Die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima war ein Wendepunkt für Deutschlands Energiekonzerne. Die Bundesregierung verhängte im März 2011 für mehrere Atomkraftwerke ein Moratorium. Im August gingen acht Reaktoren dauerhaft vom Netz und der Bundestag beschloss Deutschlands endgültigen Ausstieg aus der nuklearen Stromerzeugung bis Ende 2022.
Atomausstieg setzt den Energieriesen zu
Der Unternehmensgewinn von RWE ging im Energiewendejahr 2011 um ein Viertel von 7,7 auf 5,8 Milliarden Euro zurück. Branchenführer E.ON verzeichnete sogar einen Verlust von 1,9 Milliarden Euro nach einem Gewinn von 6,3 Milliarden Euro im Vorjahr. Ursachen waren allerdings nicht nur entgangene Gewinne aus dem Betrieb der Atomkraftwerke, sondern auch einmalige Rückstellungen für deren Stilllegung, die neue Kernbrennstoffsteuer, hohe Verluste im Gasgeschäft und im Fall von E.ON zusätzlich die Rezession in Südeuropa.
Die Konzerne reagierten mit milliardenschweren Sparprogrammen und kündigten die Streichung von bis zu 20.000 Stellen an. Wegen hoher Schulden will RWE Beteiligungen im Wert von sieben Milliarden Euro veräußern, E.ON will mit Verkäufen sogar 15 Milliarden Euro erlösen. Vor allem aber dank neu verhandelter Gaslieferverträge stiegen die Gewinne bereits 2012 wieder deutlich an.
Ungeachtet dessen bleibt der Sparkurs bestehen. Er widerspricht dem Bild von den marktbeherrschenden Konzernen, das in den Jahren zuvor entstanden war. Die Energiewirtschaft wurde schon seit der Weimarer Republik von wenigen Großunternehmen bestimmt. Die Marktmacht wuchs noch weiter, als die großen Elektrizitätserzeuger um die Jahrtausendwende zu den vier Konzernen fusionierten, die noch heute bestehen: E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW . Der größte Zusammenschluss war der von VEBA und VIAG zu E.ON im Jahr 2000. Trotz Bedenken der Kartellbehörden durfte der neue Konzern nach einer Ministererlaubnis 2003 sogar den Giganten Ruhrgas übernehmen und sollte damit zu einem "nationalen Champion" auf dem europäischen Energiemarkt werden.
EU sorgt für mehr Wettbewerb auf dem deutschen Energiemarkt
Dem Wettbewerb in der Strom- und Gaswirtschaft hatte die Europäische Kommission kurz zuvor zum Durchbruch verholfen. Mit zwei Binnenmarktrichtlinien beendete Brüssel die alten Gebietsmonopole. Stromkunden konnten in Deutschland seit 1998 erstmals einen anderen Anbieter als ihren Grundversorger wählen, der Gasmarkt folgte 2003.
Die ehemaligen Monopolisten glaubten, im Wettbewerb nur als Großkonzerne bestehen zu können; den vier Konzernen gehörten schließlich mehr als 80 Prozent der Kraftwerke in Deutschland. Zunächst versuchten E.ON und RWE über ihre alten Beteiligungen an Stadtwerken und Regionalversorgern den Stromabsatz aus ihren Kraftwerken an die Verbraucher zu sichern.
Im Jahr 2009 veräußerte E.ON aber mit seiner Tochtergesellschaft Thüga einen Großteil seiner Stadtwerksbeteiligungen an ein Konsortium aus 50 kommunalen Unternehmen. Dem Verkauf war eine Untersuchung der EU-Kommission vorausgegangen. Nach Beschwerden von Industriekunden über hohe Preise ließ die Generaldirektion Wettbewerb 2006 Büros von E.ON durchsuchen. Die Kommission hatte den Verdacht, dass der Konzern billige Kapazitäten aus Braunkohle-, Wasser- und Atomkraftwerken zurückgehalten haben könnte, um so den Strompreis in die Höhe zu treiben. Die Ermittlungen endeten mit einem Vergleich und die Kommission stellte das Verfahren im November 2008 ein. E.ON verpflichtete sich, sein Höchstspannungsnetz und 5.000 Megawatt an Kraftwerkskapazitäten zu verkaufen. In ihrer "vorläufigen Beurteilung" schrieb die Kommission, dass "im vorliegenden Fall der deutsche Stromgroßhandelsmarkt von den drei Betreibern E.ON, RWE und Vattenfall gemeinsam beherrscht wird. E.ON, RWE und Vattenfall könnten des Weiteren eine gemeinsame Preiserhöhungsstrategie vereinbart haben."
