In der politikwissenschaftlichen Diskussion besteht an demokratietheoretischen Konzeptionen wahrlich kein Mangel. Die einschlägigen Übersichtsbände präsentieren ein sehr breites, in sich stark differenziertes Angebot konzeptioneller Erwägungen (Schmidt 2010; Massing et al. 2012). Dabei werden zum Teil sehr unterschiedliche Merkmale, Dynamiken, Organisationsformen oder auch Hindernisse in der Realisierung von Demokratie hervorgehoben. Die Konzeptionen variieren zum einen sehr stark, weil sich die demokratische Frage in den jeweiligen historischen und nationalen Kontexten – etwa im antiken Griechenland, im England des bürgerlichen Aufbruchs oder im Zuge der erstarkten Arbeiterbewegung seit Ende des 19. Jahrhunderts – oft sehr verschieden darstellte. Sie unterscheiden sich zum anderen aber auch deswegen, weil seitens der beteiligten Theoretiker/-innne jeweils spezifische Erkenntnisinteressen und normative Positionen eingeflossen sind.
Unter Berücksichtigung dieser beiden Momente soll hier nachgezeichnet werden, wie sich in der Bundesrepublik Deutschland – auch unter dem Einfluss von Konzepten aus den westlichen Nachbarländern – die demokratietheoretische Diskussion entwickelt hat. Die Darstellung muss notgedrungen selektiv sein. Sie konzentriert sich auf einige Kontroversen, die die Strukturen und Formen (zivil-)gesellschaftlicher Macht und deren Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse thematisieren: So etwa der Streit zwischen den Verfechtern einer liberalen und sozialen Demokratie, der Disput zwischen neo-pluralistischen, machtelitentheoretischen und (neo-)korporatistischen Politikkonzepten, die gegensätzliche Sicht auf die Legitimationsprobleme oder Formen der Unregierbarkeit im Spätkapitalismus oder zuletzt die provokante These von der Postdemokratie. Die Interpretation der Kontroversen erfolgt dabei aus einer Perspektive, die durch ein weites und dynamisches Verständnis von Demokratie gekennzeichnet ist. Was dies genau bedeutet, soll den demokratietheoretischen Kontroversen zunächst vorangestellt werden.
Dimensionen und Verfahren der Demokratie
Wenn von Demokratie die Rede ist, beziehen sich Politiker/-innen, Journalistinnen und Journalisten und auch Wissenschaftler/-innen auf zum Teil sehr unterschiedliche Sachverhalte. Offenkundig greifen in der konkreten Organisation demokratisch verfasster Gemeinwesen vier Dimensionen ineinander, deren Funktionsweise, Charakter und Relevanz unterschiedlich eingeschätzt werden.
Die erste, grundlegende Dimension besteht in dem Prinzip der Volkssouveränität. Mit diesem wird der Anspruch erhoben, die staatliche Machtausübung an den Volkswillen zu koppeln oder radikaldemokratisch formuliert: die Selbstregierung des Volkes zu realisieren. In komplexen Gesellschaften ist diese Selbstregierung – die Bürger und Bürgerinnen sind zugleich Urheber und Betroffene politischer Entscheidungen – organisatorisch anspruchsvoll; zumal die Gesellschaft nicht homogen, sondern durch konkurrierende Interessenlagen und Identitäten gekennzeichnet ist. Neben direktdemokratischen Entscheidungen wie Volksabstimmungen bedarf es mithin institutionalisierter Verfahren und Akteure – etwa der politischen Parteien und Formen der parlamentarischen Repräsentation –, um diese Selbstregierung zu organisieren. Mit anderen Worten, in modernen Gesellschaften realisiert sich Demokratie stets in Formen einer prozeduralisierten Volkssouveränität.
Als eine wichtige Form der Prozeduralisierung gilt als zweite Dimension das Prinzip der Gewaltenteilung. Dieses Prinzip bezieht sich in föderalen Gebilden wie in Deutschland auch auf die horizontale Gewaltenteilung zwischen den konkurrierenden politischen Handlungsebenen (Zentralstaat, Länder und Kommunen), darüber hinaus aber vor allem auf die funktionale Trennung zwischen der gesetzgebenden (Parlament), der ausführenden (Regierung, Verwaltung und Polizei) und der rechtsprechenden Gewalt (Justizwesen). Das zentrale Anliegen der Gewaltenteilung besteht darin, durch wechselseitige Kontrollen den Missbrauch politischer Macht zu verhindern.
Die dritte Dimension der Demokratie besteht in ihrer – permanenten – zivilgesellschaftlichen Revitalisierung. Unter Zivilgesellschaft ist dabei die Infrastruktur der öffentlichen Kommunikation zu verstehen. Sie umfasst unterschiedliche Arten wie Medien (Bücher, Zeitschriften, Facebook etc.), Universitäten, Forschungs- und Bildungseinrichtungen und Schulen, die politischen Parteien, Verbände, Kirchen und Think Tanks oder soziale Netzwerke und Bewegungen. Die Vitalität und Qualität demokratischer Gemeinwesen ist immer auch davon abhängig, dass die unterschiedlichen Akteure der Zivilgesellschaft – auch jenseits der formal institutionalisierten Wege – das politische System kritisch beobachten und drängende Fragen und Probleme in öffentlichen Diskussionen auf die Agenda setzen (Rödel u.a. 1989).
