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Zwischen Transparenz, Informationskontrolle und politischer Kampagne: WikiLeaks und die Rolle des Leaks-Journalismus

Arne Hintz

/ 13 Minuten zu lesen

Ausgehend vom Beispiel WikiLeaks und anderer Enthüllungen durch Whistleblower – von Snowden zu den Panama Papers – werden in diesem Beitrag die Praktiken und gesellschaftlichen Auswirkungen öffentlicher Leaks untersucht und unterschiedliche Arten des Leaks-Aktivismus und -Journalismus vorgestellt. Zudem wird anhand aktueller Kritik an WikiLeaks-Veröffentlichungen deren Aufklärungsfunktion hinterfragt und in ein Spannungsfeld zwischen Transparenz, Informationskontrolle und politischer Kampagne eingeordnet.

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"Fake News" ist seit der US-amerikanischen Präsidentenwahl 2016 eines der zentralen Konzepte der politischen Debatte. Der damalige republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump und sein Umfeld setzten Gerüchte und Unwahrheiten strategisch ein, um die eigenen politischen Ziele zu verfolgen, und vieles davon wurde von Beobachtern aus Medien und Wissenschaft als Falschmeldungen entlarvt. Das Trump-Lager wiederum bediente sich ebenfalls des Fake-News-Begriffes, um kritische Berichterstattung zu delegitimieren. In diesem "Post-Truth"-Kontext waren klare Fakten gefragt, wie sie z. B. von Leaks-Plattformen wie WikiLeaks bereitgestellt werden. Doch ausgerechnet WikiLeaks wurde Teil der politischen Auseinandersetzung und ließ sich, so die Kritik, von der Trump-Kampagne einspannen.

Welche Rolle spielt also eine Whistleblower-Plattform wie WikiLeaks in der Presselandschaft und, darüber hinaus, in der Wahrheitsfindung? Inwiefern sind Leaks ein wichtiges Mittel zur Aufklärung gesellschaftlicher Prozesse und Kontrolle von Machtbeziehungen und welche Relevanz haben dabei klassische Medien und neue aktivistische Plattformen? Ausgehend vom Beispiel WikiLeaks und anderer Enthüllungen durch Whistleblower – von Snowden zu den sogenannten Panama Papers – werden in diesem Beitrag die Praktiken und gesellschaftlichen Auswirkungen öffentlicher Leaks untersucht und unterschiedliche Arten des Leaks-Aktivismus und -Journalismus vorgestellt. Zudem wird anhand aktueller Kritik an WikiLeaks-Veröffentlichungen deren Aufklärungsfunktion hinterfragt und in ein Spannungsfeld zwischen Transparenz, Informationskontrolle und politischer Kampagne eingeordnet.

WikiLeaks und Whistleblowing

Mit seiner Gründung 2006 rückte WikiLeaks die Rolle von Whistleblowern ins Zentrum von Journalismus, Politik und öffentlicher Diskussion. Wichtige Enthüllungen hatten die Welt schon lange zuvor beschäftigt. Daniel Ellsberg hatte 1971 die sogenannten Pentagon Papers an die New York Times weitergeleitet – 7.000 fotokopierte Seiten von Berichten über den Vietnamkrieg, die die Kenntnisse und Sichtweisen der Öffentlichkeit über den Krieg nachhaltig beeinflussten (McCurdy 2013). Immer wieder haben seitdem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von staatlichen Behörden, Geheimdiensten und der Privatwirtschaft Informationen an Medien und Justiz gegeben, um illegale oder unmoralische Aktivitäten aufzudecken. Viele Fälle von Korruption und Machtmissbrauch wurden dadurch sichtbar. Allerdings geschah dies meist unter hohem Risiko für diejenigen, die die Informationen bereitstellten, und anonymes Leaken war kaum möglich.

