Stadt und Partizipation: Quartiermanagement in der „Sozialen Stadt“
Die Diskussion um Partizipation in der Stadtplanung ist keine 60 Jahre alt, die Vorstellung von einer sozialen Stadt dagegen wesentlich älter. Als ein Bund-Länder-Gemeinschaftsprogramm allerdings gibt es „Die Soziale Stadt“ erst seit 1999. Mit dem Programm reagierte die Politik auf Tendenzen sozialräumlicher Spaltung und Ausgrenzung in den Städten. Das Quartiermanagement ist der eigentliche organisatorische Kern der Umsetzung des Programms. Die Erfahrungen mit Partizipation in der Stadtplanung gehen dabei in die Arbeit der Quartierbüros vor Ort ein.
Angesichts von Millionen Flüchtlingen ist die Orientierung des Programms auf Integration heute wichtiger denn je. Worin bestehen die zentralen Elemente einer solchen sozialen Stadtentwicklungspolitik, die sowohl soziale Ungleichheit als auch basisdemokratische Ziele adressiert, und wie sind sie einzuordnen?
Gefährdete Integration – Hintergrund der Bemühungen um eine „Soziale Stadt“
Bund, Länder und Gemeinden legten 1999 ein gemeinsames Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ auf. Schon der Titel signalisiert, dass die Integrationsfähigkeit der Stadtgesellschaften als gefährdet angesehen und diese Gefährdung vor allem in den Armuts- und Zuwanderungsquartieren der Städte verortet wird.
Der Hintergrund des Programms ist die sozialräumliche Ungleichheit in den Städten. Stadtviertel der Armen gab es zwar immer schon, genauso wie die Quartiere der Mittel- und Oberschichten. Sie bilden die sozialstrukturellen Ungleichheiten der Gesellschaft ab, die bereits Autoren wie Friedrich Engels vor über 150 Jahren in den Elendsquartieren Englands in der Frühphase der Industrialisierung beschrieben. Doch dieses städtische Gesicht der Ungleichheit hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt.
Die moderne Stadt – eine gefährdete soziale Stadt?
Die moderne Stadt im Westdeutschland der Nachkriegszeit galt lange als eine soziale Stadt, weil die Arbeitsmärkte einen Aufstieg ermöglichten und der Sozialstaat regulativ und umverteilend eingriff. Die Vision einer sozial gerechten Stadt schien daher realisierbar und zukunftsfest. Kommunale Daseinsfürsorge und Stadtplanung, sozialer Wohnungsbau und öffentliche Infrastruktur wurden von einträglicheren Bereichen quersubventioniert, etwa aus Überschüssen aus Monopolgewinnen der kommunalen Strom-, Gas- und Wasserversorgung.
Heute hingegen stoßen die hochverschuldeten Gemeinden die Sozialwohnungen ab und veräußern notgedrungen manches Tafelsilber der kommunalen Infrastruktur an private Träger. Die Arbeitsmärkte versperren europaweit vor allem Menschen mit geringen formalen Qualifikationen, darunter vielen Jüngeren und Migranten, langfristig den Einstieg. Diese sammeln sich in wenigen Quartieren: Dort, wo die Mieten aus verschiedensten Gründen noch relativ günstig sind. Die Polarisierung der Einkommen und Lebenschancen wird somit auch räumlich in den Städten sichtbarer – oder auch weniger sichtbarer, wenn, wie in den Banlieues in Frankreich, viele Einkommensschwächere auf die großen Siedlungen am Rande der Städte ausweichen müssen.
Abwärtsspiralen in den Stadtquartieren verstärken Ausgrenzung
Armut konzentriert und verfestigt sich in einigen Stadtvierteln, während in anderen der Wohlstand zunimmt – auf diese Formel lassen sich seit geraumer Zeit die aktuellen Tendenzen der Stadtentwicklung, insbesondere in den wieder wachsenden Großstädten, bringen. Die Viertel mit hohen Anteilen von armen Haushalten werden häufig als „Problemquartiere“ bezeichnet, weil in ihnen ein „Teufelskreis“ von schlechten Wohnverhältnissen, mangelnder Ausstattung mit Läden und Infrastruktur befürchtet wird, der die bereits prekären Lebensumstände ihrer Bewohner weiter erschwert. Die Stichworte Polarisierung und Spaltung der Stadt beschreiben, wie sich aus dem Mosaik der Stadtteile und Nachbarschaften einige herauslösen, weil sie den Weg eines sozialen wie wirtschaftlichen Niedergangs gehen. Jahrzehnte hoher Arbeitslosigkeit haben so aus manchen Arbeiter- und Zuwanderungsvierteln längst Viertel der Deklassierten und Ausgegrenzten gemacht. Auf- und abgewertete Wohngebiete existieren wie Inseln der Armut und des Reichtums nebeneinander. Die einen sind auf dem Weg nach unten, die anderen auf dem Weg nach oben.
Der Grundgedanke des Programms „Soziale Stadt“ und seine Umsetzung in der Tradition der Städtebauförderung
Die Vision einer Stadt der Chancengleichheit wird unter diesen Bedingungen auf eine Vision von Problemquartieren verengt, die der besonderen Behandlung bedürfen. Begründet wird dies damit, dass die räumlich verfestigten Milieus der Ausgrenzung drohen, ganze Stadtquartiere ins gesellschaftliche Abseits zu ziehen, wenn nicht eine sozialverantwortliche Stadtentwicklung gegensteuert. Diese Viertel aufzuwerten und den dort wohnenden und arbeitenden Menschen wieder den Anschluss an die durchschnittlichen Chancen in anderen Quartieren zu geben, ist der Grundgedanke des Programms „Soziale Stadt“.
