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Professionalisierung der Medienkompetenzförderung in der politischen Bildung

Kai-Uwe Hugger Kai-Uwe hugger

/ 13 Minuten zu lesen

Von den Berufspraktikerinnen und -praktikern in der politischen Bildung wird in den letzten Jahren zunehmend verlangt, dass sie auch in der Lage sind, medienpädagogisch zu handeln, um demokratische Bürgerkompetenz zu vermitteln. Der Beitrag stellt aus medienpädagogischer Perspektive dar, welche professionellen Anforderungen an medienpädagogisch Handelnde gestellt werden und welche Konsequenzen sich daraus für die politische Bildungspraxis ziehen lassen.

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Dass die Kompetenz der medienpädagogisch handelnden Fachkräfte verstärkt in den Mittelpunkt gerückt werden muss, wenn es um die Frage geht, wie zukünftig politische Bildungspraxis die großen Herausforderungen digitaler Medien bewältigen kann, wird erst allmählich deutlich. Zwar hat es in den letzten Jahren nicht an Veröffentlichungen, welche das grundsätzliche Innovations- und Dringlichkeitspotenzial des Internets für die politische Bildung herausstellen und begründen, gemangelt (Gapski 2015, Hauk 2016, Kaspar u. a. 2017, Gräßer/Hagedorn 2012, Pöttinger u. a. 2016). Allerdings werden darin Fragen medienpädagogischer Kompetenz kaum behandelt. Immer mehr formulieren stattdessen die Berufspraktiker in der politischen Bildung, dass sie einen Bedarf an Aus- und Weiterbildung im Bereich von digitalen Medien und Medienpädagogik haben – und diesen gelte es dringend zu decken. Freilich bleibt dabei noch teilweise diffus, welche Art von Kompetenzen an welche Adressaten von Fachkräften vermittelt werden sollen, damit medienpädagogisch gegenwartsangemessen in der politischen Bildungspraxis gehandelt werden kann.

Die Transferstelle politische Bildung (2015: 21) weist auf die Schwierigkeit hin, dass viele politische Bildnerinnen und Bildner dem Medienthema distanziert gegenübertreten: "Kaum ein anderes Thema verlangt so viel (fachfremdes) Wissen und Kompetenzen zusätzlich zur eigentlichen fachlichen Aus- und Weiterbildung. Fachgespräche und Best-Practice-Beispiele sind häufig faszinierend, aber es ist fraglich, ob sie die Kompetenzlücken schließen können oder ob sie nicht vielmehr zum "digital gap" in der politischen Bildung beitragen". Deshalb sei es z. B. zu überlegen, wie in medienpädagogischen Weiterbildungsmaßnahmen auch diejenigen Fachkräfte, die eine geringe Affinität zu den digitalen Medien haben, erreicht werden könnten. Andererseits arbeiten in der politischen Bildung Fachkräfte, die eine hohe Affinität zu Medien und Medienpädagogik haben, sogar ein medienspezifisches Studium absolviert haben und somit für medienpädagogische Aufgaben eigens ausgebildet sind.

Die vermehrte Nachfrage nach sowie die zunehmende Spezialisierung von medienpädagogischen Kompetenzen und Aufgabenbereichen in der politischen Bildung deuten auf eine in den letzten Jahren zu beobachtende Entwicklung hin, die als medienpädagogische Verberuflichung und Professionalisierung bezeichnet werden kann (Hugger 2001, 2008, Fromme/Biermann 2016). Zu den Folgen dieser Entwicklung gehört auch die Entstehung eines eigenen Arbeitsmarktes für Medienkompetenzförderung, auf den mittlerweile Fachkräfte und Organisationen im Bereich der politischen Bildung zugreifen (Hugger 2013).

Vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage werden im Folgenden drei Fragen erörtert: Zunächst wird skizziert, wie sich die professionellen Anforderungen an medienpädagogisch Handelnde verändert haben und welche Auswirkungen dies auf die Handlungsweisen in der politischen Bildungspraxis hat. Anschließend geht es um die Kernkompetenzen, über die medienpädagogisch Handelnde verfügen müssen. Schließlich ist zu fragen, welche Schlussfolgerungen sich für die Professionalisierung der Medienkompetenzförderung in der politischen Bildungspraxis ziehen lassen.

