Einleitung
Es gibt eine einfache Rettungsstrategie für den Euro, doch wird diese von den Regierungen, die derzeit drei verschiedene Rettungsstrategien diskutieren oder schon umsetzen, nicht einmal diskutiert. Kann der Euro noch gerettet werden? Soll er überhaupt gerettet werden? Diese Fragen führen zu den wirtschaftspolitischen Konstruktionsfehlern des Euro und den demokratiepolitischen Konstruktionsdefiziten der Europäischen Union (EU).
Folglich wird in diesem Beitrag nicht nur eine technisch machbare Rettungsstrategie für den Euro aufgezeigt, sondern auch gefragt, a) welche strukturellen wirtschaftspolitischen Konstruktionsfehler behoben werden müssen, damit der Euro langfristig lebensfähig wäre, b) ob das bei der heute gegebenen Tiefe der Demokratie in Europa sinnvoll ist, c) welche Alternativen es dazu gibt und d) wie das EU-Projekt von Grund auf demokratisch neu gebaut werden könnte.
Wirtschaftspolitische Konstruktionsfehler
Eine Währung ohne Staat hat noch nie funktioniert. "Erst kommt der Staat, dann die Währung, nicht umgekehrt", hat der Euroskeptiker Wilhelm Hankel treffend formuliert. "Staat" meint hier, dass zumindest mehrere wichtige Bereiche der Wirtschaftspolitik vergemeinschaftet oder koordiniert werden müssten, damit eine gemeinsame Währung dauerhaft Bestand haben kann. Die alleinige Kooperation auf der Ebene der Währungspolitik ist zu wenig - wenn gleichzeitig der Wettbewerb in der Steuer- und Lohnpolitik fortgeführt wird und eine gemeinsame Regulierung und Aufsicht der Finanzmärkte unterbleibt. Die drei wichtigsten Fallen für den Euro sind:
Fehlende Finanzmarktregulierung.
Zum Teil scheitert es in diesem Politikfeld nicht an der mangelnden Koordination, sondern an den falschen Prioritäten. Der freie Kapitalverkehr, der den Euro gefährdet, ist ja gemeinsamer Beschluss aller 27 EU-Mitgliedstaaten. Dem freien Kapitalverkehr zwischen der EU und allen Drittstaaten ist es zu verdanken, dass der "finanzielle Giftmüll" aus der US-Immobilienblase völlig ungehindert in die EU "einreisen" konnte. Eine vernünftige Regulierung würde die Grenzen für "reales Kapital" (Warenhandel, Tourismus, Direktinvestitionen) öffnen und für spekulatives Kapital (Derivate) sperren. Infolge des Imports des Giftmülls kamen die Banken in Europa ins Wanken und mussten mit Steuerbillionen gerettet und gestützt werden. Das Ausmaß der Bankenhilfen belief sich Ende 2011 auf 4,6 Billionen Euro.
Zweiter gravierender Fehler der europäischen Finanzpolitik ist das Fehlen jeder gemeinsamen Aufsicht und (Fusions-)Kontrolle vor dem Beginn der Krise 2008. Kein Mechanismus hat verhindert, dass systemrelevante Banken im EU-Finanzbinnenmarkt entstehen konnten, im Gegenteil: Ziel des EU-Finanzbinnenmarktes war die Heranzucht "global wettbewerbsfähiger" Banken. Doch zwischen "global wettbewerbsfähig" und "systemrelevant" kann getrost ein Ist-gleich-Zeichen gesetzt werden. Systemrelevante Banken eliminieren jedoch gleich drei Säulen einer freien Marktwirtschaft: gleiches Konkursrecht für alle, gleicher und fairer Wettbewerb sowie Eigentümerverantwortung (im Falle des Verlustes stehen die EigentümerInnen gerade, nicht die SteuerzahlerInnen). Somit war das Ziel der Errichtung eines Marktes die Abschaffung des Marktes. Der Umstand, dass keine gemeinsame Marktaufsicht und -regulierung eingerichtet wurde, erhärtet den Verdacht, dass "Markt" nur ein Vorwand war, um bestimmte Interessen durchzusetzen. Der Finanzbinnenmarkt wurde schon 1996 von Josef Ackermann medial gefordert. Die Deutsche Bank ist aber weder Fürsprecherin der kleinen Sparkassen und Genossenschaftsbanken noch eine Bürgerinitiative zur demokratischen Neuordnung des Geldsystems.