Dieser Grundgedanke wird über rechtliche und finanzielle Instrumente umgesetzt, die in der Tradition der Stadtsanierungsprogramme der 1970er Jahre und deren gesetzlicher Grundlage, der Städtebauförderung, stehen: Das Programm „Soziale Stadt“ ist nur eines von mehreren Programmen der Städtebauförderung, die seit dem Städtebauförderungsgesetz von 1971 aufgelegt wurden.
Dieses Gesetz hatte für zwei wichtige Voraussetzungen einer „modernisierten“ sozialen Stadtentwicklung gesorgt: Zum einen gab es den Gemeinden die Möglichkeit, ihre lokalen, kleinräumig begrenzten Sanierungs- und Entwicklungsaufgaben in einem gemeinsamen finanziellen und rechtlichen Rahmen mit den Ländern und dem Bund zu tragen („Gemeinschaftsaufgabe“; Mehrebenenpolitik). Zum anderen machte es Bürgerbeteiligung zu einem Standard in der Stadtplanung (Partizipation).
Auch wenn das Gesetz vor allem die Voraussetzungen für das Wirtschaftswachstum in den Städten sichern sollte: Mit der Einführung von Partizipationsmöglichkeiten in der Stadtplanung reagierte es auch auf die politischen und sozialen Folgen der sogenannten Flächensanierungen. Deren massive Eingriffe in die Lebenswelt der Bürger hatten häufig breite Proteste hervorgerufen. Der Bevölkerung in den sanierungsbetroffenen Quartieren verschaffte das Gesetz einklagbare Informations-, Schutz- und Mitwirkungsrechte. Diese Rechte sollten sie vor willkürlichen Eingriffen und unangemessenen Folgen schützen sowie unbillige Härten ausgleichen.
Das Programm in Zahlen: Die Gebiete
Im Jahr 2003 gab es bereits über 300 Programmgebiete in 214 Städten und Gemeinden, etwa ein Viertel davon in Ostdeutschland, drei Viertel in Westdeutschland. Bis Ende 2013 waren doppelt so viele Gesamtmaßnahmen in das Bund-Länderprogramm aufgenommen worden: 617 in 378 Städten und Gemeinden. Davon lagen laut Städtebauförderungsdatenbank des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) 303 Kommunen in den alten und 75 in den neuen Bundesländern. Gemeinsames Merkmal der Programmgebiete ist eine gegenüber der Gesamtstadt überdurchschnittliche „Problemdichte“. Zwei Gebietstypen treten dabei besonders häufig auf: Zum einen gründerzeitliche Altbaugebiete mit altindustrialisierter Prägung und einem vielfältigen Nebeneinander kleinteiliger Siedlungsstrukturen, zum anderen überwiegend industriell gefertigte Neubausiedlungen der Sechziger- bis Achtzigerjahre (also die westlichen Großtafel- und die östlichen Plattenbausiedlungen). 2003 lag mehr als die Hälfte der geförderten Gebiete in Neubaugebieten (in den neuen Bundesländern weit überwiegend), während Altbaugebiete nur 20 Prozent ausmachten. 2013 bildeten die Neubaugebiete immer noch fast die Hälfte aller Gebiete; der Anteil von Gebieten mit Bebauung vor 1949 blieb bei 20 Prozent.
Städtebauliche Erneuerung, Partizipation und Bekämpfung von sozialer Ungleichheit
Das Städtebauförderungsgesetz von 1971 war das doppelte Instrument einer wachstumsorientierten Innenstadtentwicklung und einer sozialstaatlichen Abfederung, die die Lebensverhältnisse generell verbessern sollte. Rund 30 Jahre später allerdings stellte sich die Situation verändert dar: Das Programm „Soziale Stadt“ sollte die Lebenssituation in den problembehafteten Stadtquartieren ohne solche externen Potenziale angehen, „von innen“ heraus verbessern und bürgerschaftliche Ressourcen für kleine und kleinste Verbesserungen in allen Bereichen mobilisieren helfen. Das Quartiermanagement ist hier selbst Beispiel des Rückzugs des Sozialstaates, indem es auf „Selbsthilfe“ orientiert ist (und entsprechend wenig direkt tun kann).
Im Selbstverständnis dieses Programms wurden die sozialen Verhältnisse in den Städten jetzt selbst zum Gegenstand von Maßnahmen. Es ging nun nicht nur darum in bessere Straßen, Freiräume und Gebäude, sondern ebenso in Menschen zu investieren. Auch die Vorstellung von Partizipation änderte sich damit: Aus einer unmittelbar politischen, basisdemokratischen Abwehr von unbilligen Eingriffen in die Quartiere wurde der Versuch, Planung auf die Beine vieler zivilgesellschaftlicher Akteure zu stellen, die bisher nicht in dieser Weise engagiert waren. Nicht Partizipation als Frontstellung Bürger vs. Staat, sondern Partizipation als weitest mögliche Einbindung und Partnerschaften vor allem zivilgesellschaftlicher Akteure bildet das Zentrum der Bemühungen. Kurz gesagt: Es geht nicht um Beteiligung als Mobilisierung gegen, sondern um Beteiligung als Aktivierung für Projekte, die sonst gar nicht erst entstehen würden. Die Bürger sollen ihr Verhalten und ihre Erwartungen an den Staat praktisch ändern. Die Standards des lokalen Sozialstaates sollen nicht als Leistungen abgerufen, sondern vor Ort selbst praktisch hergestellt werden – im Sinne eines aktivierenden oder kooperierenden, gewährleistenden statt versorgenden Staates. Dem entspricht die doppelte Zielsetzung des Programms.