WikiLeaks trat an mit dem Ziel, dies zu ändern. Die mit aktuellen Verschlüsselungs- und Anonymisierungstechnologien ausgestattete Leaks-Plattform garantierte Whistleblowern Anonymität. Als Webseite ermöglichte sie es zudem, Informationen im Internet einer globalen Öffentlichkeit zeitnah zur Verfügung zu stellen. Dies geschah zunächst mit einer Vielzahl meist lokal relevanter Veröffentlichungen, wie etwa Berichten über Korruption in Kenia, illegale Giftmülldeponierung in der Elfenbeinküste und die Rolle isländischer Banken in der dortigen Finanzkrise. WikiLeaks stellte dabei die rohen Informationen und Berichte zur Verfügung, mit denen sich die Öffentlichkeit dann selbst ein Bild von den Ereignissen machen konnte. Ins globale mediale und politische Rampenlicht geriet WikiLeaks im Jahr 2010: Die Veröffentlichung eines Videos mit dem Titel "Collateral Murder", das einen Angriff eines Apache-Kampfhubschraubers in den Straßen von Bagdad zeigt, der "Kriegstagebücher" des Irak- und Afghanistankrieges sowie von Depeschen der US-amerikanischen Botschaften an das State Departement, auch als "Cablegate" bezeichnet, führten zu internationalen Verstimmungen, gesellschaftlichen Protesten und Repressionen gegen die Organisation WikiLeaks. Diese hatte hierbei ihre Vorgehensweise geändert, indem sie mit großen Zeitungen kooperierte und die Rohinformationen dort journalistisch aufarbeiten ließ.

Während es in den darauffolgenden Jahren etwas ruhiger um WikiLeaks wurde, kamen über die klassischen Medien weitere wichtige Enthüllungen zum Vorschein. Die prominentesten, aber längst nicht die einzigen, waren die Berichte von NSA-Whistleblower Edward Snowden im Jahr 2013 über massive Überwachung des Datenverkehrs im Internet und die Panama Papers im Jahr 2016 über die Rolle der Offshore-Finanzindustrie. Kurz darauf trat auch WikiLeaks wieder ins Scheinwerferlicht, als E-Mails von Hillary Clintons Kampagnenchef John Podesta auf der WikiLeaks-Webseite veröffentlicht wurden, was die Organisation dem Vorwurf aussetzte, die Wahl Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten aktiv zu unterstützen. Enthüllungen durch WikiLeaks über das Überwachungs- und Hacking-Programm der CIA haben derweil an die früheren Snowden-Leaks angeschlossen.

Verändern Leaks die Welt?

Chelsea Manning, die Quelle der WikiLeaks-Enthüllungen von 2010, erhoffte sich von diesen weitreichende globale Reformen (Mitchell 2011). Die Enthüllungen Snowdens, so hofften viele, würden staatliche Eingriffe in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zurückdrängen. Doch die Kriege und diplomatischen Machtspiele, über die Manning Aufklärung leistete, gingen weiter und die Internetüberwachung wurde in vielen Ländern im Namen der nationalen Sicherheit ausgeweitet, statt eingeschränkt. Die unmittelbaren Folgen von Leaks sind also oft überschaubar. Stattdessen wirken sie langfristiger und dadurch tiefer. Sie verbessern unser Verständnis gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen und sind insofern im Grundsatz demokratisch. Die Leaks der letzten Jahre haben uns erklärt, auf welche Weise westliche Staaten (in unserem Namen) Kriege führen, wie der Staat in unsere Privatsphäre eingreift, wie Steuerparadiese funktionieren und welche Summen den Staatshaushalten dabei vorenthalten werden. Viele dieser Leaks wurden nicht auf der ersten Seite der globalen Presse verhandelt, aber beinhalteten trotzdem relevante Erkenntnisse. So veröffentlichte WikiLeaks u. a. Dokumente über das amerikanische Gefangenenlager in Guantanamo Bay, geheime Entwürfe der Verhandlungen rund um das umstrittene Handelsabkommen "Transpazifische Partnerschaft" (TPP) und Aufnahmen eines Treffens des Internationalen Währungsfonds, die wichtige Einblicke in die Hintergründe der Eurokrise lieferten (Brevini u. a. 2013).

