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Informationsinflation: Herausforderungen an die politische Willensbildung in der digitalen Gesellschaft

Andreas Busch

/ 13 Minuten zu lesen

Die durch das Internet ausgelöste, stark gestiegene elektronische Kommunikationsdichte hat (neben vielen positiven Wirkungen) auch problematische Folgen, da sie zu Orientierungsschwierigkeiten und Informationsentwertung beigetragen hat. Der politische Dialog wird erschwert, die gesellschaftliche Polarisierung befördert und so die demokratische Willensbildung gefährdet. Der Beitrag diskutiert diese Entwicklungen ebenso wie die Frage, ob staatliche Regulierung oder industrielle Selbstregulierung hier Abhilfe schaffen können.

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Politische Willensbildung, elektronische Kommunikation und Partizipation

In den sozial heterogenen, ökonomisch hochentwickelten Gesellschaften mit liberal-demokratischen politischen Systemen, wie sie heute etwa in Europa existieren, ist die Vielfalt politischer Werte, Einstellungen und Interessen in der Bevölkerung nicht nur empirisches Faktum, sondern auch normativer Anspruch, da sie als Ausdruck der individuellen Freiheit angesehen wird. Dem politischen System ist deshalb die Aufgabe gestellt, die Vielfalt der verschiedenen Positionen wahrnehmbar zu machen und dann zu Alternativen zusammenzuführen, zwischen denen in den politischen Institutionen um Mehrheitsunterstützung geworben und schließlich entschieden werden kann. Das strukturfunktionalistische Modell der Politik spricht in diesem Rahmen von Interessenartikulation und Interessenaggregation, die gemeinsam die Input-Seite des politischen Prozesses bilden (Almond u. a. 1993: 10).

Dieser Prozess der politischen Willensbildung ist umso legitimer, je breiter seine Basis ist – je mehr Individuen, Verbände und Interessengruppen also eine Chance auf Partizipation haben. Dabei spielt die Verfügbarkeit von Informationen eine zentrale Rolle. Um die hier objektiv bestehenden Ungleichheiten einzuebnen, setzte der Demokratietheoretiker Robert A. Dahl schon vor beinahe 30 Jahren seine Hoffnung auf Systeme elektronischer Kommunikation. Diese sollten ausgleichend wirken, Zugang zu für politische Entscheidungen relevante Unterlagen bieten sowie Fragen an Experten und Diskussionen ermöglichen (Dahl 1989: 339).

Mit dem Internet entstand in den letzten zwei Jahrzehnten ein Medium, das von vielen als potenzielle Realisierung dieser Hoffnung begriffen wurde. Mit seiner Hilfe sollte im politischen Bereich breitere Partizipation möglich und leicht umsetzbar werden und so der Schritt von der "Zuschauer- zur Beteiligungsdemokratie" (Leggewie) vollzogen werden. Insbesondere die Entwicklung des sogenannten Web 2.0, in dem Teilnehmende nicht nur passive Konsumenten sind, sondern (über Blogs, Wikis und soziale Netzwerke) selbst Inhalte generieren können, trug dazu bei. Durch diesen als "Peer Production" gekennzeichneten Prozess werde sich, so prognostizierten Experten, die Kommunikation grundsätzlich ändern. Die Kommunikationsprofessorin Miriam Meckel (2008: 19) sah sie durch drei Gesetzmäßigkeiten gekennzeichnet:

  1. Partizipation – jede/jeder könne sich beteiligen, "unabhängig von Hierarchien oder institutionellen Anbindungen", was eine "Demokratisierung der Informations- und Medienwelt" bedeute;

  2. Vernetzung – jede Veränderung im Netz betreffe "Inhalt und Qualität des gesamten Angebots für alle Netznutzer", habe also breite Wirkung;

  3. Transparenz – Information wie Kommentare seien in ihrer Entstehung nachvollziehbar, jeder Beitrag könne "diskutiert, in seinen Einzelteilen überprüft, bestätigt oder in Frage gestellt werden".

