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Politische Sozialisation Heranwachsender im Wandel
Mit dem Aufkommen und der Etablierung des Internets und der Digitalisierung haben sich Formen und Strukturen der sozialen und medialen Kommunikation verändert. Wir befinden uns in einer Medienumbruchphase, deren Abschwung und Ende noch nicht in Sicht ist. Den digitalen kommunikativen Sphären wurde und wird attestiert, dass sie weiten Teilen der Bevölkerung politisches Handeln und Partizipation ermöglichen. Theoretisch ist es ohne komplizierte technische Zugangsvoraussetzungen möglich, sich als zivilgesellschaftlicher Akteur in sozialen Netzwerken, Foren oder mit einem eigenen Blog politisch zu äußern und sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Allerdings beteiligen sich bislang vergleichsweise wenig Menschen an netzbasierten politischen Diskursen und nimmt nur eine Minderheit partizipative Verfahren zur Bürgerbeteiligung wahr. Ebenfalls haben sich Formen des partizipativen Journalismus nur mit Mühe durchsetzen können, da dieser personelle und finanzielle Ressourcen braucht, um dauerhaft wirksam werden zu können.
Politische Angebote des Netzes – in welcher Form auch immer sie dargeboten werden – werden vornehmlich rezipiert. Nur wenige Menschen nutzen das Netz proaktiv, emanzipatorisch und kollaborativ, um ihre Interessen deutlich zu machen. Gleichwohl suggerieren einzelne YouTube-Kanäle, Facebook-Seiten und -Gruppen sowie "Hashtag Publics" (Rambukkana 2015), dass politisches Aufbegehren leicht umgesetzt und schnell Massen themenbezogen mobilisiert werden können. Beispielhaft sei auf die Sexismus-Debatte, versehen mit dem Hashtag #aufschrei hingewiesen, die sich primär beim Microblogging-Dienst Twitter entfachte und später aber auch ein breites Echo in den konventionellen Medien und in der Politik fand.
Gerade für junge Menschen gilt es, die digitalen Kommunikationsangebote sowohl für ihre individuellen als auch für kollektive, gemeinwohlorientierte Interessen kreativ und zweckorientiert anzuwenden und sich diese sinnstiftend zu eigen zu machen. Politikinteresse ist sozial erwünscht und eine politische Orientierung auszubilden, ist nach wie vor – nicht nur aus Sicht von Jugendsoziologinnen und -soziologen sowie Bildungs-und Erziehungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern – eine essenzielle Entwicklungsaufgabe im Jugendalter. Doch die Offenheit für politische Themen und auch das Bedürfnis nach Teilhabe und Artikulation politischer Positionen will gelernt sein. Sie ist eng mit individuellen und kollektiven Erfahrungen, eigenen Ansprüchen und gesellschaftlichen Erwartungen verknüpft. Des Weiteren hängt es von vorhandenen sozial-kommunikativen Kompetenzen und nicht zuletzt von Gelegenheitsstrukturen ab, ob und wie man sich zu Wort meldet und politisch einbringt.
Die Handlungspraktiken und Ausdruckformen von politischem Interesse und politischer Partizipation umfassen prinzipiell ein breites Spektrum. Sie haben sich gerade in jüngster Zeit durch Mediatisierungsprozesse ausdifferenziert, was an der Diskussion über den Strukturwandel von Öffentlichkeit(en) und Gegenöffentlichkeiten (Wendelin 2011, Wimmer 2007), fragmentierten Wissensgemeinschaften und neuen Partizipationskulturen im und über das Netz deutlich wird (z. B. Carpentier 2011, Couldry u. a. 2007, Jenkins 2006). Es sind vielzählige Formen von politischer Teilhabe denkbar, wenngleich die jeweiligen Partizipationspraktiken in ihrer Bedeutung und Wirksamkeit gewiss verschieden sind.
