Sehr geehrter Herr Ajbali, sehr geehrter Herr Siraj, sehr geehrter Herr Charchira, sehr geehrte Frau Staatssekretärin Kaykin, lieber Herr Kiefer, meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich möchte Sie sehr herzlich im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung zu dieser Veranstaltung begrüßen, die ja Teil einer ganzen Reihe von Veranstaltungen, Aktionen und Ausstellungen ist, mit denen an die Unterzeichnung des sogenannten deutsch-marokkanischen Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko vor 50 Jahren erinnert wird. Ich danke der Aktion Gemeinwesen und Beratung, insbesondere Ihnen, lieber Herr Charchira, lieber Herr Kiefer, für diese kreative und vorbildliche Initiative.
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat vor 2 Jahren mit Veranstaltungen und Publikationen auch auf den 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei im Jahr 1961 aufmerksam gemacht; Von diesen sogenannten Anwerbeabkommen gab es insgesamt acht, das erste 1955 mit Italien, das letzte 1968 mit dem damaligen Jugoslawien. Sie führten zur Einwanderung von Millionen ausländischer Arbeitskräfte und machten Deutschland somit über 3 Jahrzehnte hinweg zu der Einwanderungsgesellschaft, die es heute ist – mit über 16 Millionen Menschen mit Zuwanderungshintergrund.
Staunend und ein wenig ungläubig schauen wir heute auf die frühen Jahre der Einwanderung zurück, die kaum noch im kollektiven Gedächtnis präsent sind. Lange Zeit nahm man die sogenannten Gastarbeiter, von denen ein Viertel Frauen waren, kaum wahr, denn sie lebten anfangs oft in Baracken, oder ungenutzten Versammlungshallen in der unmittelbaren Nähe ihrer Arbeitsplätze.
Erst in den letzten Jahren ist der wichtige Beitrag, den Hunderttausende von ‚Gastarbeitern’ zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Deutschlands beigetragen haben, ins kollektive Bewusstsein gerückt. Erst jetzt wird allmählich die Vielfalt der Biografien, die Vielfalt der Hoffnungen und Wünsche sichtbar, die die Einwanderer nach Deutschland mitbrachten. Allerdings ist diese Erinnerungsarbeit heute noch stark auf die türkischen Zuwanderer und ihre Geschichten fokussiert. Die Einwanderer aus Marokkostehen meist im Schatten der großen türkischen Einwanderergemeinschaft und werden pauschal als „Araber“ wahrgenommen. Dabei leben mehr als 100.000 Marokkannerinnen und Marokkanner inzwischen in Deutschland, viele von ihnen in der dritten und vierten Generation.
Längst ist es überfällig, diese zwar kleine aber wichtige Community besser kennenzulernen, zumal die bpb seit dem arabischen Frühling 2011 die Länder Nordafrikas verstärkt in ihren Informationsangeboten behandelt. Ich bekenne aber: auch ich habe hier Nachholbedarf. Über die soziale und regionale Zusammensetzung der marokkanischen Communitywissen wir immer noch zu wenig. Vielleicht können wir den Input dieser Veranstaltungsreihe nutzen, um auf der großen Informationswebsite bpb.de ein eigenes Dossier zum Thema ‚Marokkanische Migration in Deutschland’ anzulegen.
Wir als politische Bildner sind in der Verantwortung, unsere Angebote der Vielfalt der in Deutschland lebenden Menschen anzupassen. Die Bundeszentrale für politische Bildung wurde 1952 als Zeichen erster eigener Anstrengungen der Deutschen zur Demokratieerziehung gegründet, die an die Stelle der amerikanischen "Re-Education" treten sollte, doch sie war lange blind und taub, wenn es um die Ansprache der Einwanderer und ihrer Kinder ging.
Erst im Jahr 2001, ich war gerade ein halbes Jahr im Amt, wurde unser Erlass geändert, der bis dahin festlegte, dass politische Bildung nur "im deutschen Volk" stattzufinden habe. Seitdem durchläuft die Bundeszentrale für politische Bildung einen Prozess der interkulturellen Öffnung, der keinem starren Plan folgt, sondern immer wieder neue Impulse aufnimmt.
Für uns heißt das, die Palette unserer Angebote systematisch und permanent so zu gestalten, dass sie auch Einwanderer und vor allem die stetig steigende Zahl von Jugendlichen aus Einwandererfamilien in den deutschen Schulen und Bildungsstätten erreichen. Vor allem aber wollen wir unsere politischen Bildungsangebote GEMEINSAM mit jungen Menschen aus Einwandererfamilien gestalten, denn nichts ist effektiver, als politische Bildung mit eigenem aktiven Handeln zu verbinden.
Diese Erfahrung machen wir unter anderem in unserem Projekt Dialog macht Schule, das wir gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung auf den Weg gebracht haben. In diesem Projekt bringen wir junge Abiturienten und Studierende, viele aus Einwandererfamilien, als "peer educators" mit Hauptschülern und Gesamtschülern zusammen, die oft pauschal in die Kategorie "PISA-Risikogruppe" eingestuft werden. In den schulischen Gesprächsgruppen können sie an die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen anknüpfen, ihr Selbstbewusstsein stärken und die politische Bildung auch mit Alltagsthemen verknüpfen. Fragen zu Ausbildung, Identität, Ausgrenzung, Gewalt, Umwelt oder Integration, aber auch zu den Umbrüchen in den Herkunftsländern ihrer Eltern oder Großeltern sind für diese Jugendlichen höchst relevant. Zugleich sind sie politisch. Hier können auch offen Konfliktthemen angesprochen werden, etwa abwertende Einstellungen gegenüber jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, gegenüber Homosexuellen oder auch fundamentalistische religiöse Ansichten. Dabei bieten sich unsere Moderatorinnen und Moderatoren den Jugendlichen immer auch als Beistand und Lotsen an, wenn sie sich zwischen den Traditionen ihrer Großeltern und den Konventionen ihres deutschen Umfeldes zurecht finden müssen.
Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass diese und die in den nächsten Wochen folgenden Veranstaltungen auch hierzu einen großen Beitrag leisten werden, an den weitere Projekte und Veranstaltungen auch mit der Bundeszentrale für politische Bildung anknüpfen können.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine spannende und erhellende Podiumsdiskussion. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
- Es gilt das gesprochene Wort -