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Kultureller Widerstand heute Intellektuelle im Kampf für Demokratie und Menschenrechte

/ 15 Minuten zu lesen

Die Veranstaltungsreihe 'Kultur als Waffe - Intellektuelle im Exil' eröffnete Thomas Krüger mit einer Rede über den Kampf von Intellektuellen und Künstlern für Demokratie und Menschenrechte. Der Beitrag dokumentiert kulturellen Widerstand zur Zeit des Naziregimes, während der DDR bis heute.

(Es gilt das gesprochene Wort)

"Die Dichter und Denker holt in Deutschland der Henker...", diese Erfahrung schrieb Bertolt Brecht während des amerikanischen Exils in sein Kinder-ABC – eine scheinbar lapidare Feststellung und doch so grausame Wahrheit in der Zeit der Nazi-Diktatur. Wer gegen Rassenhass, Völkermord und brutalste Gleichschaltung aufbegehrte, der wurde systematisch verfolgt, bedroht, in Konzentrationslager verschleppt oder ermordet.

Dass Brecht und Helene Weigel diese Verse in der DDR in einem Brecht-Brevier für Schüler hunderttausendfach drucken ließen, bewies - wie auch ihre Wahl, Ost-Berlin als Wohnsitz und Arbeitsplatz zu wählen- ,dass sie sich von der Diktatur des Proletariats in der DDR etwas Anderes erhofften.

Für die Intellektuellen, die Brecht meinte und zu denen die Mitglieder der deutschen Akademie der Künste und Wissenschaften im Exil gehörten, bestand während der Nazi-Diktatur die reale Gefahr, mit ihren Gedanken und Werken ausgelöscht und ohne Ausnahme vernichtet zu werden. Sie hatten deshalb alle - wenn auch mit unterschiedlichen Vorstellungen, wie das zu erreichen sei – ein gemeinsames Ziel: den bedingungslosen Kampf gegen die faschistischen Diktatur und für eine demokratische Alternative zu Hitlers "Großdeutschem Reich".

Dass neben Brecht auch beispielsweise Hanns Eisler, John Heartfield und Ludwig Renn, Arnold Zweig und die Seghers aus "westlichen" Emigrationsländern in die Ostzone und spätere DDR kamen, hatte die unterschiedlichsten Gründe. Aber für sie und viele andere Intellektuelle könnte wohl zweierlei wichtig gewesen sein:

1. Die verkündete und anfangs auch praktizierte antifaschistisch-demokratische Ausrichtung von Politik und Kultur und die öffentliche Besinnung auf das humanistische Erbe von Kunst und Wissenschaft.

2. Die Wertschätzung ihres persönlichen künstlerischen Schaffens und politischen Wirkens im Exil, und die nun möglich erscheinende Versöhnung/Verbindung von Geist und Macht, die sich über Jahre durch die Förderung und öffentliche Anerkennung ihrer – mit der neuen Ordnung verbundenen – Kunst einreden ließen.

Hatten sie denn gar nicht bedacht, wie unerschütterlich sich die Mächtigen der DDR an ihre Prämisse "Kunst ist Waffe" und an die Leninschen Normen der "Parteiliteratur" klammern würden? Ein ausgeklügeltes System wurde in den folgenden Jahren installiert, ständig "verfeinert" und perfide genutzt. Ein System der Wertschätzung für Affirmation, der Korrumpierung und Bestechung mit Privilegien und Anerkennungen, mit Förderung und Aufträgen bei entsprechender "Linientreue", aber zugleich mit Einschränkungen, Verboten, Ausforschung und Denunziation, Verleumdung und Ausbürgerung.

Die Intellektuellen sollten von ihrer eigentlichen, ersten und wichtigsten Pflicht "abgehalten" werden: Widerstand gegen die Arroganz der Macht zu leisten, den Herrschenden den kritischen Spiegel vorzuhalten und die Defizite oder Mängel der Gesellschaft schonungslos zu benennen.