Schlagworte wie "Political Web" (Dahlgren 2013) sowie "Civic Web" (Banaji/Buckingham 2013) verweisen auf die Potenziale politischen Handelns im Netz und beflügeln die Diskussion um eine neue Bürger- und Zivilgesellschaft. Zumeist wird mit Blick auf die Notwendigkeit und die Ermöglichung von politischem Handeln in der Bürgergesellschaft auf eine demokratische Erziehung, auf die Befähigung zur Artikulation und Verwirklichung individueller und kollektiver Interessen, auf die Urteils- und Handlungsfähigkeit von Subjekten hingewiesen. Diese Fähigkeiten werden im Laufe der Sozialisation in formalen und informellen Kontexten erlernt. Angebote und Infrastrukturen des Internets werden eher als informelle Kontexte der politischen Sozialisation begriffen, Bildungseinrichtungen wie die Schule als formale Kontexte. Die Schule wird in vielen fachwissenschaftlichen Werken als ein einflussreiches System genannt, dem auch die Verantwortung für das Gelingen politischer Bildung übertragen wird (Rippl/Seipel 2012).
Als ein wesentliches Übungsfeld der Demokratie und der Ausbildung einer politischen Orientierung wird zudem die Familie betrachtet, in der Heranwachsende Mitsprache und Mitbestimmung lernen und trainieren können und politische Orientierungen angeboten sowie gesellschaftliche Werte vermittelt werden (Alt u. a. 2005). Darüber hinaus tragen Peers, Verbände, Vereine, Kirchen und soziale Bewegungen zur politischen Sozialisation bei. Digitale Medientechnologien, zugehörige Anwendungen und Portale sind eher komplementäre und nicht prioritäre Ressourcen, die politisches Empowerment erleichtern sollen bzw. unterstützen können.
Während die politische Bildung im schulischen Kontext, in Verbänden und Parteien formalisiert ist, ist sie im familiären Bereich Teil eines individuellen Erziehungskonzeptes. Studien belegen, dass ein politisch aktives Familienmilieu sich deutlich positiv auf die Aktivitätsbereitschaft und das politische Engagement der Kinder auswirkt (Schneekloth 2010). Die besondere Bedeutung von Peergruppen als Kontext politischer Sozialisation liegt nahe, doch wie Jugendliche mit welchem Effekt durch ihren Freundeskreis politisiert werden, ist bislang kaum geklärt (Bienefeld/Böhm-Kasper 2016). Peerkontexte werden als Möglichkeits-, Erlebnis- und Erfahrungsräume betrachtet, die durch symmetrische Beziehungsstrukturen gekennzeichnet sind und in denen Interessen und Werte verhandelt werden. Inwieweit sie nachhaltig politische Sozialisation determinieren, bleibt in empirischen Untersuchungen zumeist vage. Anzunehmen ist, dass sich die verschiedenen Kontexte der politischen Sozialisation wechselseitig bedingen und beeinflussen sowie in ihrer Bedeutung über die Lebensphasen hinweg variieren können.
Wenn eine Einschätzung der politischen Partizipationsbereitschaft von Jugendlichen vorgenommen wird, so orientiert man sich – häufig zu Unrecht – an Zeiten, in denen große Protestbewegungen in der medialen Öffentlichkeit präsent waren. Zum Maßstab gemacht werden die (vermeintlich) kollektiven Aktivitäten der Eltern- und Großelterngeneration in den 1980er Jahren, die sich selbstverständlich unter anderem gegen den NATO-Doppelbeschluss und die Stationierung von Pershing-II-Raketen aufgelehnt, gegen Atomkraft rebelliert und sich gegen Berufsverbote ausgesprochen haben. Dabei wird aber häufig vergessen, dass sich die politischen Bedingungen der Gegenwart von denen der Vergangenheitsgesellschaft deutlich unterscheiden und es für junge Menschen heute mitunter voraussetzungsvoller ist, sich politisch zu positionieren und zu artikulieren. Diese These lässt sich wie folgt begründen:
Mediatisierung von Politik und politischen Themen: Bedingt durch Globalisierungsprozesse und eine neue Weltordnung stellen sich politische Konflikte und Problemlagen komplex und bisweilen ambivalent dar. Politische Themen stehen in anderen Zeitdynamiken auf der Medien-Agenda als das in Pre-Internet-Zeiten der Fall war. Der Medienpluralismus – also die Vielzahl an Nachrichtenquellen und neue Intermediäre – impliziert einerseits erweiterte Rahmungen und Deutungen politischer Themen, andererseits trägt er zur Diffusion von Standpunkten und nicht zur Komplexitätsreduzierung bei (Wolling 2016, Jarren 2008).
