Einleitung
Voller Bewunderung schaut die Welt auf Deutschland. Mit German Miracle oder mit "deutschem Jobwunder" wird bezeichnet, was sich hierzulande abspielt.
In der Tat sind die deutschen Erfolgszahlen beeindruckend. Das gilt sowohl für das Niveau wie die Dynamik makroökonomischer Kennziffern.
Die deutsche Beschäftigungsentwicklung der vergangenen Jahre ist weder mit früheren Abschwungphasen vergleichbar noch mit den wesentlich ungünstigeren Entwicklungen in den meisten anderen Industrieländern. Obwohl die gesamtwirtschaftliche Produktion erst allmählich wieder das Vorkrisenniveau von Anfang 2008 erreichte, hat sich die Arbeitsmarktlage verbessert. Trotz Euro-Krise und weltweiten Rezessionsängsten waren 2011 im Jahresdurchschnitt lediglich 2.976.000 Personen arbeitslos gemeldet, 263.000 weniger als im Vorjahr.
Gründe für die Beschäftigungserfolge
Das German Job Miracle hat viele Gründe. Auf der Mikroebene sind deutsche Firmen international und zwar weltweit hochgradig wettbewerbsfähig, auch da liegt ein Unterschied zum übrigen Europa. Auf der Makroebene hat der gemeinsame europäische Binnenmarkt den deutschen Unternehmen die Möglichkeit geschaffen, die mikroökonomische Überlegenheit europaweit auszunutzen. Aus Deutschland wurden vergangenes Jahr erstmals Güter im Wert von mehr als einer Billion Euro ins Ausland verkauft. Entsprechend robust sind die Absatzentwicklung und damit die Beschäftigungslage.
Entscheidend für die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist die weltweite Technologieführerschaft einiger deutscher Firmen, vor allem vieler kleiner und mittelständischer Unternehmen. Anders als Großbritannien oder Irland, die auf Dienstleistungen und insbesondere Finanz- und Kapitalmärkte gesetzt haben, ist Deutschland ein Industrieland geblieben. Das bedeutet nicht einen Verzicht auf Dienstleistungen. Aber im Kern steht immer noch die industrielle Wertschöpfung. Sie wird durch industrienahe Dienstleistungen und Software ergänzt. Zusammen bilden industrielle Hardware und industriebezogene Software eine perfekte Symbiose, die weniger in Form von Produkten als vielmehr in klug durchdachten Prozessketten daherkommt. Dies sorgt für stabile Beschäftigungsverhältnisse auch bei konjunkturell schwierigen Umständen. Die ausgeprägte Lohnzurückhaltung der Belegschaften und die als Folge davon gegenüber der Konkurrenz attraktiver gewordenen Lohnstückkosten haben dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet.
In Teilen hat während der Rezession 2008/2009 auch die staatlich geförderte Kurzarbeit zur Stabilisierung der Beschäftigung beigetragen. Darüber hinaus wurden aber auch "atmende" Arbeitszeitkonten genutzt, die in guten Zeiten Überstunden und in schlechteren Tagen ein Abbummeln ermöglichen. Hier zeigt sich, dass sich die Arbeitgeber stärker als in früheren Abschwungphasen darüber bewusst sind, wie sehr sie auf das Wissen und die spezifischen Fähigkeiten ihrer Belegschaften angewiesen sind. Um das für den langfristigen Betriebserfolg unverzichtbare "Humankapital" nicht kurzfristiger Krisen wegen zu verlieren, "horteten" sie qualifizierte Arbeitskräfte. Firmen behalten ihre Fachkräfte auch unter schwierigen Zeiten, um für einen später erhofften und erwarteten Aufschwung gut gerüstet zu sein und ihre Produktion rasch wieder nach oben fahren zu können. Deshalb wurden Kurzarbeit und Arbeitszeitkonten auch im Interesse der Unternehmen so häufig als Flexibilisierungsmaßnahmen gewählt. Aus Sicht der Betriebe spielt schließlich auch die, wenn auch erst schwach und langsam, nun doch bereits zunehmend spürbare, demografische Entwicklung eine verstärkende Rolle. Die schrumpfende Zahl jüngerer Menschen lässt einen Fachkräftemangel entstehen. Da werden auch ältere Arbeitnehmer wieder wertvoller. Es wird attraktiver, bei vorübergehender Unterauslastung Belegschaften länger zu halten und auf Entlassungen zu verzichten.
