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Wege zur Vollbeschäftigung - Essay | Vollbeschäftigung? | bpb.de

Vollbeschäftigung? Editorial Wege zur Vollbeschäftigung - Essay Gute Arbeit: Leitbild einer zeitgemäßen Vollbeschäftigungspolitik - Essay Vollbeschäftigung: ein zeit- und gesellschaftskontingenter Begriff Vollbeschäftigung in Sicht? Zur Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt Mythos der Vollbeschäftigung und Arbeitsmarkt der Zukunft Kurze Geschichte der "Vollbeschäftigung" in Deutschland nach 1945 Ist Vollbeschäftigung für Männer und Frauen möglich? Annäherungen an eine Politik der Vollbeschäftigung in Europa

Wege zur Vollbeschäftigung - Essay

Thomas Straubhaar

/ 13 Minuten zu lesen

Das"deutsche Jobwunder“ in Krisenzeiten verblüfft die Welt. Das Ziel der Vollbeschäftigung erscheint wieder erreichbar. Die erfolgreiche Politik der vergangenen Jahre muss fortgesetzt werden und weitere Reformen müssen erfolgen.

Einleitung

Voller Bewunderung schaut die Welt auf Deutschland. Mit German Miracle oder mit "deutschem Jobwunder" wird bezeichnet, was sich hierzulande abspielt. Das für die meisten schon zur Utopie gewordene Ziel der Vollbeschäftigung könnte bereits in wenigen Jahren Wirklichkeit werden. Deutschland, dank Marshallplan und Sozialer Marktwirtschaft wie Phönix aus der Asche des Zweiten Weltkriegs aufgestiegen, dann erst zum Wirtschaftswunder und später nach der Wiedervereinigung zum kranken Mann Europas gewandelt, hat sich mittlerweile zum europäischen Kraftprotz entwickelt. Von vielen bewundert, anderen nachgeahmt und manchen neidisch bis misstrauisch beäugt, ist Deutschland wiederum und wie vor hundert Jahren das wirtschaftliche Gravitationszentrum Europas, um das sich heutzutage alles dreht. Zugleich ist es der makroökonomische Musterschüler, der für alle anderen nicht nur Vorbild, sondern auch das Maß aller Dinge ist.

In der Tat sind die deutschen Erfolgszahlen beeindruckend. Das gilt sowohl für das Niveau wie die Dynamik makroökonomischer Kennziffern. Deutschland erwirtschaftet etwa ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Europäischen Union, Frankreich nicht einmal ein Sechstel, Großbritannien und Italien nur je gut ein Achtel. In den vergangenen beiden Jahren wuchs die deutsche Wirtschaftsleistung real insgesamt um 6,8% und damit rund doppelt so stark wie jene des Euro-Raums (3,4%) oder die französische (3,1%), britische (2,5%) oder italienische (2,0%). Die Staatsverschuldung ist in Deutschland im vergangenen Jahr zurückgegangen. In allen anderen Ländern des Euro-Raums (außer Estland) ist sie gestiegen. Noch eindrücklicher fällt ein Vergleich der Beschäftigungssituation aus. In Deutschland sank die (standardisierte) Arbeitslosenquote von 7,1% 2010 auf 5,8% 2011. In Frankreich verharrte sie auf dem weit höheren Niveau von 9,8%, in Italien ging sie lediglich von 8,4% auf 8,1% zurück, in Großbritannien blieb sie unverändert bei 7,8%. Der Arbeitsmarkt in Deutschland hat somit die Krise im internationalen Vergleich mehr als gut überstanden.