Statt dessen war ständig und enervierend von der "sozialistischen Menschengemeinschaft" die Rede, die ohne größeren Streit oder gar Konflikt alle Probleme gemeinsam löst – und zu der - bei Anerkennung der "führenden Rolle der Arbeiterklasse" - auch die Intelligentia zählen sollte.

Kunst ist Konflikt, alles übrige ist Lüge – diese Einsicht und Haltung Heiner Müllers setzte sich in den Amtsstuben und Zeitungsredaktionen, in den Köpfen der Funktionäre und ihres Zentralkomitees – wie man locker formulieren könnte - " nur langsam, aber nicht sicher" durch.

Als mit dem 17. Juni 1953 auch die Intellektuellen vor die Frage "Wer mit wem und gegen wen?" gestellt wurden, versagten sie, nutzten ihre Möglichkeiten zum hörbaren Aufbegehren gegen stalinistische Zwänge nicht. Brecht schlug zwar ironisch vor, die Regierung solle sich doch "ein anderes Volk wählen". Aber die ersten von der SED-Presse beschimpften und bedrohten Intellektuellen wie Alfred Kantorowicz oder Hans Mayer verließen den Arbeiter- und Bauern-Staat. Mit der so genannten "Formalismus-Debatte", den Verdächtigungen und Beschimpfungen, den Eingriffen einer Parteiführung (die ganz offensichtlich wenig davon verstand) in die Kunstproduktion, da "konnte man noch leben". Man hatte noch nicht genug ernsthafte Differenzen, noch zu viele Hoffnungen und Illusionen, um dafür Anerkennung und Wohlleben auf´s Spiel zu setzen. Lieber und scheinbar besser schwankten viele mit der Linie der Partei, wie ein Witz der Zeit es umschreibt. In den Mauer-Bau 1961 setzten einige sogar die Hoffnung, dass man nun "störungsfreier" arbeiten und schaffen könne. Deutliche Zäsuren setzten dann der "Prager Frühling" und seine brutale Beendigung, und besonders die auf heimtückische Weise exekutierte Ausbürgerung Wolf Biermanns am 16. November 1976.

Für die größte und in ihrer Wirkungskraft bedeutendste Gruppe der DDR-Intellektuellen waren nun alle Illusionen über die "sozialistischen Perspektiven" und den Willen der Parteispitze zu einer "Öffnung" der Gesellschaft endgültig "erledigt". Einige der angesehensten und bedeutendsten Künstler verließen das Land – manche auch mit "Rückkehr-Optionen". Von denen, die im Lande geblieben waren und "vor Ort wirken" wollten, widmete sich eine immer größer werdende Zahl in Büchern und Theaterstücken, mit Bildern, Fotos und Filmen einer Ästhetik des Widerstands – wie sie Peter Weiss in seinem vor allem in der DDR rezipierten dreibändigen Werk (erschienen zwischen 1975 und 1981) so eindrucksvoll beschrieben hatte. In einer eigentümlichen und suggestiven Mischung aus essayistischen, dokumentarischen und fiktionalen Passagen schildert Weiss die Perspektive derer, "die sich ganz unten befinden und dort, Entbehrungen und Leid auf sich nehmend, ihre Überzeugung" finden. In diesem Werk wird "Ästhetik vom Werkzeug der Erkenntnis kultureller Vorgänge zum Instrument des Eingreifens", schreibt Peter Weiss in seinen "Notizbüchern".

Die meisten von den im Land gebliebenen Künstlern und Intellektuellen hatten "ihr Auskommen", die weitaus überwiegende und nicht so privilegierte Gruppe der Künstler hatte erträgliche bis gute Arbeitsbedingungen - Ateliers, Ausstellungs- und Aufführungsmöglichkeiten, Aufträge, Verträge mit Verlagen, mit AMIGA, DEFA und DFF - und lagen doch im "Dauerclinch" mit ihren Auftraggebern, den ihnen "Vor-Gesetzten" in Verlagen, Studios, Ministerien und im ZK. Man wollte seinen "besseren Vorschlag" gehört oder gelesen wissen, die "helfende Kritik" – auf der Basis einer nicht grundsätzlichen Verurteilung des Systems – wenigstens versucht haben. Viele der "Anläufe", die "Grenzen auszutesten" und die "Spielräume zu erweitern", verlangten wirklich auch Mut und Durchhalte-Vermögen. Oft machten beispielsweise "Bedenken" bei einer "Abnahme", der letzten "Prüfung" eines Films vor dessen "Freigabe" für die öffentliche Aufführung, die Arbeit von Monaten zunichte, weil die mit dem "politischen Weitblick" ein Verständnis für das Anliegen der Künstler überhaupt nicht hatten oder haben wollten.

