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Es gibt kein Menschenrecht auf Zinsen | Europäische Wirtschaftspolitik | bpb.de

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Es gibt kein Menschenrecht auf Zinsen

Ulrike Herrmann

/ 4 Minuten zu lesen

Sparer leiden, Versicherungen geraten in Schieflage: Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Zinsen in den kommenden Jahren steigen, meint die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann. Dazu sei die Realwirtschaft in der Eurozone und anderswo viel zu schwach.

Ulrike Herrmann (© Herby Sachs/WDR)

Sparerinnen und Sparer sind frustriert: Sie erhalten keine Zinsen mehr auf ihren Konten – stattdessen steigen die Bankgebühren. Auch die Versicherungskonzerne haben längst Schwierigkeiten, die Renditen zu erwirtschaften, die sie ihren Kundinnen und Kunden einst versprochen haben. Die Altersvorsorge scheint in Gefahr. Doch Trost ist nicht in Sicht: Es ist unwahrscheinlich, dass die Zinsen in absehbarer Zeit wieder steigen.

Eine erste Erklärung ist ganz schlicht: Es gibt kein Menschenrecht auf Zinsen. Sie lassen sich nur zahlen, wenn die Zinsen nicht höher liegen als das Wachstum plus Inflation. Sonst fressen die Zinsen das Vermögen auf – und das führt direkt in die Pleite.

In der Eurozone liegt das Wachstum derzeit bei 2,5 Prozent; die Kerninflation beträgt 0,9 Prozent. Mit „Kerninflation“ ist der Preisauftrieb gemeint, der übrig bleibt, wenn man die Nahrungsmittel- und Energiepreise herausrechnet, die saisonal stark schwanken. Die Kerninflation misst also den echten Trend bei den Preisen.

Demnach könnte die Eurozone maximal einen Zins von 3,4 Prozent für zehnjährige Kredite verkraften. Selbst dieses eher niedrige Niveau wird in Deutschland aber seltsamerweise nicht erreicht. Langlaufende Hauskredite sind schon für 1,4 Prozent zu haben. Wie lassen sich diese Dumpingpreise für Darlehen erklären?

Die deutschen Banken wissen nicht, was sie mit der Geldflut anfangen sollen

Deutschland gilt als „sicherer Hafen“, seitdem die Eurokrise ausgebrochen ist. Italienerinnen und Italiener, Griechinnen und Griechen, Spanierinnen und Spanier schaffen einen Teil ihrer Ersparnisse nach Deutschland, weil sie Angst haben, dass ihr eigenes Land irgendwann die Eurozone verlassen könnte. Die deutschen Banken ächzen daher unter einer Geldflut. Sie wissen gar nicht mehr, was sie mit dem ganzen Vermögen machen sollen, das ihnen zuströmt. Denn es gibt viel zu wenig Kundinnen und Kunden, die ein Darlehen aufnehmen wollen. Alle sparen – aber fast niemand benötigt Geld. Die deutschen Banken bieten ihre Kredite daher zu Billigstzinsen an, um Darlehen loszuschlagen.

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Die Zinsen in Deutschland werden also nahe Null dümpeln, solange die Eurokrise nicht gelöst ist. Doch die Probleme sind in vielen Euroländern noch immer gravierend. Ein Indiz ist die Kerninflation von nur 0,9 Prozent: Die Preise dümpeln, weil die Fabriken nicht ausgelastet sind und die Löhne kaum steigen.

Diese Dauerkrise ruft wiederum die Europäische Zentralbank (EZB) auf den Plan: Sie will unbedingt verhindern, dass die Inflation noch weiter sinkt, so dass die Preise gar nicht mehr steigen, sondern tendenziell fallen – und eine Deflation einsetzt. Denn sinkende Preise sind tödlich für den Kapitalismus.

