Teil I: Digitale Gesellschaft und politisches Handeln
Otfried Jarren/Ulrike Klinger
Öffentlichkeit und Medien im digitalen Zeitalter: zwischen Differenzierung und Neu-Institutionalisierung
Eine Grundlage für die Vermittlung von Medienkompetenz ist, zu verstehen, wie Öffentlichkeit strukturiert ist und welche Normen und Regeln in welcher öffentlichen Sphäre gelten. Die Digitalisierung von Kommunikationsmedien hat zu einer Transformation von Öffentlichkeit geführt, die mit Konvergenz oder Disruption nur unzureichend beschrieben ist. Aus einem stark hierarchisch, massenmedial und journalistisch geprägten nationalen Vermittlungssystem entwickelt sich ein stärker heterarchisches, von vielen organisiertes wie nutzbares globales Kommunikationssystem. Der Beitrag skizziert diese Ausdifferenzierung etablierter Massenmedien sowie die Neuinstitutionalisierung von Social Media und anderen Plattformen.
Marianne Kneuer
Politische Kommunikation und digitale Medien in der Demokratie
Medien sind ein wichtiger Bestandteil der kommunikativen Gestaltung des öffentlichen Raumes, insbesondere für die Verständigungs- und Aushandlungsprozesse zwischen den politischen Eliten, gesellschaftlichen Akteuren und der Bevölkerung. Soziale Medien haben die politischen Kommunikationsstrukturen massiv verändert. Diese Veränderung wirkt sich einerseits in einer quantitativen Vervielfachung der Kanäle politischer Kommunikation aus, andererseits schlägt sie sich qualitativ nieder in der Art der Kommunikation sowie in den Interaktionsmöglichkeiten zwischen politischen Akteurinnen und Akteuren, gesellschaftlichen Gruppen und Bürgerinnen und Bürgern. Dieser Beitrag widmet sich vor allem zwei Fragen: Wie verändern sich politische Prozesse aufgrund der Nutzung digitaler Medien durch politische Akteurinnen und Akteure? Und wie sind diese Veränderungen im Hinblick auf die demokratischen Prozesse zu beurteilen?
Andreas Busch
Informationsinflation: Herausforderungen an die politische Willensbildung in der digitalen Gesellschaft
Die durch das Internet ausgelöste, stark gestiegene elektronische Kommunikationsdichte hat (neben vielen positiven Wirkungen) auch problematische Folgen, da sie zu Orientierungsschwierigkeiten und Informationsentwertung beigetragen hat. Der politische Dialog wird erschwert, die gesellschaftliche Polarisierung befördert und so die demokratische Willensbildung gefährdet. Der Beitrag diskutiert diese Entwicklungen ebenso wie die Frage, ob staatliche Regulierung oder industrielle Selbstregulierung hier Abhilfe schaffen können.
Norbert Kersting
Online-Partizipation und Medienkompetenz: Kann man Netiquette lernen?
Das Internet wurde in den 1990er Jahren für seine publizistische Vielfalt und Gegenöffentlichkeiten gefeiert. Bereits zu Beginn des neuen Millenniums wurde die Euphorie gebremst, Kritik an der Diskursqualität laut und versucht, hier Gegenmaßnahmen einzuleiten. Zu dem Zeitpunkt erwartete man schnelle gesellschaftliche Lernprozesse bei den digitalen Kompetenzen und mehr Netiquette. Hassreden und Echokammern scheinen sich dennoch verstärkt zu haben. Die vergleichende Analyse von Onlineforen 2002 und 2013 zeigt, dass sich die deliberative Qualität nur in einigen Bereichen verbessert hat und die bisherigen Verbesserungsstrategien nicht greifen.
Peter Schaar
Überwachung, Algorithmen und Selbstbestimmung
Die mit der Digitalisierung einhergehende Datenfülle erleichtert die Überwachung und die Bildung von Verhaltens- und Persönlichkeitsprofilen. Auf Big-Data-Modellen basierende Algorithmen klassifizieren Daten nach statistischen Zusammenhängen (Korrelationen) und leiten daraus Aussagen über das künftige individuelle Verhalten ab. Damit verbunden sind erhebliche Diskriminierungsrisiken. Gesetze allein können die Gefahren für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht wirksam verhindern. Sie müssen durch technologische Gestaltungsansätze, wie die Anonymisierung und Pseudonymisierung, flankiert werden.