Seinerzeit nur bei "Eingeweihten" bekannt und doch der Erwähnung wert ist die Gruppe der Bohemien, die auf ihre Art versuchten, sich in der Diktatur einzurichten. Die Intellektuellen, die sich als Bohemien der DDR fühlten und lebten und künstlerisch auf eigene Art in Erscheinung traten, nahmen weniger Notiz von den eben beschriebenen Problemen der "Arrivierten" mit herausragender Stellung und Reputation. Sie wahrten bis zur Zwangs-Ausbürgerung Biermanns 1976 eine gewisse Distanz, wollten gar nicht vordergründig oder gar engagiert "politisch" verstanden und vereinnahmt werden. Mit der Ausbürgerung Biermanns aber gab es Diskussionen und Selbstverständigung über den Zustand der politischen Kultur, den eigenen Standort und über die Reformfähigkeit des DDR-Systems. Mangels Hoffnung auf relevante Veränderungen pflegte man ein gemeinsames "Feindbild": die als unzulänglich, geistlos, kunstfeindlich und kleinbürgerlich empfundene Administration. Deren Reglementierungen wollte man sich entziehen, mit Gleichgesinnten - oft auf Spaß und Lust zielende - Aktionen veranstalten. Dazu gehörten künstlerische Feste wie die Vergabe eines "Prix de Jagot" in Leipzig. Oder Aktionen, bei denen marode Fabrikanlagen renoviert und "Kunst gemacht" wurde. Im Rückblick könnte man sagen, die DDR wurde einfach ignoriert, eine bizarre Kunstwelt in´s Biotop eingepflanzt.

Hier beginnt auch die Zeit meines persönlichen Erinnerns, meiner Zeitzeugenschaft: Ich war, wie viele meiner Freunde, aufgestört und zum kritischen Nachfragen und Protestieren bereit. Wir hatten die illegal eingeführten Bücher Solschenizyns gelesen, die prägend für meine Biografie waren. Wir bewunderten den Mut und die Standhaftigkeit Havemanns, das Ankämpfen Franz Fühmanns gegen Zensur und sein nicht ungefährliches Engagement für junge Autoren wie Uwe Kolbe. Dass die DDR ein "Leseland" war, ist vielleicht nicht nur eine Propaganda-Floskel des "Buchministers" gewesen. Wir lasen wirklich viel. Aber wer sich nicht einlullen oder verdummen lassen wollte, griff zu "Kein Ort. Nirgends" von Christa Wolf, zu Büchern von Stefan Heym oder "besorgte" sich Texte von Bahro und Havel. Wir verstanden nur zu gut die von Christoph Hein mit Hintersinn gestaltete Resignation des "Tangospielers" und seine subtile Warnung vor Kälte in den Beziehungen zum "Fremden Freund". Man las sich klüger und mutiger, fühlte sich beunruhigt und zum Überdenken seiner Positionen, zur Überprüfen des eigenen Mutes herausgefordert.

Imponieren konnte einem zum Beispiel Uwe Kolbe, der dem "linientreuen" Mitteldeutschen Verlag 1981 den Text KERN MEINES ROMANS "unterschob". Er bestand nur aus einer rhythmisch gegliederten Kette von Wörtern, deren jeweilige Anfangsbuchstaben folgende Sätze ergab:

EURE MASSE SIND ELEND
EUREN FORDERUNGEN GENÜGEN SCHLEIMERN
EURE EHEMALS BLUTIGE FAHNE BLÄHT SICH TRÄGE ZUM BAUCH
EUREM HELDENTUM WIDME ICH EINEN ORGASMUS
EUCH MÄCHTIGE GREISE ZERFETZE DIE TÄGLICHE REVOLUTION.