Aushandlung gemeinsamer Betroffenheiten: Eine Grundvoraussetzung für kollektives politisches Handeln ist, dass man sich gemeinsam von einem Konflikt oder einer Gefahr bedroht fühlt. Geteilte Betroffenheit setzt Energien und Ressourcen frei, damit gemeinsam für oder gegen etwas gekämpft wird. Anders als zu Zeiten des Kalten Krieges sind jedoch Feindbilder in einer Welt, die weniger von bipolaren Politikkonzepten und Ideologien geprägt ist, nicht eindeutig zu bestimmen. Mit anderen Worten: Es fehlt bisweilen an erklärten Gegnern. Betroffenheiten werden von jungen Menschen differenziert ausgehandelt und Kollektivierungen erfolgen tendenziell themenbezogen, temporär und oftmals eher informell, d. h. nicht zwingend dauerhaft (Buckingham u. a. 2015).
Hindernisse bei der Ausbildung von Generationslagen und Generationszusammenhängen: Heranwachsende möchten selten allein politisch aktiv werden, es sei denn, es geht darum, eine Petition zu unterschreiben oder an einen Warenboykott teilzunehmen (Wagner/Gebel 2014: 120 ff). Dies sind Formen des niedrigschwelligen Mitmachens (low risk activities), die oftmals individuell entschieden werden. Es gibt eine Vielzahl an Missständen, an Konflikten und Ungerechtigkeiten in der Welt, über die man sich – per Mausklick oder in dem man Nachrichten und Petitionsaufrufe teilt – empören kann, aber das eine Ereignis, das eine Generation gleichermaßen erlebt, teilt und kritisch bewertet, existiert nicht in dem Sinne, dass es dazu führt, sich zu kollektivieren und zu mobilisieren. Als Ausnahme wird oftmals die Occupy-Bewegung angeführt, die im Herbst 2011 weltweit gegen die internationale Bankenpolitik und gegen Wirtschaftslobbyismus protestierte. Zwar spezifizierte die Bewegung nicht ihr Anliegen und stellte keine konkreten Forderungen auf, gleichwohl wurde ihre Frustration und Wut über soziale Ungleichheit als eine zentrale Problemlage der jungen Generationen interpretiert (Stehling/Kruse 2015: 23).
Häufig wird betont, dass junge Menschen heute generell mehr auf ihre privaten Belange fokussiert sind, d. h. Halt in ihrem persönlichen Leben suchen und selten bis gar nicht die Notwendigkeit sehen, sich an politischen Diskursen und Protesten zu beteiligen. Den Partizipationsauftrag tragen oftmals die älteren Generationen an sie heran, die politische Teilhabe als gesellschaftliche Pflicht auffassen. Wie Längsschnittstudien zu persönlichen und politischen Besorgnissen und politischer Partizipation zeigen konnten, lässt aber auch deren politisches Engagement mit zunehmendem Alter nach. Demzufolge findet sich bei Älteren ebenfalls eine Themenverschiebung hin zu persönlichen Angelegenheiten, werden von den Befragten im mittleren Lebensalter "eigene Gesundheit", "Gesundheit der Familie" und "Arbeit" als Besorgnisse genannt, makrosoziale und ökologische Probleme wie Krieg oder auch Umweltschutz spielen nur eine untergeordnete Rolle (Boehnke u. a. 2016).
Das Internet als Vehikel zur politischen Aktivierung und Revitalisierung des Politischen
Geht man von der Frage, inwieweit das Internet und seine Infrastrukturen Vehikel zur politischen Aktivierung und Revitalisierung des Politischen sein können, aus, stellt sich in der Analyse der Potenziale des Netzes und der praktischen Nutzung oftmals schnell Ernüchterung ein. Zwar hat sich der Zugang zu medialen Öffentlichkeiten vereinfacht, und damit ist auch eine größere Nähe der Nutzer und Nutzerinnen zu Gatekeepern und Meinungsführerinnen und -führern gegeben, doch will ein emanzipatorischer Mediengebrauch gelernt sein. Er muss vor allem einen klaren Nutzen und aussichtreichen Effekt für Heranwachsende versprechen. Politische Bildung und Sozialisation funktioniert in einem interpersonellen Rahmen, den Heranwachsende als glaubwürdig und ehrlich empfinden, in dem sie sich trauen, ihre Meinung (auch mal ungeschützt) aussprechen zu können. Es braucht einen Kontext und Reaktionen von Anderen, die Jugendliche in ihren Belangen und politischen Äußerungen anerkennen und wertschätzen. Nur so fühlen sie sich motiviert und bestärkt, sich in politischer Kommunikation und politischem Handeln zu üben.