In manchen Fällen allerdings hatten Leaks direktere Konsequenzen. Sie lösten Proteste aus – wie etwa in Island in den Jahren 2009 und 2016 – und trugen zum Entstehen größerer Aufstände bei. Die Enthüllungen über politische Korruption in Tunesien und Ägypten durch WikiLeaks lösten den Arabischen Frühling nicht aus, aber waren doch einer von mehreren wichtigen Faktoren (Saleh 2013). Die Snowden-Enthüllungen haben staatliche Überwachung nicht beendet, aber führten zu neuen Gesetzen in mehreren Ländern, um Überwachung zumindest genauer zu regulieren und zu kontrollieren (Hintz/Brown 2017). Der Premierminister Islands musste aufgrund der Panama Papers zurücktreten und der frühere spanische Wirtschaftsminister Rodrigo Rato wurde aufgrund von Leaks der spanischen Plattform Xnet zu einer Gefängnisstrafe verurteilt (Xnet 2017).

Leaks-Aktivismus und -Journalismus

Die möglicherweise größten Auswirkungen hatte WikiLeaks im Mediensektor und unter Medienaktivisten. Inspiriert von den Erfolgen der Plattform entstand dort eine Kultur des "Leaks-Aktivismus". Technische Entwickler und "Hacktivisten" kreierten z. B. die Software-Plattform Globaleaks, die von über 60 lokalen Whistleblower-Initiativen rund um die Welt eingesetzt wird (www.globaleaks.org). Einige dieser Initiativen feierten beachtliche Erfolge, wie z. B. Xnet mit den Ermittlungen zu Rodrigo Rato (s. o.). Xnet diente dabei als Zwischenstelle, die Leaks annimmt, überprüft und dann an bestimmte Medien und Partnerorganisationen weiterleitet. Selbst als vergleichsweise kleine aktivistische Gruppe hat Xnet somit einen größeren Finanzskandal aufgeklärt.

Nicht alle diese Initiativen beschränken sich auf die Veröffentlichung von Informationen. Xnet deckte Korruption nicht nur auf, sondern beteiligte sich auch an der rechtlichen Aufarbeitung der Fälle. Die bloße Enthüllung von Machtmissbrauch kann laut Xnet zu Desillusionierung und Defätismus führen, da sie die Macht von Eliten lediglich demonstriert, aber nicht einschränkt. Das emanzipatorische Potenzial des Leaks-Aktivismus kann nur dadurch entfaltet werden, dass auf eine Enthüllung konkretes Handeln folgt (Levi 2015). Auch der Erfolg anderer großer Leaks, wie etwa der Panama Papers, sollte nach Meinung mancher Journalisten daran gemessen werden, ob sie zu konkreten rechtlichen Ermittlungen und neuen regulativen Rahmenbedingungen führen oder lediglich als momentane Skandale wahrgenommen werden (Efimeros 2016). Auch WikiLeaks engagierte sich zeitweise im Bereich rechtlicher Reform, indem es die "Icelandic Modern Media Initiative" (IMMI) initiierte. IMMI entwickelte ein Reformpaket, das Medienfreiheiten und Informationsrechte in Island deutlich stärken sollte; einige seiner Vorschläge flossen in neue Gesetze ein (Hintz 2013).

Doch nicht nur aktivistische Gruppen, sondern auch viele klassische Medien haben im Zuge der WikiLeaks-Veröffentlichungen Mechanismen entwickelt, um anonyme Datenleaks bearbeiten zu können. Medienhäuser wie die New York Times, der Guardian und Al-Jazeera bieten mittlerweile digitale Postfächer an, über die Dateien anonym den Journalisten zugespielt werden können. Manche Zeitungen und Rundfunkmedien haben investigativ-journalistische Kooperationen etabliert, um Ressourcen und Expertise zu teilen und so gemeinsam die Informationen aus Datenleaks bestmöglich nutzbar zu machen. Nicht zuletzt die Panama Papers wurden auf diese Weise veröffentlicht (Sambrook 2016). In Zeiten, in denen klassische Medien unter großem finanziellem Druck stehen, kann eine solche Nutzung gemeinsamer Kapazitäten sicherstellen, dass die Medien ihre klassische Aufgabe, die Öffentlichkeit über wichtige gesellschaftliche Prozesse aufzuklären, weiter wahrnehmen können. Das WikiLeaks-Modell der Bearbeitung und globalen Verbreitung von Leaks, in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Medienorganisationen, hat somit auch die klassischen Medien erfasst. Während WikiLeaks selbst (zumindest zeitweise) aus dem öffentlichen Scheinwerferlicht verschwand, wurde der traditionelle Journalismus "WikiLeaks-isiert" (Rutenberg 2016).