Der letzte Satz erfüllte sich auf andere Weise dann 1989.

In diesen frühen achtziger Jahren war wieder einmal "Tauwetter" angesagt: Die Parteiführung schien den Intellektuellen eine "lange Leine" zuzubilligen und man ließ "Nischen" zu. Sie brauchte für die sogenannte "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" – was von einigen hämisch als rot angestrichener Kapitalismus bezeichnet wurde - angeblich "die neuen Entdeckungen der Wissenschaften und der Künste". So manche, sogar sehr viele der Intellektuellen waren davon angetan. Fasziniert, -verführt und vielleicht sogar in einigen Fällen korrumpiert - vom Vertrauen des Publikums, von Zuspruch und Förderung der allmächtigen Partei, die immer Recht hat und der man nicht selten angehörte. Kleine Geister, aber auch angesehene Künstler gerierten oder fühlten sich nicht selten als "Gewissen der Nation", als kritisch Sehende und doch verständnisvoll Akzeptierende, als "moralische Instanz" der längst zu den Akten gelegten Revolution. Sie waren benebelt von Privilegien und öffentlichem Ansehen. Und wohl auch fasziniert davon, was sich mit Kunst in einer – auch intellektuellen – Mangelwirtschaft scheinbar so alles erreichen (und verdienen) ließ.

Eine wichtige andere Gruppe von Künstlern dagegen ließ es nicht dabei bewenden, die Zustände und Konflikte schön zu reden, idyllisch zu bebildern und zu verfilmen. Je nach eigenem künstlerischem Vermögen und persönlichem Mut, mit Klugheit und Können die Verbote und Reglementierungen "unterlaufend", entstanden eindrucks-volle Beispiele des Aufbegehrens und der unmissverständlichen Kritik an Fehlern des Systems: Der Maler Uwe Pfeifer beispielsweise zeigte Kälte und Vereinsamung in den so hochgelobten Neubauten des Sozialismus in Halle-Neustadt. Der Film-Regisseur Heiner Carow wollte sein privates "Coming out" gesellschaftlich verstanden wissen. Gerhard Wolf setzte gegen alle Widerstände die Reihe "Neue Texte" des Aufbau-Verlages durch und verschaffte damit den Dichtern des Prenzlauer Berges Gehör. André Herzberg und die Gruppe "Pankow" sangen im Jugendradio DT 64 vom ausweg- und ziellosen "ewigen Rumrennen". Der Maler Harald Metzkes brachte die misslungene "Inszenierung" der DDR und den notwendigen Sprung aus den Kulissen in´s Bild. Viele Beispiele wären noch zu nennen, auf zahlreiche Künstler zu verweisen.

Trotz aller parteipolitischer Phrasen von "Vertrauen und Verantwortung", trotz angeblich gewollter "Weite und Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen im Sozialismus" misstrauten die Partei und ihr grausam langer Arm, die Staatssicherheit, den Intellektuellen, diesen immer mehr selbständig Agierenden und "nicht mehr mit der Linie Konformen" . Wie wir wissen, hatten sie zunehmend mehr Gründe dafür!

Weiterhin wurde versucht zu zensieren und zu reglementieren, es wurde ausjuriert und abgehängt, aus Filmen per Anweisung herausgeschnitten, auf Eis gelegt oder schlicht und einfach nicht gedruckt oder nicht aufgeführt. Verboten, verstümmelt oder verschwiegen, wenn den Mächtigen das Maß - ihr Maß - überschritten schien. Dabei herrschte eine kaum zu berechnende oder erklärbare Willkür der Oberen in den Bezirkszentralen, aber auch bei kleinen "Befehlshabern" der SED. Selbstherrlichkeit, gepaart mit der "Schere im Kopf", Kleingeisterei und angebliches Wissen darum, "was unsere Menschen wollen und verstehen können", Dogmatiker "reinsten Wassers" an der Spitze der Künstler-Verbände und als Chef des Fernsehens, überängstliche Redakteure und Journalisten in einer parteiergebenen Presse – die an der Wahrheit und deren öffentlichem Aussprechen interessierten Intellektuellen der DDR hatten es wirklich nicht so leicht !