Für den Prozess der politischen Willensbildung erscheint ein solches Szenario wie eine (vom Lokalen bis zum Globalen beliebig skalierbare) permanente agora, ein Marktplatz des Austausches, der Informationsgewinnung und der Meinungsbildung. Mehr Information, so die zugrundeliegende Annahme, ist stets willkommen und eine Verbesserung gegenüber einer Situation mit weniger Information.

Ausweitung der Informationsmenge

Die zentrale Rolle von Informationen für unsere gegenwärtige Gesellschaft zeichnet sich schon in dem Begriff "Informationsgesellschaft", der häufig zu ihrer Kennzeichnung gebraucht wird, ab (zu den folgenden Überlegungen ausführlicher Busch 2012, wo sich auch weitere Nachweise finden). In der Tat ist die Ausbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK), die die Grundlage für diese Entwicklung bilden, in den letzten Jahrzehnten enorm schnell vonstattengegangen. Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung (3,8 Mrd. Menschen) nutzte im Jahr 2016 das Internet – während es im Jahr 2000 erst 6,5 % waren (für diese und folgende Angaben vgl. International Telecommunication Union 2017). In den entwickelten Ländern Europas und Nordamerikas liegen die Nutzerzahlen mittlerweile sogar um die 80 %. Dort sind 85 % der Haushalte mit dem Internet verbunden und weltweit sind es bereits 50 %. Ein deutliches Sinken der Verbindungskosten hat dazu ebenso beigetragen wie ein enormer Ausbau der technischen Infrastruktur. Die Folge dieser Entwicklung ist ein drastischer Anstieg von Informationen und deren Verfügbarkeit. Durch Veränderungen der Medien- und Nutzungstechnologien (hier ist für das letzte Jahrzehnt vor allem das Smartphone mit Internetzugang zu nennen) ist der jederzeitige Zugang zu Informationen zu mehr oder weniger jedem Themenbereich für praktisch jedermann binnen zweier Jahrzehnte vom Wunschtraum zur Realität geworden.

Aber welche Folgen hat eine so drastische Ausweitung der Quantität von Information auf deren Nutzen – und auf die Nutzerinnen und Nutzer? Ist hier unhinterfragt von einer linearen Verbesserung auszugehen oder hat die quantitative Veränderung auch qualitative Folgen?

Im Folgenden wird argumentiert, dass die quantitative Veränderung auch qualitative Folgen hat, die in bestimmten Bereichen negativ sein können. Dazu wird das Konzept der "Informationsinflation" eingeführt. Diese unterscheidet sich von einer "Informationsflut" (ein Begriff, der auf die bloße Ausweitung der Menge an Informationen fokussiert – dazu z. B. Gleick 2011) durch den Verweis auf die mit der Ausweitung verbundene Entwertung der einzelnen Informationseinheit. Damit nimmt der Begriff bewusst Bezug auf den Inflationsbegriff der monetären Ökonomik, die davon ausgeht, dass eine Ausweitung der Geldmenge bei gleichbleibendem Güterangebot mit einer verminderten Kaufkraft der einzelnen Währungseinheit einhergeht.

Die limitierende Rolle im Bereich der Information spielt das menschliche Bewusstsein, dessen Aufnahmefähigkeit begrenzt ist. Aufgrund dieser Begrenzung (die auch durch eine Erhöhung der Mediennutzungsdauer nur etwas auszuweiten ist) führt eine Ausweitung der Informationsmenge zu einem verschärften Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Rezipienten. Dass dieser Wettbewerb negative Folgen haben kann (und solche beobachtbar sind), darauf soll im Folgenden näher eingegangen werden. Wichtig ist aber zunächst festzuhalten, dass der verschärfte Wettbewerb keineswegs automatisch zu einer Auswahl über eine Qualitätsnorm führt – dass sich etwa die gehaltreichste oder innovativste Information Gehör verschafft. Vielmehr wird oft die aufmerksamkeitsheischendste, also vielleicht sensationellste, unerwartetste oder schlicht (im übertragenen Sinne) lauteste Information den Empfänger erreichen, während zahlreiche andere Informationen ignoriert werden.