Die professionellen Anforderungen an medienpädagogisch Handelnde haben sich verändert

Medienpädagogisches Handeln weist, z. B. im Vergleich zum pädagogischen Handeln von Lehrkräften in der Schule oder Fachkräften in der Sozialen Arbeit, zwei Besonderheiten auf (Hugger 2001: 44 f.), die sich auf alle medienpädagogischen Handlungsfelder auswirken:

  1. Der medial mitkonstituierte Charakter: Medienpädagogik und medienpädagogisches Handeln sind essenziell mit Entwicklung und Wandel der Medien verbunden. Dies bedeutet einerseits, dass sich die Anforderungen an die beruflichen Wissensbestände permanent verändern, und andererseits, dass sich auch die pädagogischen Aneignungs- und Vermittlungsprozesse zwischen medienpädagogischem Angebot (im Bereich von Medienkompetenz, Medienbildung und Mediendidaktik) und medienpädagogischen Adressaten (z. B. Kinder und Jugendliche) in einem stetigen Wandlungsprozess befinden. Mit diesem haben zwar zwangsläufig alle (pädagogischen) Berufe zu tun. Allerdings ist damit das medienpädagogische Handeln besonders betraut.

  2. Die Querstruktur des beruflichen medienpädagogischen Handelns: Eine Besonderheit der Struktur beruflichen medienpädagogischen Handelns liegt darin, dass dieses meist in Relation zu jeweils anderen pädagogischen (und nichtpädagogischen) Tätigkeitsanteilen steht und deshalb in nahezu allen pädagogischen Berufsfeldern anzutreffen ist: von der politischen Bildung, der Familienbildung, über die schulische und berufliche Ausbildung, die Erwachsenen- und Weiterbildung bis hin zur Online-Beratung und -Unterstützung von Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe. Deshalb muss medienpädagogisches Handeln in Konstellationen der Vernetzung, der Überschneidung und der Gemeinsamkeit mit weiteren pädagogischen Handlungsfeldern verstanden werden. Dies bedeutet für medienpädagogisch Handelnde in der politischen Bildung: das professionelle Anforderungsprofil der Medienpädagogik – gegenwärtig mit Schwerpunkt Medienkompetenz und Medienbildung (vgl. weiter unten) – muss in Passung mit den Aufgabenfeldern politischer Bildungspraxis gebracht werden. Dass dabei auch Passungsprobleme entstehen können, z. B. aufgrund von nicht ausreichend vorhandenen medienpädagogischen Kompetenzen, wurde bereits einleitend skizziert.

Die professionellen Anforderungsprofile in der Medienpädagogik – d. h. spezielle berufliche Handlungsanforderungen, die üblicherweise an die Fachkräfte gestellt werden – haben sich verändert. Da sich die unterschiedlichen Profile auch auf die medienpädagogischen Handlungsweisen im Feld der politischen Bildung auswirken, werden diese im Folgenden detaillierter vorgestellt. Dafür werden vier Profile unterschieden, die in der Praxis auch als Mischformen auftauchen können. Obwohl sie zu bestimmten historischen Zeitpunkten besonders deutlich werden, sind sie dennoch als ahistorisch zu verstehen. So werden in der gegenwärtigen Debatte über informationelle Selbstbestimmung, Datafizierung und Big Data zum Teil auch kapitalismuskritische Argumentationen eines gesellschaftskritisch-wissenschaftsorientierten Profils medienpädagogischen Handelns deutlich, so wie es z. B. Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre in Bildung und Erziehung umzusetzen versucht wurde. Insofern ist die Systematisierung in einem analytischen Sinne gemeint:

  1. Beschützend-wertevermittelndes Anforderungsprofil: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts und besonders in den 1950er und 1960er Jahren bestand die professionelle Anforderung nahezu ausschließlich im Zurückdrängen und Verbot von Medien (z. B. dem Kinofilm). Im Mittelpunkt stand eine bewahrende und kontrollorientierte Haltung. Ein solches medienpädagogisches Handeln versteht sich als Schutz der Kinder und Jugendlichen vor der medialen Gefahr einer geistigen Überforderung und Reizüberflutung.