Nicht nur die vehementen Kritiker wie Jürgen Fuchs, auch Künstler, die sich "tarnten" mit "Sklavensprache" oder Mehrdeutigkeit, die sich auf Beispiele aus der großen Sowjetunion und der dort aufkommenden Perestroika beriefen, wurden bespitzelt, überwacht, eingesperrt und abgeschoben. Und die "Staatsorgane" sorgten dafür, dass davon nur wenig bekannt wurde. (Auch die Medien der BRD hielten sich bis 1989 in erstaunlicher Weise zurück, die Verfolgung und Einschüchterung von Intellektuellen östlich der Elbe umfassend anzuprangern.)

Zugleich "schmückte" sich die DDR-Führung gar zu gern mit "ihren" Künstlern: Bei internationalen Buchmessen - da sogar mit den "kritischen Geistern", denn ihre Bücher brachten Devisen ein - bei Kongressen und Ausstellungen - Professor Ludwig zahlte auch für Bilder "missliebiger Maler" in West - , bei Gastspielen und auf "Festveranstaltungen" im eigenen Land, die - im großen Stil im Fernsehen gezeigt - die "enge Verbundenheit der Partei mit den Künstlern" dokumentieren konnten.

Auch "nicht so ganz Folgsame" wurden mit Orden dekoriert, in Akademien gewählt, man stattete sie mit Mangelwaren wie Autos oder Urlaubsreisen in westliche Länder, mit Ateliers und Aufträgen geradezu üppig aus.

Nach dieser – in diesem Rahmen zwangsläufig verknappten und deshalb noch undifferenzierten – Darstellung mag man vielleicht verstehen und kann erklären, in welchem Dilemma der Intellektuelle in der DDR steckte: Für ein so plötzliches und endgültiges Ende der DDR, für die Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik legte sich kaum einer so richtig in´s Zeug. Sie wussten vielleicht zu wenig von der breiten Unzufriedenheit in der Masse der Bevölkerung. Denn die den Kampf und Krampf um die Planerfüllung (oder deren ständige Korrektur nach unten) in der "sozialistischen Industrie und Landwirtschaft" täglich erlebten, hatten die Nase langsam voll. Die "Praktiker" sahen und wussten: Es konnte so nicht mehr lange weitergehen. Die Intellektuellen mussten ihre "Elfenbeintürme" verlassen, die "Küchengespräche" und den Meinungsaustausch aus den "Nischen" in die Öffentlichkeit tragen, "mit dem Gesicht zum Volk" agieren lernen – und wieder belegen Worte und Werke zunehmendes Engagement: Die auf verschiedenste Weise geübte Kritik am Verfall der Städte und Denkmäler, am Ruinen schaffen ohne Waffen, die in´s Bild gebrachte oder im Gedicht beschriebene Zerstörung der Umwelt, das Beklagen der Des-Informationspolitik der Medien und die unüberseh- und hörbaren Anspielungen auf die alterssenilen Machthaber zeugen davon. Beinahe alles wurde – wenn es die reglementierenden Hürden, die Ende der 80er Jahre schon kleiner geworden waren - genommen hatte, veröffentlicht oder ausgestellt. ‚Die Zensur‘ wurde durch Christoph Heins bewegende Rede zum Thema des 10. Schriftsteller-Kongresses Ende 1987 deutlich: "Das Genehmigungsverfahren, die staatliche Aufsicht, kurzer und nicht weniger klar gesagt: die Zensur der Verlage und Bücher, der Verleger und Autoren ist überlebt, nutzlos, paradox, menschenfeindlich, volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar."

Die Gruppe "Silly" sang von der Sehnsucht, "in die fernen Länder zu ziehen", mehrere Theater zeigten auf der Bühne schon Volker Brauns "Die Übergangsgesellschaft", in Fotoausstellungen und Filmen war das "Antlitz der Arbeiterklasse" ganz und gar nicht mehr heroisch und optimistisch zu sehen.

