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Transnationales Lobbying am Beispiel des Country-by-Country-Reportings gegen Steuervermeidung

Markus Meinzer

/ 19 Minuten zu lesen

Schon in den 70er Jahren gab es erste Versuche, Gewinnkürzungen und -verlagerungen von international tätigen Unternehmen zu verhindern und sie zu verpflichten, ihre Gewinne getrennt nach Staaten auszuweisen. Doch bis heute zahlen viele in der Europäischen Union kaum Steuern. Warum?

2016 zeigten die als "Panama Papers" bekanntgewordenen Unterlagen des panmaischen Offshore-Dienstleisters Massack Fonseca, welche legalen Strategien der Steuervermeidung Unternehmen weltweit anwenden. (© picture alliance / blickwinkel)

Externer Link: Nach Schätzungen von ZEIT ONLINE hat Apple von 2009 bis 2014 allein mit dem Verkauf von iPhones an deutsche Kunden einen Bruttogewinn von 4,5 Milliarden Euro erzielt. Darauf werden rund 1,3 Milliarden Euro Steuern fällig. Aber Apple hat nur 40 Millionen bezahlt. Das ist möglich, weil Apple Gewinne an seine Tochterfirma in Irland verlagert und mit dem irischen Fiskus illegale Steuerabsprachen getroffen hat. Die Wettbewerbshüterin der EU-Kommission, Margrethe Vestager hat den Konzern im August 2016 daher zur Nachzahlung von 13 Milliarden Euro an Ertragssteuern in Irland verurteilt. In der Begründung der Entscheidung wurde deutlich, dass Apple vermutlich auch in anderen Ländern Afrikas, dem Mittleren Osten und in Indien ähnlich vorgeht wie in der EU.

Egal ob Google, FIAT, Starbucks, BASF, SAP oder Amazon: Die globale Finanzkrise 2007/2008, die Lux-Leaks und die Panama Papers zeigen, mit welchen Tricks international agierende Konzerne heute Steuerzahlungen umgehen. Doch nicht nur Unternehmen agieren dabei in einer fragwürdigen rechtlichen Grauzone. Der Lux-Leaks-Skandal 2014 und die anschließenden Ermittlungen der EU-Wettbewerbshüterin haben gezeigt, dass einige nationale Steuerbehörden – häufig zumindest mit Duldung der Finanzminister – den Firmen beim Steuersparen behilflich sind. Einige Staaten meinen, dass sie in den Marktwettbewerb zwischen Konzernen zu ihrem eigenen Nutzen eingreifen können, indem sie Steuervermeidung dulden oder ermöglichen. Sie haben sich in Steueroasen verwandelt und versuchen, sich gegenseitig mit Steuergeschenken an und mit Schlupflöchern für ausländische Unternehmen zu überbieten. Ihr Ziel ist es, Investitionen anzulocken, Arbeitsplätze zu schaffen und das Wachstum anzukurbeln. Die vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die nur in einem Land wirtschaften, werden dadurch benachteiligt. Für sie, genauso wie für Normalverdiener/-innen und Konsument/-innen, steigt die steuerliche Belastung – nicht nur in Deutschland. Es geht um die gerechte Verteilung von Steuern auf der ganzen Welt.

Um gegen die Steuervermeidungsstrategien der großen Konzerne vorgehen zu können, braucht es Transparenz: Wo und unter welchen Namen sind Konzerne weltweit aktiv? Welche Gewinne erzielen sie jeweils, wieviel Steuern bezahlen sie darauf? Die Unternehmen müssen zwar Konzernabschlüsse veröffentlichen, aber die enthalten nur konsolidierte, also zusammengefasste Informationen über den Konzern als Ganzes, nicht aber für einzelne Länder, Projekte oder Tochterfirmen. Dazu kommt, dass nicht alle Länder, in denen der Konzern tätig ist, ihre Jahresabschlüsse zuverlässig veröffentlichen.

