Was bedeutet Trumps America-first-Handelspolitik für den globalen Süden?
Clara BrandiAxel Berger
/ 8 Minuten zu lesen
Link kopieren
Die Handelspolitik der aktuellen US-Regierung verstärkt die Krise des Multilateralismus aus der Perspektive der Entwicklungsländer erheblich. Clara Brandi und Axel Berger diskutieren, wie der neue Protektionismus insbesondere diese Staaten trifft.
Die USA waren der zentrale Protagonist, der den Aufbau einer liberalen und regelbasierten Handelsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg vorangetrieben hat. Seinen Höhepunkt fand dieser Aufbau in der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) Mitte der 1990er Jahre. Die Amtsübernahme von Donald Trump als 45. US-Präsident markiert einen Wendepunkt, der nicht nur die isolationistischen Tendenzen in der Handelspolitik der USA stärkt, sondern das internationale Handelssystem in Frage stellt.
Schon im Wahlkampf hatte Trump versprochen, die Interessen der USA und insbesondere des vom Abstieg bedrohten US-Mittelstandes an vorderste Stelle ("America First") zu setzen. In der Handelspolitik bedeutet dies Abschottung gegenüber Importen, Restriktion von Auslandsinvestitionen amerikanischer Unternehmen und Skepsis gegenüber regionalen und multilateralen Handelsabkommen.
Bereits an seinem ersten Amtstag verkündete der Präsident den Rückzug der USA aus der kurz vor dem Abschluss stehenden Transpacific Partnership (TPP), eines zwölf Staaten umfassenden Freihandelsabkommens im asiatisch-pazifischen Raum. Zudem legte er die Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) über die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) auf Eis und zwang Südkorea, Mexiko und Kanada in Neuverhandlungen bestehender Handelsabkommen. Die amerikanische Regierung kritisiert das multilaterale System und blockiert die Neubesetzung vakanter Richterposten beim Streitschlichtungsgremium der WTO. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt verhängte Präsident Trump Schutzzölle auf Solarmodule und Waschmaschinen, im März 2018 folgten Schutzzölle auf Stahl und Aluminiumprodukte, und im Sommer 2018 wurden chinesische Produkte im Wert von zunächst 50 Milliarden US-Dollar mit einem Zoll von 25 Prozent belegt. Diese Zollerhöhungen führten zu Vergeltungsmaßnahmen der betroffenen Länder. Parallel wurden eine Reihe von Streitbeilegungsverfahren bei der WTO initiiert. Hiervon unbeeindruckt droht Donald Trump mit weiteren Zöllen gegenüber China und der EU und mit dem Austritt der USA aus der WTO.
Im Fokus der amerikanischen Handelspolitik und der Debatte über den neuen amerikanischen Protektionismus stehen große Handelsmächte wie China und die EU sowie Länder, die eng mit den USA verbunden sind wie Kanada und Mexiko. Die Konzentration auf diese Handelskonflikte verstellt vielen den Blick auf die möglichen Auswirkungen auf die Länder des globalen Südens. Laut einem Sprichwort der Suaheli ziehen kämpfende Elefanten das Gras in Mitleidenschaft. Übertragen bedeutet das, dass der heraufziehende Handelskonflikt zwischen den USA und seinen wichtigsten Handelspartnern auch kleinere und ärmere Länder negativ treffen wird.
Ein Zollkrieg auf Kosten der Entwicklungsländer?
Trump will mit Zollerhöhungen auf Importe heimische Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe schützen und bilaterale Handelsungleichgewichte abbauen. Aus ökonomischer Sicht sind Importzölle jedoch ein denkbar ungeeignetes Instrument, um Handelsungleichgewichte zu beeinflussen. Angesichts global stark vernetzter Produktionsprozesse könnten sich die implementierten oder angedrohten Importzölle als kurzsichtig erweisen, denn die USA sind eng in regionale und globale Wertschöpfungsketten eingebunden. Diese Verbundenheit ist wechselseitig: Die meisten amerikanischen Importe aus wichtigen US-Handelspartnerländern enthalten einen großen Anteil an Vorprodukten aus den USA. Dies gilt z.B. für in Mexiko hergestellte Autos, die für den amerikanischen Markt bestimmt sind. Gleichzeitig wäre die US-Wirtschaft längst nicht so wettbewerbsfähig ohne Vorprodukte, die in anderen Ländern hergestellt werden. Die Zollerhöhungen der USA treffen deshalb nicht nur deren Handelspartner, sie gehen letztlich auch auf Kosten vieler Amerikanerinnen und Amerikaner. Darüber hinaus provozieren diese Zollerhöhungen Vergeltungsmaßnahmen der Handelspartner, was sich wiederum negativ auf US-Produzenten und -Arbeiter auswirkt. Die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft insgesamt sinkt – und es kommt zu Preiserhöhungen, unter denen vor allem Einkommensschwache leiden. Insgesamt würde die protektionistische US-Handelspolitik also nicht nur viele andere Länder negativ treffen, sondern auch die USA selbst negativ belasten.