Die Kunden freuen sich zwar, wenn die Waren billiger werden. Aber sobald die Umsätze fallen und die Einnahmen zurückgehen, können auch Darlehen nicht mehr zurückgezahlt werden. Selbst ein Kreditzins von null Prozent wäre dann noch zu hoch. Also nimmt niemand mehr ein Darlehen auf –die Wirtschaft schrumpft.

Um garantiert eine Deflation zu vermeiden, liegt das Inflationsziel der EZB bei zwei Prozent. Doch davon ist die Eurozone seit Jahren weit entfernt. Also verfolgt die Zentralbank eine aggressive Geldpolitik, um doch noch eine Trendwende zu bewirken. Sie hat nicht nur den Leitzins auf null Prozent gesenkt, sondern betreibt zudem „Quantitative Easing “. Mit diesem englischen Fachausdruck ist gemeint, dass die EZB Geld in die Banken pumpt, indem sie den Instituten Staats- und Unternehmensanleihen abkauft. Etwa 2,3 Billionen Euro hat die EZB bis Ende 2017 schon an die Banken überwiesen.

Dies soll theoretisch eine Kausalkette in Gang setzen, die dann indirekt Inflation erzeugt: Wenn die Banken mehr Zentralbankgeld haben, wird es für sie einfacher, Darlehen an Firmen und Privathaushalte zu vergeben. Es käme also zu Wachstum - und damit zu steigenden Preisen.

Die Praxis freilich sieht anders aus: Die Banken schwimmen zwar im Geld, aber daraus folgt noch lange nicht, dass es auch Kreditnehmer gibt. Da die Fabriken oft nicht ausgelastet sind, scheuen sich die Unternehmer, weitere Darlehen aufzunehmen.

Draghi fordert von Eurostaaten Konjunkturpakete und mehr Investitionen

EZB-Chef Mario Draghi hat längst erkannt, dass seine Geldpolitik allein nicht ausreicht, um Wachstum und Inflation zu stimulieren. In keiner Rede lässt er unerwähnt, dass die Euro-Staaten auch „Fiskalpolitik“ betreiben – also Konjunkturpakete auflegen und mehr investieren müssten.

Doch bisher wird europaweit gespart. In Deutschland heißt dieses Programm „Schwarze Null“. Die letzte Bundesregierung weigerte sich beharrlich, mehr Geld für die Infrastruktur auszugeben, obwohl sie sich kostenlos verschulden könnte, weil die Zinsen so niedrig liegen. Ohne Fiskalpolitik blieb nur die EZB-Geldpolitik übrig, um die Eurokrise zu bekämpfen.

Doch bleibt ein Rätsel: Die Zinsen sind nicht nur in Deutschland und im Euroraum extrem niedrig – sondern weltweit. In Großbritannien liegt der Leitzins bei 0,5 Prozent, in Japan bei minus 0,1 Prozent und in der Schweiz sogar bei minus 0,75 Prozent. Nur in den USA beträgt der Leitzins inzwischen 1,25 Prozent.

Offenbar ist sind weite Teile der Weltwirtschaft nicht mehr in der Lage, hohe Renditen zu verkraften. Die beste Erklärung stammt von dem Hedgefonds-Manager George Soros: Seit 1980 habe sich eine "Superblase" aufgepumpt. Damals wurden die Banken dereguliert, und seither dürfen sie Kredite für spekulative Zwecke vergeben. Es wurde sehr viel Geld geschöpft, aber kaum noch in die Unternehmen investiert.

Das Ergebnis sehen wir heute. Die schwache Realwirtschaft ist nicht in der Lage, die vielen Geldansprüche zu befriedigen. Also werden die Zinsen noch sehr lange sehr niedrig bleiben.

Hermann-Josef Tenhagen (© picture-alliance, Eventpress)

Standpunkt Hermann-Josef Tenhagen:

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Ulrike Herrmann, Jahrgang 1964, hat eine Lehre als Bankkauffrau absolviert. Sie ist Wirtschaftskorrespondentin der taz. Im September 2016 erschien ihr Buch „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können“.