Den Bildungs- und Lernort Schule können Heranwachsende als Erfahrungsraum indessen besser einordnen und einschätzen als die Infrastrukturen und Anwendungen des Netzes. Deren Kommunikationsdynamiken sind nicht immer transparent und sie folgen nicht immer plausiblen Regeln und Logiken. Mediale Infrastrukturen und Online-Dienste sorgen allein nicht für einen politisch wirksamen Gebrauch, sondern ihr Leistungsvermögen im Hinblick auf politische Handlungsspielräume muss Heranwachsenden erst bewusst gemacht und Umgangsweisen sowie "Ermächtigungskommunikation" (Kannengießer 2014) wollen geübt werden. Es gilt, sich partizipatorische Kompetenzen anzueignen, Strategien sozialer und politischer Einmischung auszubilden, um Mitverantwortung auf der Bühne der politischen Öffentlichkeit übernehmen zu können.
Folgende digitale Medienpraktiken sind im Kontext der politischen Sozialisation von grundlegender Bedeutung:
Wissensaneignung und Wissensmanagement: Die Informationsangebote im Internet sind breit und unübersichtlich, gleichwohl werden Wissensbestände von jungen Menschen recherchiert, rezipiert und angeeignet, um sich zu bestimmten Sachverhalten und Konflikten verhalten zu können und gegebenenfalls für die Diskussion argumentativ gewappnet zu sein. Dabei ist es wichtig, die Verifizierung und Autorisierung von Informationen erkennen zu können. Abgesichertes Wissen gibt einem durchaus Selbstvertrauen, das für politisches Handeln notwendig ist.
Kooperation und Kollaboration: Politisch handlungsfähig wird man in Solidargemeinschaften, die man aufbauen oder in die man sich – sofern sie bereits bestehen – integrieren muss. Probleme gilt es kollektiv zu bewältigen. Politisches Handeln ist kein Selbstzweck, sondern es geht darum, gemeinsam Gesellschaft zu gestalten und auch was für andere zu tun. Folglich muss man über Kooperationsmöglichkeiten und Vernetzungen mit Gleichgesinnten respektive Mitstreiterinnen und Mitstreitern Bescheid wissen. Sie stellen eine wichtige soziale Ressource dar, dienen der gegenseitigen Ermutigung und bestärken die Akteure in ihrem Handeln. Im Netz können auf verschiedene Weisen Gemeinschaften gebildet werden, z. B. über Mitgliedschaften in Foren oder auch durch einfachen Zuspruch in "Hashtag-Publics". Sie haben bisweilen einen unverbindlichen, flüchtigen Charakter und unterscheiden sich von Face-to-Face-Treffen. Es stellt durchaus eine Herausforderung dar, ein kritisches Verständnis für die politischen Netzcommunitys zu entwickeln und ein Vertrauensverhältnis zu den Mitgliedern aufzubauen.
Publizität und Reichweite: Will man die Gesellschaft mitgestalten und soziale Verantwortung übernehmen, so ist es von Vorteil, wenn man sich in der Öffentlichkeit Gehör verschafft, d. h. wenn politisches Handeln wahrgenommen wird und auch Feedback erhält. Es gibt viele Formen der politischen Partizipation und Artikulation im Netz. Aktivitäten wie das Liken und Teilen von Inhalten (Bildern, Artikeln, Videos etc.) sowie das Unterschreiben einer Onlinepetition erfordern weniger Mut, kognitives und emotionales Investment als ein Blogeintrag oder ein Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration, ein offener Brief oder die Produktion und das Hochladen eines sozialkritischen Videos auf YouTube oder anderen Kanälen. Es bedarf einer bestimmten Reichweite des politischen Handelns im Netz, damit sie als Anerkennungserfahrung "verbucht" werden kann.
