Einleitung
Wenn man den Titel dieses Beitrages wortwörtlich nehmen würde, dann bliebe sein Umfang tatsächlich sehr kurz. Bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (Stabilitätsgesetz) im Jahre 1967 ging der Bundesminister für Wirtschaft nämlich noch davon aus, "dass Vollbeschäftigung dann erreicht sei, wenn die Arbeitslosenquote 0,8 v.H. erreicht". Dies ist in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich nur in den wenigen Jahren einer bereits damals empfundenen "Überbeschäftigung" der Fall gewesen. Auch eine Modifikation des Vollbeschäftigungsziels auf eine Marke von 2% der Arbeitslosenquote angesichts der seit den 1970er Jahren verbreiteten Arbeitslosigkeit hat das Vollbeschäftigungsziel nur wenig realistischer gemacht. Auch weiterhin wurde es in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit meistens verfehlt und daher die Zielgröße in der Praxis gelegentlich auch weiter angehoben bis auf Arbeitslosenquoten von 3, 4, 5 oder gar 6%, je nach Konjunkturlage. Vollbeschäftigung im Sinne der gänzlichen Abwesenheit konjunktureller und struktureller Arbeitslosigkeit hat es in der deutschen Geschichte somit allenfalls in einer einzigen Dekade des 20. Jahrhunderts, nämlich auf dem Höhepunkt des sogenannten Wirtschaftswunders in den 1960er Jahren, gegeben. Ansonsten blieb eine Vollauslastung des Arbeitspotenzials in Deutschland eher Episode oder war kriegsbedingten Zwangslagen geschuldet. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung bildeten daher auch in Deutschland während der gesamten Industrialisierungsperiode seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine stetige Begleiterscheinung der ökonomischen Entwicklung. Eine Geschichte der Vollbeschäftigung kann daher auch in Deutschland nur sehr knapp beschrieben werden, eine Geschichte der Arbeitslosigkeit würde hingegen weitaus mehr Raum beanspruchen.
Eine derartig glückliche Konstellation auf dem Arbeitsmarkt wie im Golden Age der 1960er Jahre der Bundesrepublik mit einer Vollauslastung des Erwerbspotenzials hat es zuvor niemals in der Wirtschaftsgeschichte des Landes gegeben und wird es wohl auch in absehbarer Zukunft nicht mehr geben. Umso überraschender erscheint es daher, dass sich die Wirtschaftswissenschaften und die Arbeitsmarktpolitik bis heute überwiegend an dieser außergewöhnlichen Ausgangslage zu Charakterisierung der Beschäftigungslage in Deutschland und als Zielgröße der Arbeitsmarktpolitik orientieren. Historisch betrachtet zeichnen sich kapitalistische Arbeitsmärkte hingegen weit eher durch eine tendenzielle Unterauslastung des Erwerbspotenzials aus, durch instabile Beschäftigungsverhältnisse und latente Arbeitslosigkeit. Dennoch lohnt sich ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Beschäftigung in Deutschland, auch um vor allzu wohlfeilen und naiven Vorstellungen einer am Vollbeschäftigungsziel orientierten Arbeitsmarktpolitik zu warnen.
Wiederaufbau und Vollbeschäftigung in Westdeutschland
Die ersten Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen in den alliierten Besatzungszonen unter dem Signum von Not, Hunger und Chaos. Eine geordnete Wirtschaftstätigkeit war unter diesen Bedingungen kaum möglich und auch an einen Wiederaufbau von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft noch längst nicht zu denken. Die Menschen in Deutschland waren mit der notdürftigen Sicherung ihrer unmittelbaren Lebensbedürfnisse vollauf beschäftigt. Die deutsche Gesellschaft war durch die Zerstörungen des Krieges und die sozialen Verwerfungen auf ein Entwicklungsniveau zurückgeworfen, das demjenigen von 100 Jahren zuvor nicht unähnlich schien. Geregelte Erwerbsarbeit war unter diesen Umständen kaum sinnvoll und wenig lohnend, doch pro forma zum Bezug von Lebensmittelkarten notwendig. Die offizielle Arbeitslosenrate lag daher 1947 mit rund 5% nicht überraschend auf einem bemerkenswert geringen Niveau, da sich reguläre Arbeit kaum lohnte und die zur Verfügung stehende Zeit effektiver für Selbstversorgungsaktivitäten und Schwarzmarktgeschäfte genutzt werden konnte.
