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Einleitung
"Die Politik muss durch ihre Fähigkeit, "to get things done", wie Parsons sagt, befriedigende Zustände erreichen, oder sie versagt als Politik." (Luhmann 2017: 23)
Die Leistung, die der Soziologe Parsons dem politischen System attestiert, entpuppt sich als schwieriges Unterfangen, wenn man die unterschiedlichen Akteure betrachtet, die das Feld bestimmen und sich im Feld bewegen: "befriedigende Zustände" sind für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etwas anderes als für Praktikerinnen und Praktiker, für Informatikerinnen und Informatiker etwas anderes als für Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftler, für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter etwas anderes als für Unternehmerinnen und Unternehmer, für politische Parteien etwas anderes als für die Zivilgesellschaft. Die Liste ließe sich nahezu endlos fortführen.
Welche Position nimmt man also ein, wenn man über medienbildungspolitische Positionen, Forderungen und Strategien schreibt? Die Verfasserin hat sich für eine ordnende Position entschieden. Aus einer Metaperspektive, die durch systemtheoretische Zitate – die Systemtheorie lässt sich schließlich als die Speerspitze der Metatheorien betrachten – gerahmt wird, werden unterschiedliche Positionen, Forderungen und Strategien vorgestellt, die in der aktuellen Debatte konkurrieren, sich gegenseitig bestärken oder auch unvereinbar erscheinen. Damit soll kein Anspruch auf eine vollständige oder systematische Dokumentation der komplexen Gemengelage erhoben, sondern ein Überblick geschaffen werden, der eine Basis für weiterführende Diskussionen im Bereich der Medienbildung oder politischen Bildung sein kann.
Beschreibung der Ausgangssituation
"Die Erziehung der nächsten Gesellschaft bleibt ratlos. Sie verlässt sich auf eine Zweiseitenform, der gemäß wichtig nur sein kann, was nicht in der Schule vorkommt." (Baecker 2013)
Mit der "nächsten Gesellschaft" ist die Gesellschaft gemeint, in der – nach Sprache, Schrift und Buchdruck – der Computer eine zentrale Rolle spielt, indem er als leitendes Kommunikationsmedium fungiert (Baecker 2007). Durch diese neue Medientechnologie wird ein Überschuss von Sinn produziert, mit dem die Gesellschaft um(zu)gehen (lernen) muss (Baecker 2017: 5). Das Erziehungssystem – als ein wichtiges soziales System innerhalb der Gesellschaft – bleibt, folgt man Dirk Baeckers Gedankengang, "ratlos". Schule als Institution der Buchkultur (Boehme 2006) ist nicht in der Lage, das relevante Wissen für die nächste Gesellschaft, für eine ungewisse, digital geprägte Zukunft zur Verfügung zu stellen. Nimmt man diese These ernst, erscheint das Ringen um medienbildungspolitische Konzepte und Standortbestimmungen in einem neuem Licht und es wird aus einer Beobachterperspektive etwas plausibler, warum die Festlegung, was genau die kommenden Generationen in Bezug auf Medien lernen sollen, um zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu werden, schwierig zu formulieren und umstritten ist.
Unter dem Schlagwort "Digitale Bildung" wurde ein bildungspolitischer Schwerpunkt in Bund und Ländern auf die Agenda gesetzt, der deshalb so komplex ist, weil er
sich über die gesamte Lebensspanne (von der frühkindlichen Bildung bis zur Seniorenbildung) erstreckt,
Bildungsprozesse in formalen, non-formalen und informellen Kontexten umfasst,
in unternehmerischen Zusammenhängen ("Industrie 4.0") genauso diskutiert wird wie in schulischen und hochschulischen,
je nach Diskussionszusammenhang andere Dimensionen umfasst (von infrastrukturellen bis hin zu curricularen und forschungsethischen Fragen),
sich zu technologischen Entwicklungen (z. B. Big Data, Internet der Dinge) positionieren will, deren gesellschaftliche Konsequenzen bislang nur zu erahnen sind.
Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hob im Herbst 2016 einen "Digitalpakt" (DigitalPakt#D) aus der Taufe, mit dem sie den Bundesländern fünf Milliarden Euro zum Ausbau einer digitalen Infrastruktur in allen bundesdeutschen Schulen in Aussicht stellt (BMBF 2016). Bedingung ist, dass die Länder sich dazu verpflichten, pädagogische Konzepte, die Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen sowie gemeinsame technische Standards zu initiieren und nachhaltig zu verankern. Allerdings ist die Ausschüttung des Geldes für die Legislaturperiode 2018 angesetzt, insofern können wir erst in der Zukunft beurteilen, wie diese Ankündigung umgesetzt werden wird.