Das sogenannte "öffentliche Country-by-Country-Reporting" (CBCR), über das die EU-Mitgliedsstaaten gerade verhandeln, soll das verhindern. Damit sollen große Unternehmen verpflichtet werden, Unternehmensergebnisse und Steuerzahlungen getrennt nach Ländern auszuweisen, in denen sie aktiv sind. Bereits 2013 haben sich die OECD- und G20-Staaten auf eine Initiative zur Bekämpfung von Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen verständigt (BEPS). Eine Variante des CBCR ist Bestandteil dieses Plans. Demnach bekommen allerdings nur Steuerbehörden Einblick in diese Daten – sie werden nicht veröffentlicht. Erste Vorstöße für ein öffentliches CBCR gab es schon in den 70er Jahren bei den Vereinten Nationen. Die Entstehungsgeschichte des CBCR, ein Kampf zwischen verschiedenen Interessensgruppen, soll veranschaulichen, welche Herausforderungen der wirtschaftliche Strukturwandel und die zunehmende Europäisierung für die Steuerbehörden bringt.

Von den Vereinten Nationen bis zur OECD (1970-2013)

Vereinte Nationen gründen Expertengruppe

In den 1970er Jahren kommen erstmals Steuervermeidungstricks von internationalen Unternehmen ans Licht. Die Vereinten Nationen (UN) beschließen, mehr Licht in das Finanzgebaren von internationalen Konzernen zu bringen und gründen 1972 die Expertengruppe für Bilanzierung der Vereinten Nationen GEISAR (Group of Experts on International Standards of Accounting and Reporting). GEISAR schlägt detaillierte Finanzberichte für alle Konzernteile weltweit vor, einschließlich Angaben über den konzerninternen Handel (Ylonen 2017: 45-46; Rahman 1998: 611) – und startet damit den ersten Versuch, das Prinzip des sogenannten Country-by-country-reporting (CBCR) einzuführen.

Die Veröffentlichung der GEISAR-Empfehlungen 1977 ruft Lobbygruppen auf den Plan: Die International Chamber of Commerce (ICC) sowie die International Organisation of Employers (IOE). Sie bilden eine Arbeitsgruppe, um den Widerstand transnationaler Firmen zu bündeln, und veröffentlichen eine 1978 Protestschrift.

Der Plan geht auf: Die zwölf westlichen Industrienationen stellen sich auf die Seite der Lobbygruppen – insbesondere Japan und die USA setzen die anderen UN-Mitglieder unter Druck. Es gelingt ihnen, das bei UN-Entscheidungen bis dahin übliche Mehrheitsprinzip für diese Frage außer Kraft zu setzen und stattdessen das Konsensprinzip einzuführen. Das hat zur Folge, dass ein einzelner Staat nun jeden Beschluss der Expertengruppe blockieren kann – und die GEISAR-Empfehlungen am Ende verhindert werden.

Wirtschaftsprüfungskanzleien machen UN-Vorstößen Konkurrenz

Parallel dazu bildet sich ab Juni 1973 ein Alternativgremium, das den UN-Vorstößen Konkurrenz macht: das International Accounting Standards Committee (IASC), ein Zusammenschluss von Wirtschaftsprüfungsverbänden aus acht OECD-Staaten plus Mexiko, heute IASB genannt. Dieses Vorgehen nennt man forum shifting (Braithwaite/Drahos 2000: 28-29): Wenn ein Gremium ein Thema behandelt, das nicht im Sinne eines Staates oder seiner zentralen Wirtschaftsakteure ist, wird ein alternatives Forum ausgewählt bzw. wenn nötig aufgebaut.

Ziel des IASC ist es, internationale Standards für die Konzernbilanzierung und Finanzberichterstattung zu erarbeiten. Seit 2000 nutzt die Europäische Kommission diese Standards als verbindliches EU-Recht. Dadurch werden sie auch zu nationalem Recht. Das IASC bündelte die Interessen der heutigen "Großen Vier" Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (Deloitte, Ernst & Young, KPMG, PricewaterhouseCoopers (PWC)). Sie haben aktuell 750.000 Mitarbeiter weltweit, prüfen allein in Deutschland die Bücher von 142 der 160 deutschen börsennotierten Firmen und erzielen weltweit einen Umsatz von 120 Mrd. Euro.

Im März 1980 legt das IASC einen Entwurf für einen Standard (IAS 14) zur Finanzberichterstattung vor, der zaghafte Ansätze des Country-by-Country-Reporting enthält. Doch im Laufe der Jahre räumt das Gremium den Unternehmen zunehmend mehr Spielräume ein. Schließlich ist in dem 2006 erschienenen Standard (IFRS 8 - inzwischen hatte sich das IASC in IASB unbenannt) eine Aufschlüsselung der Gewinne nach einzelnen Ländern, nach Tochtergesellschaften oder selbst nach unscharfen geographischen Kriterien nicht mehr zwingend erforderlich (Giunti 2015: 14-22).

