Inhaltsbeschreibung
In der Nachkriegszeit und bis in die 1990er-Jahre wurden in Westdeutschland Millionen Kinder im Alter zwischen zwei und zehn Jahren ohne ihre Eltern in lange Heimaufenthalte verschickt. Anlass für diese vielfach ohne Aufklärung verordnete Maßnahme boten medizinische Tatbestände, aber auch angebliche Milieuschädigung oder Überforderung der Eltern. Einige dieser zumeist peripher gelegenen vermeintlichen Erholungsheime standen von ihrer Doktrin her und oft auch personell in der NS-Tradition, und den Aufenthalt dort erlebten viele der jungen Menschen als tief verstörend: Mit Zwang, Drohungen, Demütigungen, auch offener, teils roher Gewalt sahen sich vor allem solche Kinder konfrontiert, die sich wegen Heimwehs oder aus Angst dem Heimdrill nicht fügen konnten und sich in unbewusstem Selbstschutz körperlich oder seelisch verweigerten.
Anja Röhl, Sonderpädagogin und selbst Betroffene, hat zahlreiche Leidensgeschichten seinerzeit verschickter Kinder gesammelt, die noch als Erwachsene schwer an den erlittenen Traumata tragen. Ihre zutiefst bedrückenden Erfahrungen werfen die Frage nach Strukturen, Verantwortlichkeiten, Akteuren und Interessen auf, die hinter dem System der Verschickungen standen. Das Buch sucht Antworten darauf. Vor allem aber möchte es auf das millionenfache, immer noch weithin unbekannte Leid der verschickten Kinder aufmerksam machen und ihm Anerkennung verschaffen.