Wenn es in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine Gewissheit gab, dann diese: Die Welt rückt immer enger zusammen. Der Megatrend der Globalisierung erfasste die Weltwirtschaft in einer neuen Welle kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Dank des Internets schrumpften Distanzen, plötzlich war es egal, ob der Geschäftspartner in Passau oder in Peking saß. Der Welthandel wuchs rasant, die Wertschöpfungsketten wurden global, die Arbeitsteilung immer feingliedriger. Und die Wohlstandsgewinne waren enorm.
Lange schien es wie in Stein gemeißelt, dass es so immer weitergehen würde. Schließlich hört der technologische Wandel nicht auf, sind noch längst nicht alle Regionen gleichermaßen vom Wandel erfasst. Doch in den letzten Jahren hat diese Gewissheit Risse bekommen. Wirtschaftlich, politisch und geostrategisch haben sich die Anzeichen gemehrt, dass die Globalisierung stockt – oder zumindest einen anderen Charakter bekommt. Der Welthandel wächst längst nicht mehr so schnell wie zuvor, die Doha-Runde der Welthandelsorganisation WTO gilt als gescheitert – ebenso die Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen Europa und den USA. Parteien, die auf Abschottung und nationale Töne setzen, sind im Aufwind. Und die große Zahl an Flüchtlingen, die sich vor allem 2015 Richtung Europa bewegten, offenbarte eine weitere Seite der Globalisierung, die für viele Menschen im Westen bislang kaum sichtbar war.
Erstes sichtbares Indiz für den Gegentrend war die schwächere Dynamik im weltweiten Warenhandel. Bereits 2015 kam eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zu dem Ergebnis, dass der globale Warenaustausch seit der Finanzkrise von 2007 nur noch um rund drei Prozent im Jahr gewachsen sei – vor deren Ausbruch waren es im Schnitt noch mehr als sieben Prozent gewesen. Kurz nach der Krise schrumpfte der Welthandel dann sogar kurzzeitig. Diese Entwicklung sei nicht einfach Folge eines insgesamt schwächeren Wachstums großer Wirtschaftsnationen und Schwellenländer, sie habe auch strukturelle Gründe. So würden Exportunternehmen in China und den Vereinigten Staaten vermehrt auf Vorleistungen im eigenen Land setzen, anstatt diese zu importieren. Es werden also weniger Teile aus dem Ausland eingekauft und auch weniger Produktionsstätten dorthin verlagert.
National orientierte Politik – nicht nur in den USA
Zuletzt wuchs der Welthandel zwar wieder etwas stärker, aber insbesondere die Rhetorik von US-Präsident Donald Trump („America first“) und dessen Handelsminister Wilbur Ross nähren Zweifel, ob die Globalisierung fortschreiten wird. Und nicht nur in den USA wird eine zunehmend national orientierte Politik gemacht, man denke nur an den Brexit oder die Regierungen in Polen und Ungarn.
Es passt in dieses Bild, dass die WTO mit ihren zurzeit 164 Mitgliedstaaten seit eineinhalb Jahrzehnten vergeblich versucht, die Handelsbarrieren in der Doha-Runde zu beseitigen. An einen Durchbruch, der dazu führen würde, dass Zölle auf breiter Ebene wegfallen, glaubt kaum noch ein Experte. Die Alternativen sind nun kleinere, regionale Abkommen: Nachdem etwa die USA das Transpazifische Partnerschaftsabkommen (TPP) der Pazifikanrainer platzen ließen, haben sich die verbliebenen Staaten nun ohne Amerika geeinigt.
Die wachsende politische Unsicherheit ist ein weiterer Bremsfaktor für die Globalisierung. Krisen, Kriege und Terror halten Unternehmen und Bevölkerung in Atem. Die Weltordnung ist unübersichtlicher geworden. Es gibt keinen einzelnen Hegemonen mehr: Die USA engagieren sich weniger in der Welt, China dagegen erhebt den Anspruch, Weltmacht zu sein.
Auch Flüchtlinge sind Teil des globalen Prozesses
Die rund 65 Millionen Menschen, die nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks weltweit auf der Flucht sind, verstärken vielerorts den Wunsch nach Abschottung. Auch das ist ein Rückschlag für die Globalisierung – denn Flüchtlinge und Migranten sind ein Teil dieses globalen Prozesses. Nicht nur Waren und Dienstleistungen werden mobiler, sondern auch Arbeitskräfte. Viele Menschen flüchten vor Krieg und politischer Verfolgung. Viele verlassen aber auch ihre Heimat, um mehr Chancen auf Arbeit und eine bessere Zukunft zu haben.
Moderne Kommunikationsmittel und das wachsende Wissen um die Lebensstandards in den Industrienationen dürften diese Mobilität stärken. Folgt man der Argumentation, erkennt man nicht das Ende der Globalisierung, sondern ihr gewandeltes Gesicht. Abgeschlossen sind diese Veränderungen noch lange nicht. So versichert etwa der Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar, dass es bei der Globalisierung künftig nicht mehr so sehr um den klassischen Güterverkehr gehen wird, sondern um Daten und Dienstleistungen, die um den Globus kreisen. Ihre Menge wachse rasant – und sie könnten den Alltag genauso stark verändern wie T-Shirts und Smartphones aus asiatischen Billigfabriken.
Torsten Riecke (© Handelsblatt) Torsten Riecke (© Handelsblatt) | Torsten Riecke: |