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Einleitung
Planspiele haben sich als Methode der politischen Bildung etabliert (Petrik/Rappenglück 2017). Als "komplex gemachte Rollenspiele mit klaren Interessensgegensätzen und hohem Entscheidungsdruck" (Meyer 1987: 366) simulieren sie im Rahmen politischer Bildung zumeist einen politischen Verhandlungs- und Entscheidungsprozess. Planspiele haben Modellcharakter: Sie repräsentieren reale oder fiktionale politische Prozesse, reduzieren deren Komplexität und heben dabei Wesentliches hervor (Massing 2004). Das didaktische Potenzial dieses handlungs-, erfahrungs- und prozessorientierten Lehr-Lernarrangements ist in der Literatur umfangreich besprochen (z. B. ebd., Guasti u. a. 2015, Hofstede u. a. 2010, Klippert 1984).
So wird davon ausgegangen, dass Planspiele die Lernenden zur Auseinandersetzung mit dem Gegenstand motivieren und ihr Interesse an Politik wecken bzw. erhöhen. Sie sollen die Komplexität von Politik, gerade auch bezüglich politischer Prozesse, kognitiv zugänglich machen und dabei zur Einsicht in die Schwierigkeiten politischer Kompromissfindung beitragen. Schließlich sollen sie das Politische mit dem Alltag der Lernenden verknüpfen und einer nachhaltigen, da erfahrungsbasierten, Wissensvermittlung dienen. Allerdings gibt es auch Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von Planspielen, gerade was den Schulunterricht betrifft. Probleme werden insbesondere in einem hohen Zeitaufwand gesehen, außerdem im mangelnden Ernst der Auseinandersetzung. Befürchtet wird eine zu starke Verzerrung der Wirklichkeit mit Erzeugung von Realitätsillusionen. Zudem kann die Eigendynamik der Spielsituation aufgrund der begrenzten Steuerbarkeit der avisierten Lernprozesse Lehrende abschrecken.
Bezüglich der angenommenen Chancen und Risiken der Planspielmethode existieren überraschend wenig systematisch gewonnene empirische Befunde (Oberle/Leunig 2017b). Einzelne Studien haben in qualitativen Interviews oder begleitenden Essays Schüler-, Studierenden- und Lehrermeinungen erhoben. Quantitative Studien zu den Effekten und Bedingungen politischer Planspiele (gerade, aber nicht nur an Schulen), die verallgemeinerbare Aussagen stützen, sind noch immer rar (zu zwei Göttinger Studien siehe unten).
Relativ neu sind Versuche, das Potenzial von Planspielen in einer Online-Umgebung zu erschließen. Tatsächlich gibt es bislang kaum digitale Angebote im Bereich politischer Planspiele. Vorreiter sind hier Onlineangebote in den USA, z. B. das seit 30 Jahren bestehende ICONS Projekt an der Universität Maryland (www.icons.umd.edu/policy/home) oder das LegSim-Projekt der Universität Washington (http://info.legsim.org). In Deutschland gehört zu den Pionieren im Bereich digitaler politischer Planspiele die planpolitik GbR, die seit Mitte 2013 eine Plattform für Online-Planspiele (http://senaryon.de) betreibt, die stetig weiterentwickelt wird (bis Juli 2017 wurden bereits über 80 Online-Planspiele mit insgesamt 1.700 Teilnehmenden an Schulen und Universitäten im In- und Ausland durchgeführt). Während es umfangreiche Fachliteratur zu den Potenzialen computerbasierter Lernspiele gibt (siehe Motyka in diesem Band; vgl. auch Girard u. a. 2013), finden sich kaum Beiträge zu den Besonderheiten digitaler Planspiele. Die Chancen und Herausforderungen von Online-Planspielen im Rahmen der politischen Bildung wurden bislang kaum beleuchtet, geschweige denn empirisch untersucht.