Eine vierte, oft vernachlässigte Dimension der Demokratie markieren die Formen einer wirtschaftsdemokratischen Partizipation und Kontrolle (Demirovic 2007). Die Konzeptionen der Wirtschaftsdemokratie thematisieren allgemein das Problem, dass die kapitalistische Wirtschaftsordnung eine hierarchisch strukturierte, durch die Eigentümer und das Management kontrollierte Arbeitswelt voraussetzt und eine ungleiche Verteilung von Reichtum und Macht begünstigt. Um die bestehenden Hierarchien und Ungleichheiten abzuschwächen, sind in vielen Gesellschaften entsprechend wohlfahrtsstaatliche Elemente wie die sozialen Sicherungssysteme (Rente, Gesundheit, Arbeitslosigkeit) und öffentliche Dienstleistungen (Bildung, Erziehung, Kommunikation und Transport), Mitspracherechte der Beschäftigten und Formen der Wirtschaftsplanung entwickelt worden.
Die aufgeführten Dimensionen spielen in den demokratietheoretischen Konzeptionen eine sehr unterschiedliche Rolle. Sie werden nicht nur unterschiedlich gewichtet, sondern oft – dies gilt auch für die korrespondierenden Formen des Lobbying – verschieden interpretiert. Kurzum, die demokratietheoretischen Diskussionen sind äußerst vielschichtig. Vereinfacht lassen sich, gleichsam als gegenläufige Pole der Debatte, zwei markante Konzeptionen identifizieren: Auf der einen Seite steht ein eher "dünnes" Verständnis von Demokratie, das einen Modus des Regierens beschreibt, der durch die repräsentative, vor allem aber funktionale Auswahl des politischen Führungspersonals gekennzeichnet ist. Im Kontrast hierzu begreifen auf der anderen Seite normativ anspruchsvolle Konzeptionen Demokratie umfassender als "Lebensform", was darauf hinausläuft, auch die (zivil-)gesellschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten einer politisch selbstbestimmten Lebensführung in den Blick zu nehmen.
Demokratietheoretische Kontroversen
Diese unterschiedlichen Demokratieverständnisse haben sich auch in wichtigen theoretisch-konzeptionellen Kontroversen niedergeschlagen. Einige der Kontroversen, so etwa die zwischen liberaler und sozialer Demokratie, hatten einen sehr starken deutschen Fokus; andere, wie die zwischen den Neo-Pluralisten, kritischen Machtelite-Forscher/-innen und Korporatismustheoretiker/-innen oder auch die zwischen Vertreter/-innen der Legitimationskrise oder Unregierbarkeitskrise, wurden stärker im internationalen, vor allem transatlantischen Raum ausgetragen. Die Diskussionen schlossen auch Fragen eines interessenpolitisch vermittelten Ausgleichs sozialer Machtasymmetrien mit ein. Die Aufmerksamkeit richtete sich dabei zumeist auf die gesellschaftspolitischen Kontextbedingungen und Ergebnisse, weniger – dies gilt partiell allenfalls für die Neopluralismus-Korporatismus-Kontroverse – auf die Verfahren eines legitimen Lobbyings.
Liberale versus soziale Demokratie
Die Konzeption der "sozialen Demokratie" weist zurück auf die staatsrechtstheoretischen Diskussionen in der Weimarer Republik. Damals hatte insbesondere der Staatsrechtler Hermann Heller (1971) argumentiert, dass in einer klassengespaltenen Gesellschaft die Formen der demokratischen Kontrolle und Partizipation prekär bleiben: einerseits, weil ausgeprägte soziale Ungleichheiten häufig dazu führen, dass marginalisierte Gruppen politisch ausgeschlossen werden und ihre bestehenden demokratischen Partizipationsrechte nicht oder nur unzureichend nutzen. Andererseits begünstige die soziale Spaltung der Gesellschaft Prozesse der politischen Destabilisierung, denen oft mit einer Stärkung der Exekutive begegnet wird. Um derartigen Gefahren vorzubeugen, plädierten die Vertreter/-innen der sozialen Demokratie wie Heller dafür, die formalen Strukturen der repräsentativen Demokratie – und des liberalen Rechtsstaates – durch arbeitsrechtliche (gesetzliche und tarifvertragliche Arbeitsschutzbestimmungen), wirtschaftsdemokratische (Mitbestimmung) und sozialstaatliche Institutionen (soziale Sicherungssysteme und öffentliche Dienstleistungen) zu ergänzen. Mehr noch, all diese Elemente sollten dazu beitragen, eine lebendige, durch die aktive Teilhabe und Teilnahme aller Klassen gekennzeichnete, also "soziale" Demokratie zu realisieren.
Wie eine Art Übergangsform von der "demokratischen" zur "sozialistischen" Republik genau aussehen sollte, blieb dabei umstritten (Blau 1980). Heller betrachtete die Stärkung und aktive, partizipatorische Integration der Arbeiterschaft in den Staat z.B. über Gewerkschaften als hinreichend, um die Institutionen des demokratischen Rechtsstaatsgedanken materiell zu stabilisieren und für sozialistische Transformationsperspektiven zu nutzen. Andere, so z.B. Otto Kirchheimer (1964), hatten höhere Ansprüche und sahen die Perspektive der sozialen Demokratie an die Überwindung des Klassenantagonismus, d.h. an die Vergesellschaftung der Produktionsmittel – die Aufhebung des Privateigentums oder umfassende öffentliche Kontrolle des Produktivvermögens – gekoppelt. Wolfgang Abendroth, der die Konzeption der "sozialen Demokratie" nach dem Zweiten Weltkrieg erneut aufgriff, schloss sich analytisch der zweiten Linie von Kirchheimer an, kritisierte ansonsten aber mit Heller das rein formale, auf Institutionen und Verfahren fokussierte Verständnis von Demokratie und forderte einen weiter gefassten Demokratiebegriff: