von ihrem Recht Gebrauch machen, höhere Steuersätze zu implementieren; dies auch deshalb, da das Steueraufkommen sowieso dem EU-Haushalt und nicht den nationalstaatlichen Haushalten zufließen soll.
Ausgestaltung als originäre EU-Steuer.
Zumindest teilweise sollen die Einnahmen, die von der Kommission bei einer Umsetzung des Vorschlags mit jährlich 57 Milliarden Euro beziffert werden,
Politische Entwicklungen und Vermeidungsgefahren
Der Flaschenhals im Rahmen der Umsetzung des europäischen Richtlinienkonzeptes stellt insbesondere die intendierte Einführung auf Ebene der EU-27 dar. Denn dies erfordert notwendigerweise den Einbezug von strikt opponierenden Ländern, im Speziellen also den Einbezug von Großbritannien. Demzufolge ist die Umsetzung des Richtlinienvorschlags in diesem Punkt aus politischen Gründen sehr fraglich. Alternativ könnte eine Abänderung des FTS-Konzeptes erwogen werden. Folgende Konzepte werden in diesem Zusammenhang diskutiert bzw. wären denkbar.
Umsetzung des EU-Richtlinienvorschlages auf Ebene der Eurozone (EU-17).
Weil die schärfsten Gegner einer FTS nicht der Eurozone angehören, dürfte ein solcher Vorschlag zumindest politisch große Umsetzungschancen haben. Die Gefahren bestehen jedoch darin, dass eine solche FTS ihre Wirkung nur dann entfalten kann, wenn Abwanderungstendenzen, insbesondere nach London, vermieden werden können. Dies ist in Umsetzung des Kommissionsvorschlags nur dann möglich, wenn die nicht teilnehmenden Nicht-Euroländer für Zwecke der FTS vollumfänglich als Drittländer (d.h. als nicht-EU-zugehörig) behandelt werden. Faktisch dürfte dies nicht zulässig sein, da Konflikte mit den Europäischen Grundfreiheiten (Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, allgemeines Diskriminierungsverbot) offenkundig wären und nur durch eine Änderung der Europäischen Verträge unterbleiben könnten. Dass aber aufgrund einer FTS die Grundpfeiler des Europäischen Binnenmarktes und des Lissabon-Vertrages aufgeweicht werden, scheint kaum denkbar.
Umsetzung auf Ebene einzelner Länder.
Eine einzelstaatliche Vorgehensweise dürfte naturgemäß die größten territorialen Abwanderungsgefahren innerhalb der EU hervorrufen. Grundsätzlich gelten hier dieselben Aussagen wie oben, nur entsprechend stärker ausgeprägt, wenn noch weniger Länder als die 17 Euroländer eine FTS implementieren. Zudem müssten bei mehreren unterschiedlichen FTS-Regimen in der EU Regelungen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung getroffen werden. Dieser Vorschlag dürfte nur dann sinnvoll sein, wenn sich der die FTS implementierende Staat in einer Vorreiterrolle sieht und damit rechnet, dass andere Staaten nachziehen.
In der politischen Diskussion wurde als weiterer Vorschlag angebracht, das britische FTS-System der SD/SDRT auch für die restlichen EU-Länder zu übernehmen. Diese Vorgehensweise hätte den Charme, dass Großbritannien automatisch mit im Boot wäre und damit die Abwanderungstendenzen des Euro-Zonen-Vorschlags vermieden werden könnten. Nachteilig wäre bei diesem Vorschlag jedoch, dass die SD/SDRT zahlreiche Ausnahmetatbestände vorsieht, die zum einen das angestrebte und erhoffte Steueraufkommen deutlich verringern dürfte; zum anderen sollte aufgrund der Befreiung von Derivatetransaktionen ein potenzieller Lenkungseffekt hin zu einer Eindämmung "schädlicher Finanzmarktspekulation" dann erst recht nicht mehr erreichbar sein. Zur reinen Aufkommensgenerierung in kleinerem Umfang scheint dieser Vorschlag jedoch geeignet.
Das potentielle FTS-Regime der EU zu umgehen, ist auf illegalem Wege denkbar: Privatanleger könnten Transaktionen etwa über nicht-personenbezogene Drittstaaten-Nummernkonten, etwa in der Schweiz, durchführen. Zudem könnten Deklarationspflichten durch die zu einer FTS-Erklärung und -Voranmeldung verpflichteten Institute bewusst verletzt werden und Transaktionen verschleiert werden. Für die Finanzverwaltung wären in jedem Fall speziell ausgebildete Außenprüfer notwendig.
Nicht zu vergessen ist bei allen Gefahren jedoch die Tatsache, dass es weltweit unzählige funktionierende FTS-Regime gibt. Vor allem Anleger, die nicht nur kurzfristig orientiert sind und demzufolge auch nicht täglich zahlreiche Transaktionen durchführen, könnte eine FTS in Höhe von 0,1% wohl kaum dazu veranlassen, Vermeidungsreaktionen zu zeigen - vor allem auch deswegen, weil schon jetzt Bank-, Makler- und Börsengebühren anfallen, die teilweise stärker ins Gewicht fallen, als es eine FTS jemals könnte.
Fazit
Die Einführung einer FTS birgt zahlreiche Risiken, die vom Gesetzgeber bedacht werden müssen. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, den Reiz des Steueraufkommens mit den Risiken der Implementierung einer FTS abzuwägen. Eine europäische Lösung ist gegenüber isolierter, nationalstaatlicher Regelungen zu favorisieren.
Die Europäische Kommission hat mit der Veröffentlichung des Richtlinienentwurfes einen ersten Schritt zu einer europäischen FTS unternommen. Es erscheint jedoch fraglich, ob das Vorhaben der Einführung einer FTS den zu erwartenden starken Widerständen der Finanzbranche und einzelner Länder trotzen kann.