Fiskalpolitik.
Die EU hat einen gemeinsamen Binnenmarkt, aber sie koordiniert die binnenmarkt- und wettbewerbsrelevanten Steuern nicht, wodurch ein scharfer Steuerwettbewerb bei Vermögen, Vermögenszuwächsen, Finanztransaktionen, Kapitalgesellschaftsgewinnen und Spitzeneinkommen tobt. Kein Land kann diese fünf Faktoren frei besteuern, ohne dass es zu massiven Drohungen mit Kapitalabwanderung kommt. Die Grundlage dafür, der freie Kapitalverkehr, wird nicht diskutiert, als sei er ein Naturgesetz und keine politische Entscheidung und rechtliche Infrastruktur. Die freie Kapitalflucht aus der EU hinaus in die Steueroasen dieser Welt ist erst seit 1994 möglich. Griechenland wurde nie von der EU die Bedingung gestellt, seine Vermögenden und Spitzenverdiener angemessen zu besteuern. Nie gab es eine Mindestabgabenquote als Bedingung für den EU- oder wenigstens den Euro-Beitritt. Griechenland hat eine Abgabenquote von knapp über 30 Prozent, Österreich deutlich über 40 Prozent. Hätte Griechenland eine gleich hohe Abgabenquote wie Österreich oder Deutschland, hätte es in den vergangenen Jahren kontinuierlich Budgetüberschüsse erzielt.
Handelspolitik.
Kooperation würde bedeuten, dass alle Mitgliedstaaten eines Handelsraumes nach ausgeglichenen Handelsbilanzen streben, damit es nicht zum Aufbau von Gläubiger- und Verschuldungspositionen kommt. Wenn ein Land anderen Ländern dauerhaft mehr verkauft, als es ihnen abkauft, verschulden sich letztere früher oder später so stark, dass sie insolvent werden, das ist mathematisch unvermeidlich. Der Erfolg des "Exportweltmeisters" Deutschland führt über längere Zeit zwingend zur Insolvenz der "Importweltmeister" wie Griechenland. Obwohl die Produktivität in Griechenland seit der Euro-Einführung stärker gestiegen ist als in Deutschland, hat das Land um 25 Prozent an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland verloren. Grund dafür ist der extreme Lohngeiz in Deutschland: Die Produktivitätszuwächse werden nicht an die Arbeitenden weitergegeben, was die Produkte verbilligt und wettbewerbsfähiger macht. Hingegen wurden in Griechenland die höheren Produktivitätszuwächse sehr wohl an die Löhne weitergegeben, was die griechischen Produkte relativ stark verteuert hat: um 25 Prozent seit der Euro-Einführung. Deutschland gewinnt auf diese Weise den Handelskrieg gegen Griechenland - jedoch nicht aufgrund von Leistung, sondern von ungerechter Verteilung.
Fazit: Solange in der EU und zwischen den Euro-Staaten der Steuer- und Standortwettbewerb tobt und die EU verwundbar gegen systemische Finanzrisiken ist, hat der Euro keine langfristige Bestandschance.
Demokratiedefizit
Die wirtschaftspolitische Fehlkonstruktion der EU hängt mit den demokratiepolitischen Konstruktionsdefiziten zusammen. Obwohl die EU immer mehr vom Staatenbund in Richtung Bundesstaat geht und also eine demokratische Verfassung oder jedenfalls einen demokratischen Grundlagenvertrag bräuchte, werden die Verträge immer noch von Regierungen gemacht anstatt von den Souveränen. Das stellt einen glatten Bruch der Gewaltentrennung zwischen verfassunggebender (konstituierender) und verfasster (konstituierter) Gewalt dar. Mehr noch: Die verfasste Gewalt - Regierungen und Parlamente - nötigen den Souveränen die Verträge auf, obwohl sich diese in drei Volksabstimmungen gegen den Verfassungs- und Lissabon-Vertrag ausgesprochen hatten. Der irische Souverän musste wiederholen, weil er "falsch" abgestimmt hatte. 22 Souveräne durften gar nicht abstimmen. Folglich enthalten die Verträge nicht verbindlich: Menschenrechte, Friedenspflicht, Sozialstaatlichkeit; sondern stattdessen freien Kapitalverkehr und Freihandel und damit Steuerwettbewerb, Standortkonkurrenz sowie entfesselte und unregulierte Finanzmärkte. Wenn die Verträge auf demokratische Weise zustande gekommen wären, wäre es wohl umgekehrt. Die EU ist demnach ein Projekt der Eliten gegen die Bürgerinnen und Bürger.