Zu einem ähnlichen Schluss kam das Bundeskartellamt in einer Sektoruntersuchung in den Jahren 2007 und 2008. "Die Analyse der Kräfteverhältnisse auf dem Stromgroßhandelsmarkt legen das Ergebnis nahe, dass in Deutschland mehrere Anbieter (RWE, E.ON, Vattenfall und gegebenenfalls auch EnBW) individuell über eine marktbeherrschende Stellung verfügen", schrieb die Wettbewerbsbehörde. Der Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung war auch deshalb schwierig, weil ein Viertel aller deutschen Kraftwerke nach Angaben der Betreiber wegen "technischer Restriktionen" nicht am Netz war. Die Unterscheidung zwischen missbräuchlicher Kapazitätszurückhaltung und technischen Defekten war damit für die Wettbewerbshüter kaum nachzuvollziehen.
Durch die neue Markttransparenzstelle bei der Bundesnetzagentur und die europäische Regulierungsbehörde ACER werden die Wettbewerbshüter in den kommenden Jahren genauere Daten zum Energiegroßhandel erheben können. Trotz des Verkaufs von Kraftwerken und der Stilllegung von acht Atomreaktoren verfügten die vier Energiekonzerne 2011 immer noch über 73 Prozent der konventionellen Stromerzeugungskapazitäten.
Marktanteil der großen Vier sinkt
Auf dem Endkundenmarkt aber sind die Großunternehmen durch neue Wettbewerber seit 1998 bereits stark unter Druck geraten. Mit Kampagnen gegen die "Atomkonzerne" gewannen vier Anbieter von Ökostrom insgesamt eine Million Haushalte als Kunden und erreichten einen Marktanteil von 2,5 Prozent. Stadtwerke weiteten ihren Vertrieb auf Nachbarkommunen aus, einige bieten Strom oder Gas inzwischen sogar bundesweit an. Seit 1998 haben sich außerdem zahlreiche private Anbieter gegründet. Im Jahr 2011 gab es nach Angaben der Unternehmensberatung A.T. Kearney 50 unabhängige Strom- und 55 Gasunternehmen.
Die Absatzzahlen von E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW sind seit der Liberalisierung entsprechend gesunken. Konzerneigene Vertriebsgesellschaften und Stadtwerke mit Mehrheitsbeteiligung der großen Vier belieferten 2008 nach Angaben der Bundesnetzagentur 52 Prozent der Endkunden. Weil Kunden wechselten und die Energiekonzerne Beteiligungen verkauften, versorgten sie 2011 nur noch 42 Prozent.
Immer mehr Konsumenten produzieren ihre Energie selbst
Die Bedeutung der Stromkonzerne wird nicht nur wegen des anhaltenden Wettbewerbs weiter sinken. Jedes dritte Unternehmen prüft wegen steigender Strom- und Wärmepreise den Einstieg in die eigene Energieerzeugung, ergab eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages im Herbst 2012. Für Hausbesitzer ist Strom aus der eigenen Solaranlage inzwischen preiswerter als der Bezug über einen günstigen Anbieter, Gewerbebetriebe mit ihren günstigeren Großkundentarifen werden die Kostenparität in einigen Jahren ebenfalls erreichen.
Eigenverbrauch und eine neue Generation von Anbietern haben das Potenzial für die nächste Revolution im Energiemarkt. Unternehmen aus der Windkraftbranche experimentieren bereits mit der Lieferung von Ökostrom, ohne dafür Fördergelder in Anspruch zu nehmen. "Ich bin davon überzeugt, dass unser Marktanteil in Deutschland zwingend und nachhaltig sinken wird. Es ist nicht möglich, dass wir in einer stärker dezentralisierten Energiewelt den gleichen Marktanteil halten", sagte Johannes Teyssen, Vorstandsvorsitzender von E.ON, 2012 in einem Interview.