Eine wachsende Anzahl an Gruppen und Organisationen beschäftigt sich somit mit der Bearbeitung und Verbreitung von Leaks. Als Mittler statt Veröffentlichender sind viele von ihnen für die Öffentlichkeit unsichtbar, doch sind sie ein zunehmend zentraler Bestandteil der sich verändernden Medienlandschaft. Im Zuge der WikiLeaks-Enthüllungen des Jahres 2010 konzeptionalisierte der amerikanische Wissenschaftler Yochai Benkler diese sich bildende Medienumgebung als "networked fourth estate", eine vernetzte vierte Gewalt. Klassische Nachrichtenorganisationen – die traditionelle "vierte Gewalt" im Staat – spielen dabei weiterhin eine gewichtige Rolle, aber sie interagieren nun mit einer breiten Vielfalt an Medien und Nachrichtenquellen, etwa den neuen Online-Nachrichtenorganisationen, Blogs, sozialen Medien, Alternativ- und Community-Medien, und neuen Organisationen wie WikiLeaks und Xnet (Benkler 2013). WikiLeaks verdeutlichte diese Medienumgebung, indem es Aktivismus, Whistleblowing und klassischen Journalismus in seinem Organisationstyp vereinte. Im Falle Snowdens wurde die vernetzte Medienökologie sichtbar in der Zusammenarbeit zwischen Whistleblower Edward Snowden, Dokumentarfilmerin Laura Poitras, dem Blogger, Kolumnisten und früheren Anwalt Glenn Greenwald und dem klassischen Journalisten Ewen MacAskill.

Leaks-Kritik: Information oder Kampagne?

Allerdings arbeitet diese vernetzte "vierte Gewalt" nicht immer konfliktfrei miteinander. Insbesondere an den Praktiken von WikiLeaks wurde wiederholt Kritik geübt, am deutlichsten an der Praxis, Rohdaten und Dokumente ohne journalistische Überarbeitung und Erklärung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Ansatz von WikiLeaks (wie auch der vieler anderer medienaktivistischer Projekte) basiert auf einer Skepsis gegenüber redaktioneller Bearbeitung von Informationen durch traditionelle Medien und den damit verbundenen inhaltlichen Verzerrungen und Tendenzen, die von der kritischen Journalismusforschung wiederholt belegt wurden. Die Filter des klassischen Journalismus sind in dieser Sicht eine problematische Hürde für radikale Transparenz und Aufklärung, stattdessen soll der Öffentlichkeit ein direkter und ungefilterter Zugang zu Informationen ermöglicht werden. Allerdings kann Transparenz bei sensiblen Informationen problematisch und erklärende journalistische Einordnung für das Verständnis der Informationen notwendig sein. WikiLeaks ist daher immer wieder von seiner ursprünglichen Praxis abgewichen, etwa als es 2010 mit mehreren Zeitungen zusammenarbeitete und zeitweise nur jene Dokumente zugänglich machte, die von diesen Zeitungen bearbeitet und veröffentlicht wurden.

Die Art der WikiLeaks-Enthüllungen wurde zunehmend auch von ehemaligen Unterstützern kritisiert. Als WikiLeaks im Jahr 2016 nach dem versuchten Militärputsch in der Türkei 300.000 E-Mails aus den Mailboxen der türkischen AKP-Partei veröffentlichte, bezeichnete die amerikanische Wissenschaftlerin Zeynep Tufekci dies als "unverantwortlich", da die Mails sensible und private Informationen von Millionen Menschen beinhalteten und kaum von öffentlichem Interesse seien (Tufekci 2016).