  2. Gesellschaftskritisch-wissenschaftszentriertes Anforderungsprofil: Leitend für dieses Profil, das zur Zeit der Schüler- und Studentenrevolte der Jahre 1967/1968 aufkam – konzeptionell beeinflusst durch die Kritische Theorie der Frankfurter Schule – war die Annahme, dass Massenmedien (z. B. der Springer Verlag mit der Bild-Zeitung) lediglich Manipulationsinstrumente im Dienste des herrschenden Kapitalismus und die Rezipienten grundsätzlich ihre manipulierbaren Opfer darstellen. Medienpädagogisches Handeln in diesem Profil, das sich als in erster Linie medienkritisch versteht, hat die Emanzipation des Subjektes zum Ziel.

  1. Bildungstechnologisch-optimierendes Anforderungsprofil: Dieses Profil konnte sich zuerst in den 1960er Jahren im Zuge des "Lehrermangels" voll entfalten. Durch den Versuch, Unterrichtsmedien möglichst optimal einzusetzen, sollte Lehrpersonal entlastet oder sogar ersetzt werden. Medienpädagogisches Handeln basiert in diesem Verständnis nahezu alleine auf dem effizienten Einsatz von Medien in Bildungsprozessen. Die Bedingungen des Einsatzes werden besonders stark durch ökonomische und bildungspolitische Notwendigkeiten beeinflusst. Die Popularität dieses Anforderungsprofils zeigte sich auch Mitte der 1990er Jahre, als der Schule ein Weg ins "digitale Abseits" prognostiziert wurde, falls sie nicht mit internetfähigen Computern (Stichwort "Schulen ans Netz") ausgestattet werde.

  2. Medienkompetenzorientiertes Anforderungsprofil: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden medienpädagogisch Handelnde vor allem als Experten in der komplexen Förderung von Medienkompetenz und Medienbildung angesehen. Dazu gehört auch, dass sie die organisatorischen, finanziellen und (medien)politischen Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Medienkompetenz und Medienbildung sowie mediengestützten didaktischen Lehr-Lernarrangements initiieren und gestalten. Professionelles medienpädagogisches Handeln in diesem Profil betrachtet Kinder, Jugendliche und Erwachsene als Subjekte, die in ihren immer mehr durch Mediatisierung gekennzeichneten Lebenswelten in der Lage sein sollen, Medien selbst organisiert, reflektiert und kreativ zu nutzen sowie ihre symbolische Umwelt eigenständig zu strukturieren und mit Sinn zu versehen. Weil es aber nicht allen Menschen in gleichem Maße gelingt, Medienkompetenz zu entwickeln, bleibt eine Unterstützung und Förderung mit Hilfe medienpädagogischer Programme notwendig.

In welcher Weise nun wirken sich die Profile auf die medienpädagogischen Handlungsweisen im Feld der politischen Bildung aus? So lag es aus der Perspektive medienpädagogisch Tätiger nahe, z. B. zur Zeit der Schüler- und Studentenrevolte Ende der 1960er Jahre eine dezidiert politisch verstandene gesellschaftskritische Medienkritik in Bildung und Unterricht umzusetzen, um die (medialen) Unterdrückungsmechanismen des kapitalistischen Staates zu analysieren und kritisch anzugreifen. Solche Handlungsperspektiven finden heute kaum noch Resonanz und scheinen vergessen zu sein. Unter dem gegenwärtig dominierenden medienkompetenzorientierten Anforderungsprofil stehen subjektbezogene medienpädagogische Handlungsweisen in der politischen Bildung im Vordergrund: Medien werden als Politikvermittler betrachtet, zudem bieten sie uns Wirklichkeitskonstruktionen an, bestimmen also das Bild von Wirklichkeit, so wie wir sie wahrnehmen, wesentlich mit. Medienpädagogisch Handelnde versuchen Menschen in die Lage zu versetzen, diese Wirklichkeitskonstruktionen – seien es Nachrichten, Computerspiele, Werbebotschaften oder Musikvideos – zu entziffern und zu interpretieren. Zudem wird Medienkompetenz "als Teil einer spezifisch politischen Handlungskompetenz, als Basisqualifikation demokratischer Bürgerkompetenz" (Sarcinelli 2000) begriffen. Menschen sollen also insgesamt Medien in Dienst nehmen können, indem sie in der Lage sind, nicht nur Medienwirklichkeit zu entschlüsseln, sondern auch die Vielfalt medial vermittelter politischer Information zu vergleichen, kritisch zu beurteilen und politische Informationen medial selbst herzustellen, z. B. in Social Media, Bürgerradio oder Offenen TV-Kanälen.