Energieriesen hinken beim Ausbau der erneuerbaren Energien hinterher
Beim bereits laufenden Ausbau der erneuerbaren Energien haben sich E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW lange zurückgehalten. Die Stromriesen sind zum einen auf kapitalintensive Großkraftwerke spezialisiert. Zum anderen verdrängen Erneuerbare vor allem teuren Strom aus Gaskraftwerken vom Markt. Flexible Spitzenlastkraftwerke mit Steinkohle und Gas als Brennstoff werden außerdem seltener gebraucht, weil mittags massenweise Solarstrom in die Netze fließt. Solarenergie senkt dann an der Strombörse den Preis, der früher wegen des hohen Bedarfs zur Mittagszeit besonders hoch war. Die Betreiber fossiler Kraftwerke haben es deshalb immer schwerer, Investitionen aus dem Bau ihrer Meiler zu refinanzieren.
E.ON erreichte 2011 nur einen Anteil von 13 Prozent Grünstrom in seinem Strommix und blieb damit hinter dem Bundesdurchschnitt von 20 Prozent zurück. RWE kam sogar nur auf einen Grünstromanteil von 2,6 Prozent. Den meisten Ökostrom erzeugen die Konzerne mit bis zu 100 Jahre alten Wasserkraftwerken. Bei Windenergie, Photovoltaik und Biomasse verfügen sie kaum über eigene Anlagen. Die Windräder von E.ON entsprechen nur 0,7 Prozent der in Deutschland installierten Windenergieleistung.
Eine Kehrtwende hat Vattenfall angekündigt. Nachdem die schwedische Regierung die Renditevorgaben für den Staatskonzern gesenkt hatte, teilte das Unternehmen Ende 2012 mit, nur noch in erneuerbare Energien zu investieren. Das gelte auch für die deutsche Tochter. In der Bundesrepublik will das Unternehmen allerdings bis 2020 noch ein halbes Dutzend genehmigter Gas- und Kohlekraftwerke fertig bauen. E.ON hat in Aussicht gestellt, bis 2016 mindestens 1,2 Milliarden Euro pro Jahr in erneuerbare Energien zu investieren. Damit würde der Konzern auf dem Level früherer Jahre bleiben, der weitaus größte Teil wird außerdem ins Ausland fließen. RWE will den Anteil erneuerbarer Energien an seinen Kapazitäten bis 2020 international auf 20 Prozent steigern. EnBW hat das Ziel ausgeben, bis 2020 rund 3.000 Megawatt Ökostrom-Anlagen zu bauen. Das entspricht der Leistung aller Solarmodule, die deutschlandweit im ersten Halbjahr 2012 neu errichtet wurden.
Sollten die vier Konzerne ihre Investitionen nicht stark erhöhen, werden sie für die Energiewende in Deutschland nur eine marginale Rolle spielen. Wegen hoher Schulden fehlt RWE und E.ON allerdings das Kapital für größere Investitionen, EnBW hat wegen des Wegfalls von zwei seiner vier Atomkraftwerke seit 2011 mit besonders hohen Einnahmeausfällen zu kämpfen.
E.ON versucht vor allem im Ausland zu wachsen und kann sich für seine Investitionen anders als die mittelständischen Treiber der Energiewende die Staaten mit den attraktivsten Rahmenbedingungen aussuchen. Offshore-Windparks bauen E.ON und RWE vor allem in Großbritannien, weil die Anlagen dort nicht so weit vor den Küsten errichtet werden müssen wie in der deutschen Nord- und Ostsee. Wegen der attraktiven Vergütung halten die vier Energiekonzerne aber ebenfalls Konzessionen für Offshore-Windparks vor den deutschen Küsten. Der Beitrag der vier Stromkonzerne zur Energiewende wird bei dieser kapitalintensiven Technologie voraussichtlich am größten sein.
Wie viel Gewinn die Konzerne bei einem weiter steigenden Grünstromanteil im Netz künftig noch mit ihren fossilen Kraftwerken machen, hängt vor allem von politischen Faktoren ab. Ehrgeiziger Klimaschutz würde Emissionszertifikate verteuern und vor allem die Braunkohleverstromung unrentabler machen. In den nächsten Jahren werden sich die Bundesregierung und die EU-Kommission außerdem entscheiden müssen, ob und in welchem Umfang auch Strom aus fossilen Kraftwerken gefördert werden soll. E.ON deutete 2012 die Stilllegung unrentabler Gaskraftwerke an. Werden auch noch die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet, könnten Erzeugungskapazitäten für die Zeiten fehlen, in denen zu wenig Ökostrom vorhanden ist.