Die friedliche Revolution von 1989 – der Herbst der Völker – hat die Welt Mitteleuropas verändert, so dass sie kaum wiederzuerkennen ist, und sie hat die Generation meiner Eltern geprägt. Die Interpretation und Bewertung der vergangenen dreißig Jahre bestimmt bis heute die öffentliche Diskussion in Polen und die Streitigkeiten der beiden großen politischen Lager: der Regierung und der liberalen Opposition.
Immer mehr Menschen finden sich wieder in den Streitigkeiten darüber, wer Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes war, und wer Erlöser des Volkes, wer sich am Staatsvermögen bereichert hat und ob man die Massenarbeitslosigkeit in der Epoche der Transformation hätte vermeiden können. Ihre wirtschaftliche Situation hängt mit dem Arbeitsmarkt des vergangenen Jahrzehnts zusammen, und nicht mit Entscheidungen aus der Zeit der "Schocktherapie". Ihre Lebensperspektiven gehören zur aktuellen Konjunktur und Sozialpolitik des gegenwärtigen Staates. Ihre Bestrebungen werden letztlich vom "realen Kapitalismus" des vereinigten Europas bestimmt, und nicht von den Fantasien und Träumen ihrer Eltern von einem imaginierten Westen der achtziger Jahre.
Sollten wir uns also "für die Zukunft entscheiden" und anerkennen, dass das Jahr 1989 und die darauffolgenden Jahre ein Thema für Museumsausstellungen und Jahrestagsfeiern sind? Keineswegs! Während wir die postsozialistische Transformation zu einem semi-peripheren Kapitalismus recht erfolgreich durchgeführt haben, bleibt die politische Revolution von 1989 unvollständig und unabgeschlossen. Solange wir daraus keine Konsequenzen ziehen, kommen wir nicht voran.
Die Polen wollten weg von der unergiebigen zentralen Planwirtschaft, wollten sich dem Westen hinwenden, der parlamentarischen Demokratie, der Meinungsfreiheit und dem Pluralismus. All das haben sie zum Großteil bekommen, obwohl die Verteilung der positiven Aspekte sehr ungleich war, und die gesellschaftlichen Kosten – insbesondere für die ländlichen Gebiete und die Klasse der Industriearbeiter – gewaltig. Bedeutsamer als eine Bilanz und die Ergebnisse war vielleicht doch der Verlauf des Prozesses selbst.
Die politische Wende ist auf friedliche Weise vor sich gegangen, aber gleichzeitig von oben – nicht nur der Runde Tisch war ein Übereinkommen mit den Eliten, auch nach dem Jahr 1989 versuchten die Befürworter des Systemwandels eher, die gesellschaftlichen Stimmungen zu unterdrücken und kritische Stimmen zu ersticken, statt die Bürger zur schöpferischen Partizipation von unten anzuhalten. Die Polinnen und Polen sollten sich von da an als Unternehmer und Mitarbeiter voller Initiative verwirklichen, auf dem freien Markt zurechtkommen, Wohlstand für ihre Familien aufbauen, Polen reich und modern machen. Auf eigene Rechnung und auf eigene Verantwortung. Der radikale gesellschaftliche Wandel verlief unter der Schirmherrschaft der katholischen Kirche, die – zusammen mit den konservativen Eliten – die Diskussion über die Weltlichkeit des Staates, die Rechte von Frauen und Minderheiten blockierte. Schlussendlich bestand der Integrationsprozess mit der Europäischen Union hauptsächlich in der Imitation eines fertigen wirtschaftlichen und politischen Musters sowie in der Anpassung an vorgegebene technokratische Regeln.
Es lässt sich darüber streiten, inwieweit das eine Wohltat, inwieweit eine Notwendigkeit war und in wieweit es sich um ganz gewöhnliche Fehler und Vernachlässigungen handelte. Eins ist sicher: Nach einem Vierteljahrhundert sind die Ansprüche der Polen gestiegen. Dies wird begleitet von einem sehr kritischen Verhältnis zum Staat und seinen Eliten. Aus Untersuchungen geht hervor, dass die Polen das Ausmaß und die Rechtmäßigkeit von ungleichen Einkünften und das Niveau sowie das Ethos der politischen Eliten negativ bewerten, schlussendlich auch die Umsetzung des Prinzips der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. All das stellt die Legitimation der Dritten Republik Polen stark infrage und hat dem Lager von Jarosław Kaczyński die Machtübernahme erleichtert. Und es erschwert einen Machtwechsel unter dem Motto "zurück zu dem, was früher war".
Die Politik von oben muss stärker ersetzt werden durch die Partizipation auf lokaler Ebene (Bürgergespräche, starke Selbstverwaltungen), aber auch durch die Rehabilitation von Gewerkschaften, insbesondere im Privatsektor. Das Prinzip, dass "jeder seines eigenen Glückes Schmied ist" muss einer aktiven Entwicklungspolitik des Staates weichen, der für die Einbeziehung der Provinz sorgt und dafür, dass die gesellschaftlich wertvollste Arbeit, das heißt die Arbeit in den Bereichen Erziehung und Pflege, gleichzeitig ein hohes Prestige und einen hohen Status hat. Der geheuchelte Konsens der Eliten um "traditionelle Werte" muss einem Recht weichen, dass die reale weltanschauliche Neutralität des Staates garantiert, und die Bürgerrechte sowie die Vielfalt der Lebensstile über die konservative Konvention stellt. Schlussendlich muss die Regierung von der Phase der einfachen Implementierung von acquis communautaire, und dann der Blockade von Integrationsfortschritten übergehen zur aktiven Gestaltung von Polens Platz in Europa.
Eine Politik von und für die Bürger, Solidarität und Kohärenz statt Darwinismus, die Freiheit, seinen Lebensstil zu wählen, und einen liberalen Staat, europäische Integration neu gedacht – dies sind, nimmt man die Ideale der Revolution von 1989 ernst, natürliche Konsequenzen. Und die einzige Chance, dass sie nicht von Populismus, Diktatur, Nationalismus und allen anderen möglichen Folgen unabgeschlossener Revolutionen erstickt wird.
Aus dem Polnischen von Antje Ritter-Jasińska