Medienkompetenz und medienpädagogische Kompetenz sind die Kernkompetenzen der medienpädagogisch Handelnden

Medienkompetenzförderung ist in den letzten Jahren zu einem zentralen Bereich des medienpädagogischen Berufsfeldes herangewachsen, wie sich z. B. an den zahlreichen Medienkompetenzprojekten mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen auch im Bereich der politischen Bildung ablesen lässt (z. B. Pöttinger u. a. 2016). Die Themen der Projekte reichen von der Partizipation im und mit dem Social Web über Cybermobbing bis hin zu Rechtextremismus im Internet. Drei Bildungsorte und Prozesse der Medienkompetenzförderung im Bereich der politischen Bildung lassen sich unterscheiden:

  • formale Bildungsorte und die medienkompetenzorientierte Planung sowie Gestaltung von institutionalisierten Lern- und Bildungssettings (insbesondere in Schule, Ausbildung, Hochschule),

  • non-formale Bildungsorte und die medienkompetenzorientierte Planung sowie Gestaltung von organisierten Bildungsangeboten und -aktivitäten, die auf Freiwilligkeit der Teilnahme basieren (insbesondere in Kindertagesbetreuung, Jugendarbeit, Ganztagsschulen, Betrieben),

  • informelle Bildungsorte und die Begleitung von Selbstbildungs- und Selbstlernprozessen mit Medien, die nicht institutionell organisiert sind, also jenseits formaler Bildungsinstitutionen und Lernveranstaltungen angesiedelt sind (z. B. in Familie, Peers).

In der medienpädagogischen Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass medienpädagogisch Handelnde in pädagogischen Berufsfeldern über sowohl a) Medienkompetenz als auch b) medienpädagogische Kompetenz verfügen sollten, um ihre beruflichen Aufgaben erfolgreich zu erfüllen. Tulodziecki argumentiert in einem Diskussionsvorschlag, dass die Handelnden auf der Grundlage eigener Medienkompetenz medienpädagogisch kompetent in vier Feldern sein sollten:

  1. "Bedeutung von Mediatisierung und Digitalisierung für Kinder und Jugendliche und Berücksichtigung beim medienpädagogischen Handeln: Dabei geht es darum, den Stellenwert von Mediatisierung und Digitalisierung für Entwicklung und Sozialisation, für Erziehung und Bildung in sensibler Weise zu erfassen und bei der Planung, Durchführung und Evaluation von medienpädagogischen Aktivitäten angemessen zu berücksichtigen.

  2. Lehren und Lernen mit Medien bzw. in digitalen Umgebungen: Hier besteht die Aufgabe darin, vorhandene Medienangebote und Lernumgebungen im Aspekt von Lernen und Lehren vor dem Hintergrund theoretischer Ansätze und empirischer Forschung zu analysieren und zu bewerten, eigene Medienbeiträge oder mediale Umgebungen für Lehr- und Lernprozesse zu entwickeln sowie Lehr-Lern-Einheiten und Projekte mit Medienverwendung vorzubereiten, durchzuführen und zu evaluieren.