Die deutsche Beschäftigungsentwicklung der vergangenen Jahre ist weder mit früheren Abschwungphasen vergleichbar noch mit den wesentlich ungünstigeren Entwicklungen in den meisten anderen Industrieländern. Obwohl die gesamtwirtschaftliche Produktion erst allmählich wieder das Vorkrisenniveau von Anfang 2008 erreichte, hat sich die Arbeitsmarktlage verbessert. Trotz Euro-Krise und weltweiten Rezessionsängsten waren 2011 im Jahresdurchschnitt lediglich 2.976.000 Personen arbeitslos gemeldet, 263.000 weniger als im Vorjahr. Ebenso erfreulich entwickelten sich Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Sie nahmen 2011 weiter zu. Ende des Jahres lag die Zahl der Erwerbstätigen bei 41,5 Millionen und damit um 572.000 höher als im Vorjahr; und die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erreichte 29 Millionen, was einem Zuwachs von 721.000 gegenüber 2010 entspricht. Das sind unglaubliche Rekorde. Nie waren im wiedervereinten Deutschland weniger Menschen ohne Arbeit, nie hatten mehr Menschen eine Beschäftigung. Noch vor Kurzem hätte man von solchen Erfolgen nicht zu träumen gewagt. Die Beschäftigungsentwicklung verblüfft, weil sie trotz einer Globalisierung zustande kommt, von der Pessimisten immer befürchtet haben, dass sie zu einer Verlagerung der Jobs in Billiglohnländer führe. Und der Beschäftigungserfolg ist möglich, obwohl der Strukturwandel beschleunigt voranschreitet, was viele Skeptiker bewogen hatte, von einem "Ende der Arbeit" zu reden. Nichts davon ist geschehen. Die südasiatischen Arbeiter haben deutsche Facharbeiter nicht verdrängt, sondern ergänzt. Und Maschinen haben den Menschen nicht ersetzt, sondern leistungsfähiger werden lassen.

Gründe für die Beschäftigungserfolge

Das German Job Miracle hat viele Gründe. Auf der Mikroebene sind deutsche Firmen international und zwar weltweit hochgradig wettbewerbsfähig, auch da liegt ein Unterschied zum übrigen Europa. Auf der Makroebene hat der gemeinsame europäische Binnenmarkt den deutschen Unternehmen die Möglichkeit geschaffen, die mikroökonomische Überlegenheit europaweit auszunutzen. Aus Deutschland wurden vergangenes Jahr erstmals Güter im Wert von mehr als einer Billion Euro ins Ausland verkauft. Entsprechend robust sind die Absatzentwicklung und damit die Beschäftigungslage.

Entscheidend für die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist die weltweite Technologieführerschaft einiger deutscher Firmen, vor allem vieler kleiner und mittelständischer Unternehmen. Anders als Großbritannien oder Irland, die auf Dienstleistungen und insbesondere Finanz- und Kapitalmärkte gesetzt haben, ist Deutschland ein Industrieland geblieben. Das bedeutet nicht einen Verzicht auf Dienstleistungen. Aber im Kern steht immer noch die industrielle Wertschöpfung. Sie wird durch industrienahe Dienstleistungen und Software ergänzt. Zusammen bilden industrielle Hardware und industriebezogene Software eine perfekte Symbiose, die weniger in Form von Produkten als vielmehr in klug durchdachten Prozessketten daherkommt. Dies sorgt für stabile Beschäftigungsverhältnisse auch bei konjunkturell schwierigen Umständen. Die ausgeprägte Lohnzurückhaltung der Belegschaften und die als Folge davon gegenüber der Konkurrenz attraktiver gewordenen Lohnstückkosten haben dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet.

In Teilen hat während der Rezession 2008/2009 auch die staatlich geförderte Kurzarbeit zur Stabilisierung der Beschäftigung beigetragen. Darüber hinaus wurden aber auch "atmende" Arbeitszeitkonten genutzt, die in guten Zeiten Überstunden und in schlechteren Tagen ein Abbummeln ermöglichen. Hier zeigt sich, dass sich die Arbeitgeber stärker als in früheren Abschwungphasen darüber bewusst sind, wie sehr sie auf das Wissen und die spezifischen Fähigkeiten ihrer Belegschaften angewiesen sind. Um das für den langfristigen Betriebserfolg unverzichtbare "Humankapital" nicht kurzfristiger Krisen wegen zu verlieren, "horteten" sie qualifizierte Arbeitskräfte. Firmen behalten ihre Fachkräfte auch unter schwierigen Zeiten, um für einen später erhofften und erwarteten Aufschwung gut gerüstet zu sein und ihre Produktion rasch wieder nach oben fahren zu können. Deshalb wurden Kurzarbeit und Arbeitszeitkonten auch im Interesse der Unternehmen so häufig als Flexibilisierungsmaßnahmen gewählt. Aus Sicht der Betriebe spielt schließlich auch die, wenn auch erst schwach und langsam, nun doch bereits zunehmend spürbare, demografische Entwicklung eine verstärkende Rolle. Die schrumpfende Zahl jüngerer Menschen lässt einen Fachkräftemangel entstehen. Da werden auch ältere Arbeitnehmer wieder wertvoller. Es wird attraktiver, bei vorübergehender Unterauslastung Belegschaften länger zu halten und auf Entlassungen zu verzichten.