Und alle lachten verständnisinnig über den Witz:
Was ist das Beste an der DDR?
Dass es sie gibt.
Was ist das Schlechteste an der DDR?
Dass es sie so (!) gibt.

Zugleich wurde den Intellektuellen aber auch nur all zu bewusst, dass es nicht darum gehen – und ihnen wohl auch gar nicht allein gelingen konnte – die DDR-Führung einschließlich Mauer und Stasi einfach "weg zu kritisieren". Die Partei und der Staat, die alle "einverständigen" Künstler bisher sehr wohl und nicht übel "gefordert und gefördert" , ja sogar hofiert hatten, und ein in vielem gleichgestimmtes Publikum. Sie hatten den Status der Intellektuellen offiziell und trotz Westfluchten usw. nie ernsthaft in Frage gestellt (jede Gesellschaft alimentiert ihre Kultur, aber die "sozialistische" ganz besonders). Wollte und sollte und durfte man das alles wegdiskutieren, kaputt reden, durch ästhetischen Widerstand aus der Welt schaffen?

Eine Crux also!

Berechtigte Kritik üben oder Nutznießer bleiben, Begünstigung der Privilegierten anprangern und selbst davon profitieren oder "an dem Ast sägen", auf dem man sich doch irgendwie eingerichtet hat? Das Scheitern der jahrelang mitgetragenen Illusionen eingestehen, eine Utopie verabschieden oder über Mittel und Wege nachdenken, den Sozialismus zu reformieren, ohne ihn abzuschaffen?

Wir haben unsere ganz eigenen Erlebnisse, die Erinnerungen von Zeitzeugen, viele künstlerische Werke und Dokumente aus den letzten Jahren des DDR-Systems. Sie wurden und werden in - manchmal umstrittenen - Ausstellungen und Katalogen dokumentiert und vielfach – auch ohne reale Kenntnis von dem, was wirklich war und vorging – interpretiert, zurecht gemacht, geschönt.

Und doch ist es noch lange nicht möglich, wird es noch viel kluges und ehrliches Besinnen brauchen, um eindeutig, zuverlässig und unabweisbar darzulegen, in welchem Maße, mit wie viel Wirkungskraft und Ergebnis die Intellektuellen der DDR zum Zusammenbruch "ihres" Staatswesens, zur Entmachtung der SED und zur Vernichtung des Überwachungssystems der Staatssicherheit wirklich oder vermittelt beitragen wollten und konnten.

Für mich erscheint "Erinnerungs-Arbeit" angezeigt:

"Auf! Auf! Zum Kampf sind wir geboren...zum Kampf sind wir bereit" Dieses Lied, indem auch noch die Rede davon war, dass "wir Rosa Luxemburg die Hand reichen", dröhnte viele Jahre bei Aufmärschen und Demonstrationen aus Lautsprechern entlang der Berliner Karl-Marx-Allee. Bis sich erst einige, dann immer mehr und vornehmlich Intellektuelle im Januar 1988 darauf besannen, dass eben diese Luxemburg ja auch über die "Freiheit der Andersdenkenden" geschrieben hatte: Bei der Luxenburg-Liebknecht-Demonstration haben sich etwa 150 Demonstranten mit einem Transparent, auf dem "Freiheit der Andersdenkenden" stand, in die offizielle Demonstration eingereiht. Die Folge war Ausweisung.

Mit der vehementen "Einforderung" eben dieses Rechtes auch in der DDR wurde erstmals der Widerstand ganz und gar öffentlich. Aber erst als die Ausreisewelle unübersehbar anschwoll und Sonderzüge durch Dresden fuhren, als aus der Prager Botschaft der Jubel der "befreiten" Flüchtlinge klang, als die Ungarn ihre Grenze zu Österreich für DDR-Bürger öffneten, als durch Friedensgebete, Lichterketten und Montagsdemonstrationen in Leipzig und danach in vielen Städten Tausende sich als das Volk begriffen und ohne Furcht keine Gewalt verlangten, da legten auch die Intellektuellen außerhalb der Kirchen und der kleinen Zirkel und Nischen für Widerständige ihre "Hemmungen" ab.

