Inhaltsbeschreibung
Opfer ist ein mehrdeutiger Begriff: Menschen können Opfer bringen oder zu einem werden und so zu Recht Respekt und Zuwendung erfahren. In den von Umbrüchen geprägten Gesellschaften der Gegenwart jedoch fühle sich, stellt Matthias Lohre fest, eine wachsende Zahl von Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen und Anlässen als Opfer. Ein Spektrum gesellschaftlicher Kräfte, darunter viele faktisch Mächtige, schwinge sich zum Sprachrohr dieser Menschen auf: Sie übernehmen, so Lohre, stellvertretend die Opferrolle, befeuern Empörung, setzen auf Emotionen statt Fakten und nutzen suggerierte oder imaginierte Wehrlosigkeit von Menschen für eigene Ziele und Interessen.
In diesem mit Vehemenz betriebenen Ringen um Erlaubtes oder Unzumutbares, Rechte und Anerkennung, Tabus und Ansprüche werde der (stellvertretende) Opferstatus zur sakrosankten Demarkationslinie zwischen Gut und Böse erklärt. An vielen Beispielen zeigt Lohre die Mechanismen der Opferrolle. Er beleuchtet die Ursachen schwindender Mündigkeit und Eigenverantwortung zugunsten eines interessengeleiteten Paternalismus und fragt nach den Intentionen derjenigen, die als Partei, an der Spitze von Staaten oder als Organisation die Resilienz und Selbstwirksamkeit von Menschen durch die Zuschreibung des Opferstatus untergraben.