Dilemmata und Handlungsblockaden
Um die Potenziale der neuen Medientechnologien und vernetzten Öffentlichkeiten für die politische Partizipation auszuschöpfen, bedarf es – da ist man sich weitestgehend einig – besonderer Kompetenzen. Dabei geht es nicht nur um sozial-kommunikative Fähigkeiten und die Aneignung von Technik, sondern auch um den Erwerb von Wissen über die Handlungs- und Gestaltungsspielräume, die bei Diensten und Anwendungen, auf Plattformen und in Foren gegeben sind. Folgt man Rheingold (2013), so gilt es übergeordnete Kompetenzen auszubilden, die erlauben, die technisch-strukturellen, psychologischen, sozialen, ökonomischen und politischen Eigenschaften der Netzwerkmedien und Netzkommunikation zu erfassen. Nur wenn man die digitalen Kommunikationsdynamiken entschlüsselt und durchdrungen hat, kann man sie mitgestalten und für kulturelle und politische Zwecke sinnstiftend nutzen. Umso mehr Menschen sich im Netz öffentlich zu Wort melden und sich an Diskursen und Werteverhandlungen beteiligen, so Rheingold, desto eher kann sich ein demokratischer Kommunikationsraum entwickeln, Wohlstand geschaffen, Frieden gesichert, Tyrannei und Willkürherrschaft verhindert werden.
Doch bisweilen sind vor allem junge Menschen verunsichert und überfordert mit der Informationsüberflutung, mit flüchtigen sowie widersprüchlichen Botschaften, die sie trotz algorithmengesteuerter Nachrichtenverbreitung und Filterblasen erreichen. Diskussionen um Mobbing, Hate Speech und Fake News beeinträchtigen ihre politische Handlungsbereitschaft. Es besteht Sorge, selbst Falschmeldungen aufzusitzen, diese zu verbreiten und sich unter Umständen lächerlich zu machen. Generell ist eine weit verbreitete diffuse Furchtsamkeit und Hemmung, den eigenen politischen Standpunkt öffentlich zu machen und proaktiv im Netz zu vertreten, unter jungen Menschen zu beobachten. Grund für dieses Unsicherheitsempfinden könnte die in Deutschland geführte normative Debatte um Privatheit sein. Zugleich bestehen aber auch zunehmend Ängste des Scheiterns und Versagens (Sennett 1999) nicht nur in beruflicher und privater Hinsicht. Ein möglicher Verlust sozialer Anerkennung soll tunlichst vermieden werden, denn er wird als verletzend empfunden und mit Zurückweisung assoziiert (Bude 2014).
Die Resonanzen und Kommunikationsdynamiken im Netz sind eher undurchsichtig und kaum zu berechnen. Werden Texte, Bilder oder Videos in den sozialen Netzwerken kommuniziert, kann nicht per se von Zustimmung ausgegangen werden. Vielmehr ist man in den jeweiligen Communitys und auf den Plattformen immer auch (potenziellen) Anfeindungen ausgesetzt. Shitstorms, die junge Menschen nicht riskieren und erleben möchten, sind nicht ausgeschlossen. Skandalsierungen und kollektive Empörungen lassen sich vielleicht weniger im Freundeskreis, aber dennoch bei Facebook und/oder bei Instagram beobachten, wo hin und wieder Prominente für moralisches Fehlverhalten durch eine Flut von Kommentaren gerügt und beschimpft werden – z. B. Sarah Lombardi wegen Untreue, Vernachlässigung ihres Sohnes etc. (Görtz 2016). Das Netz wird folglich nicht nur als Ermöglichungsraum, der zur politischen Partizipation einlädt, erfahren, sondern auch als kommunikative Sphäre, in der Verhaltensweisen zuweilen negativ sanktioniert, Personen attackiert und an den Pranger gestellt werden. Wesentliche Aufgaben der Instanzen politischer Sozialisation sind es daher,
Heranwachsende zu ermutigen, sich politisch zu artikulieren und einzubringen; es muss ihnen vermittelt werden, dass ihre politische Stimme und Meinung von großem Interesse und von gesellschaftlicher Bedeutung ist;
mit ihnen für sie geeignete Kanäle, Plattformen oder Artikulationssphären zu finden, wo sie politisch andocken und ihre politischen Positionen "sozial abgesichert" kommunizieren können; es gilt, das Internet als komplementäres Übungsfeld für demokratische Prozesse zu begreifen und zweckorientiert zu nutzen;
ihnen ihre Gestaltungsräume aufzuzeigen, denn im Grunde sind alle Gesellschaftsmitglieder dafür verantwortlich, wie und ob das Partizipationsversprechen eingelöst und verwirklicht werden kann.
Literatur
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