Schwarzmärkte und Hamsterreisen spielten neben Hilfslieferungen der ehemaligen Kriegsgegner in der Überlebensgesellschaft der 1940er Jahre eine bedeutsame Rolle für die Lebensgestaltung der Bevölkerung, die Bedeutung einer geregelten Erwerbstätigkeit trat demgegenüber zurück. Die Fabriken, sofern sie nicht zerstört waren, standen zunächst weitgehend still. "Es fuhr keine Eisenbahn, keine Tram, kein Postkasten wurde geleert, alle Telefone waren tot", so die Schilderung von Zeitzeugen. Rohstoffmangel und Zerstörungen standen der Aufnahme einer geregelten Produktion noch entgegen. Beschlagnahmungen und Demontagen verschärften die Situation zusätzlich. Die Löhne waren so gering, dass es sich kaum lohnte zu arbeiten, zumal entwertetes Geld in großem Umfang zur Verfügung stand. Die offiziellen Preise waren auf niedrigem Niveau festgehalten, Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs unterlagen weiterhin wie in der NS-Zeit einer strikten Bewirtschaftung und waren nur gegen Marken zu erhalten, sodass ihr Kauf angesichts des ungeheuren inflationären Geldüberhanges finanziell keine Schwierigkeiten bildete. Anders war es auf den schwarzen Märkten, wo die Preise ein Vielfaches der administrierten Preise betrugen. Eine grundlegende Veränderung wurde erst nach der Neuordnung der Währungsverhältnisse möglich.
Im Zusammenhang mit der Währungsreform und dem Beginn des Wiederaufbaus in den nächsten Jahren schnellte dann die Arbeitslosenrate plötzlich auf einen Wert von über 10% (1950). "Arbeit" wurde erst jetzt in der deutschen Nachkriegsgesellschaft wieder zu einem knappen Produktionsfaktor und ihr Einsatz produktiv und nutzbringend möglich, weil nunmehr die Arbeitsentgelte in effektive Kaufkraft umgesetzt werden konnten. Der Abbau der drückenden Arbeitslosigkeit in Westdeutschland stand nunmehr im Vordergrund der Bemühungen, und die Lage verschärfe sich wegen des stetigen Zustroms von Vertriebenen und Flüchtlingen noch zusätzlich. Es waren ja nicht nur die Kriegsschäden am Kapitalstock der deutschen Volkswirtschaft, die eine schwere Hypothek für die Nachkriegszeit darstellten, sondern auch das Arbeitskräftepotenzial und das "Humankapital" war wesentlich beeinträchtigt. "Während vor der Währungsreform viele Personen keinen Wert auf Arbeit in abhängiger Stellung legten, nahm die Zahl der Arbeitssuchenden nach der Währungsreform stark zu." Im Dezember 1946 wurden im späteren Bundesgebiet insgesamt 820.000 Arbeitslose registriert. Diese Zahl sank im Dezember 1947 auf 466.000 und stieg bis Dezember 1948 nur mäßig auf 760.000 an, ehe sie sich dann bis Dezember 1949 auf 1,558 Millionen mehr als verdoppelte. Die Hauptlast der Beschäftigungslosigkeit hatten zu diesem Zeitpunkt die Heimatvertriebenen zu tragen, deren Arbeitslosenrate mehr als doppelt so hoch war wie die der ortsansässigen Bevölkerung und jener Bundesländer, die diese Bevölkerungsgruppen vornehmlich aufnehmen mussten.