Die angestiegene Informationsmenge bewirkt also, zusammengefasst, einen erhöhten Selektionsdruck beim Empfänger, der gegenüber den Inhalten der Information nicht neutral ist. Auch auf der Seite des (kommunikationswissenschaftlich gesprochenen) Senders von Informationen gibt es Änderungen. Diese hängen nicht zuletzt mit den technologischen Eigenschaften des Internets und den ökonomischen Folgen seiner Verbreitung zusammen. Auf diese wird im folgenden Abschnitt eingegangen.

Veränderungen durch das Internet

Das Internet hat unsere Welt in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Der Hauptmechanismus, durch den dies geschah, ist der der direkten Verbindung zwischen den einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Netzes. Im kommerziellen Bereich hat dies dazu geführt, dass Konsumentinnen und Konsumenten direkt mit den Anbietern in Verbindung treten können und Waren und Dienstleistungen unmittelbar etwa bei einer Fluglinie, einem Musiker oder einem Hotel erwerben können. Die Rolle vermittelnder Instanzen (Reisebüros, Musikunternehmen etc.) wird dadurch oft überflüssig. Dieser Prozess (der auch als "Disintermediation" oder cutting out the middleman bezeichnet wird) führt zu einer Verschlankung der Wertschöpfungskette, was Einsparungen für den Konsumenten bedeutet.

Insbesondere durch die Entwicklung der interaktiven Dimension (Web 2.0) ist das Internet zudem zu einem einfach zugänglichen Massenmedium geworden, über das "One-to-many-Kommunikation" betrieben werden kann. Verglichen mit dem Kapitalaufwand, der zum Start eines Printmediums, eines Radio- oder gar eines Fernsehsenders notwendig war, ist es heute für kleine Gruppen, Unternehmen oder gar Einzelne leicht möglich, "auf Sendung" zu gehen und dabei ein millionenfaches (zumindest potenzielles) Publikum zu haben; (Video-)Blogs, Kanäle auf YouTube oder Facebook und viele andere Formate mehr sind Beispiele für die sich als Folge dessen herausbildende Ausweitung und Diversifizierung der Medienlandschaft.

Tab. 1: Auflagenentwicklung überregionaler Tageszeitungen 1998 – 2016

FAZ

(v. A.)

FAZ (Abo.)

SZ
(v. A.)

SZ
(Abo.)

taz
(v. A.)

taz
(Abo.)

Welt (v. A.)

Welt (Abo.)

1998

404.036

276.559

425.343

292.819

61.641

48.364

2005

375.772

253.078

444.440

312.051

59.468

46.639

234.905

118.746

2016

255.198

181.968

358.365

249.662

51.006

40.106

182.131

77.889

Veränderungen (in %)

1998 – 2005

-7,0

-8,5

4,5

6,6

-3,5

-3,6

2005 – 2016

-32,1

-28,1

-19,4

-20,0

-14,2

-14,0

-22,5

-34,4

v. A.: verkaufte Auflage; Abo.: Abonnements

Quelle: ivw-Datenbank, eigene Berechnungen

Parallel dazu haben die klassischen Massenmedien zum Teil erhebliche Auflagen- und Reichweitenverluste erlitten. Der TV-Konsum stagniert (nach längerer Zunahme) seit einigen Jahren bzw. geht leicht zurück; vor allem aber die Printmedien haben Einbußen verkraften müssen. Sie spiegeln sich in der Verringerung der täglichen Nutzung von Tageszeitungen (1980 noch 38 Minuten; 2015 nur noch 23 Minuten, Engel/Breunig 2015) und vor allem im Rückgang der Auflagen überregionaler Tageszeitungen von zwischen einem Drittel und einem Viertel in den letzten knapp 20 Jahren (vgl. Tab. 1). Die damit verbundenen Einnahmenverluste (sowohl direkt wie im Anzeigengeschäft) machen daraus eine finanzielle Krise, die in vielen Redaktionen erhebliche Einsparungen notwendig gemacht hat, was sich wiederum auf Qualität und Vielfalt (und damit letztlich auch Attraktivität) der gedruckten Berichterstattung auswirkt.