Im vorliegenden Beitrag werden zunächst die mit digitalen Planspielen in der politischen Bildung verbundenen positiven Erwartungen und antizipierten Probleme vorgestellt. Im Anschluss werden Ergebnisse einer Göttinger Pilotstudie präsentiert, die 2015 und 2016 den Einsatz von Online-Planspielen der planpolitik GbR zu einem politischen Entscheidungsprozess des Europäischen Parlamentes an Schulen begleitend beforscht hat. Im abschließenden Ausblick zu Chancen und Herausforderungen online-basierter Planspiele in der politischen Bildung erfolgen auch Vorschläge für deren weitere empirische Erforschung.
Politisches Lernen mit digitalen Planspielen
Auch wenn das Angebot bislang überschaubar ist, lassen sich unterschiedliche Typen und Nutzungsvarianten von Online-Planspielen identifizieren (Kaiser u. a. 2017). Zunächst lassen sich synchrone und asynchrone Planspiele unterscheiden. Bei ersteren sind die Teilnehmenden für die Zeit des Spieles gleichzeitig online aktiv, meist für einen recht kurzen Zeitraum (zwischen 90 und 180 Minuten). Dabei können sie am selben Ort sein oder nicht, entscheidend ist, dass sie gleichzeitig eingeloggt sind. Ergebnis ist ein Planspiel mit hoher Dynamik und Interaktionsdichte, das sich leicht in Unterrichtsabläufe integrieren lässt.
Bei asynchronen Planspielen können die Teilnehmenden zu unterschiedlichen Zeitpunkten online und aktiv sein. Der Durchführungszeitraum ist hier wesentlich länger (z. B. zwei Wochen) und die Teilnehmenden entscheiden selbst, wann sie sich einloggen und am Spiel beteiligen. Durch die längere und flexiblere Spielstruktur sind die Verhandlungen ruhiger und häufig inhaltlich gehaltvoller als bei synchronen Spielen. Auch erleichtern die ausführlichere Einführung ins Szenario und die längere Spieldauer die Identifikation mit der eigenen Rolle.
Eine weitere Unterscheidung ist, ob das Planspiel nur online durchgeführt oder mit Offline-Spielphasen kombiniert wird. Bei diesen sogenannten Blended-Learning-Formaten (Ifenthaler 2012) beginnt das Planspiel üblicherweise mit einer Online-Phase (synchron oder asynchron). In der zweiten Phase kommen die Teilnehmenden dann an einem Ort zusammen und setzen die Verhandlungen face-to-face fort. Abschließend werden beide Phasen gemeinsam ausgewertet. Auch Zwischenauswertungen der Online-Phasen können face-to-face im Unterricht stattfinden (flipped classroom).
Die Wirkungen von "analogen" Planspielen im Bereich der schulischen politischen Bildung wurden an der Universität Göttingen jüngst in zwei empirischen Studien untersucht (Primarstufenstudie: Oberle/Leunig 2017a, www.pep.uni-goettingen.de, Sekundarstufenstudie: Oberle/Leunig 2016, 2017b). Die Forschungsergebnisse unterstreichen unter anderem die Potenziale der Planspielmethode für die Überwindung einer oftmals konstatierten politischen "Prozessverdrossenheit" (Schöne 2017). Die Studien konnten deutliche Effekte der kurzen Planspiele (entwickelt und durchgeführt von planpolitik) auf die politischen Kenntnisse, Motivationen und Einstellungen der Schülerinnen und Schüler nachweisen. Auch zeugen sie von einer hohen subjektiven Zufriedenheit der Teilnehmenden mit den Planspielen, die sich insbesondere auch aus einem erlebten Lernzuwachs speist. Parallel zur Sekundarstufenstudie zu den Wirkungen analoger EU-Kurzplanspiele erfolgte auch eine Pilotstudie zu Online-Planspielen, deren Design und Befunde im Folgenden skizziert werden.