Das Veröffentlichen der gehackten E-Mail-Konten von US-amerikanischen Politikern, unter anderem des ehemaligen Außenministers Colin Powell und des Chefs von Hillary Clintons Wahlkampagne, John Podesta, war zumindest ebenso umstritten. Harvard-Professor Jonathan Zittrain beispielsweise erklärte, dass das Leaken gehackter E-Mails nicht als Akt des Whistleblowings verstanden werden könne und sprach damit den Leaks ihren Wert ab (Zittrain 2016). Der Zeitpunkt dieser Leaks, ihre Rolle im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf und die mögliche Involvierung russischer Hacker führten zudem zu Spekulationen, WikiLeaks unterstütze den Kandidaten (und späteren Präsidenten) Donald Trump. Der frühere WikiLeaks-Aktivist und spätere Guardian- und Buzzfeed-Journalist James Ball bestätigte dies, indem er die Leaks als politische Strategie bezeichnete und ihre journalistische Relevanz bestritt (Ball 2016). Ungeachtet der genauen Motivation hinter jenen Leaks bedeutet dies, dass die tatsachenbasierten Enthüllungen einer Transparenzinitiative wie WikiLeaks selbst zum Spielball politischer Kampagnenarbeit werden können, statt über genau jene aufzuklären.

Die Möglichkeit, mit Leaks auf die öffentliche Meinung Einfluss zu nehmen, wird zunehmend von Regierungs- und anderen Akteuren genutzt (Hulcoop u. a. 2017). Mit gestohlenen E-Mails und Dokumenten aus gehackten Konten, die selektiv geleakt und teilweise manipuliert werden, können Personen und Institutionen delegitimiert und z. B. auf Wahlen (wie etwa der französischen Präsidentschaftswahl 2017) Einfluss genommen werden. Während die auf WikiLeaks veröffentlichten Dokumente zumindest auf ihre Echtheit überprüft werden und dort bislang keine Fälschungen geleakt wurden, können andere Akteure problemlos eigene Webseiten mit angeblich wahrhaften, aber tatsächlich gefälschten Leaks veröffentlichen und über soziale Medien verbreiten. Verdeutlicht das Leaks-Phänomen also die Notwendigkeit klassischer journalistischer Bearbeitung und Einordnung von geleakten Informationen? Führt der Erfolg von WikiLeaks zu dem, was die Plattform eigentlich ablehnt – die Notwendigkeit professioneller Begutachtung von Inhalten durch der Neutralität und Objektivität verpflichtete Medien? In Zeiten von strategischer Informationsnutzung und Fake News wird wieder zunehmend auf diese Rolle der klassischen Medien und des professionellen Journalismus verwiesen. Eine verantwortliche Nachrichtenverbreitung bedarf demgemäß der Filterfunktion traditioneller Nachrichtenorganisationen. Doch diese Filter und Selektionen können eine angemessene Berichterstattung auch signifikant beeinträchtigen. Die Geschichte des Whistleblowings liefert hierfür einige Beispiele. Snowden etwa wandte sich an eine Filmemacherin und einen Blogger, statt an eine große Zeitung wie die New York Times, da diese einige Jahre zuvor ähnliche Informationen zurückgehalten hatte – in jenem Fall über die geheime Überwachung von Telefongesprächen und E-Mails amerikanischer Bürgerinnen und Bürger, die die amerikanische Regierung infolge des 11. Septembers 2001 ohne richterliche Genehmigung angeordnet hatte.

Die Panama Papers können als Gegenmodell zur WikiLeaks-Methode gesehen werden: Klassische Medienorganisationen analysierten die Dokumente ein Jahr lang und gingen bei der Veröffentlichung hochselektiv vor. Dies allerdings führte zu teils schwer nachvollziehbaren redaktionellen Entscheidungen, etwa der Fokussierung auf Vladimir Putin zu Beginn der Berichterstattung, obwohl dieser gar nicht in den geleakten Dokumenten erwähnt wurde. Hier schien die Nähe westlicher Medienorganisationen zum außenpolitischen Interesse ihrer Regierungen deutlich durch, was die Kritik an klassischen Medienfiltern bestätigte. Und trotz des enormen Umfangs an Daten – 11,5 Millionen Dateien waren in diesem angeblich "größten Leak aller Zeiten" (Harding 2016) an die Zeitungen weitergeleitet worden – versiegte die Berichterstattung schnell und wandte sich anderen Themen zu. Während einige Fehler von WikiLeaks möglicherweise vermieden wurden, hatte die restriktive Behandlung der Leaks durch den traditionellen Journalismus also ebenfalls deutliche Schwächen.