Es handelte sich bei den Vertriebenen allenfalls um eine Arbeitskraftreserve "zweiter Linie", weil durch Umsiedlung und Qualifizierungen weitere Maßnahmen nötig waren, um dieses Reservoir zu erschließen. Für die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland stellte diese Form der Zuwanderung zunächst gewiss eine zusätzliche Belastung dar, weil knappe Ressourcen auch für unproduktive soziale Transfers nötig wurden und damit für Investitionen nicht zur Verfügung standen. Die Eingliederung dieser Menschen in das Beschäftigungssystem stellte die Wirtschaft in der frühen Bundesrepublik vor eine gewaltige Aufgabe und latente Unterbeschäftigung bildete somit zunächst eines ihrer Hauptprobleme. Die Bewältigung dieser Aufgabe im Zuge des bald einsetzenden "Wirtschaftswunders" gelang jedoch in erstaunlich kurzer Zeit.
Erst die Währungsreform hatte ja den wahren Umfang der Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit in Westdeutschland deutlich werden lassen. Trotz einer Zunahme der Zahl der Beschäftigten in der Bi-Zone im Jahre 1948 um etwa 1,3 Millionen Personen wuchs parallel dazu auch die Zahl der Arbeitslosen um rund 700.000. Vollbeschäftigung schien daher noch in weiter Ferne, denn 1949 stieg die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt sogar auf über eine Million Personen an, was einer Arbeitslosenrate von etwa 8% entsprach und verharrte auch während des gesamten Jahres auf diesem hohen Niveau, ehe sie bis zum Februar 1950 mit über zwei Millionen (12%) Arbeitslosen einen absoluten Höhepunkt erreichte. In manchen Regionen waren die Verhältnisse sogar noch katastrophaler und die Arbeitslosenrate erreichte dort teilweise Werte zwischen 15% und 25%. Erst im Frühling 1955 setzte eine durchgreifende Wende zum Besseren ein und der Rückgang der Arbeitslosigkeit erreichte um 1961 eine Situation, die "im Zeitalter der kapitalistischen Wirtschaft noch nie eingetreten war".
Nunmehr kehrte sich die Situation geradezu in ihr Gegenteil. Das enorme Wirtschaftswachstum der 1950er und 1960er Jahre führte zu einer gewaltigen Nachfrage nach Arbeitskräften, die aus dem heimischen Erwerbspotenzial nicht zu befriedigen war. Diese Lücke wurde zunächst durch Flüchtlinge aus der DDR gefüllt. Das bedeutete für die DDR einen schmerzlichen Verlust von "Humankapital" und für die Bundesrepublik einen entsprechenden Zugewinn, denn bei den Flüchtlingen handelte es sich zumeist um junge, gut ausgebildete Arbeitskräfte. Etwa 11% der Bevölkerung und 13% der Erwerbstätigen gingen der Wirtschaft Ostdeutschlands in dem Zeitraum zwischen 1949 und 1961 auf diese Weise verloren und Westdeutschland konnte sich eines stetigen Zustroms von etwa einer Million Arbeitskräften erfreuen. Als dieser Zustrom 1961 abrupt durch den Bau der Berliner Mauer versiegte, trat eine verstärkte Anwerbung von Gastarbeitern, die bereits mit dem Anwerbeabkommen mit Italien 1955 begonnen hatte, an dessen Stelle. Zwischen 1961 und 1965 wurden weitere Abkommen mit der Türkei, Marokko, Portugal und Jugoslawien abgeschlossen und bereits 1966 waren mit 1,3 Millionen Personen 6,3% der Beschäftigten in der Bundesrepublik Ausländer. Die Probleme, die mit der wachsenden Ausländerbeschäftigung verbunden waren, wurden damals zwar von Experten bereits thematisiert, von Politik und Öffentlichkeit jedoch ignoriert. Unter diesen Bedingungen ließ sich eine Vollbeschäftigung sehr leicht realisieren und eine aktive Arbeitsmarktpolitik zur Förderung von Beschäftigung war nicht notwendig. Die Politik von Bundesregierung und Bundesanstalt für Arbeit betrieb in dieser Zeit daher lediglich eine auf die Vermittlung von Arbeitskräften und die Verwaltung von Arbeitslosigkeit ausgerichtete "reaktive" Arbeitsmarktpolitik.