Schließlich gibt es auf EU-Ebene keine saubere Gewaltentrennung. Das einzig direkt gewählte Organ, das Europäische Parlament, darf weder Gesetze initiieren noch alleine entscheiden. In vielen Bereichen (z.B. Steuerpolitik) darf es nicht einmal mitentscheiden. Der Souverän hat keine legislative Kompetenz.
Offizielle Rettungsstrategien
Mit den derzeitigen Maßnahmen retten die Regierungen den Euro zu Tode - und vielleicht auch die EU. Es gibt eine einfache Möglichkeit zur Rettung des Euro, die wird aber nicht einmal diskutiert. Grundsätzlich gibt es heute drei offizielle Rettungsstrategien für den Euro.
Übernahme der Schulden
der einen Mitgliedstaaten durch andere via "Rettungsschirm" - diese Strategie führt früher oder später in die Gesamtinsolvenz der Eurozone, weil die zu Rettenden mehr und größer und die Retter weniger und schwächer werden. Würde Spanien ein gleich großes Rettungspaket in Anspruch nehmen wie Griechenland, Irland oder Portugal, würde dieses bereits 800 Milliarden Euro umfassen - mehr als der gegenwärtige (EFSF) oder zukünftige (ESM) Rettungsschirm.
Streichung der Schulden
wäre die gerechteste Lösung. An einer Überschuldungssituation sind immer zwei Parteien beteiligt: Eine Partei hat zu viele Kredite aufgenommen, die andere zu viele vergeben. In der Privatwirtschaft ist die Insolvenz ein alltägliches und gesetzlich geregeltes Verfahren. Obwohl auch Staaten in der Geschichte immer wieder in die Insolvenz gegangen sind, gibt es kein völkerrechtlich geregeltes Insolvenzverfahren. In diesem müssten Gläubiger- und Schuldnerinteressen gleichermaßen berücksichtigt und ausgeglichen werden. Sparmaßnahmen, die Teile der Bevölkerung in die Armut und Arbeitslosigkeit treiben, wären in einem fairen Insolvenzverfahren unfair, und das Sich-Aufspielen der Gläubiger zu Richtern wäre ein Bruch mit dem Rechtsstaat. Genau das passiert gerade in Griechenland und steht weiteren EU-Mitgliedstaaten bevor. Auch ein ungeregelter Schuldenschnitt wird den Euro nicht retten, weil es nach wie vor "systemrelevante" Banken gibt. Ein Schuldenschnitt würde zu einer Kettenreaktion führen, die Staaten und Banken (weltweit) in die Insolvenz reißt - vielleicht noch nicht im Falle Griechenlands, aber spätestens mit dem dritten Schuldenschnitt. Sicher hingegen ist, dass die erste Insolvenz beziehungsweise der erste Schnitt auf den Finanzmärkten das Wetten auf den nächsten Kandidaten anheizt. Noch verfügen die Märkte über vier Angriffswaffen: Festlegung der Zinsen für Staatsschulden über das Bieterverfahren auf dem Primärmarkt; Rating; Spekulatives Handeln mit Credit Default Swaps (CDS); Streuen von Gerüchten. Zusammengenommen sind diese Waffen ein geballtes Arsenal, das die Regierungen den Märkten anstandslos belassen.