Anfang Dezember 2016 stellten die Bundesländer ihre gemeinsame Strategie "Bildung in der digitalen Welt" vor (KMK 2016). Dass es sich bei der Mediatisierung und Digitalisierung und deren gesellschaftlichen Folgen also um ein politisch relevantes Thema handelt, steht außer Frage und es scheint "lediglich" bezüglich der konkreten Umsetzung Kontroversen zu geben. Allerdings lässt sich – im Sinne der Vision der "nächsten Gesellschaft" – durchaus die Frage stellen, ob die Präsenz und Popularität des "Digitalen" in der öffentlichen Debatte nicht darüber hinwegtäuscht, dass die technologischen und damit verbunden die sozialen Entwicklungen in ihrer Grundsätzlichkeit und ihrer Reichweite (noch) gar nicht angemessen durchdrungen und entsprechend in der bildungspolitischen Diskussion abgebildet werden (z. B. Rosa 2016).
"Leistet das Erziehungssystem als nachhinkender Teil der Informations- und Wissensgesellschaft eher zu wenig, so dass sich große Teile der Bevölkerung nach wie vor in einem unmündigen Zustand des Umgangs mit den Informations- und Unterhaltungsmedien der Gesellschaft befinden?" (Baecker 2006: 27)
Die bildungspolitischen Forderungen in Bezug auf Medien, die von Seiten des Bundes und der Länder formuliert werden, gründen argumentativ vor allem auf den Ergebnissen internationaler Schulleistungsvergleiche, wie sie im Rahmen von Studien wie TIMSS (Trends in International Mathematics and Science Study) (Wendt u. a. 2016) oder ICILS (International Information and Computer Literacy Study) (Bos u. a. 2014, siehe Eickelmann in diesem Band) durchgeführt werden. Aus den Daten lässt sich ableiten, dass Deutschland im internationalen Vergleich in Bezug auf den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien schlecht abschneidet – daran anknüpfend wird auf politischer Ebene ein direkter Handlungsbedarf postuliert und artikuliert (analog zu den Entwicklungen nach dem PISA-Schock Anfang der 2000er Jahre). Kritisch ließe sich allerdings anmerken, dass Aktionismus noch nie ein guter Berater war, wenn es darum geht, grundlegende Probleme zu lösen.
Positionen
Bei eingehender Betrachtung der Kommentierungen des "Digitalpakts" sowie der Stellungnahmen zu dem Papier der Kultusministerkonferenz fällt auf, dass sich zunächst zwischen Extrempositionen und solchen, die die Bestrebungen grundsätzlich begrüßen, aber in einzelnen, zum Teil basalen, Aspekten kritisieren, differenzieren lässt. Zu ersteren zählen – wenig überraschend – die bekannten medienkritisch eingestellten Stimmen, die sich im öffentlichen Diskurs regelmäßig zu Wort melden (Spitzer 2016, Kraus 2017). Die Argumentationen sind bewahrpädagogisch angelegt: Ein (zu) früher Gebrauch von Medien wird als lernhinderlich, gesundheitsschädlich etc. eingeschätzt. Exemplarisch für die zweite Gruppe sind die Stellungnahmen einzelner Verbände und Zusammenschlüsse, die sich in der Debatte kritisch zu Wort gemeldet haben.
Der Philologenverband begrüßte die Anstrengungen des Bundes und der Länder zwar grundsätzlich, wies aber darauf hin, dass nicht nur an die digitale Erstausstattung zu denken sei, sondern auch daran, dass die Wartung ein kostenintensiver und aufwändiger Aspekt sei (DPhV 2016). Der Deutsche Volkshochschul-Verband machte deutlich, dass ihm in der Diskussion die Perspektive des lebensbegleitenden Lernens fehle (Sucker 2016). Die Initiative "Keine Bildung ohne Medien!" kritisierte, dass der Vorstoß insgesamt zu unverbindlich sei (Lenkungskreis der Initiative KBoM 2016). Interessant ist der Gedanke des Bundesverbands Verbraucherschutz e.V., der in seiner Stellungnahme kritisch anmerkt, "Mündigkeit in der digitalen Welt ist ein Ideal, das mit der Realität nicht übereinstimmt" (Verbraucherzentrale Bundesverband 2016: 4). Daran anknüpfend lässt sich fragen, welche konkreten Forderungen denn zielführend sind, um dem Ideal ein Stück weit näherzukommen.