Auch für viele Entwicklungsländer sind die USA ein wichtiger Exportmarkt. Wenn ihre Waren höheren Zöllen ausgesetzt sind, untergräbt dies ihr exportorientiertes Wachstum. Kurzfristig sind die direkten Folgen von Trumps bisherigen Zollerhöhungen für Entwicklungsländer dennoch gering – sieht man von den großen Schwellenländern wie China oder Brasilien ab. Entwicklungsländer sind zum Beispiel von den US-Zöllen auf Stahl- und Aluminiumimporte kaum betroffen, da ihr Anteil am weltweiten Handel von Stahl und Aluminium gering ist. So kommen 75 Prozent der amerikanischen Stahlimporte aus vier Ländern: China, Kanada, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Entwicklungsländer haben keine nennenswerten Anteile an diesem Handel mit Stahl- und Aluminiumprodukten. Allerdings können die international wenig wettbewerbsfähigen Stahl- und Aluminiumproduzenten vieler Entwicklungsländer negativ getroffen werden, wenn die großen Produzenten angesichts der US-Marktbarrieren ihre Produkte in anderen Ländern verkaufen müssen und damit dort die Preise für die Rohstoffe weiter drücken.
Aktuell richten sich die meisten US-Zollerhöhungen gegen eine breite Palette chinesischer Produkte. Entwicklungsländer aus der asiatischen Region und darüber hinaus sind stark in chinesische Wertschöpfungsketten eingebunden. Mit anderen Worten stecken in den chinesischen Produkten, die von den US-Schutzzöllen betroffen sind, auch viele Vor- und Zwischenprodukte aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Würde der Handelskrieg zwischen den USA und China noch weiter eskalieren, dann sind es Länder wie Malaysia, Thailand, Vietnam, oder die Philippinen, die angesichts ihrer starken internationalen Verflechtung besonders stark betroffen wären. Ähnliche negative, durch regionale und globale Wertschöpfungsketten übertragene Auswirkungen hätten die angedrohten Zölle auf europäische Autos, deren Produktion zu großen Teilen auf Vorprodukten aus osteuropäischen Ländern angewiesen ist.
Wie einschneidend der neue Protektionismus der US-Regierung für Entwicklungsländer sein wird, hängt letztlich stark davon ab, wie die anderen Handelsmächte reagieren, insbesondere die Europäische Union und China. Während direkte Gegenmaßnahmen von den US-Handelspartnern im Stahl- und Aluminiumsektor gerechtfertigt sein mögen, um Überkapazitäten zu vermeiden und Arbeitsplätze zu erhalten, sind darüber hinausgehende „Vergeltungsschläge“ sehr problematisch. Denn diese schaden nicht nur den USA, sondern auch europäischen Produzenten und vor allem Konsumentinnen und Konsumenten. Zudem bergen sie das Risiko, den nächsten Gegenschlag der US-Regierung zu provozieren. Das könnte eine gefährliche Eskalation in Gang setzen, die die gesamte Weltwirtschaft ins Stocken bringt. Eine solche Spirale muss abgewendet werden – nicht zuletzt im Interesse der Entwicklungsländer.