Das geht selbst führenden Investorenverbänden zu weit, die sich mehr Einblick wünschen: Sie kritisieren den neuen Standard, da Finanzdaten börsennotierter Konzerne weniger als bisher auf einzelne Länder rückverfolgbar seien. Das EU-Parlament fordert die EU-Kommission auf, eine Analyse über die Wirkung des neuen IFRS 8 durchzuführen, bevor dieser verabschiedet werde. Der bayerische Finanzminister Georg Fahrenschon bemängelt fehlende Transparenz und demokratische Kontrolle des IASB. 2009 wird schließlich ein "monitoring board" zur Kontrolle des IASB eingerichtet. Doch das IASB wird weiterhin von den "Vier Großen" dominiert – personell und finanziell.

Bereits seit 2001 lässt sich die EU-Kommission von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) beraten, bevor sie den Forderungen des IASB Gesetzeskraft verleiht. Fünf der 17 Mitglieder des EFRAG-Boards kommen allerdings von den "Vier Großen". Sie sind auch in vielen Expertengruppen der EU vertreten und beraten damit direkt EU-Institutionen, wie sie aggressive Steuerplanung und –hinterziehung bekämpfen können. Einer der vier, PWC, ist gar Mitglied in der "Plattform für verantwortungsvolles Handeln im Steuerwesen", einem Beratergremium der EU-Kommission. Die "Vier Großen" spielen also eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von internationalen Bilanzierungsstandards, die Steuerschlupflöcher stopfen sollen. Gleichzeitig verdienen sie weltweit Milliarden, indem sie im Auftrag der Unternehmen Strategien zu Steuervermeidung entwickeln.

Zivilgesellschaftliche Organisationen rufen CBCR in Erinnerung

Das in den 70ern vorgeschlagene öffentliche CBCR geriet über die Jahre hinweg beinahe in Vergessenheit – hätten nicht zivilgesellschaftliche Organisationen, die zu Entwicklungsländern arbeiten, daran erinnert: 2002 will die Antikorruptions-Organisation Global Witness mit dem Slogan "Publish what you pay" die Börsenaufsicht dazu bewegen, alle Zahlungen von Rohstoffkonzernen offenzulegen. Daraus entsteht die internationale Extractive Industry Transparency Initiative (EITI). 2002/2003 formiert sich das Tax Justice Network (TJN), ein internationales Netzwerk, das zu Problemen wie Steuervermeidung und Steuerhinterziehung, Steuerwettbewerb und Finanzintransparenz in Steueroasen arbeitet. Das TJN findet heraus: Staaten weltweit verlieren jedes Jahr bis zu 500 Milliarden Dollar, weil multinationale Unternehmen Gewinne verschleiern. 2003 veröffentlicht das TJN das erste Konzept für ein Country-By-Country Reporting (CBCR) als Standard zur Finanzberichterstattung über Steuerzahlungen hinaus (Murphy 2012: 2). Eckdaten aus der Konzernbilanz sollen demnach vom Stammsitz zentral für die gesamte Konzernstruktur länderweise veröffentlicht werden. So will das TJN verhindern, dass Unternehmen in einem Land Gewinne erwirtschaften, aber dort keine Steuern zahlen.

Auch aufgrund des Drucks durch Nichtregierungsorganisationen landet die länderbezogene Berichterstattung auf der Agenda der G8 und G20, wird nun weltweit in Zirkeln von Entscheider/-innen diskutiert. 2013 bis 2015 entwickelt die OECD im Auftrag der G8 schließlich einen Standard für CBCR, der dem ursprünglichen Vorschlag des TJNs sehr nahe kommt (G8 2013: 6). Im Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewinnverlagerungen (BEPS) der OECD vom Juli 2013 taucht das CBCR erstmals auf, ohne dass es so genannt wird (Organisation for Economic Co-Operation and Development 2013: 23).