Nach den brutalen Polizeiattacken am Abend des 7. Oktober 89 wurden sich Journalisten ihrer Pflicht bewusst, berichteten wahrheitsgemäß und halfen den Opfern. Theaterleute und Schriftsteller organisierten die größte Kundgebung, die Ost-Berlin je erlebt hatte, am 4. November auf dem Alexanderplatz.

Das Fernsehen schickte einen Reporter in die Stadt der Privilegiertesten und berichtete zum ersten Mal aus Wandlitz.

Die noch vor Wochen lieber im "Wolkenkuckucksheim" abwarteten - die wollten jetzt mit dabei sein, wenn sich die Verhältnisse, die sie vorsichtig karikiert und persifliert oder durch Engagement zum Tanzen gebracht hatten, ändern.

Aber noch immer war die Frage nicht geklärt: Sollte ein Fortbestehen der DDR gesichert oder verhindert werden? Konnte ein Sozialismus mit menschlichem Antlitz von denen gewollt und um- und mitgestaltet werden, die ihn zu lieben echt verlernt hatten? . Die "Umwidmung" des Spruches von Wir sind das Volk in das Bekenntnis Wir sind ein Volk, die Verwendung der Nationalhymnen-Zeile Deutschland, einig Vaterland und das Auftauchen von unzähligen Fahnen der Bundesrepublik bei der Dresdner Kundgebung mit Helmut Kohl waren unübersehbare Signale.

Wer hat sie gesetzt?
Waren das die Intellektuellen der DDR?

Die Reaktion der Massen auf die Grenzöffnung am 9. November gab eine erste "Antwort", die freien Wahlen am 18. März 1990 sollten sie bestätigen. Der Kredit der SED, der viele Intellektuelle mit ambivalenter Sympathie und zunehmend kritischem Auftreten gefolgt waren, hatte sich erst einmal aufgebraucht.

Meine Damen und Herren, auch wenn andere Antworten auf die Eingangsfrage - ‚Welchen Beitrag die Intellektuellen und Künstler in der DDR zur deutschen Vereinigung geleistet haben ?‘ - möglich erscheinen, so möchte ich doch feststellen:

Mit zunehmender Zivilcourage und wachsendem Mut, von Hoffnungen und Ängsten umstellt, hatten die Intellektuellen der DDR damit begonnen und wesentlich dazu beigetragen, die herrschenden Tabus aufzubrechen, den Machthabern ihre Grenzen zu zeigen, sich gegen Bevormundung und Zensur aufzulehnen, die Legitimation der Mächtigen in Partei und Staat in Frage zu stellen.

Sie wurden zu Protagonisten des Aufbruchs (auch wenn später einige als Spitzel der Stasi enttarnt wurden) und begründeten oder verstärkten die Bürgerbewegungen, sie schrieben und sagten öffentlich "Widerständiges", auch wenn Gefahren nicht auszuschließen waren.

Sie waren daran beteiligt, die systemimmanenten Fehler der Gesellschaft, die bis zuletzt bornierte und menschenverachtende Politik der SED öffentlich und mit den Mitteln der Kunst bloß zu stellen – nicht mehr nur als Nadelstich, sondern als Pfahl im Fleische. Sie beteiligten sich an "Runden Tischen", engagierten sich im "Neuen Forum" und im "Bündnis ´90" und gehörten zu den Aktivisten einer Wiederbelebung der SPD nach über 40-jährigem Verbot im Osten Deutschlands. Sie halfen an wichtigen Orten, auf verantwortlichen "Posten" und oft entscheidend mit, dem Treiben der Partei-Führung und des Regimes der Stasi ein Ende zu setzen. Sie brachten das System des DDR- Staates - wirtschaftlich am Boden und vom sozialistischen Weltlager verlassen - moralisch zu Fall.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Fussnoten