Das sich beständig weiter ausdifferenzierende mediale Angebot führt bei vielen Nutzerinnen und Nutzern zu Orientierungsschwierigkeiten. Wo früher Tageszeitungen und wenige (zudem öffentlich-rechtlich organisierte) Fernsehkanäle die massenmediale Landschaft bestimmten und damit Schwergewichte in der kulturellen wie politischen Kommunikation darstellten, ist heute kaum autoritative Orientierung im Angesicht eines unüberschaubaren Angebotes vorhanden. Die gewachsene Vielfalt des Informationsangebotes ist also nicht nur more of the same; sie verändert auch die Natur des Angebotes. Dabei ist Orientierung unter diesen neuen Gegebenheiten notwendiger als zuvor, geht mit der Verbreiterung des Angebotes doch häufig auch ein Trend zu eher schriller, oft polarisierender Darstellung einher, der mit dem Imperativ der Gewinnung von Aufmerksamkeit zu tun hat. Wo es mehr Inhalt gibt, muss eine Meldung auffallen, sonst geht sie unter.

Polarisierung im politischen Diskurs

Die gegenwärtig oft diagnostizierte gewachsene politische Polarisierung in vielen westlichen Gesellschaften hat vielfältige Ursachen und einen längeren Vorlauf. Sie allein auf eine veränderte Medien- und Kommunikationslandschaft zurückzuführen, wäre falsch und hieße, die Komplexität des Themas unzulässig zu reduzieren. Dennoch spielen Veränderungen von Kommunikation in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, über die zu reflektieren sich lohnt. Schon relativ früh wurden den schwärmerischen Prognosen über die positiven Potenziale elektronisch verdichteter Kommunikation auch skeptische Stimmen entgegengesetzt. Vor über 20 Jahren warnte der Medientheoretiker Nicholas Negroponte vor der Perspektivverengung, die eine nur auf die individuellen Interessen zugeschnittene elektronisch erstellte Zeitung mit sich brächte; er nannte sie "The Daily Me" (Negroponte 1995: 152 f.).

Cass Sunstein (2009) und Eli Pariser (2011) haben diesen Ansatz weiter ausgebaut und vor der wachsenden Isolation einzelner Segmente der Gesellschaft in jeweiligen filter bubbles, die voneinander wenig bis nichts wissen und die Welt unterschiedlich wahrnehmen, gewarnt. Dadurch werde nicht nur das Potenzial des Internets zur Verbreitung von Wissen und zur Dezentralisierung von Kontrolle nicht genutzt, vielmehr bestehe die Gefahr, dass Macht und Entscheidungen stattdessen weiter konzentriert würden (Pariser 2011: 218). Der Verfassungsjurist und Verhaltensökonom Sunstein (2009: 5 f., 222 f.) sah durch diese Entwicklung letztlich sogar die Staatsform Republik bedroht, denn sie bedürfe für ihr Funktionieren der gemeinsamen Erfahrung ihrer Bürgerinnen und Bürger und ihres gegenseitigen Austausches. Das Internet biete viel Potenzial in diesem Sinne, doch bestehe die große Gefahr, dass diese sich in virtuelle "Echokammern" begäben, in denen sie nur das sähen und läsen, was sie interessiere, und sie vor dem bewahrt würden, was sie nicht sehen wollten. Paradoxerweise würden also durch die Ausübung der Wahlfreiheit letztlich genau die Grundlagen dieser Freiheit gefährdet.

Für die beschriebene Erwartung zunehmender kommunikativer Isolierung von Teilgruppen der Gesellschaft kann man mittlerweile konkrete Beispiele anführen. Eine Vielzahl von Websites und Newsfeeds hat sich darauf spezialisiert, Informationen und Meinungen nur aus ganz bestimmten Perspektiven zu sammeln und wiederzugeben. Durch eine solche Bündelung wird ein bestimmtes Publikum angezogen, das sich das eigene Zusammensuchen solcher Informationen spart und dem die Begegnung mit anderen Standpunkten erspart wird. Wie unterschiedlich die resultierenden Weltsichten sein können, zeigt das Wall Street Journal auf einer Website mit dem Titel Blue Feed, Red Feed (Keegan 2016). Sie zeigt Informationen zu kontroversen Themen der amerikanischen Politik (etwa Abtreibung, Waffenrechte, Einwanderung), indem sie auf progressive ("blue") bzw. konservative ("red") Sichtweisen spezialisierte Websites einander gegenüberstellt und so den Kontrast der Perspektiven betont.