Infolge dieser Vorstöße gegen Steueroasen und der weltweiten Finanzkrise zeichnet sich ab, dass Wirtschaftsvertreter/-innen über das IASB, ihren bis dahin wichtigsten Kanal, das CBCR nicht mehr verhindern können. Fortan konzentrieren sie sich darauf, den OECD-Prozess zu beeinflussen: Sie wollen die Aufmerksamkeit weg von den Unternehmen und hin zu den Steuerbehörden lenken. Deshalb deuten sie das CBCR als Instrument zur Schaffung von Transparenz für Steuerverwaltungen um. In einem Memorandum der OECD vom Oktober 2013 bestätigt sich, dass die OECD von der ausschließlichen Nutzung der Daten durch Steuerbehörden ausgeht, das CBCR also nicht öffentlich ist. Anfang 2014 werden 135 schriftliche Stellungnahmen zum ersten Entwurf des CBCR eingereicht. 87% haben Vertreter/-innen von Wirtschaftsinteressen verfasst, darunter: Zwei Eingaben von Deloitte, eine von KPMG, und zwei von PWC. Bis auf zwei Antworten lehnen alle Schreiben der Privatwirtschaft ein öffentliches CBCR ab.

Im April 2014 wird ein KPMG-Partner zum Leiter der Transferabteilung der OECD berufen – genau der Abteilung, in deren Verantwortungsbereich CBCR durch den Aktionsplan der OECD seit 2013 fällt. In einem Interview mit Ernst & Young erklärt der Leiter der OECD-Steuerabteilung per Video, dass er das Steuergeheimnis für bedeutsamer hält als das Bankgeheimnis.

Berichten aus den Verhandlungen zufolge pochten vor allem die USA und Deutschland bei der OECD gemeinsam mit den "Vier Großen" darauf, die Bilanzdaten von Konzernen nicht öffentlich zu machen – mit Erfolg: 2015 beschließt die OECD eine besondere Variante länderspezifischer Berichtspflichten. Die Daten werden demnach lediglich dem Fiskus im Land der Konzernmutter gemeldet und dann zwischen ausgewählten Steuerbehörden ausgetauscht. Sie unterliegen plötzlich dem Steuergeheimnis. Die betroffenen Länder erfahren also erstmal nichts, weil zum Beispiel nur die Steuerbehörde in den USA die Daten von Apple bekommt. An diesen Daten interessierte Länder müssen hohe rechtliche und technische Auflagen erfüllen, um am Austausch teilzunehmen. Damit bleibt fast dem gesamten globalen Süden der Zugang zu den Bilanzdaten versperrt.

(Andere) EU-Initiativen zur Bekämpfung der Steuervermeidung

Die EU hat parallel zu CBCR andere Initiativen auf den Weg gebracht, um die Steuervermeidung von Konzernen zu unterbinden. So werden Verfahren wegen unerlaubter staatlicher Beihilfe mittels Steuerabsprachen gegen einzelne Mitgliedsstaaten geführt (Fünf Verfahren waren Juni 2018 abgeschlossen, vier offen). Diese Steuerabsprachen werden auch zwischen EU-Mitgliedsstaaten automatisch ausgetauscht. Darüber hinaus strebt die EU eine harmonisierte Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung (GKKB – Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage) an, die einen Konzern EU-weit steuerlich erfassen würde. Außerdem wurden eine Reihe von Anti-Steuervermeidungsrichtlinien beschlossen, deren Wirkung Experten und Expertinnen zufolge jedoch sehr begrenzt bleiben dürfte.

Fußnoten

Öffentliches CBCR in der Europäischen Union 2013-2017

EU-Kommission versucht, CBCR zu verzögern

Für den EU-Bankensektor werden schon 2013 öffentliche länderspezifische Berichtspflichten mit Wirkung ab 2014/15 eingeführt. Die Grünen-Fraktion im EU-Parlament nimmt das CBCR in den Artikel 89 in die Eigenkapitalrichtlinie auf, die den Zugang zu und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten regelt. Eine Petition der Online-Plattform Avaaz, die über 200.000 Menschen unterzeichnen, erhöht den Druck auf die Gegner/-innen der Berichtspflicht für den Bankensektor, zu denen auch die Bundesregierung gehört. Vor einer Entscheidung für die öffentlichen Länderberichte im Bankensektor will die EU-Kommission per Gutachten prüfen lassen, ob der europäischen Wirtschaft deshalb Nachteile drohen.

Den Auftrag für das Gutachten erteilt die Kommission im Juni 2014 ausgerechnet PricewaterhouseCoopers für 395.000 Euro – einem der "Vier Großen". Dabei hatten sich PwC-Berater während des OECD-Konsultationsprozesses noch im Februar 2014 gegen öffentliche Länderberichte ausgesprochen. Doch die von PwC durchgeführte ökonometrische Analyse zeigt nicht nur keine negativen Effekte auf die europäische Wirtschaft. Sie bescheinigte öffentlichen Berichtspflichten für den Bankensektor sogar das Potential, eine positive Wirkung zu entfalten. Fortan sind die Länderberichte der Banken öffentlich zu machen.