Vor allem aber haben die Hartz-Reformen der rot-grünen Regierung Gerhard Schröders in den Köpfen der Deutschen mehr verändert, als gemeinhin wahrgenommen wird. Sie haben Wille und Bereitschaft gestärkt, so rasch wie möglich aus der Arbeitslosigkeit wieder zurück in die Beschäftigung zu drängen. Fördern und Fordern ist heute akzeptierte Realität geworden. Flexibilität für betriebliche Bündnisse für Arbeit und ein Verzicht der Belegschaften auf überrissene Lohnforderungen im Tausch gegen Beschäftigungsgarantien sind gang und gäbe. Alles in allem hat sich Deutschland in den vergangenen zwölf Jahren enorm verändert, stärker wohl als das übrige Europa. Es hat jene strukturellen Reformen und Modernisierungsschritte angepackt, die allen anderen Euro-Ländern noch bevorstehen.

Wege Richtung Vollbeschäftigung

Was bleibt nun zu tun, damit die positive Dynamik Richtung Vollbeschäftigung in Deutschland ihren Schwung behält? Wann und unter welchen Bedingungen kann Vollbeschäftigung erreicht werden? Zum einen muss die erfolgreiche Politik der vergangenen Jahre fortgeführt werden, zum anderen müssen weitere Reformen erfolgen, um noch vorhandene Strukturprobleme am Arbeitsmarkt zu lösen.

Festhalten an den Hartz-Reformen.

Der Beschäftigungserfolg in Deutschland ist teilweise die Folge eines Rückgangs der strukturellen Arbeitslosigkeit. Dies wiederum ist wesentlich auf die Arbeitsmarktreformen in der vergangenen Dekade zurückzuführen. Die grundsätzlichen Linien dieser Reformen wurden im Gutachten des Sachverständigenrats (2002) eingefordert. Ein wichtiger Teil der Reformen war der Übergang von einer aktiven zu einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Diese Reformen begannen mit dem Job-AQTIV-Gesetz 2001 und endeten mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur Grundsicherung für erwerbsfähige Hilfebedürftige 2005. Trotz des offensichtlichen Erfolgs der Reformen wird derzeit darüber diskutiert, ob diese Anpassungen der Arbeitsmarktpolitik an die Erfordernisse der Zeit zurückgenommen werden sollen. Dies würde die bisher erreichte Entwicklung und damit einen weiteren Weg zur Vollbeschäftigung gefährden.

Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit.

Von entscheidender Bedeutung für das Vollbeschäftigungsziel ist eine deutliche Reduktion der Langzeitarbeitslosigkeit. Derzeit sind über eine Million Arbeitslose länger als ein Jahr arbeitslos. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist seit 2005 zwar deutlich zurückgegangen. In Teilen ist dies auf die gute konjunkturelle Entwicklung in den Jahren 2005 bis 2008 zurückzuführen. In der Regel haben aber "normale" Arbeitslose mehr vom Konjunkturverlauf profitiert als Langzeitarbeitslose. Die Entwicklung zwischen 2005 und 2008 deutet auch aus diesem Grund darauf hin, dass sich die Situation am Arbeitsmarkt strukturell geändert hat. Langzeitarbeitslosigkeit ist sehr häufig mit bestimmten individuellen Merkmalen verbunden, die zu geringeren Einstellungschancen dieser Personengruppen führen. Zu diesen gehören neben dem Alter insbesondere das Bildungsniveau und die familiäre Situation: Unter den Langzeitarbeitslosen finden sich vor allem Ältere, überproportional häufig gering Qualifizierte und auch besonders viele Alleinerziehende.

Einstellungschancen von Älteren verbessern.

Die Arbeitslosenquote ist in den verschiedenen Altersgruppen, mit Ausnahme der Jugendarbeitslosigkeit, weitgehend konstant. Aber die Dauer der Arbeitslosigkeit und damit auch der Anteil der Langzeitarbeitslosen nehmen mit dem Alter zu. Da die Wahrscheinlichkeit, entlassen zu werden, mit dem Alter abnimmt, ist die höhere Arbeitslosigkeit wesentlich auf eine geringere Einstellungswahrscheinlichkeit zurückzuführen. Diese dürftige Einstellungsdynamik führt dann auch zu einer verlängerten durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit. Für die geringe Dynamik auf dem Markt für ältere Arbeitnehmer gibt es verschiedene Gründe: Einer besteht darin, dass Ältere im Vergleich zu ihrer Produktivität höhere Löhne verlangen. Hier sind flexiblere Tarife die Lösung.