Vor allem aber haben die Hartz-Reformen der rot-grünen Regierung Gerhard Schröders in den Köpfen der Deutschen mehr verändert, als gemeinhin wahrgenommen wird. Sie haben Wille und Bereitschaft gestärkt, so rasch wie möglich aus der Arbeitslosigkeit wieder zurück in die Beschäftigung zu drängen. Fördern und Fordern ist heute akzeptierte Realität geworden. Flexibilität für betriebliche Bündnisse für Arbeit und ein Verzicht der Belegschaften auf überrissene Lohnforderungen im Tausch gegen Beschäftigungsgarantien sind gang und gäbe. Alles in allem hat sich Deutschland in den vergangenen zwölf Jahren enorm verändert, stärker wohl als das übrige Europa. Es hat jene strukturellen Reformen und Modernisierungsschritte angepackt, die allen anderen Euro-Ländern noch bevorstehen.
Wege Richtung Vollbeschäftigung
Was bleibt nun zu tun, damit die positive Dynamik Richtung Vollbeschäftigung in Deutschland ihren Schwung behält? Wann und unter welchen Bedingungen kann Vollbeschäftigung erreicht werden? Zum einen muss die erfolgreiche Politik der vergangenen Jahre fortgeführt werden, zum anderen müssen weitere Reformen erfolgen, um noch vorhandene Strukturprobleme am Arbeitsmarkt zu lösen.
Festhalten an den Hartz-Reformen.
Der Beschäftigungserfolg in Deutschland ist teilweise die Folge eines Rückgangs der strukturellen Arbeitslosigkeit.
Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit.
Von entscheidender Bedeutung für das Vollbeschäftigungsziel ist eine deutliche Reduktion der Langzeitarbeitslosigkeit. Derzeit sind über eine Million Arbeitslose länger als ein Jahr arbeitslos. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist seit 2005 zwar deutlich zurückgegangen. In Teilen ist dies auf die gute konjunkturelle Entwicklung in den Jahren 2005 bis 2008 zurückzuführen. In der Regel haben aber "normale" Arbeitslose mehr vom Konjunkturverlauf profitiert als Langzeitarbeitslose. Die Entwicklung zwischen 2005 und 2008 deutet auch aus diesem Grund darauf hin, dass sich die Situation am Arbeitsmarkt strukturell geändert hat. Langzeitarbeitslosigkeit ist sehr häufig mit bestimmten individuellen Merkmalen verbunden, die zu geringeren Einstellungschancen dieser Personengruppen führen. Zu diesen gehören neben dem Alter insbesondere das Bildungsniveau und die familiäre Situation: Unter den Langzeitarbeitslosen finden sich vor allem Ältere, überproportional häufig gering Qualifizierte und auch besonders viele Alleinerziehende.
Einstellungschancen von Älteren verbessern.
Die Arbeitslosenquote ist in den verschiedenen Altersgruppen, mit Ausnahme der Jugendarbeitslosigkeit, weitgehend konstant.
Eine andere Ursache liegt darin, dass für ältere Arbeitnehmer betriebsspezifische Investitionen in "Humankapital" weniger rentabel sind als für jüngere. Sowohl aus Sicht der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber reduziert sich damit der Anreiz, in Aus- und Weiterbildung zu investieren. Dies könnte sich aufgrund des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels ändern. Durch beide Entwicklungen werden Investitionen in das "Humankapital" auch bei älteren Arbeitnehmern aus Unternehmenssicht rentabler. Die eingeschränkten Möglichkeiten zum Vorruhestand in Verbindung mit der länger andauernden Nachfrage nach der eigenen Arbeitskraft verbessern auch die Bildungsanreize für ältere Arbeitnehmer. Im Gegensatz dazu ist die verlängerte Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I kontraproduktiv. Um die Einstellungsdynamik zu erhöhen, ist eine Liberalisierung des Arbeitsmarkts für ältere Arbeitnehmer besonders bedeutsam.
Bessere Chancen für gering Qualifizierte.