Was nunmehr in der Bundesrepublik folgte war eine Phase der Vollbeschäftigung, ein Golden Age mit Arbeitslosenraten unter 2%. Damit war erstmals "Vollbeschäftigung" beziehungsweise, wie man aus einer historischen Betrachtung eher anzumerken geneigt ist, bereits eine "Überbeschäftigung" erreicht. Doch diese kurze Phase währte lediglich von 1960 bis 1973, gilt aber bis heute noch vielfach als Maßstab und Ziel für die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. In dieser Zeit herrschte in der boomenden deutschen Wirtschaft kein Überschuss, sondern eher ein gravierender Mangel an Arbeitskräften und man sah sich zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums genötigt, weitere Beschäftigungspotenziale zu erschließen. Doch "das abrupte Ende der Zuwanderung aus der DDR seit dem Mauerbau, das schrumpfende deutsche Arbeitspotenzial und die Unterschichtung des deutschen Arbeitsmarktes durch ausländische Arbeitskräfte, dazu der technische Wandel, die Rationalisierung und Automatisierung der Industriearbeit, die anhaltende Ausweitung des Dienstleistungsbereichs" - das alles stellte das deutsche Beschäftigungssystem und die Arbeitsmarktpolitik vor neue Herausforderungen. Zugleich war die einmalig günstige Konstellation auf dem deutschen Arbeitsmarkt von den Arbeitnehmerorganisationen mit Unterstützung des Staates dazu genutzt worden, das sogenannte Normalarbeitsverhältnis endgültig institutionell auszubauen und abzusichern. "Als Normalarbeitsverhältnis galt - und gilt weithin noch heute - eine in Vollzeit verrichtete abhängige Beschäftigung, die als einzige Einkommensquelle zumindest das Existenzminimum sichert. Das Arbeitsverhältnis ist unbefristet und auf Dauer angelegt und in ein engmaschiges Netz von rechtlichen und tariflichen Normen eingebettet." Das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von 1969 bildet daher den Höhepunkt staatlicher Maßnahmen in diesem Politikfeld, die durch vielfältige tarifliche Vereinbarungen zwischen den Arbeitsmarktparteien ergänzt und erweitert wurden.
Nachdem der "kurze Traum immerwährender Prosperität" ausgeträumt und die "Rückkehr der Arbeitslosigkeit" zu beklagen war, folgte eine Entwicklung, die sich als die "Mühen der Ebene" umschreiben lässt. Bereits in der "kleinen" Wirtschaftskrise von 1966/67 wurden in Westdeutschland die Herausforderungen einer zunehmend globalisierten internationalen Wirtschaft erstmals deutlich und seit Mitte der 1970er Jahre setzte diese die deutsche Wirtschaft unter permanenten Anpassungsdruck. Das führte zum Zusammenbruch des bis dahin vorherrschenden, auf standardisierter Massenproduktion und Massenkonsum beruhenden fordistischen Produktionssystems, was sich beispielsweise im Niedergang der Textilindustrie, des Bergbaus, der Eisen- und Stahlindustrie, der optischen Industrie und der Werften offenbarte und eine lang anhaltende strukturelle Arbeitslosigkeit nach sich zog. In verschiedenen Schüben, die durch die folgenden konjunkturellen Krisen verursacht wurden, schaukelte sich die Arbeitslosenrate in der Bundesrepublik bis zum Ende des Jahrhunderts auf Werte von über 10% (1994-2006) hoch. Diese latente Strukturkrise der westdeutschen Wirtschaft wurde noch verschärft durch den 1990 vollzogenen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und den danach folgenden Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft.