  3. Wahrnehmung von Erziehungs- und Bildungsaufgaben, die aus Mediatisierung und Digitalisierung erwachsen: In diesem Zusammenhang sollen vorhandene Beispiele zur Medienerziehung und Medienbildung vor dem Hintergrund theoretischer Ansätze und empirischer Forschung analysiert und bewertet sowie eigene Unterrichtseinheiten oder Projekte und weitere medienpädagogische Aktivitäten (einschließlich der Beratung von Aufwachsenden und Eltern) geplant, durchgeführt und evaluiert werden.

  4. Verbesserung institutioneller Rahmenbedingungen für medienpädagogisches Handeln: "Dabei steht die Erfassung, Gestaltung und Weiterentwicklung personaler, curricularer, ausstattungsbezogener, organisatorischer und weitere institutioneller Bedingungen für medienpädagogische Arbeiten in Bildungsinstitutionen, z. B. in der Schule, im Sinne der Institutionsentwicklung im Mittelpunkt" (Tulodziecki 2017).

Die Kompetenzfelder sind zwar eher allgemein und berufsfeldübergreifend formuliert. Sie können aber deshalb problemlos für den politischen Bildungsbereich konkretisiert werden: So ginge es im ersten Kompetenzfeld z. B. um die Frage, wie sich Jugendliche gegenwärtig etwa auf YouTube Informationen zu gesellschaftlich relevanten Themen aneignen und im Freundeskreis bewerten. Auf dieser Basis wäre pädagogisch zu überlegen, wie Social-Media-Plattformen in neue Wege zur Vermittlung politischer Bildung einbezogen werden können. Ein Beispiel für das zweite Kompetenzfeld ist der Versuch, das Computerspiel Minecraft für die politische Bildung fruchtbar zu machen (Thiel 2016), indem etwa Jugendliche eine lebenswerte Stadt nach ihren Vorstellungen im Spiel nachbauen und darüber mit Stadtplanern ins Gespräch kommen. Andere Beispiele ließen sich ohne Weiteres ergänzen.

Tulodzieckis Vorschlag berücksichtigt auch eine Einsicht der neueren erziehungswissenschaftlichen Berufs- und Professionsforschung, die als Entgrenzung pädagogischer Berufsarbeit (Grunert/Krüger 2004) diskutiert wird. Dies bedeutet: Auch medienpädagogische Berufsarbeit kommt heute nicht ohne eine neue Mixtur pädagogischer und nichtpädagogischer Anteile im beruflichen Handeln aus, d. h. medienpädagogische Arbeitsfelder beinhalten zwar vielfach klassische pädagogische Tätigkeiten mit direktem Klientenbezug (unterrichten, lehren, erziehen; vor allem Kompetenzfelder 1 bis 3), teils aber stärker oder sogar überwiegend Tätigkeiten mit Beratungs-, Planungs-, Verwaltungs- und Mediengestaltungsanteil (Kompetenzfeld 4).

Deutlich wird dies im Projekt Youthpart #lokal – Kommunale Jugendbeteiligung, eine Initiative der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung gemeinsam mit IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. und gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Erprobt wurden zusammen mit fünf ausgewählten Kommunen und einem Landkreis neue netzbasierte Verfahren, um Jugendliche an kommunalen Entscheidungen zu beteiligen. Die Kommunen wurden bei der Entwicklung von Steuerungs- und Kooperationsstrukturen für die kommunale Beteiligung Jugendlicher begleitet. Dabei kamen auch speziell entwickelte Onlinetools (insbesondere der Partizipationsserver https://ypart.eu/) zum Einsatz, mit denen Jugendliche selbst Initiativen entwickeln und bewerten können.