Eine andere Ursache liegt darin, dass für ältere Arbeitnehmer betriebsspezifische Investitionen in "Humankapital" weniger rentabel sind als für jüngere. Sowohl aus Sicht der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber reduziert sich damit der Anreiz, in Aus- und Weiterbildung zu investieren. Dies könnte sich aufgrund des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels ändern. Durch beide Entwicklungen werden Investitionen in das "Humankapital" auch bei älteren Arbeitnehmern aus Unternehmenssicht rentabler. Die eingeschränkten Möglichkeiten zum Vorruhestand in Verbindung mit der länger andauernden Nachfrage nach der eigenen Arbeitskraft verbessern auch die Bildungsanreize für ältere Arbeitnehmer. Im Gegensatz dazu ist die verlängerte Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I kontraproduktiv. Um die Einstellungsdynamik zu erhöhen, ist eine Liberalisierung des Arbeitsmarkts für ältere Arbeitnehmer besonders bedeutsam.

Bessere Chancen für gering Qualifizierte.

Bildung ist eine der wesentlichen Determinanten der Arbeitslosigkeit. So hatten nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit im September 2010 in Deutschland 43% der Arbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung. Dabei betrug der Anteil der Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Rechtskreis SGB III nur 23%, im Rechtskreis SGB II, in dem die Langzeitarbeitslosen sehr viel stärker vertreten sind, lag der Anteil bei 54%. Im Bereich der gering Qualifizierten können zum Teil arbeitsmarktpolitische Programme helfen. Wesentlich ist es aber auch, Stellen für gering Qualifizierte zu schaffen. Impulsgeber für diese Entwicklung könnte der Dienstleistungssektor, darunter insbesondere der Gesundheitssektor, sein. Hier ist schon in den vergangenen Jahren die Beschäftigung stark ausgeweitet worden und aufgrund des demografischen Wandels wird sich dieser Trend fortsetzen. Allerdings besteht bei der Beschäftigung von gering Qualifizierten häufig das Problem, dass deren Produktivität nur geringe Löhne erlaubt. Gegebenenfalls liegen diese nur wenig über oder sogar unterhalb dessen, was gesellschaftlich als sozial akzeptable Einkommensuntergrenze betrachtet wird. Um diese Problematik zu umgehen, fordern Teile der Politik Mindestlöhne. Diese würden aber nur in einigen Fällen tatsächlich zu einer besseren Entlohnung der gering qualifizierten Beschäftigten führen. In weiten Teilen würden die Mindestlöhne die Beschäftigung dieser Gruppe verhindern und damit das Problem der Arbeitslosigkeit vergrößern.

Zwei zentrale Punkte bieten sich an, die Beschäftigung und die relative Lohnposition von gering Qualifizierten zu verbessern. Derzeit ist die Belastung mit Abgaben im unteren Lohnbereich in Deutschland noch immer sehr hoch. So führen schon die Sozialabgaben für sozialversicherungspflichtige Einkommen dazu, dass die Nettoeinkommen 40% unterhalb der Arbeitskosten liegen. Sofern das Einkommen zum Eingangssteuersatz von 14% besteuert wird, liegt die Schere zwischen Arbeitskosten und Nettolöhnen über 50% - abgesehen von sonstigen indirekten Arbeitskosten. Damit die Arbeitskosten durch die Produktivität gedeckt sind und es zugleich Arbeitsanreize für gering Qualifizierte gibt, muss diese Schere geschlossen werden. Insofern besteht eine wesentliche Maßnahme zur Verbesserung der Beschäftigung von gering Qualifizierten in der Absenkung der lohnabhängigen Sozialversicherungsbeiträge. Dies kann durch weitere Steuerfinanzierung geschehen. Alternativ könnte aber auch ein größerer Teil der Sozialabgaben unabhängig vom Einkommen erhoben werden.