Das Ausmaß der politischen Polarisierung in den USA (und die daraus folgenden Dysfunktionalitäten wie Blockaden der Gesetzgebung) führte dazu, dass die American Political Science Association 2013 eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema einsetzte. Ihre empirischen Ergebnisse bestätigen eine beständig ansteigende Polarisierung, machen jedoch auch klar, dass es sich dabei um einen bereits seit mehreren Jahrzehnten anhaltenden Prozess mit komplexen Ursachen handelt (Barber/McCarty 2016). Die oben diskutierte Verdichtung der Kommunikation hat diesen Prozess also nicht ausgelöst; sie hat ihn aber auch nicht abgemildert (etwa im Sinne der Erwartung, dass mehr Kommunikation zu besserem Verständnis anderer Positionen führe). Untersuchungen deuten vielmehr darauf hin, dass eine bessere Versorgung mit Internetzugängen und ein leichterer Zugang zu mehr Information mit einer Verschärfung der politischen Polarisierung einhergehen (Lelkes u. a. 2017).

Einflussnahme auf die politische Willensbildung

Aus der Perspektive der politischen Willensbildung sind zwei weitere Problembereiche zu benennen. Zum einen geht es um die Fähigkeit der Konsumentinnen und Konsumenten, die erhaltenen Informationen bezüglich ihrer Qualität, ihrer Herkunft und der mit ihnen eventuell verbundenen Interessen einzuordnen und zu bewerten. So ist es z. B. gerade bei elektronischen Medien wichtig, Werbung und redaktionelle Inhalte auseinanderhalten zu können, da erstere dort oft als native advertising dargestellt wird (d. h. vom Aussehen her dem redaktionellen Inhalt angeglichen ist). Zu einer Schlüsselkompetenz wird es, echte Nachrichten von Fake News unterscheiden zu können – denn im Internet ist der Informationskonsument ja aufgrund der oben erwähnten "Disintermediation" ohne einen kundigen (redaktionellen) Lotsen unterwegs. Eine umfangreiche Studie der Stanford History Education Group (2016) zeigt jedoch, dass gerade Jüngere große Schwierigkeiten haben, diese Unterscheidungen korrekt vorzunehmen oder die Informationsqualität von Behauptungen in Social Media einzuordnen.

Diese Schwierigkeiten können natürlich von interessierter Seite bewusst für Propagandazwecke genutzt werden. Eine ausführliche Studie unter der Leitung des Harvard-Politologen Gary King hat beispielsweise die Nutzung von Social Media durch die chinesische Regierung untersucht (King u. a. 2017). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass schätzungsweise bis zu zwei Millionen von der Regierung beschäftigte Autoren für ca. 448 Millionen Kommentare pro Jahr verantwortlich sind, mit denen jedoch nicht Kritik an der Regierung unterbunden werden soll, sondern vor allem die Aufmerksamkeit auf andere Themen gelenkt wird. Politische Ziele sind die Verhinderung von collective action und die Nutzung von Social Media als Problemindikator.