Beschäftigung in der DDR
In der DDR war in der unmittelbaren Nachkriegszeit in einer ähnlich schwierigen Situation wie im Westen, in einer "Zusammenbruchsgesellschaft", nach sowjetischem Vorbild eine ganz andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung etabliert worden. Dazu wurde es als eine wesentliche Voraussetzung nötig, die "überkommenen Eigentumsverhältnisse" durch eine Bodenreform und Enteignung der Produktionsbetriebe gänzlich neu zu gestalten. Damit war zugleich die Basis für eine zentrale Planung auch für eine solche des Arbeitskräfteeinsatzes geschaffen. Dadurch gelang es, die ebenfalls am Ende des Krieges herrschende große Arbeitslosigkeit, auch hier verschärft durch einen hohen Zustrom von "Umsiedlern", relativ rasch zu überwinden. Der Zugriff auf das Arbeitspotenzial erfolgte teilweise unkoordiniert durch die Militärbehörden und erwies sich daher zunächst häufig als nicht optimal. Auf der Basis der sozialistischen Planwirtschaft wurde in der DDR ein Beschäftigungssystem geschaffen, das kurzfristig bemerkenswerte Erfolge ermöglichte, langfristig aber den Keim des Scheiterns in sich trug. Grundproblem der Wirtschaft war und blieb die unzureichende Arbeitsproduktivität. Durch die Ausschaltung des Marktmechanismus wurde auch im Beschäftigungssystem ein marktwirtschaftlicher Wettbewerb entscheidend eingeschränkt und die sozialpolitischen Zwänge des Systems führten darüber hinaus zu einer starken Nivellierung der Einkommen. Der Versuch zur Anhebung der Arbeitsnormen hatte bereits 1953 zum Fiasko geführt und alle weiteren Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsproduktivität (beispielsweise Aktivistenbewegung) konnten dieses Grundproblem niemals lösen.
Eine offene Arbeitslosigkeit war dem Beschäftigungssystem der DDR völlig fremd, denn es gab ein "Recht auf Arbeit", das angesichts einer ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten "Ehrenpflicht" zur Arbeit gelegentlich auch als Zwang empfunden werden konnte. In den 1960er und 1970er Jahren herrschte in der DDR ebenfalls wie in Westdeutschland eine Arbeitskräfteknappheit, der man zum Teil durch die Beschäftigung ausländischer "Vertragsarbeiter" entgegenzuwirken suchte. Darüber hinaus war man bestrebt, auch Frauen in großer Zahl ins Erwerbsleben zu integrieren. Auch Arbeitszeitverkürzungen wurden nur zögerlich umgesetzt, so dass noch 1989 eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 43,75 Stunden in der DDR üblich war. Probleme ergaben sich hinsichtlich der Qualität und der regionalen Verteilung der Arbeitskräfte. Staatliche Versuche zur Anpassung wurden häufig durch ein beachtliches Maß an Fluktuation unterlaufen.
Trotz des Fehlens einer offiziellen Arbeitslosenstatistik kann man dennoch davon ausgehen, dass auch in der DDR verschiedene Formen von Arbeitslosigkeit existierten. Strukturelle Anpassungen führten zu Freisetzungen ebenso wie Formen fluktuationsbedingter Arbeitslosigkeit vorhanden waren. Eine konjunkturelle Arbeitslosigkeit konnte systembedingt allerdings nicht auftreten, doch muss demgegenüber von einem beachtlichen Umfang versteckter Arbeitslosigkeit ausgegangen werden. Diese fand ihren Ausdruck in der außerordentlich geringen Arbeitsproduktivität der DDR-Wirtschaft, die dieser schließlich zum Verhängnis wurde. Der Preis dieser "Vollbeschäftigung" war der geringe Lebensstandard der Bevölkerung.