Arbeitskosten und Löhne orientieren sich an der individuellen Produktivität der Beschäftigten. Im Gegensatz dazu sind sozialverträgliche Mindeststandards vom Einkommen und von der sozialen und familiären Situation abhängig. Deshalb müssen die Löhne von bestimmten Arbeitnehmern durch Zuschüsse ergänzt werden. Diese müssen so gestaltet sein, dass die Gesamteinkommen nach Steuern und Transfers steigen, wenn der Lohn zunimmt. So haben die Beschäftigten ein Interesse an höheren Löhnen und versuchen, einen möglichst hohen Lohn zu erhalten. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, ist es auch nicht möglich, dass die Arbeitgeber den Lohn auf Kosten der Allgemeinheit nach unten drücken.

Für die weitere Entwicklung der Beschäftigung ist es daher von besonderer Bedeutung, die Zahl der gering Qualifizierten zu reduzieren. Dazu ist es notwendig, die in den nächsten Jahren demografisch bedingt ausscheidenden Arbeitnehmer mit geringen Qualifikationen durch solche mit besseren Qualifikationen zu ersetzen. Dies setzt eine Verbesserung des Schul- und Bildungssystems voraus. Insofern sind die weiteren Arbeitsmarktentwicklungen wesentlich von der Bildungspolitik abhängig.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärken.

Eine weitere wesentliche Gruppe im Bereich der Langzeitarbeitslosen sind die Alleinerziehenden. Sie sind mit durchschnittlich 47 Wochen im Vergleich zu 33 Wochen bei den Arbeitslosen insgesamt deutlich länger ohne Beschäftigung. Auch der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist mit 41% unter den arbeitslosen Alleinerziehenden besonders ausgeprägt im Vergleich zu einem Anteil von 33% unter allen Arbeitslosen. Gleichzeitig sind die alleinerziehenden Arbeitslosen im Schnitt besser qualifiziert als die Langzeitarbeitslosen insgesamt. Insofern ist von Seiten des Arbeitsmarkts eine Verbesserung der Beschäftigungssituation möglich. Voraussetzung dafür ist jedoch eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, beispielsweise durch verbesserte Kinderbetreuungsangebote, aber auch durch vermehrte Teilzeitstellen. Außerdem bedarf es einer Qualifikationsoffensive für gering qualifizierte Alleinerziehende, insbesondere jener mit Bezug von Arbeitslosengeld II. Diese Personen werden den Drehtüreffekt aus Hilfebedürftigkeit, Übergang in prekäre Beschäftigung und Rückfall in erneute Hilfebedürftigkeit nur durch höhere Bildungsabschlüsse und dadurch verbesserte Beschäftigungsoptionen überwinden können.

Bildungsinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen.

Um das Ziel der Vollbeschäftigung realisieren zu können, bedarf es neben einer gezielten Politik, die auf Langzeitarbeitslosigkeit gerichtet ist, einer Politik, die auf die Fachkräfte zielt. Das kann nur gelingen, wenn das (Aus-)Bildungssystem ständig weiterentwickelt und den geänderten Anforderungen einer modernen Arbeitswelt angepasst wird. Das ist keine Einmal-, sondern eine Daueraufgabe. Und es geht um beide: die Langzeitarbeitslosen wie die Fachkräfte. So erhöhen Investitionen in Sach- und "Humankapital" die Kapitalintensität und damit die Arbeitsproduktivität - auch der geringer Qualifizierten. Darüber hinaus sind qualifizierte und gering qualifizierte Arbeit in Teilen komplementäre Faktoren. Und letztlich entsteht durch steigende Beschäftigung und Einkommen von qualifizierten Arbeitskräften zusätzliche Güternachfrage, die zu einer Verbesserung der Beschäftigung insgesamt beiträgt. Deshalb sollte eine Politik der Vollbeschäftigung nicht nur einseitig, sondern mehrseitig sein. Sie soll die Schwachen stärken, ohne die Stärkeren zu vernachlässigen.