Arne Hintz
Zwischen Transparenz, Informationskontrolle und politischer Kampagne: WikiLeaks und die Rolle des Leaks-Journalismus
Ausgehend vom Beispiel WikiLeaks und anderer Enthüllungen durch Whistleblower – von Snowden zu den Panama Papers – werden in diesem Beitrag die Praktiken und gesellschaftlichen Auswirkungen öffentlicher Leaks untersucht und unterschiedliche Arten des Leaks-Aktivismus und -Journalismus vorgestellt. Zudem wird anhand aktueller Kritik an WikiLeaks-Veröffentlichungen deren Aufklärungsfunktion hinterfragt und in ein Spannungsfeld zwischen Transparenz, Informationskontrolle und politischer Kampagne eingeordnet.
Andreas Jungherr
Einsatz digitaler Technologie im Wahlkampf
Anhand einiger gut dokumentierter Beispiele aus verschiedenen Wahlkämpfen werden zentrale Muster in der Nutzung digitaler Technologie in Wahlkämpfen aufgezeigt und prinzipielle Funktionsweisen diskutiert. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der Rolle digitaler Technologie in der Verbreitung und Nutzung politischer Informationen, der Wirkungsmessung politischer Kommunikation in Kampagnen und der Außendarstellung von Kandidatinnen und Kandidaten und Parteien. Zudem wird dargestellt, wie und in welcher Form diese Funktionsweisen bisher in Deutschland sichtbar wurden.
Teil II: Herausforderungen für die Medienbildung
Harald Gapski
Politisch orientierte Medienkompetenzförderung inmitten der digitalen Transformation
Die historische Vorstellung von der kybernetischen Steuerbarkeit sozialer und politischer Prozesse scheint sich heute in Teilaspekten digitaltechnologisch zu realisieren. Anhand von Treibern in der digitalen Gesellschaft werden Wechselwirkungen zwischen medientechnischer und sozialkultureller Ebene skizziert und auf die gegenwärtige Förderung von Medienkompetenz projiziert. Der vorliegende Beitrag leitet über zu den Beiträgen aus Teil II, die sich mit Fragen der politisch orientierten Medienbildung in unterschiedlichen Kontexten auseinandersetzen.
Angela Tillmann
Informationsverhalten von Kindern und Jugendlichen in digital-vernetzten Welten
Mit der Digitalisierung hat sich das Informationsverhalten von Kindern und Jugendlichen maßgeblich gewandelt. Der Beitrag beschreibt, welchen Zugang Kinder und Jugendliche zu digitalen Informationen haben, welche Informationskanäle sie nutzen und welche Art Informationen sie bevorzugen. Am Ende des Beitrages werden Anforderungen an die politische (Medien-)Bildung abgeleitet.
Bardo Herzig/Alexander Martin
Erfassung und Messbarkeit von Medienkompetenz als wichtige Voraussetzung für politische Bildung
Politische Bildung zielt auf die Befähigung zur mündigen Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Prozessen. In einer zunehmend von digitalen Medien geprägten Welt müssen gerade Kinder und Jugendliche entsprechende Kompetenzen im Umgang mit Medien erwerben. Der Beitrag befasst sich mit der Frage, welche Schnittmengen zwischen politischer Bildung und Medienbildung bestehen, wie sich Medienkompetenz vor diesem Hintergrund strukturieren und einer Messung zugänglich machen lässt und welche Ansätze dazu bereits vorhanden sind.
Sandra Aßmann
Medienbildungspolitische Positionen, Forderungen und Strategien
2016 war nicht nur auf der Ebene des internationalen politischen Parketts ein aufwühlendes, zuweilen irritierendes und denkwürdiges Jahr, sondern auch auf nationaler bildungspolitischer Ebene. Vor allem mit dem KMK-Papier zur "Bildung in der digitalen Welt", dessen partizipativ angelegtem Entstehungsprozess sowie den diversen Stellungnahmen im Anschluss ist eine Diskussion (wieder)belebt worden, die aller Voraussicht nach zentrale Konsequenzen für die Medienbildung in Theorie und Praxis haben wird. Die Diskussionsprozesse sind allerdings weiterhin im Fluss, so dass der vorliegende Beitrag nicht mehr als der Versuch einer systematisierenden Standortbestimmung sein kann und als solcher verstanden werden möchte.
