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Verzahnung von Medien, Politik und Partizipation
Im November 2016 diskutierten Medienexpertinnen und -experten sowie Kindermedienmacherinnen und -macher auf der 5. KinderMedienKonferenz der Bundeszentrale für Politische Bildung die Herausforderungen hinsichtlich einer kritischen Mediennutzung, die sich einer mobilen Online-Generation, welche über zahlreiche Informationskanäle mit Nachrichten jeglicher Couleur und Vertrauenswürdigkeit versorgt wird, stellen. Im Dezember 2016 erläutert die Wirtschaftswissenschaftlerin und Soziologin Saskia Sassen auf der Berliner Konferenz Re:claim Autonomy – Selbstermächtigung in der digitalen Weltordnung ihre Analysen zu den Veränderungen von Demokratien im digitalen Zeitalter. Im Januar 2017 suchte der umstrittene Bestseller-Philosoph Richard David Precht beim Deutschen Medienkongress Antworten auf die Frage: Wohin steuert die Mediengesellschaft?
Diese scheinbar unverbundenen Ereignisse zeigen die enge Verzahnung von Medien, Politik und Gesellschaft und die damit einhergehenden Veränderungen in der Partizipation der Bürgerinnen und Bürger. Akteurinnen und Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien sind durch den schnellen Wandel von Technologien in sich verändernden Umwelten und politischen Systemen herausgefordert, den damit verbundenen Chancen und Risiken zu begegnen. Beim Buzzwort "Big Data" überschattet das negative Image von systemischer Überwachung, die Verletzung von Persönlichkeitsrechten und der Autonomieverlust die positiven Elemente von Automatisierung in Produktions- und Entscheidungsprozessen gerade auch für eine nachhaltige globale Entwicklung. Trotz einer umfassenden und in private Bereiche übergreifenden Ökonomisierung unter anderem durch Social Media finden Bürgerinnen und Bürger im World Wide Web Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung und entwickeln innovative Instrumente, um wichtige Themen zu platzieren und zu verbreiten, ihre Interessen zu artikulieren und Veränderungen beginnend auf der lokalen Ebene anzustoßen. Partizipation weitet sich aus. Vier Merkmale kennzeichnen nach van Deth (2016: 3) bislang politische Partizipation:
Aktivität – nicht allein reflektiertes Zusehen oder allgemeines politisches Interesse,
Freiwilligkeit,
Ausübung durch Bürgerinnen und Bürger in der Rolle von Amateurinnen und Amateuren,
Partizipation betrifft Regierung, Politik und Staat, ist weder beschränkt auf politische Handlungen noch gebunden an politische Ebenen.
Doch neue Partizipationsformen werden insbesondere durch die Nutzung von neuen Medien sichtbar. "Activities that are not located in the government/state/politics arena can be considered as modes of political participation if they are targeted at that sphere" (ebd.: 10).
Dies markiert den Schnittpunkt zwischen politischer Urteilsfähigkeit, kommunikativer und partizipativer Handlungsfähigkeit und Medienkompetenz, um die es in diesem Beitrag unter einer Zielperspektive politischer Bildung gehen soll. Medienkompetenz als allgemeinpädagogische Aufgabe unterscheidet sich von einem mediengestützten Kompetenzerwerb und über Medienformate ausgeführte Kompetenzhandlungen in der Domäne Politik. Anhand des Politikkompetenzmodells wird theoretisch der Zusammenhang zwischen den vier Kompetenzdimensionen und Medien hergestellt.
Medienkompetenz als Schlüsselkompetenz
Seit der Aufklärung gilt als demokratisches Bildungsziel die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger. Um sich angesichts der Informationsfülle der medialen Angebote seines eigenen Verstandes bedienen (Kant), ein begründetes politisches Urteil treffen und gegebenenfalls politisch handeln zu können, bedarf es unter anderem Medienkompetenz. Sie gilt als eine der drei zentralen Schlüsselkompetenzen in einer Gesellschaft (Rychen/Salganik 2003). Schlüsselkompetenzen sind abhängig von Kultur, politischem System, Macht und können sowohl auf der individuellen als auch der gesellschaftlichen Ebene gemessen werden. Bereits 1995 hat die Kultusministerkonferenz Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation definiert, die der Ausformung der Persönlichkeit dient und letztlich zur Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft befähigt (KMK 2012: 1). Diese bildungstheoretischen Forderungen, die zwar normativ auf demokratische Partizipation abzielen, sind für die schulische politische Bildung und empirisch messbaren Lernerfolg jedoch zu unpräzise.