Fazit

In den Jahren seit 2005 hat die Beschäftigung in Deutschland stark zugenommen, und die Arbeitslosigkeit ist deutlich zurückgegangen. Die makroökonomischen Rahmenbedingungen sprechen dafür, dass diese erfreuliche Entwicklung in den nächsten Jahren andauert. Vor diesem Hintergrund könnte die Arbeitslosenquote im Jahr 2015 unter 5% fallen. Damit dies möglich wird, müssen jedoch verschiedene Bedingungen erfüllt sein. Aus makroökonomischer Perspektive sind weiterhin beschäftigungskonforme Tarifabschlüsse notwendig. Sollten die Lohnabschlüsse über dem Verteilungsspielraum liegen, würde das Wachstum gebremst und der weitere Abbau der Arbeitslosigkeit verzögert. Große Anpassungserfordernisse bestehen auf regionaler Ebene. So werden weiterhin große regionale Unterschiede bei den Arbeitslosenquoten bestehen bleiben. Wegen des Fachkräftemangels in prosperierenden Regionen wird es für die dort angesiedelten Unternehmen wichtig, Arbeitskräfte aus strukturschwachen Regionen anzuwerben und deren Mobilitätsbereitschaft aktiv zu fördern. Dies sollte nicht durch staatliche Maßnahmen der Regionalförderung oder der Arbeitsmarktpolitik konterkariert werden.

Arbeitslosigkeit ist in vielen Fällen ein Bildungsproblem. Hier ist es bedeutsam, dass die Bildungspolitik zukünftig für eine bessere Qualifikation der Erwerbstätigen sorgt. Um die Beschäftigungschancen der derzeitig gering Qualifizierten zu verbessern, muss die Flexibilität am Arbeitsmarkt weiter erhöht werden. Außerdem muss der Arbeitslosigkeit von Alleinerziehenden durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf begegnet werden. Wesentlich ist, dass sozial- und bildungspolitische Probleme nicht durch Eingriffe in den Arbeitsmarkt bekämpft, sondern über Sozial- und Bildungspolitik und gegebenenfalls über direkte Transfers und Hilfe geregelt wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. The Economist: Germany: Europe's engine: Special Report vom 13. März 2010; Michael C. Burda/Jennifer Hunt, What Explains the German Labor Market Miracle in the Great Recession, in: Brookings Papers on Economic Activity, 42 (2011) 1, S. 273-335; Jens Boysen-Hogrefe/Dominik Groll, The German Labour Market Miracle, in: National Institute Economic Review, 214 (2010) 1, S. R38-R50.

  2. Vgl. Michael Bräuninger/Jörg Hinze, Vollbeschäftigung in Reichweite - Eine Projektion, in: Thomas Straubhaar (Hrsg.), Wege zur Vollbeschäftigung, Hamburg 2011, online: www.hwwi.org/fileadmin/hwwi/Publikationen/Studien/Vollbeschaeftigung_final.pdf (21.2.2012), S. 12-26.

  3. Für die Datengrundlage dieses Abschnitts vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2011 vom 11.10.2011, online: www.cesifo-group.de/portal/page/portal/ifoContent/N/data/forecasts/forecasts_container/GD20111013/GD-Herbst-11.pdf (21.2.2012).

  4. Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Der Arbeitsmarkt im Dezember und im Jahr 2011, Presse Info 001 vom 3.1.2012, online: www.arbeitsagentur.de/nn_27030/zentraler-Content/Pressemeldungen/2012/Presse-12-001.html (22.2.2012).

  5. Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Der Arbeitsmarkt im Januar 2012, Presse Info 004 vom 31.1.2012, online: www.arbeitsagentur.de/nn_27030/zentraler-Content/Pressemeldungen/2012/Presse-12-004.html (22.2.2012).

  6. Vgl. T. Straubhaar (Anm. 2).

  7. Vgl. Alkis Otto/Christina Boll, Die natürliche Rate der Arbeitslosigkeit in Deutschland, in: T. Straubhaar (Anm. 2), S. 51-69.

  8. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum, Wiesbaden 2002.

  9. Vgl. Joachim Möller et al., Fünf Jahre SGB II: Eine IAB-Bilanz - Der Arbeitsmarkt hat profitiert, IAB- Kurzbericht 29/2009.

  10. Vgl. Alexander Reinberg/Markus Hummel, Qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit im Jahr 2005 und die Einführung der Hartz-IV-Reform, IAB-Forschungsbericht 9/2007.

  11. Vgl. Michael Bräuninger/Andreia Tolciu/Ulrich Zierahn, Arbeitszeitflexibilisierung als Wettbewerbsvorteil. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Hamburg 2010.

Dr. rer. pol., geb. 1957; Professor an der Universität Hamburg; Leiter des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Heimhuder Straße 71, 20148 Hamburg. E-Mail Link: straubhaar@hwwi.org