Die seit 1971 propagierte "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" sollte diesem Missstand abhelfen, doch blieb die Entwicklung des Lebensstandards in der DDR immer weit hinter dem der "Referenzgesellschaft" der Bundesrepublik zurück. Über den Staatshaushalt erfolgte eine Subventionierung des Konsums der Bevölkerung, die sich vornehmlich auf eine Verbilligung des Grundkonsums an Nahrungsmitteln und der Mieten konzentrierte, während die Güter des gehobenen Bedarfs nahezu unerschwinglich oder auch gar nicht verfügbar blieben. Die auf der betrieblichen Ebene durch eine egalitäre Lohnstruktur bereits erfolgte Entkoppelung von Lohn und Leistung wurde durch diese Politik nunmehr auch auf die gesellschaftliche Ebene transponiert. Diese als "Errungenschaften des Sozialismus" gefeierten Maßnahmen wurden von der Bevölkerung schnell als selbstverständlich angesehen und trugen ebenfalls zur Verschleierung des Zusammenhanges zwischen Arbeitseinkommen und Arbeitseinsatz bei. Der Förderung individueller Arbeitsmotivation und einer Steigerung der Arbeitsproduktivität wurde damit ein Bärendienst erwiesen. Die Lücke zwischen den Konsumansprüchen der Bevölkerung und der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft öffnete sich in der DDR daher immer weiter und der Staat suchte einen Ausweg über die Inanspruchnahme von Krediten und anderen Devisenhilfen, insbesondere von Seiten der Bundesrepublik.
Die Gesamtverschuldung der DDR gegenüber dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet stieg durch wachsende Importe und steigender Weltmarktpreise seit Anfang der 1970er Jahre deutlich an. Bis 1981 war das kumulierte Defizit der Handelsbilanz bis auf etwa 40 Milliarden Valutamark angestiegen und war damit doppelt so groß wie der Export jenes Jahres. Diese Politik zu Lasten der zukünftigen Möglichkeiten des Landes war auf Dauer nicht durchzuhalten und der Ende des Jahrzehnts erfolgte Kollaps der Wirtschaft zwangsläufig. Für das Beschäftigungssystem der DDR bedeutete die deutsche Einheit eine Katastrophe, weil in der Währungsunion durch die Wahl des Wechselkurses zwischen der D-Mark und der Mark der DDR die Betriebe der DDR plötzlich mit der überlegenen Konkurrenz der internationalen Märkte konfrontiert wurden, und die produktionsbezogenen Reallöhne der ostdeutschen Exportindustrien stiegen schlagartig auf das Vierfache.
Vollbeschäftigung im vereinigten Deutschland
Nach der Wiedergewinnung der deutschen Einheit im Jahre 1990 stieg daher die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland sprunghaft an und erreichte dort ihren Höhepunkt trotz massiver arbeitsmarktpolitischen Hilfsmaßnahmen mit einer Arbeitslosenrate von über 20% im Jahre 2004. Der naive Optimismus der "Wendezeit" begründete einen Machbarkeitswahn, der die Stabilisierung des ostdeutschen Arbeitsmarktes nur als eine vorübergehende Notmaßnahme erscheinen ließ. Die Gewährung von Kurzarbeitergeld bis hin zu "Kurzarbeit Null", was nichts anderes als kaschierte Arbeitslosigkeit bedeutete, Vorruhestands- beziehungsweise Altersübergangsgeld sowie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in vielfältigen Formen sollten Beschäftigungsbrücken in den regulären Arbeitsmarkt schaffen. Doch diese Maßnahmen führten nicht zu dem gewünschten Ergebnis, weil die Basis der DDR-Wirtschaft gänzlich weggebrochen war. Ab Ende des Jahres 1992 kam es daher aus fiskalischen Erwägungen heraus zu einer Neuorientierung der Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland hin zu einer "aktivierenden" Arbeitsmarktpolitik mit einer Orientierung am gesamtdeutschen Arbeitsmarkt.