Eine der Kommunen, die sich beteiligten, war die Kleinstadt Saalfeld in Thüringen. Programmleiterin Nina Cvetek und die Programmmitarbeiterinnen Katharina Thanner und Viola Schlichting von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung berichten über den Ablauf: "Informationen zu den Flächen und Immobilien bekommen die Jugendlichen über eine Kartenfunktion, Fotos und Kurzbeschreibungen. Diese Hintergrundinformationen wurden in Kooperation zwischen Bau- und Grünflächenamt sowie dem für den Gesamtprozess zuständigen Jugendamt online gestellt. Der Saalfelder Auftritt auf ypart.eu wird von den MitarbeiterInnen des Jugendamts zusammen mit pädagogischen Fachkräften aus Jugendhilfeeinrichtungen moderiert. Die Pädagogen geben Feedback und gewährleisten den Rückfluss der Anregungen der Jugendlichen in die kommunalen Gremien. Die online gesammelten Vorschläge der Jugendlichen werden dann auf Entscheiderebene diskutiert, also in der Verwaltung und politischen Gremien der Kommune, die zudem über die Umsetzung entscheiden. In Saalfeld moderieren darüber hinaus Jugendliche selbst auf der Plattform, sitzen mit in Steuerungsgruppen und gestalten den Beteiligungsprozess so auch kontinuierlich mit" (Cvetek u. a. 2014: 31 ff.).

Eine zentrale Erkenntnis des Projektes ist aber auch diese: Nur weil das Internet heute zum Alltag der Jugendlichen gehört, heißt das nicht automatisch, dass alleine die Bereitstellung digitaler Tools ausreicht, um Jugendliche mehr als bisher an kommunalen Prozessen zu beteiligen. Auf eine unbekannte Internet-Plattform gehen zu müssen, kann gerade für beteiligungsunerfahrene Jugendliche eine große Hürde darstellen (ebd.). Für die medienpädagogische Kompetenz bedeutet dies, auch die Grenzen des pädagogischen Einsatzes von Medien einschätzen und entsprechend unterschiedliche Methoden der Online- und Offline-Beteiligung miteinander verbinden zu können. In Tulodzieckis Vorschlag wäre diese Kompetenz dem dritten Feld zuzuordnen.

Professionalisierung der Medienkompetenzförderung in der politischen Bildung – Schlussfolgerungen

Abschließend sollen die vorangegangenen Überlegungen noch einmal thesenartig zusammengefasst und dargelegt werden, was sie für die politische Bildung bedeuten:

  1. Die zunehmend deutlicher werdende Forderung der Berufspraktiker in der politischen Bildung nach Weiterbildung zu medienbezogenen und medienpädagogischen Themen einerseits und die zunehmende Spezialisierung von medienpädagogischen Aufgabenfeldern andererseits sind Symptome dafür, dass der fortschreitende Prozess von medienpädagogischer Verberuflichung und Professionalisierung auch in der politischen Bildung spürbar ist. Ein weiteres Zeichen für diesen Prozess ist, dass es eine gestiegene Anzahl von spezialisierten medienpädagogischen Stellenprofilen in der politischen Bildungspraxis gibt, insbesondere im Bereich von politischen Medienbildungsprojekten, die von medienpädagogisch ausgebildeten Fachkräften besetzt werden.

  2. Medienpädagogisches Handeln in der politischen Bildung folgt heute vor allem einem medienkompetenzorientierten professionellen Anforderungsprofil, wofür die Vielzahl an Projekten zur Medienkompetenzförderung und Medienbildung in den letzten Jahren ein Beleg ist.

  3. Die Kernkompetenzen medienpädagogisch Handelnder in der politischen Bildung sind Medienkompetenz und medienpädagogische Kompetenz. Insbesondere im Rahmen medienpädagogischer Kompetenz gilt es für die Fachkräfte, Wissen und Können in Medienpädagogik und politischer Bildung miteinander fruchtbar zu vernetzen. Dabei kommt medienpädagogische Berufsarbeit heute nicht mehr ohne eine neue Mixtur pädagogischer und nichtpädagogischer Anteile im beruflichen Handeln aus.

Es reicht somit nicht aus, medienpädagogische Kompetenz in der politischen Bildung einmalig durch Weiterbildungsmaßnahmen zu vermitteln. Dies ist zwar eine wichtige und notwendige Facette. Medienpädagogische Professionalisierung politischer Bildung gelingt aber langfristig nur, wenn einerseits bereits in der Ausbildung von pädagogischen Berufen, die auf politische Bildungspraxis zielen, medienpädagogische Kernkompetenzen vermittelt, andererseits Stellen für Medienkompetenzförderung und Medienbildung in der politischen Bildung zunehmend mit eigens ausgebildeten medienpädagogischen Fachkräften besetzt werden.