Inflationierung der Schulden
ist ein äußerst riskanter und nicht empfehlenswerter Ausweg, der jedoch mit dem Scheitern von Strategie eins und zwei wahrscheinlicher wird. Bevor alle Schirme reißen, könnte sich jene Strömung in der Europäischen Zentralbank (EZB) durchsetzen, die alle Systembanken und Staaten vor der Insolvenz bewahren will, Anleihen und Emissionen aufkauft und die Geldmenge ausweitet. So lautet etwa die Empfehlung prominenter Ökonomen wie Kenneth Rogoff. Falls die Zielinflation - z.B. zehn Jahre lang fünf bis zehn Prozent - gelingen soll, wäre der Mindestkollateralschaden die Vernichtung aller Finanzvermögen im gleichen Ausmaß, in dem die Schulden entwertet werden. Zu Deutsch: eine Enteignung aller Finanzvermögen um 50 Prozent. Worst Case: Die Inflation gerät außer Kontrolle, es kommt zur Währungsreform und zur Rückkehr von D-Mark und Schilling. Die Umtauschverluste könnten in diesem Fall deutlich höher sein als 50 Prozent.
Alternativer Rettungsvorschlag
Die vierte Option brächte die Lösung, sie wird aber tabuisiert: Tilgung der Schulden über EU-weit koordinierte Finanztransaktions-, Vermögen- und Gewinnsteuern. Der Kern der Lösung liegt darin, dass die Privatvermögen in der Eurozone ungefähr das Fünffache der Staatsschulden betragen. Eine einprozentige Besteuerung der privaten Vermögen könnte die Staatsschulden um fünf Prozent reduzieren - in einem Jahr. In nur zehn Jahren wären die Staatsschulden halbiert. Nicht jedoch die Vermögen: Wachsen diese um drei Prozent pro Jahr weiter, wären sie nach zehn Jahren bei einer angenommenen Inflation gleich viel wert - die Staatsschulden jedoch nominell halbiert. Der Clou: 90 Prozent der Bevölkerung könnten von der Steuer ausgenommen bleiben, weil sie so gut wie nichts besitzen. In Österreich halten zehn Prozent der Bevölkerung fast 70 Prozent des privaten Finanz- und Immobilienvermögens, das zur Besteuerung vorgeschlagen wird.
Neben einer Vermögenssubstanzsteuer in Höhe von durchschnittlich einem Prozent auf die Vermögen der zehn Prozent Reichsten bieten sich drei weitere Steuern für eine koordinierte Besteuerung an.
Vermögenszuwächse. Obwohl beständig behauptet wird, wir lebten in einer Leistungsgesellschaft, fordern speziell diejenigen, die auf dieses Prädikat großen Wert legen, selten bis gar nicht, dass Leistungseinkommen aus Arbeit geringer besteuert werden sollten als Nichtleistungseinkommen (Zinsen, Dividenden, Kursgewinne, Erbschaften). Käme es nur zur steuerlichen Gleichstellung von Leistungs- und Nichtleistungseinkommen, würde allein dies dem Fiskus in der EU zusätzlich geschätzte 200 Milliarden Euro einbringen.
Finanztransaktionssteuer. Nach jahrelangem Widerstand hat die EU-Kommission endlich einen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Das enttäuschende Ergebnis: Die Einnahmen sollen gerade einmal 57 Milliarden Euro ausmachen. Das ist deshalb kümmerlich, weil das - konservative - Wiener Institut für Höhere Studien (IHS) ein jährliches Aufkommen in der EU von 272 Milliarden Euro errechnet hat - bei einem Steuersatz von 0,1% und einem schon berücksichtigten Rückgang des Derivatehandelsvolumens um 85%.
Körperschaftssteuer. Hier befinden sich die Mitgliedstaaten im Wettbewerbsmodus. Schon 1992 hatte der niederländische Finanzminister Onno Ruding im Auftrag der EU-Kommission einen Bericht vorgelegt, der eine EU-einheitliche Körperschaftssteuer von 40% nahelegte. Bis heute sind jedoch nicht einmal die Bemessungsgrundlagen harmonisiert, die Steuersätze sinken weiter um die Wette, und die Doppelbesteuerungsabkommen mit Drittstaaten sehen nicht durchwegs die Anrechnungsmethode vor, welche Steuerflucht effektiv unterbinden würde: Gewinne können auf den Cayman-Islands oder in Dubai versteuert werden, doch muss die Differenz zum EU-Steuersatz im Sitzland nachversteuert werden. Die "Flucht" wäre zwecklos. In Summe wäre ein zusätzliches Körperschaftssteueraufkommen von rund 100 Milliarden Euro zu erwarten.