Seitdem hat sich die vertraute Konstellation eines stetigen Arbeitskräfteüberhanges mit einer Massenarbeitslosigkeit in der durch die neuen Bundesländer erweiterten Bundesrepublik wiederum eingestellt. Man kann darüber streiten, wie groß die Arbeitslosigkeit heute tatsächlich ist und ob mit den gegenwärtig (Februar 2012) gut drei Millionen registrierten Arbeitslosen ihr Umfang tatsächlich hinreichend erfasst wird. Man muss auch in Rechnung stellen, dass etwa knapp zwei Millionen Menschen sich entmutigt vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben oder wegen Arbeitslosigkeit bereits Rente beziehen, dass gut eine halbe Million in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen oder im Vorruhestand verharren und dass sich knapp eine halbe Million in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen befinden. Man kann also die Zahl der registrierten Arbeitslosen in etwa verdoppeln, um einen realistischen Anhaltspunkt für die Unterauslastung des Erwerbspotenzials der deutschen Wirtschaft zu erhalten. Dass diese Konstellation recht weit vom Ziel "Vollbeschäftigung" entfernt ist, erscheint unbestreitbar. Und auch der gegenwärtig beobachtbare erfreuliche Anstieg der Beschäftigung in Deutschland auf über 41 Millionen Erwerbstätige und der Rückgang bei den registrierten Arbeitslosen bringt uns dem hehren Vollbeschäftigungsziel allenfalls partiell näher.
Trotz des bemerkenswerten Rückgangs der Arbeitslosenrate in Gesamtdeutschland - ein Trend, der sich vermutlich aufgrund demografischer Faktoren weiter fortsetzen wird - bleibt eine Vollbeschäftigung im Sinne des Golden Age der 1960er Jahre, nämlich als eine vollständige Ausschöpfung des vorhandenen Erwerbspotenzials, eine Illusion. Da das deutsche Produktionssystem in einem hohen Maß auf Qualitätsarbeit beruht, bieten sich für weniger qualifizierte Arbeitnehmer nur begrenzte Beschäftigungschancen, die auch bei allen Bemühungen um Weiterqualifizierung der Beschäftigten nicht dazu führen können, jedermann einen Arbeitsplatz zu verschaffen. Da aber aus sozialpolitischen Erwägungen unqualifizierte Tätigkeiten zu marktgängigen Preisen nicht akzeptiert werden, lässt sich ein bestimmter Bodensatz an Arbeitslosigkeit auch in Zukunft kaum vermeiden. Der Ausweg über eine gesteigerte Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch die Ausweitung eines Sektors "atypischer" Beschäftigung außerhalb des Normalarbeitsverhältnisses ist politisch ebenfalls stark umstritten. Mit dem Anstieg der atypischen Beschäftigungsformen in den vergangenen Jahren lässt sich zugleich eine zunehmende Spreizung der Lohnsätze beobachten, weil atypische Jobs häufiger geringer entgolten werden. Minijobs, Befristungen und Zeitarbeit sind meist mit deutlichen Lohnabschlägen verbunden, sodass atypische Beschäftigungsformen zugleich zu prekären Lebensverhältnissen führen können. Und selbst im Segment der im privilegierten Normalarbeitsverhältnis Beschäftigten lassen sich Tendenzen der Flexibilisierung aufzeigen, weil dort verstärkt Überstunden, unbezahlte Mehrarbeit oder ein Ausgleich durch Freizeit und ähnliches gefordert werden. Inwieweit alle diese Entwicklungen mit Vorstellungen über Vollbeschäftigung zu verknüpfen sind, muss daher hinterfragt werden. Vollbeschäftigung am Arbeitsmarkt in der modernen Gesellschaft erweist sich daher als eine Chimäre einer längst versunkenen Zeit.