Auch wenn es an der Umsetzung in Deutschland im ersten Jahr noch hapert und so manche fragwürdige Interpretation in den Regeln der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) steht – die Pflicht zur Transparenz im Bankensektor hat international Signalwirkung und alarmiert Wirtschaftsvertreter/-innen. Dies umso mehr, als sich das EU-Parlament anschickt, die Einführung des öffentlichen CBCR für alle anderen Wirtschaftssektoren zu wiederholen. 2015/16 verhandelt die Europäische Union über eine Richtlinie zu den Aktionärsrechten. Wieder auf Initiative der Grünen im EU-Parlament werden länderspezifische Offenlegungspflichten in die Richtlinie aufgenommen, die nun generell für alle Aktiengesellschaften gelten sollen. Der Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments stimmt Ende Februar 2015 für die Aufnahme der Berichtspflichten in die Richtlinie, der federführende Rechtsausschuss verabschiedet sie am 7. Mai 2015. Doch gleichzeitig versucht die Kommission, das Projekt zumindest zu verzögern.

Am 1. November 2014 wird Jean-Claude Juncker neuer EU-Kommissionspräsident. Unter seiner Führung stellt die EU-Kommission im März 2015 ein eigenes "Transparenzpaket" vor. Unter anderem kündigt sie darin an, zu "prüfen, inwieweit neue Transparenzanforderungen an Unternehmen wie die Offenlegung bestimmter Steuerinformationen durch multinationale Unternehmen durchsetzbar sind". Die EU-Kommission beschreibt CBCR nun als Steuerthema. Dabei handelt es sich um einen erneuten Versuch des sogenannten forum shifting: Sollte CBCR im Rahmen der Aktionärsrechterichtlinie verhandelt werden, würde eine Mehrheit im Ministerrat genügen, um es durchzusetzen. Wenn es aber als Steuerthema behandelt würde, wäre Einstimmigkeit erforderlich.

Am 17. Juni 2015, knapp einen Monat vor der Abstimmung im EU-Parlament über die Einführung öffentlichen CBCRs im Rahmen der Aktionärsrechterichtlinie, stellt die EU-Kommission ihren "Aktionsplan für eine fairere und effizientere Unternehmensbesteuerung in der EU" vor. Ein Bestandteil dieses Aktionsplans: eine öffentliche Konsultation zu der Frage, "ob Unternehmen zur Offenlegung bestimmter steuerlicher Informationen verpflichtet werden sollen".

Am 8. Juli 2015 stimmt das EU-Parlament im Rahmen der Aktionärsrechterichtlinie über öffentliches CBCR ab. 404 Abgeordnete stimmen dafür, 127 dagegen – somit ist das CBCR nun als Position des EU-Parlaments verabschiedet. Am 14. September geht dieser Vorschlag in das Trilogverfahren, in welchem der EU-Ministerrat und die EU-Kommission über den endgültigen Wortlaut verhandeln.

Die Rolle Deutschlands

Derweil werden die Ergebnisse der öffentlichen Konsultation durch die EU-Kommission bekannt. Knapp 10 Prozent bzw. 30 Verbände und Unternehmen antworten mit nein, während 66 Prozent von insgesamt 282 Teilnehmer sich dafür aussprechen, dass die EU die Veröffentlichung von Steuerinformationen für alle Wirtschaftssektoren vornehmen solle. Aus Deutschland stimmen insgesamt 23 Wirtschaftsvertreter ab – überwiegend aus der Privatwirtschaft: 12 Wirtschaftsverbände und 8 Unternehmen, darunter 3 DAX-Konzerne (Allianz SE, Bayer AG, Siemens AG). Nur 24% befürworten öffentliches CBCR.

Ausdrücklich erläutern der BDI, die Siemens AG und Bayer AG in ihren Eingaben, dass Drittstaaten die erhaltenen Informationen zu einer stärkeren Besteuerung benutzen könnten. Außerdem behaupten sie, dass eine zusätzliche Besteuerung in Drittstaaten in vielen Fällen dazu führe, dass die Steuereinnahmen im Herkunftsland der Firma sänken, oder Unternehmensgewinne doppelt besteuert werden könnten. Dass es auch Einkünfte gibt, die nirgends besteuert werden, fand in den Eingaben keine Erwähnung.