Die Medienpädagogik unterteilt Medienkompetenz in vier didaktische Bereiche: Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung (Baacke 1997). Schulische Medienerziehung teilt sich nach Tulodziecki (1998) in fünf Aufgabenbereiche (vgl. Tab. 1).
Tab. 1: Medienkompetenz bei Tulodziecki
Kenntnisse über Medien, Analyse- und Urteilsfähigkeit | ||||
---|---|---|---|---|
Nutzungsvoraussetzungen und -wirkungen von Medien (rezeptiv) | Gestaltungsmöglichkeiten von Medien (produktiv) | Bedingungen von Medienproduktion und Verbreitung (kritisch-reflexiv) | ||
Aufgabenbereiche der Medienpädagogik | ||||
Auswählen und Nutzen von Medienangeboten | Eigenes Gestalten und Verbreiten von Medienbeiträgen | Verstehen und Bewerten von Mediengestaltungen | Erkennen und Aufarbeiten von Medieneinflüssen | Durchschauen und Beurteilen von Bedingungen der Medienproduktion und -verarbeitung |
Quelle: Rosebrock/Zitzelsberger 2002: 155 (nach Tulodziecki 1998: 705)
An dieser Stelle wird nicht näher auf die einzelnen Strömungen und Debatten in und um die Medienpädagogik eingegangen. Festzuhalten bleibt, dass es klare Überschneidungen mit Teilkompetenzen der politischen Bildung gibt. So thematisiert z. B. die kritisch-präventive Medienpädagogik Risiken der neuen Medien, wie die Glaubwürdigkeit von politischen Online-Informationen oder das Manipulieren von Daten ebenso wie das Versenden von Spams und Shitstorms gegen politische Akteure.
Aktuelle Daten zur Mediengesellschaft in Deutschland
Nach Jarren leben wir in einer Mediengesellschaft, in der sich "die Vermittlungsleistung von Informationen durch die Medien [...] enorm beschleunigt hat, sich neue Medientypen herausgebildet haben, Medien immer engmaschiger die gesamte Gesellschaft durchdringen, Medien aufgrund ihrer hohen Beachtung- und Nutzungswerte gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit erlangt haben und Anerkennung beanspruchen" (Jarren 1998: 74). Die Medienintegration schafft neue Verbindungen zwischen traditionellen und neuen Medien: Zeitung, Buch, Radio, YouTube-Videos, Internet und Social Media "sind digital miteinander verflochten und es gibt untereinander zahlreiche Übergänge zwischen der Informations- und Unterhaltungsbereitstellung" (Manzel 2007: 43).
Nahezu alle Jugendlichen verfügen über ein Mobiltelefon, einen Computer und Internetzugang (Shell Deutschland 2015). Nach der ARD/ZDF-Onlinestudie (www.ard-zdf-onlinestudie.de) von 2016 ist die "Zahl der Onlinenutzerinnen und -nutzer [...] auf insgesamt 58 Millionen gestiegen. Dies entspricht einem Anteil von 83,8 Prozent an der [...] Bevölkerung ab 14 Jahren in Deutschland" (Koch/Frees 2016: 419). Unterteilt nach Dimensionen verbringen Jugendliche 41 % ihrer Zeit im Netz mit Kommunikation, aber nur 10 % mit Informationssuche (MPFS 2016: 28).
Mit 54 % hat die Hälfte der befragten Familien ein Tageszeitungsabonnement, allerdings lesen von den Jugendlichen nur 13 % die Tageszeitung offline und 6 % online (ebd.). Interessanterweise ist bei ihnen jedoch die Glaubwürdigkeit von Informationen für 41 % an die Tageszeitung gebunden und nur für 15 % an das Internet. Wie Tabelle 2 zeigt, gibt es hier leichte Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen sowie zwischen den Schulformen.
Tab. 2: Glaubwürdigkeit von Informationen (in %)
Mädchen | Jungen | Haupt-/Realschule | Gymnasium | |
---|---|---|---|---|
Zeitung | 42 | 40 | 35 | 46 |
Radio/TV | 45 | 39 | 46 | 39 |
Internet | 11 | 18 | 15 | 14 |
Quelle: MPFS 2016: 13
Doch nicht nur bei der Glaubwürdigkeit gibt es Unterschiede. Die Spaltung aufgrund sozioökonomischer Verhältnisse in die sogenannten Digital Natives und schwer erreichbare, von der Netzkommunikation abgehängte Gruppen, die elektronische Möglichkeiten der Information und Partizipation nicht nutzen, zeigt deutlich die Dringlichkeit der politischen Aufgabe, die soziale Ungleichheit zu verringern, und die Notwendigkeit politischer Bildung (vgl. das Schwerpunktthema der zweiten Jahrestagung der Transferstelle für politische Bildung im Dezember 2016). Damit junge Menschen alle Medienformate nutzen können, bedarf es des Interesses für politische und gesellschaftliche Themen. "Jugendliche, die sich als politisch interessiert bezeichnen, informieren sich zu 74 % aktiv über Politik. Wer sich hingegen wenig oder gar nicht für Politik interessiert, tut dies nur zu 10 % (Shell Deutschland 2015: 21). Politisches Interesse und politische Kompetenz gehen einher mit Medienkompetenz, denn "ohne die Fähigkeit zur kompetenten Mediennutzung, zum Informationsmanagement und zum flexiblen Wissenserwerb wird die Partizipation" an Politik, Ökonomie und Kultur problematisch (Koring 2000: 137).