Birgit Eickelmann
Schulische Medienkompetenzförderung
Dieser Beitrag behandelt die durch die Digitalisierung und Mediatisierung der Gesellschaft entstandenen neuen Herausforderungen für Schulen und Schulsysteme. Anhand von theoretischen Überlegungen sowie auf der Grundlage von aktuellen Forschungsergebnissen wird zunächst der Stand der Medienkompetenzförderung aufgezeigt. Daran anknüpfend werden entlang ausgewählter Aspekte Herausforderungen für die Schulentwicklung erarbeitet. Abschließend werden die besondere Rolle der Lehrerqualifizierung sowie zukünftige Perspektiven diskutiert.
Niels Brüggen/Guido Bröckling
Außerschulische Medienkompetenzförderung
Außerschulische Medienkompetenzförderung wird von einer Vielzahl von Akteuren über die gesamte Bildungskette realisiert. Durchgehend sind dabei bestimmte Prinzipien, die sich insbesondere aus dem grundgelegten Verständnis von Medienkompetenz ableiten. Übergreifendes Ziel ist die Handlungsfähigkeit der Subjekte in einer mediatisierten Gesellschaft, in der soziale, politische und medienspezifische Themen miteinander verbunden sind. Dies weist bereits auf eine enge Verbindung mit Zielsetzungen der politischen Bildung hin.
Anja Hartung-Griemberg
Medienkompetenzförderung in der Erwachsenenbildung
Das Erwachsenenalter ist durch eine ausgesprochen große Vielfalt und Vielschichtigkeit von Lebenslagen und -perspektiven geprägt, die sich kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Auf der Grundlage einer Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen bündelt der Beitrag exemplarisch Problemkonstellationen, die bei einer Konzeption von Initiativen zur Förderung von Medienkompetenz zu berücksichtigen sind.
Kai-Uwe Hugger
Professionalisierung der Medienkompetenzförderung in der politischen Bildung
Von den Berufspraktikerinnen und -praktikern in der politischen Bildung wird in den letzten Jahren zunehmend verlangt, dass sie auch in der Lage sind, medienpädagogisch zu handeln, um demokratische Bürgerkompetenz zu vermitteln. Der Beitrag stellt aus medienpädagogischer Perspektive dar, welche professionellen Anforderungen an medienpädagogisch Handelnde gestellt werden und welche Konsequenzen sich daraus für die politische Bildungspraxis ziehen lassen.
Teil III: Herausforderungen für die politische Bildung
Monika Oberle
Medienkompetenz als Herausforderung für die politische Bildung
Medienkompetenz ist ein klassisches Ziel politischer Bildung in der Mediendemokratie. Im digitalen Zeitalter haben sich die Anforderungen hieran gewandelt. Unverändert gilt jedoch, dass für die politische Bildung neben der Vermittlung von instrumentellen Fähigkeiten der (rezeptiven wie aktiven) politikbezogenen Nutzung von Medien vor allem eine kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit deren Funktionslogik und -bedingungen im Fokus steht. In der aktuellen Phase des Medienwandels ist darüber hinaus mehr denn je auch die Förderung politischer Urteils- und Handlungsfähigkeit hinsichtlich der Medienregulierung Ziel politikdidaktischer Medienbildung. Aufbauend auf Teil I und II des Bandes führt der Beitrag in dessen dritten und letzten Teil "Herausforderungen für die politische Bildung" ein.
Dagmar Hoffmann
Politische Sozialisation unter Mediatisierungsbedingungen
Der Beitrag fokussiert auf den Wandel politischer Sozialisation von Heranwachsenden in Zeiten von Mediatisierung und Digitalisierung. Insbesondere wird geprüft, inwieweit das Internet und seine Infrastrukturen als Vehikel zur politischen Aktivierung und Revitalisierung des Politischen fungieren können. Immer wieder werden die Partizipationspotenziale des Netzes hervorgehoben, doch es gilt auch, die Handlungsblockaden der Akteurinnen und Akteure zu benennen, die nicht nur im Zusammenhang mit den Medientechnologien, sondern auch mit gesellschaftlichen Entwicklungen und dem grenzverletzenden Kommunikationsverhalten bestimmter Nutzergruppen zu diskutieren sind.