Mit dem vorgeschlagenen Vier-Steuern-Paket könnten in der Eurozone jährlich 770 Milliarden Euro (EU-weit knapp über 1000 Milliarden Euro) eingehoben und damit die Staatsverschuldung der Eurozone von derzeit 90% auf 45% halbiert werden. Diese vierte Lösung würden endlich die Krisenverursacher und -profiteure in die Verantwortung nehmen - und ihnen auch noch nützen. Denn die Alternativen zu einer moderaten Besteuerung der Vermögenden sind allesamt schlimmer: Bankenkrach, Staatsinsolvenz, Hyperinflation, Währungsreform oder Bürgerkrieg. Eine Vermögensteuer wäre das geringste Übel aus Sicht der Betroffenen.
Strukturelle Reformen
Neuordnung der Staatsfinanzierung.
Nach der Halbierung der Schulden durch Tilgung könnten maximal 50% Staatsschuld von der EZB in Form zinsfreier Kredite übernommen werden. Deutschland würde sich dadurch jährlich 60 Milliarden Euro an Zinszahlungen ersparen, Österreich 8,5 Milliarden Euro. Die Finanzierung des Staates bei seiner eigenen Bank durch zinsfreie Kredite ist ein so strenges Tabu, dass es nicht einmal diskutiert wird. Falls doch, würde sofort das Argument "Hyperinflation" die Diskussion abwürgen. Doch dahinter steckt erstens ein unklarer Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation und zweitens ein nicht notwendiger Zusammenhang zwischen Staatsfinanzierung durch die EZB und Erhöhung der Geldmenge. Zum ersten: Eine höhere Geldmenge führt nicht automatisch zu höherer Inflation, sondern nur über steigende Nachfrage. Doch auf die Nachfrage hat es keinen Einfluss, ob der Staat mit 50% der Wirtschaftsleistung bei Privatbanken oder der Zentralbank verschuldet ist. Zum zweiten: Die "Übernahme" von Staatsschulden im Ausmaß von 50% der Wirtschaftsleistung durch die EZB würde die Geldmenge erhöhen, da sich die Bilanzsumme der EZB etwas mehr als verdoppeln würde. Doch könnte die EZB die zusätzliche Geldmenge durch EZB-Emissionen, die privates Finanzvermögen binden, wieder neutralisieren - falls sie das für notwendig erachtete, um einer Inflationsgefahr entgegenzuwirken. Fazit: Es gibt nichts zu befürchten, außer dass Privatbanken ihr hoch profitables Geschäft mit Staatsanleihen verlieren.
Fiskalunion.
Das Vier-Steuern-Paket würde den Steuerwettbewerb innerhalb der EU effektiv unterbinden. Nach fünf Jahren wären die Staatsschulden der Eurozone halbiert, die Einnahmen könnten für andere Tätigkeiten verwendet werden: öffentliche Güter wie frei zugängliche Universitäten, Bahn oder Internet; eine EU-weite Arbeitslosen- und Armutsversicherung; globale Entwicklungshilfe; den Schutz öffentlicher Güter wie Meere oder Klima. Der EU-Etat würde dann knapp zehn Prozent des EU-weiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen, was einem Bundesstaat würdiger wäre als das eine Prozent am BIP (135 Milliarden Euro), welches der EU-Haushalt derzeit ausmacht. Damit die Steuern nicht zum Kapitalabfluss aus der EU führen, müsste ergänzend die Abwicklung des internationalen Kapitalverkehrs zu einer Aufgabe des Europäischen Systems der Zentralbanken werden. Damit würde ein unumgehbares Nadelöhr für alle Kapitalflüsse aus der EU hinaus und in die EU hinein geschaffen, der Kapitalverkehr könnte reguliert und die Steuerflucht problemlos unterbunden werden: Kapitalverkehrsteilnehmern aus unkooperativen Steueroasen könnte die Teilnahme am freien Kapitalverkehr verwehrt werden. Der freie Kapitalverkehr ist eine besondere Vertrauensleistung gegenüber Drittstaaten, die nicht bedingungslos gegeben werden sollte, sondern nur gegen die - logische und gerechte - Gegenleistung der Kooperation beim Steuervollzug und der Regulierung der Finanzsystems. Sonst liefert sich ein Staat(enbund) schutzlos der Steuerflucht und der Ansteckung mit systemischer Instabilität aus.