Pilotstudie zu Online-Planspielen im Politikunterricht
Design
2015 und 2016 wurden mit Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufen Online-Planspiele durchgeführt, in welchen die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse im Europäischen Parlament (Themenfelder: Datenschutz, Asylpolitik) simuliert wurden. Diese synchron stattfindenden digitalen Planspiele wurden im Klassenverband im Computerraum der jeweiligen Schule durchgeführt. Die Spielphase dauerte ca. 90 Minuten. Eine kurze Einführung in das Spiel und die Rollenprofile erfolgte vorab als freiwillige Hausaufgabe. Anders als bei den untersuchten 180-minütigen analogen EU-Planspielen (120 Minuten Spielphase, 60 Minuten Einführung und Auswertung) waren bei den Online-Planspielen die Teamer und Teamerinnen von planpolitik nicht in der Schule anwesend, gaben keinen inhaltlichen Input zur Funktionsweise der EU und dem Policy-Feld des Planspieles und führten keine Auswertung (Debriefing) durch. Die Schülerinnen und Schüler wurden vor Ort allein von den Hilfestellungen innerhalb der Spieloberfläche begleitet. Die Lehrkraft hatte während der Spielphase eine beobachtende Rolle und sorgte für eine produktive Arbeitsatmosphäre.
An der empirischen Begleitstudie nahmen insgesamt 13 Klassen an 13 Schulen (Gymnasium, Gesamtschule) teil, wobei N=209 Schülerinnen und Schüler sowohl den Fragebogen der Vor- als auch der Nach-Erhebung ausfüllten (davon 54,1% weiblich, 71,3% Gymnasium, Altersdurchschnitt 15,89 Jahre). Während in einer ersten Erhebungsrunde im Frühjahr 2015 die Befragung der Teilnehmenden online erfolgte, wurde in der zweiten Erhebungsrunde im Herbst 2016 ein Fragebogen im klassischen Paper-Pencil-Verfahren eingesetzt.
Wie im Fall der analogen Planspiele wurden die Schülerinnen und Schüler vor und nach der Spielteilnahme zu ihren politischen, überwiegend EU-bezogenen Motivationen, Einstellungen und Kenntnissen befragt. Erhoben wurden mit Batterien aus mehreren Fragen das Interesse an der EU und an Politik generell, das interne EU-bezogene Effektivitätsgefühl (also die Selbsteinschätzung der eigenen politischen Kenntnisse und Fähigkeiten; zwei Dimensionen: subjektives Wissen, diskursbezogenes Effektivitätsgefühl), die Bereitschaft zur politischen Partizipation (zwei Dimensionen: basal, weitergehend) sowie die Einstellungen zur EU (vier Dimensionen: EU generell, Performanz, Alltagsbezug, Bedeutung der Europawahlen). Das politische EU-Wissen der Teilnehmenden wurde mit 24 Multiple-Choice-Items erfasst (Berechnungen in MPlus 7.3 und ConQuest; Messmodelle und Beispielitems siehe erweiterte Onlinefassung des Beitrages).
Erhoben wurde darüber hinaus die Bewertung des Online-Planspieles und seiner Effekte aus Sicht der Schülerinnen und Schüler (insgesamt 19 vierstufig Likert-skalierte Items, Antwortoptionen von 1, stimme überhaupt nicht zu, bis 4, stimme voll und ganz zu). Wie in den Studien zu analogen Planspielen konnten dabei die drei Dimensionen a) generelle Zufriedenheit mit dem Planspiel (Beispielitem: "Alles in allem, wie zufrieden bist du mit dem Planspiel?"), b) Bewertung des eigenen Lernzuwachses (Beispielitem: "Durch das Planspiel verstehe ich insgesamt besser, wie die EU funktioniert.") sowie c) Einschätzung der erfolgten Motivation zur weiteren Auseinandersetzung mit der EU bzw. zur politischen Beteiligung (Beispielitem: "Das Planspiel hat mich motiviert, mich weiter mit der EU auseinanderzusetzen.") unterschieden werden (gute Datenpassung: Cronbachs α = .80/.84/.90, CFI/TLI = .97/.97, RMSEA=.06, Chi² = 242. 86(149)***). Zur leichteren Ergebnisinterpretation wurden alle Items einheitlich umcodiert, wobei hohe Werte als Zustimmung bzw. positiv zu interpretieren sind.
Erhoben wurden außerdem die Computerspielaffinität der Teilnehmenden (drei Items nach Fraillon u. a. 2014: Häufigkeit des Computerspielens, generelle Zeit am Computer und wie gerne man Computerspiele spielt, gute Reliabilität: Cronbachs α =.81) sowie die soziodemografischen Hintergrundvariablen Geschlecht, Alter, kulturelles Kapital des Elternhauses (Proxy-Indikator: Bücher zu Hause, vgl. Kerr u. a. 2010) und Schulform (Gymnasium vs. Gesamtschule).