Schwächung des internationalen Handelssystems
Darüber hinaus leiden insbesondere Entwicklungsländer unter einer weiteren Schwächung des multilateralen Handelssystems. Sie ziehen aus dem globalen Handel viel weniger Vorteile als Handelsnationen wie Deutschland oder die USA. Das liegt auch an der sogenannten Uruguay-Runde von 1986 bis 1994. Ihre neuen Regeln für Auslandsinvestitionen und geistige Eigentumsrechte wirkten sich negativ auf die Entwicklungsländer aus. Nicht ohne Grund wurde die aktuelle Handelsrunde Doha-Entwicklungsrunde genannt. Dennoch bietet die WTO Entwicklungsländern auch ein Forum für multilaterale Kooperation und regelbasierten Handel, das die Macht der Stärkeren potenziell einhegt. In der WTO können Entwicklungsländer Koalitionen mit Gleichgesinnten bilden, um ihre Interessen besser in die Verhandlungen einbringen zu können. Das wäre im Rahmen der von Präsident Trump bevorzugten bilateralen Deals nicht möglich. In der WTO haben Entwicklungsländer Zugang zu einem unparteiischen Streitschlichtungsverfahren und Unterstützung beim Aufbau ihrer Verhandlungskapazitäten. Vor diesem Hintergrund wäre eine weitere Schwächung der WTO vor allem für Entwicklungsländer fatal. Gerade die Schwachen im Welthandelssystem sind auf eine Institution angewiesen, in der Regeln maßgeblich sind – und nicht der Wille des Mächtigeren. Sowohl Brüssel als auch Peking haben Klage gegen die US-Zollerhöhungen bei der WTO eingereicht. Präsident Trump argumentiert, dass Zollerhöhungen auf Stahl- und Aluminiumimporte notwendig sind, weil andernfalls die "nationale Sicherheit" der USA bedroht sei. Da der Ausnahmetatbestand der nationalen Sicherheit im WTO-Regelwerk nur vage definiert ist, könnte diese Argumentation in einem Schiedsverfahren sogar Erfolg haben. Sollte dies der Fall sein, könnten auch Unternehmen aus anderen Sektoren und Ländern dieses Schlupfloch im Welthandelsrecht nutzen, um Zollbarrieren im nationalen Sicherheitsinteresse zu erhöhen. Dieser legalisierte Protektionismus würde dann auch Sektoren betreffen, die für Entwicklungsländer wichtig sind. Aber auch eine Niederlage der USA in den WTO-Schiedsverfahren würde negative Folgen haben, denn die US-Regierung könnte dies zum Anlass nehmen, sich noch stärker von der WTO abzuwenden. Der Abschluss der aktuellen Doha-Verhandlungsrunde in der WTO gerät so immer mehr außer Reichweite. Das ist insbesondere aus Sicht des globalen Südens bedauerlich.
Handelspräferenzen für Entwicklungsländer auf der Kippe?
Was ist schließlich mit den amerikanischen Handelsregeln, die speziell für Entwicklungsländer gelten? Das AGOA-Programm (African Growth and Opportunity Act), erlaubt es afrikanischen Regierungen, ihre Güter zollfrei in die USA zu exportieren. Obwohl durch AGOA in den vergangenen 15 Jahren nicht nur 300.000 Jobs in Afrika, sondern auch rund 120.000 in den USA geschaffen wurden, stellt die Trump-Administration das Programm stark in Frage. Doch bis auf weiteres garantiert AGOA Zollfreiheit für afrikanische Waren – 2015 wurde es für zehn Jahre verlängert. Auch das Allgemeine Präferenzsystem GSP (Generalized System of Preferences) ist im Frühjahr 2018 bis Ende 2020 verlängert worden. Es gewährt Zollpräferenzen für Waren aus Entwicklungsländern und verbessert so deren Chancen, in die USA zu exportieren. Aufgrund der Fixierung Trumps auf die großen Handelsmächte dürften beide Programme zunächst Bestand haben.
Ausblick
Wenn es Deutschland und der EU wichtig ist, das multilaterale Handelssystem zu erhalten und zu festigen und die handelspolitischen Interessen und Bedürfnisse des globalen Südens in den Fokus zu rücken, dann müssen sie mit neuen Partnern kooperieren – die USA sind derzeit dafür kein verlässlicher Partner. Die Verfechter des Multilateralismus sollten nichts unversucht lassen, um die WTO stärken. Eine Möglichkeit besteht darin, die Rolle des WTO-Sekretariats auszubauen. Des Weiteren sollten plurilaterale Verhandlungen, also Allianzen der Gleichgesinnten, unter dem Dach der WTO unterstützt werden, wie aktuell zu dem für Entwicklungsländer wichtigen Thema Investment Facilitation, bei dem es vor allem um mehr Effizienz bei der Abwicklung ausländischer Investitionen geht. Auch die G20-Gipfel sind ein wichtiges Forum, Lösungen für die aktuelle Handelskrise zu finden. Dazu zählen insbesondere das Problem der Überkapazitäten, vor allem in China, und der makroökonomischen Politiken, vor allem die massiven deutschen Leistungsbilanzüberschüsse. Es erfordert Zugeständnisse von allen Seiten, wenn ein offenes Handelssystem auf kooperativer Basis auch in Zukunft noch existieren soll.
Dr. Clara Brandi ist Senior Researcher und Projektleiterin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in der Abteilung für Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung. Sie hat in Freiburg und Oxford studiert und am European University Institute promoviert. Aktuelle Forschungsschwerpunkte umfassen die globale Governance der Weltwirtschaft und die Überschneidungen von internationaler Handelspolitik und nachhaltiger Entwicklung.
Dr. Axel Berger ist Senior Researcher am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in der Abteilung für Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung und beschäftigt sich mit der Ausbreitung und den Auswirkungen von Handels- und Investitionsabkommen.
Ihre Meinung ist uns wichtig!
Wir laden Sie zu einer kurzen Befragung zu unserem Internetauftritt ein. Bitte nehmen Sie sich 5 Minuten Zeit, um uns bei der Verbesserung unserer Website zu helfen. Ihre Angaben sind anonym.