Die Öffentlichkeit in liberalen Demokratien sucht man dagegen aktiv zu beeinflussen. Automatisierte Programme (sogenannte Social Bots) posieren als menschliche Kommentatoren und greifen mit Erwiderungen und Kommentaren, die den Präferenzen ihrer Auftraggeber entsprechen, in Diskussionen im Internet ein. Durch intensives Posten kann so übertriebene Unterstützung für bestimmte Positionen simuliert werden und durch Manipulation können ausgewählte (trending) Hashtags erhöhte Aufmerksamkeit erlangen. Die wissenschaftliche Erforschung des Phänomens ist schwierig und hat erst begonnen; Analysen des Oxford Internet Institute zum Einsatz von Social bots bei der Brexit-Kampagne, der US-Präsidentenwahl 2016 und der französischen Präsidentschaftswahl 2017 deuten jedoch auf einen wachsenden Einsatz solcher Instrumente hin (siehe zum Forschungsprojekt http://politicalbots.org/). Da Bots billig zu programmieren und kostengünstig einzusetzen sind, ist ihr vermehrter Einsatz zumindest so lange zu erwarten, wie der Verkehr in den Social Media für ein Abbild der Präferenzen der Wählerschaft gehalten wird und deshalb entsprechende politische Reaktionen auslöst.

Ist Abhilfe möglich?

In diesem Beitrag wurde argumentiert, dass die stark gestiegene elektronische Kommunikationsdichte (neben vielen positiven Wirkungen) auch zu Orientierungsschwierigkeiten und Informationsentwertung, die den politischen Dialog erschweren und Polarisierung befördern, beigetragen hat. Die für ein demokratisches Gemeinwesen erforderliche politische Willensbildung wird so beeinträchtigt, die Gefahr einer gesellschaftlichen "Versäulung" befördert. Es stellt sich daher die Frage, ob regulative Eingriffe erforderlich sind – und ob sie etwas bewirken können.

Rufe nach staatlicher Regulierung sind von verschiedenen politischen Kräften erhoben worden, z. B von Bündnis 90/Die Grünen (Notz 2017) Allerdings sind solche Forderungen aus grundsätzlichen wie aus pragmatischen Gründen mit Fragezeichen zu versehen: Es ist zum einen sehr zweifelhaft, ob in liberalen Demokratien, in denen es keine Zensur, wohl aber Meinungsfreiheit gibt, staatliche Aufsicht in diesem Bereich ausgeübt werden sollte. Und selbst wenn man dies bejahte, kämen große Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung hinzu: Wer soll über Regelverstöße entscheiden und nach welchen Kriterien? Gerade bei Social Media kommt es darauf an, rasch zu reagieren, was einem verwaltungsbasierten Verfahren nur schwerlich möglich wäre. Das bedeutet nicht völlige legislative Enthaltsamkeit – eine Transparenzpflicht für Wahlkämpfe, die z. B. dark posts (Anzeigen etwa auf Facebook, die nur für den individuell angesprochenen Nutzer, nicht aber für die Allgemeinheit sichtbar sind) untersagt, könnte mit Bezug auf Grundsätze liberaler Demokratie durchaus eingeführt werden.

Eine zweite Möglichkeit ist eine Selbstregulierung der IuK-Industrie durch Formen der Selbstverpflichtungen, wie sie etwa Facebook-Chef Mark Zuckerberg im Februar 2017 beschrieben hat. Man sei sich der Verantwortung der Firma sowie der Probleme von Polarisierung und Fake News bewusst; andererseits sei auch die Meinungsfreiheit ein sehr hohes Gut. Mit Anmerkungen hinsichtlich der Umstrittenheit von Behauptungen und Maßnahmen gegen die Verbreitung von Sensationalismus in den Newsfeeds wolle man deshalb in Zukunft mäßigend einzuwirken versuchen. Zwar sind solche Vorsätze sicher zu begrüßen, doch ist das Thema wohl zu wichtig, um es allein der Industrie zu überlassen.

Als besserer Ansatz erscheint deshalb ein Fokus auf die Erziehung der Informationskonsumentinnen und -konsumenten mit dem Ziel, bei ihnen ein Bewusstsein für die Probleme in diesem Bereich zu schaffen, ihre Kompetenz zur Einordnung von Nachrichten und Behauptungen zu erhöhen, sie gegen falsche und hetzerische Aussagen möglichst zu immunisieren und ihre Reflexionsfähigkeit im Bereich der Quellenkritik zu erhöhen. Solche Maßnahmen können unterstützt werden durch kompetente, verlässliche und rasch reagierende Faktenchecker – wie das etwa die unabhängig finanzierte Website PolitiFact (www.politifact.com) in den Vereinigten Staaten tut. Angesichts der zentralen Rolle, die Informationen heute und in Zukunft im sozialen wie politischen Leben spielen werden, ist das eine der wichtigsten Aufgaben, denen sich die politische Bildung im Bereich Medienkompetenz über alle Träger hinweg gegenübersieht.