Ergebnisse
Die Bewertung der Planspiele durch die Schülerinnen und Schüler fällt insgesamt positiv aus (Mittelwert und Standardabweichung der ersten Dimension der subjektiven Planspielbewertung: M=2.87; SD=.52). Über 80% der Befragten geben an, dass ihnen das Planspiel Spaß gemacht habe, gut zwei Drittel würden es weiterempfehlen. Hinsichtlich Design und Implementation werden Layout und Rollenbeschreibung besonders positiv bewertet, bei der Kommunikation per (Gruppen-)Chat scheiden sich die Meinungen: Etwa 60 % der Teilnehmenden fanden diese eher gut, 40% dagegen eher schlecht (siehe die erweiterte Onlinefassung des Beitrages). Eine ähnlich gespaltene Bewertung erhielt auch die technische Funktionalität des Chats. Zu vermuten ist, dass die teilweise kritische Bewertung der Chat-Funktion vor allem auf technische Probleme in dieser frühen Spiel-Entwicklungsphase zurückzuführen ist.
Die Zuordnung von angebotenen Attributen (vgl. Abb. 1) ergibt folgendes Bild: Die Schülerinnen und Schüler fanden die Planspiele interessant, abwechslungsreich, lehrreich und spannend, dagegen nicht langweilig, zu lang oder zu schwer. Die Attribute anstrengend, zu kurz und nervenaufreibend erhalten eine mittlere und damit etwas höherer Bewertung als im Falle der analogen Planspiele.
Abb. 1: Planspieleigenschaften aus Schülersicht: analoge Planspiele vs. Online-Planspiele (Mittelwerte; vierstufige Likert-Skala: 1 = stimme gar nicht zu, 4 = stimme voll und ganz zu)
Quelle: eigene Darstellung
Insgesamt wird ein leicht positiver Lerneffekt berichtet (zweite Dimension der subjektiven Planspielbewertung: M=2.67, SD=.59), während die erlebte Motivation, sich weiter mit der EU und Politik auseinanderzusetzen, geringer ausfällt (M=2.22, SD=.64); (vgl. auch Abb. 2 mit Antworten auf einzelne Items der Planspielbewertung).
Die Bewertung der 90-minütigen Online-Planspiele durch die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler fällt damit in allen drei Dimensionen etwas weniger gut aus als in der Studie zu den analogen Planspielen. Dieser Vergleich ist aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung der beiden Schülergruppen mit großer Vorsicht zu interpretieren. Festzustellen ist allerdings, dass auch an Schulen, in denen parallel sowohl ein analoges als auch ein Online-Planspiel durchgeführt wurden, die Bewertung des analogen Spieles positivere Werte erreicht. Betont werden muss hier nochmals, dass diese analogen Planspiele 120 Minuten dauerten, mit einer vorgelagerten 45-minütigen Face-to-Face-Einführung in die EU, das Policy-Feld und den Spielablauf sowie einer ca. 15-minütigen Debriefing-Phase, beides durch Teamerinnen und Teamer von planpolitik. Bei den hier untersuchten digitalen Planspielen gab es dagegen keine kontrollierte Einführung oder Auswertung durch externe, professionelle Teamer und Teamerinnen.
Abb. 2: Planspieleffekte aus Sicht der Schülerinnen und Schüler (in %)
Quelle: eigene Darstellung
Mittelwertvergleiche der erhobenen EU-bezogenen Dispositionen (Wissen, Motivationen, Einstellungen) zeigen keine nennenswerten Veränderungen zwischen Prä- und Posttest (Berechnung der Effektstärke der Veränderung mit Cohens d), und zwar in beiden Erhebungswellen (erste Befragung mit Online-Fragebogen, zweite Befragung paper-pencil). Dies überrascht insofern, als die "analogen" EU-Kurzplanspiele, in denen ein ähnlicher Entscheidungsprozess des Europaparlamentes simuliert wurde, zu deutlichen Veränderungen dieser Dispositionen geführt hatten – mit positiveren Einstellungen zur EU (insb. zu ihrer Responsivität), einem höheren internen politischen Effektivitätsgefühl sowie größerem EU-Wissen der Schülerinnen und Schüler nach erfolgter Planspielteilnahme.