Bildung ist eine der wesentlichen Determinanten der Arbeitslosigkeit. So hatten nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit im September 2010 in Deutschland 43% der Arbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung. Dabei betrug der Anteil der Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Rechtskreis SGB III nur 23%, im Rechtskreis SGB II, in dem die Langzeitarbeitslosen sehr viel stärker vertreten sind, lag der Anteil bei 54%. Im Bereich der gering Qualifizierten können zum Teil arbeitsmarktpolitische Programme helfen. Wesentlich ist es aber auch, Stellen für gering Qualifizierte zu schaffen. Impulsgeber für diese Entwicklung könnte der Dienstleistungssektor, darunter insbesondere der Gesundheitssektor, sein. Hier ist schon in den vergangenen Jahren die Beschäftigung stark ausgeweitet worden und aufgrund des demografischen Wandels wird sich dieser Trend fortsetzen. Allerdings besteht bei der Beschäftigung von gering Qualifizierten häufig das Problem, dass deren Produktivität nur geringe Löhne erlaubt. Gegebenenfalls liegen diese nur wenig über oder sogar unterhalb dessen, was gesellschaftlich als sozial akzeptable Einkommensuntergrenze betrachtet wird. Um diese Problematik zu umgehen, fordern Teile der Politik Mindestlöhne. Diese würden aber nur in einigen Fällen tatsächlich zu einer besseren Entlohnung der gering qualifizierten Beschäftigten führen. In weiten Teilen würden die Mindestlöhne die Beschäftigung dieser Gruppe verhindern und damit das Problem der Arbeitslosigkeit vergrößern.
Zwei zentrale Punkte bieten sich an, die Beschäftigung und die relative Lohnposition von gering Qualifizierten zu verbessern. Derzeit ist die Belastung mit Abgaben im unteren Lohnbereich in Deutschland noch immer sehr hoch. So führen schon die Sozialabgaben für sozialversicherungspflichtige Einkommen dazu, dass die Nettoeinkommen 40% unterhalb der Arbeitskosten liegen. Sofern das Einkommen zum Eingangssteuersatz von 14% besteuert wird, liegt die Schere zwischen Arbeitskosten und Nettolöhnen über 50% - abgesehen von sonstigen indirekten Arbeitskosten. Damit die Arbeitskosten durch die Produktivität gedeckt sind und es zugleich Arbeitsanreize für gering Qualifizierte gibt, muss diese Schere geschlossen werden. Insofern besteht eine wesentliche Maßnahme zur Verbesserung der Beschäftigung von gering Qualifizierten in der Absenkung der lohnabhängigen Sozialversicherungsbeiträge. Dies kann durch weitere Steuerfinanzierung geschehen. Alternativ könnte aber auch ein größerer Teil der Sozialabgaben unabhängig vom Einkommen erhoben werden.
Arbeitskosten und Löhne orientieren sich an der individuellen Produktivität der Beschäftigten. Im Gegensatz dazu sind sozialverträgliche Mindeststandards vom Einkommen und von der sozialen und familiären Situation abhängig. Deshalb müssen die Löhne von bestimmten Arbeitnehmern durch Zuschüsse ergänzt werden. Diese müssen so gestaltet sein, dass die Gesamteinkommen nach Steuern und Transfers steigen, wenn der Lohn zunimmt. So haben die Beschäftigten ein Interesse an höheren Löhnen und versuchen, einen möglichst hohen Lohn zu erhalten. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, ist es auch nicht möglich, dass die Arbeitgeber den Lohn auf Kosten der Allgemeinheit nach unten drücken.
Für die weitere Entwicklung der Beschäftigung ist es daher von besonderer Bedeutung, die Zahl der gering Qualifizierten zu reduzieren. Dazu ist es notwendig, die in den nächsten Jahren demografisch bedingt ausscheidenden Arbeitnehmer mit geringen Qualifikationen durch solche mit besseren Qualifikationen zu ersetzen. Dies setzt eine Verbesserung des Schul- und Bildungssystems voraus. Insofern sind die weiteren Arbeitsmarktentwicklungen wesentlich von der Bildungspolitik abhängig.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärken.