Informationsfreiheit und -kontrolle

Leaks-Plattformen wie WikiLeaks oder Xnet sind zu einem zentralen Bestandteil der Medienlandschaft geworden, ermöglichen Enthüllungen wichtiger Ereignisse und steigern so unser Wissen über wichtige politische und wirtschaftliche Prozesse. Journalismus, der auf Informationen von Whistleblowern basiert, wie etwa den Panama Papers und den Snowden-Enthüllungen, stellt zudem einen zunehmend wichtigeren Bestandteil der Arbeit klassischer Medien dar. Diese wachsende Bedeutung nährt allerdings auch den strategischen Wert der geleakten Informationen. Whistleblower bieten uns wichtige Einblicke, aber diese werden in politischen Auseinandersetzungen genutzt und instrumentalisiert. Selbst die Veröffentlichung von Rohdaten und faktischen Dokumenten auf WikiLeaks ist Teil dieses politisch-strategischen Kontextes. Dies bedeutet nicht, dass eine Plattform wie WikiLeaks dadurch ihre Legitimität verliert, doch die Hintergründe und Interessen bestimmter Leaks sollten genauso kritisch beleuchtet werden wie die Arbeit klassischer Medien.

Die wichtige Rolle von Leaks und Whistleblowern wird nicht zuletzt durch die aggressiven Reaktionen von Regierungen bestätigt. So verpflichtet etwa das Insider Threat Program die Angestellten US-amerikanischer Regierungseinrichtungen, ihren Vorgesetzten jegliches "verdächtige" Verhalten von Kolleginnen und Kollegen zu melden. Eine Kultur des Misstrauens und gegenseitigen Bespitzelns soll weitere Leaks verhindern (Gosztola 2016). Unter der Obama-Regierung wurden zudem mehr Whistleblower strafrechtlich verfolgt als unter vorherigen Präsidenten (Currier 2013). Die britische Regierung bereitet derweil ein neues Spionagegesetz vor, das laut ersten Entwürfen Whistleblowern, die mit ihren Informationen an die Öffentlichkeit gehen, in dieselbe Kategorie setzt und mit den gleichen Strafen belegen könnte wie Spione, die Staatsgeheimnisse an Regierungen anderer Länder weiterreichen (Campbell 2017). Prominente Whistleblower der letzten Jahre bekamen Strafanzeigen (z. B. Antoine Deltour, Initiator der Luxemburg-Leaks über die internationale Steuervermeidung von multinationalen Unternehmen), wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (Chelsea Manning, Quelle der WikiLeaks-Veröffentlichungen von 2010, bekam 35 Jahre Haft, 2016 hat Präsident Obama sie begnadigt) oder leben im Exil (z. B. Edward Snowden).

Whistleblower und Leaks-Plattformen verdeutlichen somit die Macht von Informationen in der gegenwärtigen Zeit. Sie klären auf und sind ein zentraler Bestandteil freier Medien, aber sie werden auch in politische Kampagnen eingebunden und sehen sich vielfältigen Versuchen der Kontrolle und Behinderung ausgesetzt. Auch Rohdaten und faktische Dokumente können nicht nur der Wahrheitsfindung dienen, sondern auch eine strategische Rolle in politischer Meinungsbildung und Einflussnahme spielen. Trotzdem bieten Whistleblower und Leaks-Plattformen gerade in Zeiten, in denen Wahrheiten verschwimmen und Tatsachen angezweifelt werden, eine wichtige Möglichkeit, den Nebel unterschiedlicher Interpretationen über das Weltgeschehen zu lichten und konkrete Beweise bereitzustellen.

Literatur

Ball, James (2016): Inside the Strange, Paranoid World of Julian Assange, in: Buzzfeed News vom 23. Oktober, Externer Link: https://www.buzzfeed.com/jamesball/heres-what-i-learned-about-julian-assange (Stand: 02.04.2017).

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Campbell, Duncan (2017): Planned Espionage Act could jail journos and whistleblowers as spies in: The Register vom 10. Februar, Externer Link: https://www.theregister.co.uk/2017/02/10/espionage_law_jail_journalists_as_spies/ (Stand: 02.04.2017).

Currier, Cora (2013): Charting Obama’s Crackdown on National Security Leaks, in: Pro Publica vom 30. Juli, Externer Link: http://www.civilbeat.org/2013/07/19603-charting-obamas-crackdown-on-national-security-leaks/ (Stand: 02.04.2017).