Eine Erklärung hierfür könnte wiederum darin liegen, dass in den hier untersuchten digitalen Planspielen im Gegensatz zu den analogen Planspielen weder vorab ein inhaltlicher Input durch Teamerinnen und Teamer von planpolitik noch im Anschluss ein kontrolliertes Debriefing erfolgte. Dieser Befund unterstreicht die Notwendigkeit, gerade auch die Einführungs- und Debriefing-Phase in Untersuchungen zu Planspieleffekten zu berücksichtigen (z. B. durch eine entsprechende Kontrollgruppe, die lediglich eine inhaltliche Einführung erfährt, ohne Aussicht auf ein Planspiel).
Angesichts des Pilot-Charakters des Projektes sollten auch die Antworten auf die offenen Fragen, was an dem Planspiel besonders gefallen bzw. nicht gefallen hat und welche Verbesserungsvorschläge bestehen, Beachtung erfahren: Besonders gefallen haben den Schülerinnen und Schülern die Diskussionen, das Design und die Gestaltung des Planspieles, der Einblick in die Arbeitsweise des Europaparlamentes sowie die methodische Abwechslung. Kritisiert wurden vor allem Zeitknappheit und Komplikationen mit dem Chat, aber auch das Nicht-Ernstnehmen des Planspieles seitens einiger Mitschülerinnen und Mitschüler. Verbesserungsvorschläge bezogen sich entsprechend besonders auf die Erhöhung der verfügbaren Zeit (teilweise auf bestimmte Spielphasen bezogen) sowie die Verbesserung der Funktionalität des Chats, außerdem wünschten sich manche Teilnehmende klarere Arbeitsanweisungen.
Die hier skizzierten Befunde der Pilotstudie unterstreichen grundsätzlich die Potenziale von digitalen Planspielen für den Politikunterricht: Die Schülerinnen und Schüler bewerten diese im Schnitt positiv, und zwar sowohl hinsichtlich Spaß am Spiel als auch hinsichtlich ihres erlebten Lerngewinnes, wobei sie unter anderem den Zuwachs an Einsicht in die Bedeutung von Kompromissen in der Politik bestätigen. Ein wesentliches Ziel von Planspielen in der politischen Bildung kann offenbar auch mit digitalen Planspielen erreicht werden. Dass die Zufriedenheit mit dem Spiel insgesamt geringer ausfällt als bei den analogen Planspielen, mag an "Kinderkrankheiten" der im Rahmen dieser Untersuchung erprobten Online-Planspiele liegen: So gab es teilweise insbesondere mit der Chat-Funktion technische Schwierigkeiten. Auch die kritischere Bewertung des Zeitmanagements ist wohl auf die Erprobungsphase zurückzuführen – hier musste sich zunächst in der Praxis erweisen, welche Zeiteinteilung sich für welche Phase bewährt. Der im Vergleich zu den analogen Planspielen sowohl subjektiv berichtete als auch durch den Wissenstest unterstrichene geringere Lerneffekt ist vermutlich nicht zuletzt auf die fehlende Einführung und Auswertung durch die Teamerinnen und Teamer von planpolitik zurückzuführen.
Die Befunde der empirischen Begleitstudie konnten zur Weiterentwicklung der Online-Planspiele genutzt werden. Planpolitik bietet diese mittlerweile für Schulklassen in einem deutlich längeren, 180-minütigen, Format an, das den einzelnen Interaktionsphasen mehr Raum gibt. Um die Spielerfahrungen zu vertiefen, wurden Stillarbeitsphasen in das Planspiel integriert. Alle Teilnehmenden haben dort die Aufgabe, über die Ereignisse des Spieles, die Ziele ihrer eigenen und der anderen Rollen zu reflektieren. Überarbeitet wurden außerdem Arbeitsanweisungen und Aufgabensystem: Sowohl die Teilnehmenden als auch die Lehrkraft können nun besser nachvollziehen, welche Aufgaben im Spiel derzeit anstehen und welche bereits bearbeitet wurden. Schließlich konnte die technische Funktionalität, insbesondere auch der Chat-Funktionen, deutlich verbessert werden.
