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Zeit für eine 2. Friedliche Revolution? | bpb.de

Zeit für eine 2. Friedliche Revolution?

Sophia Tabea Salzberger

/ 4 Minuten zu lesen

"Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung." (Heraklit)

Wir sind stetig Teil von Veränderung, ob bewusst oder unbewusst. Die letzten 30 Jahre waren Jahre großer Veränderung.

Ich selbst habe davon nur einen Bruchteil bewusst miterlebt und von 1989 nur Geschichten gehört. Für mich war 2019 ein Jahr der großen Veränderungen. Angefangen hat es im Dezember 2018, als ich über Nacht beschloss, am Freitag die Schule zu bestreiken, und 26 weitere junge Menschen mobilisierte. Damals, am 21. Dezember 2018, konnte ich noch nicht ahnen, was ich damit in Leipzig losgetreten hatte, ich konnte noch nicht ahnen, dass ich, mit zwei Plakaten im Regen stehend, Teil einer globalen Jugendbewegung wurde, doch ich wusste: es war richtig.

Denn es ist wieder Zeit für eine neue, große Veränderung. Vielleicht eine neue Friedliche Revolution?

Warum? Weil sich die Welt trotz stetiger Fortentwicklung in einer absurden Schieflage befindet.

Zahlreichen Menschen, vor allem nördlich des Äquators, geht es dank des technologischen Fortschritts und eines wachsenden Wohlstands so gut wie nie zuvor. Doch gleichzeitig werden Ungerechtigkeiten immer extremer und das gute Leben einiger geht global betrachtet auf Kosten vieler anderer.

Während die ärmere Hälfte der weltweiten Bevölkerung im vergangenen Jahr im Durchschnitt 500 Millionen Dollar pro Tag verliert, steigt das Vermögen der Milliardäre zum selben Zeitpunkt um 2,5 Milliarden US Dollar täglich. 26 Milliardäre, also ungefähr eine Schulklasse, besitzen so viel Vermögen wie die Hälfte der Weltbevölkerung. Vor allem Mädchen und Frauen sind von dieser Ungerechtigkeit betroffen, Männer besitzen durchschnittlich rund 50% Prozent mehr Vermögen als sie, während Frauen jährlich unbezahlte Pflege- und Sorgearbeit im Wert von rund 10 Billionen Dollar leisten.

In Deutschland besitzt das reichste Prozent so viel wie die 87 ärmeren Prozent und 95% aller Unternehmensanteile sind im Besitz von gerade einmal 10%.

Diese Zahlen sind erschlagend, zu groß oder zu komplex, um sie wirklich einordnen zu können, aber sie zeigen, dass Ungerechtigkeit nicht einfach nur ein vages Gefühl, sondern messbare Realität ist.

Eine messbare Realität in allen gesellschaftlichen Bereichen und bei allen Herausforderungen der Zukunft. So ist auch die Klimakrise nicht nur eine planetare Krise, sondern eine Gerechtigkeitskrise. Sie trifft schon jetzt Menschen des globalen Südens, raubt ihnen ihren Lebensraum, treibt sie in die Flucht. Und sie wird weiter vor allem die Schwächsten der Bevölkerung treffen: Bevölkerungsgruppen, die es sich nicht leisten können, sich vor Extremwettern zu schützen, Frauen, die Kilometer lang zur nächsten Trinkwasserstelle laufen müssen, Kinder und Alte, die anfälliger sind für sich weiter ausbreitende tropische Krankheiten. Gleichzeitig sind gerade einmal 100 Unternehmen für 71% des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Erde sich bereits um mehr als 1°C erhitzt hat, dass die Gletscher rasant schmelzen, die Polkappen schwinden und der Permafrostboden zu tauen beginnt. Sie sind Schuld daran, dass die zukünftigen Generationen mit hunderten Billionen US-Dollar Schadensersatzkosten rechnen müssen.

Gleichzeitig sind gerade einmal 100 Unternehmen für 71% des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Erde sich bereits um mehr als 1°C erhitzt hat, dass die Gletscher rasant schmelzen, die Polkappen schwinden und der Permafrostboden zu tauen beginnt. Sie sind Schuld daran, dass die zukünftigen Generationen mit hunderten Billionen US-Dollar Schadensersatzkosten rechnen müssen.

Mit der Friedlichen Revolution ’89 wurden Macht- und Besitzverhältnisse verändert.

Nun müssen sie erneut revolutioniert werden, allerdings global, denn es geht um das Überleben des Planeten Erde.

Wenn wir einen ökologischen und gesellschaftlichen Kollaps unserer Erde verhindern wollen, müssen wir alles dafür tun, die 1,5°C-Grenze nicht zu überschreiten. Noch ist das möglich: Mit dem Jahr 2020 sind es noch acht Jahre bis wir, wenn wir so weiter machen wie bisher, das CO2-Budget für eine Welt mit 1,5°C Erwärmung seit der Industrialisierung aufgebraucht haben. Das bedeutet umgekehrt, dass wir acht Jahre Zeit haben, um eine radikale Kehrtwende zu machen. Weg von einer fossilen, kapitalistischen Wirtschaft, die Mensch und Natur ausbeutet, hin zu einer CO2-neutralen, sozial-gerechten Welt, die allen Menschen, auch den kommenden Generationen, ein gutes Leben auf dieser Erde ermöglicht.

Dieser Wandel passiert nicht von selbst. Dieser Wandel ist nur möglich durch Menschen, die selbst bereit sind, sich zu verändern. Menschen, die ihre Bequemlichkeit durchbrechen: die ihr Leben verändern, die bereit sind, Bestehendes in Frage zu stellen und radikal neu zu denken, die mutig genug sind, aufzustehen, auf die Straße zu gehen, Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und die Machthabenden mit ihrer Verantwortungslosigkeit zu konfrontieren und zur Rechenschaft zu ziehen.

Dieser Wandel hat bereits begonnen, denn was damals im kalten Dezember 2018 in Leipzig stattfand, hat sich weltweit verbreitet. Weltweit sind Millionen Menschen, jung wie alt, auf die Straße gegangen, um für Klimagerechtigkeit zu demonstrieren und sie tun es immer noch. Was mit 27 Menschen im Dezember 2018 in Leipzig begann, wurde am 20.09.2019 mit 25.000 Menschen zum größten Klimastreik Leipzigs und mit 1,4 Millionen Menschen bundesweit zu der größten Demonstration in der Geschichte Deutschlands.

Eine neue Friedliche Revolution ist möglich – und noch viel wichtiger: sie ist notwendig!

Fussnoten

Sophia Tabea Salzberger, geb. 2001, ist Klimaaktivistin. Sie war von 2017 bis 2019 Vorsitzende der Jugendpresse Sachsen e. V., 2018 bis 2020 Mitglied im Jugendrat der Generationenstiftung und initiierte im Dezember 2018 die erste Demonstration von FridaysForFuture in Leipzig.