Efimeros, Costas (2016): Will the Panama Papers kill journalism?, in: The Press Project vom 6. April, Externer Link: https://www.thepressproject.gr/article/92328/Will-The-PanamaPapers-Kill-Journalism (Stand: 02.04.2017).

Gosztola, Kevin (2016): "Insider Threat" Program: Hundred Thousand Pentagon Personnel Under Total Surveillance, in: Common Dreams vom 8. Januar, Externer Link: http://www.commondreams.org/views/2016/01/08/insider-threat-program-hundred-thousand-pentagon-personnel-under-total-surveillance (Stand: 02.04.2017).

Harding, Luke (2016): What are the Panama Papers? A guide to history’s biggest data leak, in: The Guardian vom 5. April, Externer Link: https://www.theguardian.com/news/2016/apr/03/what-you-need-to-know-about-the-panama-papers (Stand: 02.04.2017).

Hintz, Arne (2013): Dimensions of Modern Freedom of Expression: WikiLeaks, Policy hacking and Digital Freedoms, in: Brevini u. a. (2013), S. 146 – 165.

Hintz, Arne/Brown, Ian (2017): Enabling Digital Citizenship: The Reshaping of Surveillance Policy After Snowden, in: International Journal of Communication, Band 11, S. 782 – 801, Externer Link: http://ijoc.org/index.php/ijoc/article/view/5522 (Stand: 02.04.2017).

Hulcoop, Adam/Scott-Railton, John/Brooks, Matt/Tanchak, Peter/Deibert, Ron (2017): Tainted Leaks. Disinformation and Phishing with a Russian Nexus. The Citizen Lab, Externer Link: https://citizenlab.ca/2017/05/tainted-leaks-disinformation-phish/ (Stand: 02.04.2017).

Levi, Simona (2015): Forschungsinterview mit Simona Levi, durchgeführt von Arne Hintz, 14. Mai, London.

McCurdy, Patrick (2013): From the Pentagon Papers to Cablegate: How the Network Society Has Changed Leaking, in: Brevini u. a. (2013), S. 123 – 145.

Mitchell, Greg (2011): The Age of WikiLeaks: From Collateral Murder to Cablegate (and Beyond), New York.

Rutenberg, Jim (2016) Panama Papers Leak Signals a Shift in Mainstream Journalism, in: New York Times vom 10. April, Externer Link: http://www.nytimes.com/2016/04/11/business/media/panama-papers-leak-signals-a-shift-in-mainstream-journalism.html?_r=1 (Stand: 02.04.2017).

Saleh, Ibrahim (2013): WikiLeaks and the Arab Spring: The Twists and Turns of Media, Culture, and Power, in: Brevini u.a., S. 236 – 244.

Sambrook, Richard (2016): Panama Papers: The nuts and bolts of a massive international investigation, in: The Conversation vom 4. April, Externer Link: https://theconversation.com/panama-papers-the-nuts-and-bolts-of-a-massive-international-investigation-57197 (Stand: 02.04.2017).

Tufekci, Zeynep (2016): WikiLeaks Put Women in Turkey in Danger, for No Reason, in: The Huffington Post vom 28. Juli, Externer Link: http://www.huffingtonpost.com/zeynep-tufekci/wikileaks-erdogan-emails_b_11158792.html (Stand: 02.04.2017).

Xnet (2017): 15MpaRato: Citizens against Corruption, Externer Link: https://15mparato.wordpress.com/citizens-against-corruption/ (Stand: 02.04.2017).

Zittrain, Jonathan (2016): Mass Hacks of Private Email Aren’t Whistleblowing, They are at Odds with It, in: Just Security vom 19. Oktober, Externer Link: https://www.justsecurity.org/33677/mass-hacks-private-email-arent-whistleblowing-odds-it/ (Stand: 02.04.2017).

Hintz, Arne, Dr., Senior Lecturer an der Cardiff University in Großbritannien; er leitet dort den MA Digital Media and Society und das Data Justice Lab, Publikationen: Beyond WikiLeaks (2013), Digital Citizenship in the Era of Datafication (2018).