Lohnkoordination.
Alle Eurostaaten verpflichten sich, die Löhne im Ausmaß der Produktivität plus Zielinflation anzuheben. So bleiben die Preisrelationen und damit die Wettbewerbsverhältnisse konstant, auch wenn sich die Produktivität und damit die Preise unterschiedlich entwickeln. In produktiveren Ländern würden auch die Löhne stärker steigen (oder die Arbeitszeit stärker verkürzt), was den Preisvorteil wieder wettmachen würde.
Finanzaufsicht und -regulierung.
Ein streng reguliertes und beaufsichtigtes Finanzsystem ist eine weitere Stabilitäts- und Überlebensbedingung für eine gemeinsame Währung. Der erste Schritt ist die Zerteilung systemrelevanter Banken: Solange das Insolvenzrecht für einige Institute nicht gilt - 90 Prozent aller Rettungsgelder flossen an Banken mit einer Bilanzsumme größer als 100 Milliarden US-Dollar - kann nicht von Marktwirtschaft gesprochen werden, sondern von staatlich subventioniertem Oligopolkapitalismus. Der zweite Schritt ist der rechtliche Vorrang für ein gemeinwohlorientiertes Bankwesen: Das Finanzsystem würde gesundgeschrumpft auf wenige Kernaufgaben, die der Wirtschaft dienen. Geld würde wieder zu einem Mittel und tendenziell zu einem öffentlichen Gut, das nur nach klar bestimmten Regeln verwendet werden darf.
Alternativen zum Euro
Die Voraussetzungen für die Rettung des Euro sind zahlreich und folgenschwer. Derzeit besteht keine Chance auf einen so weit reichenden politischen Konsens. Deshalb sollten Alternativen zum Euro wenigstens durchdacht werden.
Die Rückkehr zu nationalen Währungen wäre ein Rückschritt, wenn damit die Währungskonkurrenz zurückkehrt und die Koordination der Wirtschaftspolitiken in der EU von der politischen Agenda verschwindet.
Zwei Blöcke, ein Hartwährungsblock im Norden und ein Weichwährungsblock im Süden, würden einen tiefen Keil in die EU treiben und ihrem Zerfall Vorschub leisten; der (Handels-)Krieg zwischen den Blöcken wäre programmiert.
Die Wiedereinführung eines Wechselkurssystems würde so wenig funktionieren wie der Euro, wenn die oben genannten Rahmenbedingungen nicht vorhanden sind: Die Wiederholung der Geschichte droht in Form einer spekulativen Attacke auf das Europäische Währungssystem EWS.
Nach Abwägung der Vor- und Nachteile komme ich zum Schluss, dass beim gegenwärtigen Demokratiezustand eine globale Währungskooperation mit globaler Komplementärwährung die relativ beste Lösung wäre. Ein solcher Vorschlag wurde schon 1943 von John Maynard Keynes ausgearbeitet und auf der Konferenz von Bretton Woods 1944 vorgelegt, aber leider bis heute nicht umgesetzt. Die nationalen Währungen würden beibehalten, nur der internationale Wirtschaftsaustausch in der globalen Komplementärwährung abgewickelt. Die Wechselkurse wären fix, was vollkommene Stabilität brächte; sie würden nur bei der Veränderung realwirtschaftlicher Indikatoren (unterschiedliche Produktivitäts- und Preisentwicklung) an diese angepasst.
Bei höherem Demokratiegrad wäre auch ein Euro wieder denkbar.