Der Zusammenhang von Medien und Wissen ist der Anker für Politische Bildung. Massenmedien beeinflussen das Wissen. Aber "erst die Inhalte und deren Verarbeitung machen Informationen zu Wissen und ermöglichen die Konstruktion zusammenhängender und bedeutungsvoller Wissensnetze" (Mandl u. a. 1998: 6). "Trotz der weltweiten Ausbreitung der Massenmedien wissen aber viele Menschen nach wie vor nur sehr wenig über Politik, und das Wissen innerhalb der Gesellschaft ist heute sogar noch ungleicher verteilt als früher" (Wissensklufthypothese, Maurer 2001: 65). "Das Internet kann mit der Kluft, die durch den Wissens-Content verläuft, einer Fragmentierung der Öffentlichkeit und einer medialen Klassengesellschaft durchaus Vorschub leisten" (Manzel 2007: 56). Die digitale Spaltung verstärkt Effekte der Stratifizierung des Bildungssystems, was nach Rabuza zu ungleicher Wahlbeteiligung je nach formalem Bildungsstand führt (Rabuza 2016: 2).
Medien und Politikkompetenz
Entscheidend für die Politikdidaktik ist die Verzahnung von Medien mit dem Politikkompetenzmodell von Detjen u. a. (2012) mit den vier Kompetenzdimensionen "Fachwissen", "politische Urteilsfähigkeit", "politische Handlungsfähigkeit" und "Einstellung/Motivation" sowie dem ausdifferenzierten Modell der Teilkompetenz politische Urteilsfähigkeit nach Manzel und Weißeno (2017; vgl. Abb. 1).
Massenmedien haben in einer demokratischen Gesellschaft die Aufgaben der Meinungsbildung, Kontrolle, Unterhaltung, Information und Bildung potenziell aller Gesellschaftsmitglieder. "Medien dienen der politischen Informationsvermittlung und sind daher im Politikunterricht einerseits Quelle inhaltlicher Themen, andererseits verlangen sie entsprechendes Wissen über Produktions- und Rezeptionsbedingungen sowie Medien- und domänenspezifische Kompetenzen" (Manzel 2007: 44). Hier zeigen sich klare Überschneidungen zur schulischen Medienkompetenz nach Tulodziecki (vgl. Tab. 1). Auch wenn der Großteil der Unterrichtsmedien auf Basis der öffentlichen Medien und der medial vermittelten Politik produziert wird, haben dennoch Unterrichtsmedien für sich keine eigenständige Didaktik, sondern entwickeln didaktisches Potenzial immer nur in Verbindung mit den Inhalten, Zielen, Methoden und der Adaptivität zur Zielgruppe.
Wichtigste individuelle Voraussetzung für Lernerfolg mittels Medien ist Informationskompetenz (information literacy). Dabei ist Wissen als individueller Faktor erkannt, der "von Menschen generiert wird, an diese Menschen gebunden ist, auf Erfahrungen und Einstellungen beruht und sich nur in sehr eingeschränktem Maße externalisieren und übertragen lässt (tacit knowledge)" (Nohr 2000: 4).
Alle vier Kompetenzdimensionen des Politikkompetenzmodells können mediengestützt und durch Mediennutzung ausgebildet werden. Massenmedien selbst sind ein Fachkonzept, das Schülerinnen und Schüler im Politikunterricht im Rahmen des Fachwissens erwerben und zusammen mit anderen Fachkonzepten vernetzen können (Weißeno u. a. 2010). Bei der Vermittlung von Wissen kommt es auf die politischen Inhalte und deren kognitive Verarbeitung in den semantischen Netzen der Schülerinnen und Schüler an. Nach dem Social-Cognition-Ansatz spielt die Informationsverarbeitung und die Interaktion von neuen Informationsreizen und vorherigem Wissen eine Rolle beim Urteilen (Betsch u. a. 2010: 17 f.).
Abb. 1: Modell der politischen Urteilsfähigkeit