Forderungen
Forderungen des Politiksystems
Medienbildung/Digitale Bildung ist immens relevant für politische Bildung im 21. Jahrhundert, da diese an die konkreten historischen Konstellationen gebunden ist, in denen sie wirken und auf die sie zurückwirken soll (Reheis 2016: 11). Bereits im Jahr 2012 verwies die Kultusministerkonferenz darauf, dass Medienbildung als Voraussetzung und Teil von politischer Bildung zu verstehen sei (vgl. KMK 2012: 4 f.).
Kinder und Jugendliche, die 2017 eingeschult werden, sollen bis zum Ende ihrer Schulzeit eine umfassende Medienbildung durchlaufen haben – so kommuniziert es das politische System. Was das konkret heißt, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich: Leitbilder, Medienpässe, Standards und Curricula sollen im Einzelfall eine "umfassende Medienbildung" gewährleisten.
Forderungen des Wirtschaftssystems
Die Digitalisierung verändert nicht nur Produktionstechnologien, sondern auch Unternehmenskulturen, Märkte und Geschäftsmodelle (z. B. Schallmo u. a. 2016). Im Sinne der Allokationsfunktion von Schulen fordert das Wirtschaftssystem hoch qualifiziertes Humankapital, das mit den digitalen Technologien virtuos umgehen und sich neuen Anforderungen schnell und flexibel anpassen kann.
Forderungen des Wissenschaftssystems
Das Wissenschaftssystem formuliert – das liegt in seiner Natur – keine eindeutigen und einmütigen Forderungen an die Politik, da es auf Diskurs und nicht auf Konsens angelegt ist. Entsprechend unterschiedlich sind z. B. Forderungen aus der Medienpädagogik und der Informatik, die entlang folgender Pole beschrieben werden können:
Beachtung des gesamten Medienspektrums vs. Konzentration auf Computer und Internet,
Fokussierung auf mediale Erscheinungsformen vs. Schwerpunkt bei informationstechnischen Aspekten der Datenverarbeitung,
Akzentsetzung auf Mediatisierung vs. Blickrichtung auf Digitalisierung,
Hervorhebung von Erziehungs- und Bildungsaufgaben vs. Betonung der Medienverwendung für Lehren und Lernen,
medienkritische Akzentsetzung vs. funktionale Perspektive,
Ausrichtung auf Reflexivität vs. Orientierung an Verfügbarkeit,
Input- und Prozessorientierung vs. Output- und Zielorientierung,
Dominanz pädagogischer Intentionen vs. Verbindung mit ökonomischen Interessen, geringere vs. größere Chancen auf öffentliche bzw. bildungspolitische Aufmerksamkeit, auf verbindliche administrative Regelungen sowie auf Ausstattung, Personal und Fördergelder (Tulodziecki 2016: 17).
Überschneidungen
Darüber hinaus gibt es Forderungen, die sich stärker an den Grenzen eines Systems bewegen bzw. an den Schnittstellen unterschiedlicher Systeme. In diesem Zusammenhang kommt es zu ganz neuen Akteurskonstellationen, wie beim "Digitalen Bildungspakt", einem Zusammenschluss von "Vertreter(n) aus Wirtschaft, Wissenschaft, Öffentlichem Sektor und Zivilgesellschaft, die Bildung in einer digitalen Welt voranbringen möchten" (digitaler-bildungspakt.de/ueber-uns/). Dieser hat nach eigener Aussage "ein Kompendium mit politischen Handlungsempfehlungen für die richtige Bildung in einer digitalen Welt erarbeitet" (digitaler-bildungspakt.de/kompendium). Nimmt man die Komplexität des Unterfangens ernst und meldet berichtigte Zweifel an, dass es "die" richtige Bildung überhaupt geben kann, stellt sich die Frage, welche Strategien hilfreich sein können, um sich dem Ideal anzunähern.
Strategien
Klausurtagungen und Weiterentwicklung von Positionspapieren
Eine Strategie, die im Spannungsfeld Medienbildung/Bildungspolitik derzeit vor allem von Seiten wissenschaftlicher Fachverbände und Initiativen praktiziert wird, ist das In-Klausur-Gehen und sich ganz abseits von digitalen
Abb. 1: Dagstuhl-Dreieck