Demokratischer Neubau der EU
Die Konstruktionsfehler der EU hängen mit dem undemokratischen Bau des "Hauses Europa" zusammen. Dieser Bau wurde von den Regierungen begonnen; anstatt die Bauregie an die Bürgerinnen und Bürger zu übergeben, rissen die Eliten sie an sich. Der Verfassungsvertrag wurde von zwei Souveränen abgelehnt, der Lissabon-Vertrag von einem weiteren; 22 Souveräne wurden nicht einmal angehört. In Griechenland wurde die Bevölkerung ebenfalls umgangen und das Parlament per Sperrkonto geknebelt. Die EU nimmt Kurs auf eine autoritäre Plutokratie. In der Krise droht das "Europäische Haus" der Regierungen einzustürzen. Das böte die Chance, dass es von den Bürgerinnen und Bürgern wieder aufgebaut wird. Die wichtigsten Schritte zu einem demokratischen Europa wären:
Demokratischer Konvent.
Ausarbeitung eines Grundlagenvertrags durch eine direkt gewählte Versammlung, einen demokratischen Konvent. Das Ergebnis müsste zeitgleich in allen Mitgliedstaaten von den Souveränen, der verfassunggebenden Gewalt, abgestimmt werden. Die neuen EU-Mitglieder sind jene, in denen der Souverän den Vertrag annimmt.
Wertekern.
Bei dieser gleichzeitigen Abstimmung wird nur der "Verfassungskern" mit Grundrechten, Friedenspflicht und Sozialstaatlichkeit - den Garanten für Menschenwürde und (inneren wie äußeren) Frieden - abgestimmt. Dann hat die EU einen klaren Wertekern, und wer diesen nicht teilt, ist zu Recht nicht Mitglied der EU. Meine Wette: Dieser Kern würde von allen 27 Souveränen mit überwältigender Mehrheit angenommen.
Saubere Gewaltentrennung.
Das direkt gewählte EU-Parlament wird zum zentralen Gesetzgeber in der EU. Es darf Gesetze initiieren und verabschieden, ohne sich mit einer zweiten Instanz abstimmen zu müssen. Die einzige Instanz, die das Parlament kontrollieren, korrigieren und überstimmen kann, ist der - dann europäische - Souverän, die Bürgerinnen und Bürger der EU. Repräsentative und direkte Demokratie spielen zusammen.
Subsidiaritätsprinzip.
Nach der Bildung eines Verfassungskerns werden alle weiteren Politikfelder nach dem Subsidiaritäts- und Souveränitätsprinzip vergemeinschaftet: Nur diejenigen Politikfelder, die auf EU-Ebene besser aufgehoben sind, werden an den EU-Souverän delegiert. Die Entscheidung, in welchen Politikfeldern dies zutrifft, wird von Einzelfall zu Einzelfall von den nationalstaatlichen Souveränen vorgenommen, weil sie allein darüber entscheiden können, ob sie bestimmte Souveränitätsrechte abtreten wollen.
Wirtschaftsdemokratie und Gemeinwohlorientierung.
Um die neuerliche Überkonzentration von wirtschaftlicher Macht zu verhindern, werden Grenzen für das Eigentumsrecht eingezogen: a) eine Obergrenze für Einkommen; b) eine Obergrenze für Privatvermögen; c) eine Obergrenze für ausschließlich privat gesteuerte Unternehmen; d) eine Offenlegungspflicht für sämtliche Lobby-Aktivitäten und -Finanzflüsse. Die genauen Grenzen werden vom Verfassungskonvent oder eigens gewählten Wirtschaftskonventen ermittelt und der Bevölkerung - durchaus mit mehreren Optionen - zur Abstimmung vorgelegt.
Zumal die Entscheidungen auf EU-Ebene von größerer Reichweite sind als auf nationalstaatlicher Ebene, muss das Demokratieniveau in der EU mindestens gleich hoch sein wie auf der darunterliegenden Ebene. Andernfalls ist die demokratische Legitimation des europäischen Projekts nicht gegeben. Bei den Bürgerinnen und Bürgern wird die Vision einer nicht nur friedlichen, sondern auch demokratischen EU vermutlich auf Begeisterung stoßen. Die Identifikation mit dem Europäischen Projekt würde sprunghaft steigen.