Unterdessen beginnt der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), den Widerstand gegen öffentliches CBCR auf EU-Ebene zu organisieren, er warnt vor dem Steuerpranger. Seine Strategie: Er spricht von Steuer-, nicht aber Bilanzdaten. Immer wieder versuchen die deutschen Verhandlungsführer/-innen, die Diskussion über öffentliches CBCR von der Aktionärsrichtlinie hin in den Steuerbereich zu verlagern.

Die EU-Kommission unterbreitet am 12. April 2016 ihren Vorschlag für öffentliche länderspezifische Berichtspflichten, samt Wirkungsstudie. Darin will sie die Reichweite der Berichtspflichten auf EU-Mitgliedsstaaten beschränken. Für Nicht-EU Staaten hingegen dürfen Konzerne die Daten aller Länder zu einer einzigen Zahl zusammenfassen – ausgenommen eine Handvoll, nicht identifizierter Steueroasen. Damit würden Gewinnerverlagerungen außerhalb der EU nicht mehr nachvollziehbar.

Dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geht das nicht weit genug. Beim Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) im März 2016 bekräftigt er mit seinen Kollegen aus Malta, dass er öffentliches CBCR kategorisch ablehne. Dagegen lehnen die deutschen Bundesländer öffentliches CBCR nicht ab. Sie befürworten in einem Beschluss des Bundesrates im Mai 2016 die Koexistenz von öffentlichem und nicht-öffentlichem "country-by-country-reporting".

Österreich und Malta teilten die Bedenken Schäubles, während Großbritannien und das EU-Parlament öffentliches CBCR befürworteten (Brunsden 2016). In der ablehnenden Haltung wurde Schäuble von IHK, BStKammer, dem Verband der Familienunternehmer und anderen Vertreter/-innen der deutschen Wirtschaft unterstützt.

Bei einer Sitzung der europäischen Finanzminister am 6. Dezember 2016 in Brüssel versucht Schäuble, die Pläne der EU-Kommission zu durchkreuzen, nach denen die Justiz-, aber nicht die Finanzminister über CBCR entscheiden sollen – unterstützt von Zypern, Irland, Luxemburg und Estland. Dadurch soll das Mehrheitsprinzip durch die Einstimmigkeit ersetzt werden. Die Sitzung findet während des Frühstücks statt. Deshalb ist keine Übertragung im Internet notwendig, obwohl das normalerweise Pflicht ist, wenn über Gesetzgebungsakte beraten wird.

Eine besondere Rolle im deutschen Engagement gegen öffentliches CBCR kommt dem Institut für Finanzen und Steuern e.V. zu, in dem Vertreter des Finanzministeriums und der Wirtschaft zusammenarbeiten, geleitet von Professorin Johanna Hey. Unter dem Dach eines gemeinnützigen Vereins äußern sich dort Wirtschaftsvertreter und hohe Parteifunktionäre. Mit einem Videointerview mit dem parlamentarischen Staatssekretär Michael Meister (CDU) versucht das Institut für Finanzen und Steuern, die Debatte um öffentliches CBCR in Deutschland zu beeinflussen. Darin lehnt Meister dieses kategorisch ab.

Im Januar 2017 werden die zuständigen Ausschüsse im EU-Parlament neu bestimmt und damit offiziell die Triloggespräche fortgeführt. Die Versuche, die gesamte CBCR-Thematik in den Steuerbereich zu verschieben, sind damit jedoch keineswegs beendet. Noch Mitte März 2017 spricht die IHK davon, diese Frage vor dem obersten europäischen Gericht prüfen zu lassen. Und die Debatte im EU-Ministerrat über die Rechtsgrundlage spitzte sich nach der Abstimmung in den Ausschüssen des EU-Parlaments vom 12. Juni 2017 zu. Dort empfahlen die EU-Parlamentarier, die Begrenzung des Vorschlags von EU-Kommissionspräsident Juncker auf die EU-Staaten zu löschen und Konzerntransparenz weltweit durchzusetzen. Anfang Juli segnete das Plenum des EU-Parlaments diesen Vorschlag ab. Dagegen hielt noch im April 2019 der Rechtsdienst des EU-Ministerrates daran fest, dass die Rechtsgrundlage der Richtlinie abzuändern sei. Der EU-Ministerrat selbst konnte sich nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Deshalb stockte bis zum Erscheinen dieses Textes das Trilog-Verfahren.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Die verschiedenen politischen Vorschläge, Konsultationen und Stellungnahmen zeigen, dass es in Bezug auf Rechnungslegungsstandards sehr unterschiedliche Perspektiven und Bewertungen zwischen den großen Unternehmen als Ersteller und Bereitsteller von Informationen auf der einen und Investoren und der Öffentlichkeit auf der anderen Seite gibt. Diese Unterschiede führen dazu, dass Rechnungslegungsstandards nicht den technischen Experten/-innen – die vorwiegend auf Seiten der großen Unternehmen bzw. bei den von ihnen bezahlten Wirtschaftsprüfern zu finden sind – überlassen werden können. Sie müssten stattdessen in einem offenen politischen Prozess verhandelt werden.