Ausblick
Die hier vorgestellte Pilotstudie zeigt, dass selbst kurze digitale Planspiele, die in einer Doppelstunde im Computerraum einer Schule durchgeführt werden, Gelegenheiten für politisches Lernen bieten, die von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufen angenommen und geschätzt werden. Dabei war die generelle Bewertung der erlebten Online-Planspiele unabhängig vom Geschlecht der Lernenden, dem kulturellen Kapital ihres Elternhauses oder ihrer Affinität für Computerspiele. Ein solches synchrones, an einem Ort im Klassenverband angelegtes Spieledesign reizt die Potenziale von Online-Planspielen selbstverständlich nicht aus. Die zeitversetzte und ortsunabhängige Spielteilnahme eröffnet weitere didaktische Möglichkeiten, die herkömmliche analoge Planspiele nicht bieten können.
Zugleich mangelt es digitalen Planspielen an wertvollen Elementen analoger Planspiele: Im direkten Feedback nach klassischen Face-to-Face-Veranstaltungen heben Schülerinnen und Schüler und Studierende oftmals die direkte, persönliche Interaktion als motivierenden Faktor und als große Stärke interaktiver Methoden wie Planspielen hervor. Hier werden kommunikative Handlungskompetenzen und soziale Fähigkeiten trainiert, die sich nicht umfassend in rein digitale Spiele übertragen lassen. Auch deshalb wird großes Potenzial in hybriden bzw. Blended-Learning-Planspielen gesehen, da sie die Stärken aus beiden Formaten verbinden (Raiser u. a. 2017). Eine Online-Phase zur Vorbereitung ("Vorverhandlungen") kann dabei mit einer Offline-Phase ("Gipfeltreffen") verbunden werden. So sind die Teilnehmenden optimal vorbereitet für die Face-to-Face-Verhandlungen, die davon qualitativ zu profitieren scheinen. Gleichzeitig werden die Vorteile des Online-Mediums genutzt, z. B. dass unterschiedliche Lerntypen angesprochen werden, introvertierte Teilnehmende leichter zu Wort kommen, Information anders aufbereitet werden kann und neue Optionen für eine datenbasierte Auswertung entstehen.
Seit den hier untersuchten Durchführungen hat planpolitik zahlreiche technische und konzeptuelle Änderungen an den Online-Planspielen vorgenommen (siehe oben): Spannend wäre, nun solche weiterentwickelten Spiele zu beforschen und mit den Ergebnissen der Pilotstudie zu vergleichen. Forschungsdesigns sollten dabei sowohl geeignete Kontrollgruppen (z. B. reine online vs. Blended-Learning-Planspiele, synchrone vs. asynchrone Spiele, Interventionen mit reinem inhaltlichen Input vs. Input mit anschließendem Planspiel) als auch Follow-Up-Untersuchungen mit mindestens einem dritten Messzeitpunkt beinhalten. Vielversprechend ist ein Methodenmix aus quantitativen und qualitativen Zugängen, wobei sich sowohl Interviews als auch Beobachtungen anbieten. Ein spannendes Element von Online-Planspielen sind die Chat-Protokolle, die sich nicht nur als Grundlage für die Auswertung mit den Schülerinnen und Schülern, sondern auch für die empirische Forschung eignen – z. B. zur Untersuchung der Urteilsbildung und Argumentationsfähigkeit der Lernenden oder der Wege und Faktoren der Entscheidungsfindung. Denkbar wäre, hier auch Erhebungsinstrumente einzubeziehen, die in politikwissenschaftlichen Studien zur Diskursqualität in Internet-Foren genutzt werden (siehe Kersting in diesem Band). Schließlich sollten auch die besonderen Potenziale digitaler Planspiele für internationale Bildungsprojekte ausgeschöpft und beforscht werden.
Literatur
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