Literatur

Almond, Gabriel A./Powell, G. Bingham/Mundt, Robert J. (1993): Comparative politics. A theoretical framework, New York, NY.

Barber, Michael/McCarty, Nolan (2016): Causes and Consequences of Polarization, in: Cathie J. Martin/J. Mansbridge (Hrsg.): Political negotiation. A Handbook, Washington, D.C, S. 37 – 90.

Busch, Andreas (2012): Politische Regulierung von Information – eine Einführung, in: ders./Jeanette Hofmann (Hrsg.): Politik und die Regulierung von Information, Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 46, Baden-Baden, S. 24 – 47.

Dahl, Robert A. (1989): Democracy and its critics, New Haven.

Engel, Berhard/Breunig, Christian (2015): Massenkommunikation 2015 – Mediennutzung im Intermediavergleich, in: Media Perspektiven, Heft 7 – 8, S. 310 – 322.

Gleick, James (2011): The information. A history, a theory, a flood, London.

International Telecommunication Union (2017): ICT Statistics, Externer Link: http://www.itu.int/ict (Stand: 15.02.2017).

Keegan, John (2016): Blue Feed, Red Feed. See Liberal Facebook and Conservative Facebook, Side by Side, in: The Wall Street Journal vom 18. Mai, Externer Link: http://graphics.wsj.com/blue-feed-red-feed/ (Stand: 15.02.2017).

King, Gary/Pan, Jennifer/Roberts, Magret E. (2017): How the Chinese Government Fabricates Social Media Posts für Strategic Distraction, not Engaged Argument, Externer Link: http://gking.harvard.edu/files/gking/files/50c.pdf. (Der Aufsatz wird im Jg. 2017 der American Political Science Review erscheinen.)

Lelkes, Yphtach/Sood, Gaurav/Iyengar, Shanto (2017): The Hostile Audience. The Effect of Access to Broadband Internet on Partisan Affect, in: American Journal of Political Science, Heft 1, S. 5 – 20.

Meckel, Miriam (2008): Aus Vielen wird das Eins gefunden – wie Web 2.0 unsere Kommunikation verändert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 39, S. 17 – 23, Interner Link: http://www.bpb.de/apuz/30964/aus-vielen-wird-das-eins-gefunden-wie-web-2-0-unsere-kommunikation-veraendert?p=all (Stand: 15.02.2017).

Negroponte, Nicholas (1995): Being digital, New York, NY.

Notz, Konstantin (2017): Diskussion um grüne Vorschläge zur Regulierung von "Social Bots", in: GRÜNDIGITAL. Das Grüne Blog zur Netzpolitik, Externer Link: https://gruen-digital.de/2017/01/zur-diskussion-um-gruene-vorschlaege-zur-regulierung-von-social-bots/ (Stand: 15.2.2017).

Pariser, Eli (2011): The filter bubble. What the Internet is hiding from you, London.

Stanford History Education Group (2016): Evaluating Information: The Cornerstone for Civic online Reasoning. Executive Summary, Externer Link: https://sheg.stanford.edu/upload/V3LessonPlans/Executive%20Summary%2011.21.16.pdf (Stand: 15.2.2017).

Sunstein, Cass R. (2009): Republic.com 2.0, Princeton, N. J.

Zuckerberg, Mark (2017): Building Global Community, Externer Link: https://www.facebook.com/notes/mark-zuckerberg/building-global-community/10154544292806634 (Stand: 16.2.2017).

Busch, Andreas, Dr., Professor für Vergleichende Politikwissenschaft und Politische Ökonomie an der Universität Göttingen; zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählt Netzpolitik, Mitherausgeber des PVS-Sonderheftes "Politik und die Regulierung von Information" (2012, mit J. Hofmann).