Eine weitere wesentliche Gruppe im Bereich der Langzeitarbeitslosen sind die Alleinerziehenden. Sie sind mit durchschnittlich 47 Wochen im Vergleich zu 33 Wochen bei den Arbeitslosen insgesamt deutlich länger ohne Beschäftigung. Auch der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist mit 41% unter den arbeitslosen Alleinerziehenden besonders ausgeprägt im Vergleich zu einem Anteil von 33% unter allen Arbeitslosen. Gleichzeitig sind die alleinerziehenden Arbeitslosen im Schnitt besser qualifiziert als die Langzeitarbeitslosen insgesamt. Insofern ist von Seiten des Arbeitsmarkts eine Verbesserung der Beschäftigungssituation möglich. Voraussetzung dafür ist jedoch eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, beispielsweise durch verbesserte Kinderbetreuungsangebote, aber auch durch vermehrte Teilzeitstellen.
Bildungsinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen.
Um das Ziel der Vollbeschäftigung realisieren zu können, bedarf es neben einer gezielten Politik, die auf Langzeitarbeitslosigkeit gerichtet ist, einer Politik, die auf die Fachkräfte zielt. Das kann nur gelingen, wenn das (Aus-)Bildungssystem ständig weiterentwickelt und den geänderten Anforderungen einer modernen Arbeitswelt angepasst wird. Das ist keine Einmal-, sondern eine Daueraufgabe. Und es geht um beide: die Langzeitarbeitslosen wie die Fachkräfte. So erhöhen Investitionen in Sach- und "Humankapital" die Kapitalintensität und damit die Arbeitsproduktivität - auch der geringer Qualifizierten. Darüber hinaus sind qualifizierte und gering qualifizierte Arbeit in Teilen komplementäre Faktoren. Und letztlich entsteht durch steigende Beschäftigung und Einkommen von qualifizierten Arbeitskräften zusätzliche Güternachfrage, die zu einer Verbesserung der Beschäftigung insgesamt beiträgt. Deshalb sollte eine Politik der Vollbeschäftigung nicht nur einseitig, sondern mehrseitig sein. Sie soll die Schwachen stärken, ohne die Stärkeren zu vernachlässigen.
Fazit
In den Jahren seit 2005 hat die Beschäftigung in Deutschland stark zugenommen, und die Arbeitslosigkeit ist deutlich zurückgegangen. Die makroökonomischen Rahmenbedingungen sprechen dafür, dass diese erfreuliche Entwicklung in den nächsten Jahren andauert. Vor diesem Hintergrund könnte die Arbeitslosenquote im Jahr 2015 unter 5% fallen. Damit dies möglich wird, müssen jedoch verschiedene Bedingungen erfüllt sein. Aus makroökonomischer Perspektive sind weiterhin beschäftigungskonforme Tarifabschlüsse notwendig. Sollten die Lohnabschlüsse über dem Verteilungsspielraum liegen, würde das Wachstum gebremst und der weitere Abbau der Arbeitslosigkeit verzögert. Große Anpassungserfordernisse bestehen auf regionaler Ebene. So werden weiterhin große regionale Unterschiede bei den Arbeitslosenquoten bestehen bleiben. Wegen des Fachkräftemangels in prosperierenden Regionen wird es für die dort angesiedelten Unternehmen wichtig, Arbeitskräfte aus strukturschwachen Regionen anzuwerben und deren Mobilitätsbereitschaft aktiv zu fördern. Dies sollte nicht durch staatliche Maßnahmen der Regionalförderung oder der Arbeitsmarktpolitik konterkariert werden.
Arbeitslosigkeit ist in vielen Fällen ein Bildungsproblem. Hier ist es bedeutsam, dass die Bildungspolitik zukünftig für eine bessere Qualifikation der Erwerbstätigen sorgt. Um die Beschäftigungschancen der derzeitig gering Qualifizierten zu verbessern, muss die Flexibilität am Arbeitsmarkt weiter erhöht werden. Außerdem muss der Arbeitslosigkeit von Alleinerziehenden durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf begegnet werden. Wesentlich ist, dass sozial- und bildungspolitische Probleme nicht durch Eingriffe in den Arbeitsmarkt bekämpft, sondern über Sozial- und Bildungspolitik und gegebenenfalls über direkte Transfers und Hilfe geregelt wird.