Das Beispiel CBCR zeigt dabei, wie wichtig öffentlicher Druck ist, gleichzeitig aber auch, wie schwierig es ist, gegen die vielfältigen, gut vernetzten und mit technischer Expertise sowie ungleich höheren finanziellen Mitteln ausgestatten Wirtschaftsvertreter/-innen Gehör zu finden.

Anhand des CBCR wird zudem deutlich, wie wichtig Verhandlungen für das Ergebnis sind. Sowohl OECD als auch EU verfolgen die Interessen ihrer Mitgliedsstaaten und damit auch der vorwiegend dort ansässigen multinationalen Unternehmen. Ziel der Bekämpfung von Steuervermeidung kann nicht die Sicherung deutscher (und europäischer) Steuereinnahmen auf Kosten anderer Länder, sondern nur eine Erhöhung der Steuereinnahmen weltweit und deren gerechte Verteilung sein. Deshalb sollte anstelle eines Clubs reicher Staaten ein echtes internationales Gremium, am besten bei den Vereinten Nationen, diese Themen behandeln.

Die Befürchtung von vielen hiesigen Akteuren, dass durch eine angemessene Besteuerung der Auslandsgewinne deutsche Steuereinnahmen gefährdet seien, belegt, dass bessere Zahlen nötig sind. CBCR könnte genau diese Datengrundlage liefern. Dass es so vehement bekämpft wird legt nahe, dass nicht allen an einer objektiven Debatte gelegen scheint. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes stocken die Trilog-Verhandlungen auf EU-Ebene seit ungefähr zwei Jahren. So lange sich der EU-Ministerrat sich nicht auf eine gemeinsame Position einigt, steckt das Trilogverfahren fest. Zu den ausgesprochenen Gegnern des Vorschlags zählten im EU-Ministerrat auch im April 2019 noch immer allen voran die deutsche Bundesregierung, neben Irland, Luxemburg, Malta, Österreich, Schweden, Ungarn und Zypern.

Mit CBCR als Standard für europäische Steuerbehörden und möglicherweise auch mit dessen Veröffentlichung ist das Rennen um mehr Transparenz und der Kampf gegen Steuervermeidung aber noch lange nicht zu Ende. Der Erfolg des CBCR hängt von den Kapazitäten der Steuerbehörden und dem politischen Willen der Finanzminister/-innen ab, die mit den zusätzlichen Informationen die Vermeidungsmodelle der Unternehmen hinterfragen und korrigieren müssen. Steuerbehörden leiden dabei weltweit unter Personalabbau und dem zerstörerischen Steuersenkungswettlauf zwischen den Staaten, den Finanzminister/-innen oft noch anheizen. Zusätzlicher öffentlicher Druck und Kontrolle kann dem entgegenwirken. Auch wenn öffentliches CBCR nicht das Ende der Steuervermeidungsgeschichte sein wird: es schafft die beste Voraussetzung dafür, dass aggressive Steuervermeider und politisch motivierte Eingriffe in die Steuerverwaltung auffliegen. Selbst der Gefahr, dass es durch Spielräume bei der Aufstellung der Daten zu neuen Manipulationsversuchen kommt und damit die Vergleichbarkeit und der Nutzen der Zahlen gefährdet wird, wird am besten durch die Veröffentlichung der Daten begegnet.

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Markus Meinzer ist Vorstand der britiscnen NGO tax justice network. Er hat Anfang 2017 das Buch "Steueroase Deutschland" veröffentlicht. Beim Netzwerk beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Steuervermeidung und bringt unter anderem den Schattenfinanzindex heraus.