Literatur

Cvetek, Nina/Thanner, Katharina/Schlichting, Viola (2014): Kommunale Jugendbeteiligung mit youthpart#lokal, in: Computer+Unterricht, Heft 96, S. 31 – 33.

Fromme, Johannes/Biermann, Ralf (2016): Medienbildung aus einer Berufs- und Professionsperspektive: Welche Chancen haben "Medienbildner/innen" auf dem Arbeitsmarkt?, in: Verständig, Dan/Holze, Jens/Biermann, Ralf (Hrsg.): Von der Bildung zur Medienbildung, Wiesbaden, S. 297 – 330.

Gapski, Harald (Hrsg.) (2015): Big Data und Medienbildung. Zwischen Kontrollverlust, Selbstverteidigung und Souveränität in der digitalen Welt, Düsseldorf-München.

Gräßer, Lars/Hagedorn, Friedrich (2012) (Hrsg.): Soziale und politische Teilhabe im Netz? E-Partizipation als Herausforderung, Düsseldorf-München.

Grunert, Cathleen/Krüger, Heinz-Hermann (2004): Entgrenzung pädagogischer Berufsarbeit – Mythos oder Realität? Ergebnisse einer bundesweiten Diplom- und Magister-Pädagogen-Befragung, in: Zeitschrift für Pädagogik, Heft 3, S. 309 – 325.

Hauk, Dennis (2016): Digitale Medien in der politischen Bildung. Anforderungen und Zugänge an das Politik-Verstehen im 21. Jahrhundert, Wiesbaden.

Hugger, Kai-Uwe (2001): Medienpädagogik als Profession, München

Hugger, Kai-Uwe (2008): Berufsbild und Arbeitsmarkt für Medienpädagogen, in: Sander, Uwe/von Gross, Friederike/Hugger, Kai-Uwe (Hrsg.): Handbuch Medienpädagogik, Wiesbaden, S. 564 – 570.

Hugger, Kai-Uwe (2013): Berufsfeld Medienkompetenzförderung, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche. Eine Bestandsaufnahme, Berlin, S. 95 – 100.

Kaspar, Kai/Gräßer, Lars/Riffi, Aycha (Hrsg.) (2017): Online Hate Speech. Perspektiven auf eine neue Form des Hasses, München.

Pöttinger, Ida/Kalwar, Tanja/Fries, Rüdiger (Hrsg.) (2016): Doing politics. Politisch agieren in der digitalen Gesellschaft, München.

Sarcinelli, Ulrich (2000): Medienkompetenz in der politischen Bildung – pädagogische Allerweltsformel oder politische Kategorie?, In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 25, S. 29 – 38, Interner Link: http://www.bpb.de/apuz/25559/medienkompetenz-in-der-politischen-bildung (Stand: 11.04.2017).

Thiel, Tobias (2016): Durch Minecraft Politik, Geschichte und Städte entdecken, in: Bundeszentrale für politische Bildung: werkstatt.bpb.de, Interner Link: https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/239420/durch-minecraft-politik-geschichte-und-staedte-entdecken (Stand: 11.04.2017).

Transferstelle politische Bildung (2015): Politische Bildung und Neue Medien. Bericht der Transferstelle politische Bildung zum Jahresthema 2015, Essen, Externer Link: https://transfer-politische-bildung.de/fileadmin/user_upload/Material/Transferstelle_politische_Bildung_Neue_Medien_Broschuere_web.pdf.

Tulodziecki, Gerhard (2017): Thesen zu einem Rahmenplan für ein universitäres Studium der Medienpädagogik. Unveröffentlichtes Diskussionspapier für die Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE).

Hugger, Kai-Uwe, Dr., Professor für Medienpädagogik und Mediendidaktik an der Universität zu Köln; Forschungsschwerpunkte: Mediensozialisation von Kindern und Jugendlichen, Medienkompetenz, medienpädagogische Professionalisierung.