Inhaltsbeschreibung
Bis in die 1990er-Jahre hinein galt der Berliner Kutscher Bruno Lüdke als brutalster Serienmörder Deutschlands - eine "Bestie in Menschengestalt". Nachdem der zwangssterilisierte Mann 1943 des Mordes an einer Frau verdächtigt und festgenommen wurde, lasteten ihm NS-Kriminalpolizisten über 50 weitere Sexualmorde an. Während der Ermittlungen entstanden Verhörprotokolle, Fotoalben, ein Handabdruck, eine kolorierte Büste - doch triftige Mordbeweise fehlten. 1944 waren es SS-Männer aus dem Reichssicherheitshauptamt, die Lüdke ermordeten.
Die vorliegende Studie legt plastisch dar, dass die Geschichten über den Kutscher perfide sozialrassistische Erfindungen waren, die erst nach Kriegsende medial verstärkt wurden: Jahrzehntelang reproduzierten bundesdeutsche Medien das von den Nazis geprägte Bild des geisteskranken Triebtäters, unter anderem Rudolf Augstein im "Spiegel" oder 1957 Robert Siodmaks Spielfilm "Nachts, wenn der Teufel kam" it Mario Adorf. Die Medienwissenschaftlerin Susanne Regener und der Historiker Axel Doßmann analysieren, mit welchen Strategien ein Opfer zum Täter gemacht wurde und welche gesellschaftlichen Funktionen mit der Konstruktion des "Bösen" und "Anormalen" verbunden sind. Das Buch präsentiert die wichtigsten historischen Quellen zum Kriminalfall: Fotografien, Zeitschriftenartikel, Akten, Filmstills und Plakate - ein Archiv, das zur quellenkritischen Reflexion einlädt, ein Lehrbuch für die historisch-politische Bildung.