Sabine Manzel
Medienkompetenz als eine Schlüsselkompetenz für politische Urteils- und Handlungsfähigkeit
Dieser Beitrag thematisiert die Notwendigkeit einer fachbezogenen Modellierung von Medienkompetenz und deren empirische Überprüfung im Politikunterricht. Die enge Verzahnung von Medien, Politik, Wissen und Partizipation verlangt eine konzeptionelle Auseinandersetzung der Politikdidaktik mit der Frage nach Überschneidungen zwischen Medien- und Politikkompetenz. Das Politikkompetenzmodell kann hier einen Anknüpfungspunkt bieten. Empirische Studien z. B. zum Lernzuwachs durch einen kompetenzorientierten Einsatz von traditionellen und neuen Medien im Politikunterricht, zur Wirkung von Medien auf Einstellungen und Partizipation und zur Veränderung von Politikinteresse bei Jugendlichen durch die Nutzung medialer Online-Formate sind noch rar.
Dennis Hauk
Der Einsatz digitaler Medien im Politikunterricht:empirischer Forschungsstand und politikdidaktische Handlungsfelder
Empirische Forschung leistet einen wertvollen Beitrag zur fachgerechten Implementierung digitaler Medien in den Politikunterricht. In diesem Beitrag werden die zentralen Ergebnisse der empirischen Unterrichtsforschung vorgestellt und daraus Konsequenzen für die Praxis der politischen Bildung und die politikdidaktische Forschung gezogen.
Felicitas Macgilchrist
Digitale Schulbücher: Chancen und Herausforderungen für den politischen Fachunterricht
Der Beitrag kartiert die Chancen und Herausforderungen von kostenpflichtigen, kostenlosen und offenen (OER) digitalen Schulbüchern für den politischen Fachunterricht. Die unterschiedlichen Potenziale der digitalen Schulbücher werden anhand von drei Kategorien besprochen: PDF-Digitalisate, die leichter zugänglich und leichter vom Gewicht sind als gedruckte Schulbücher, multimedial-interaktive born-digital Schulbücher, die neue Individualisierungs- und Differenzierungsmöglichkeiten bieten, sowie konstruktiv-interaktive Schulbücher, in denen Schülerinnen und Schüler selbst Wissensangebote konstruieren und Inhalte editieren können.
Marc Motyka
Politik-Lernen mit digitalen Spielen
Zahlreiche Computerspiele lassen sich auf die Themen des Politikunterrichts beziehen oder behandeln diese unmittelbar. Diese Materialvielfalt wirft die Frage auf, inwiefern digitale Spiele das Politik-Lernen nachhaltig unterstützen können. Anhand von konkreten Beispielen zeigt der Beitrag die Chancen und Grenzen digitaler Lernspiele für den kompetenzorientierten Politikunterricht auf. Ausgewählte empirische Studien werden dabei ebenso behandelt wie grundsätzliche Fragen zur Planung von Unterricht mit digitalen Spielen.
Monika Oberle/Simon Raiser/Björn Warkalla/Konstantin Kaiser/Johanna Leunig
Online-Planspiele in der politischen Bildung – Ergebnisse einer Pilotstudie
Planspiele haben sich als Methode der politischen Bildung etabliert. Ihr didaktisches Potenzial ist in der Literatur umfangreich besprochen. Relativ neu sind Versuche, die Möglichkeiten von Planspielen in einer Online-Umgebung zu erschließen. Der Beitrag diskutiert die mit Online-Planspielen in der politischen Bildung verbundenen Chancen und Herausforderungen und präsentiert Ergebnisse einer empirischen Pilotstudie, die den Einsatz von Online-Planspielen zu einem politischen Entscheidungsprozess des Europaparlamentes an Schulen begleitend beforscht hat. Abschließend erfolgen Vorschläge für die Weiterentwicklung von digitalen Planspielen sowie für deren weitere empirische Erforschung.