Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes (Basis Mikrozensus) lag im Jahr 2022 die Armutsrisikoquote der über 65-Jährigen bei 18,1 Prozent. Dass damit die Quote der Gesamtbevölkerung von 16,7 Prozent nur leicht unterschritten wird, ist nur ein schwacher Trost. Denn es ist immer zu bedenken, dass ältere Menschen kaum die Möglichkeit haben eine bereits eingetretene Hilfebedürftigkeit aus eigenen Mitteln und Kräften dauerhaft zu überwinden.
Was ist Altersarmut? Maßstäbe, Indikatoren und Messverfahren
Um die Frage nach Existenz und Ausmaß von Altersarmut zu beantworten, muss zunächst definiert werden, was unter Armut verstanden wird. Erst wenn die Armutskriterien benannt worden sind, lässt sich empirisch ermitteln, welche quantitativen Dimensionen Armut im Alter derzeit hat und voraussichtlich in Zukunft aufweisen wird. Diese Kenntnis wiederum ist Voraussetzung für eine Diskussion über Erfordernis und Zielrichtung von Reformstrategien.
Aus der Armutsforschung ist bekannt, dass bei der Suche nach diesen Kriterien nicht auf vermeintliche objektive Merkmale zurückgegriffen werden kann. Da es sich bei der Armut in wohlhabenden Gesellschaften um ein relatives Problem handelt, sind immer normative Entscheidungen notwendig: Entschieden werden muss, ab welchem Maß der Unterschreitung des durchschnittlichen Lebens- und Einkommensstandards der Zustand der Einkommensarmut besteht. Unstrittig ist, dass zur Bestimmung von Einkommensarmut nicht das individuelle, sondern das verfügbare und nach Bedarf gewichtete pro Kopf-Haushaltseinkommen als Maßstab dient.
Zu berücksichtigen sind also sämtliche um Abzüge bereinigte Einkommenszuflüsse, die in einem Haushalt zusammenfallen. Gesetzliche Renten, Betriebsrenten, private Leibrenten, Beamtenpensionen, Renten aus Versorgungswerken der freien Berufe, Wohngeld, Kapitaleinkünfte und auch Hinterbliebenenrenten müssen addiert und um Steuern und Beiträge gemindert werden.
Die in aller Regel niedrigen Renten von Ehefrauen sind deshalb nur begrenzt mit Einkommensproblemen bis hin zur Altersarmut verbunden, da die Alterseinkommen, die dem Mann zufließen, meist den Hauptbestandteil des Haushaltseinkommens ausmachen. Allerdings: Die Eigenständigkeit der Alterssicherung von Frauen ist damit nicht gegeben; die Frauen bleiben in ihrem Lebensstandard - in der Erwerbsphase wie in der Altersphase - auf Unterhaltsleistungen ihrer Ehemänner angewiesen (vgl. Ausbau der Alterssicherung von Frauen).
Zwei Konzepte
Ob nun ein niedriges Haushaltseinkommen das Kriterium "Armut" erfüllt, hängt entscheidend von der Festlegung der Armutsschwelle ab. Es muss ein Grenzwert bestimmt werden, der "arm" von "nicht arm" unterscheidet. Zwei Vorgehensweisen haben sich in der Armutsforschung etabliert (vgl. Kasten). Zum einen kann Bezug genommen werden auf die empirisch gemessene Einkommensverteilung, aus der dann ein Schwellenwert abgeleitet wird. Zum anderen lässt sich das politisch-institutionell festgelegte Bedarfsniveau der Grundsicherung (SGB XII und SGB II) als Maßstab verstehen. Beiden Vorgehensweisen ist gemeinsam, dass sie nur auf die monetäre Einkommensdimension abstellen (d. h. andere Aspekte wie die Verfügung über private und öffentliche Güter oder soziale Inklusion/Exklusion außer Acht lassen) und dass sie nicht auf Individualeinkommen, sondern auf den Haushalt als Wirtschaftseinheit abstellen.
Zudem existieren verschiedene Datengrundlagen, mit denen man Armut messen kann. Entscheidend ist, ob alle Bevölkerungsgruppen sowie deren verfügbare Haushaltseinkommen repräsentativ erfasst werden und was unter "Einkommen" verstanden wird. Wichtigste Datengrundlagen zur Ermittlung von Armutsrisikoquoten sind in Deutschland neben den Großerhebungen der amtlichen Statistik „Mikrozensus (MZ)“, " European Union Statistics on Income and Living Conditions" (MZ-SILC) noch das sog. "Sozioökonomische Panel" (SOEP). Da diese Erhebungen Stichproben sind und unterschiedliche Grundgesamtheiten abbilden, kommt es zu statistischen Unsicherheiten und methodischen Ergebnisdifferenzen, so z. B. wenn höhere Einkommen untererfasst werden.
QuellentextZwei Definitionen und Messverfahren von Einkommensarmut
Die beiden wichtigsten Definitionen und Grenzen zur Ermittlung des Bevölkerungsanteils in Armut sind:
Die politisch normative Setzung eines Betrages, der zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums eines Haushalts nötig ist.
Dies ist der Satz der Sozialhilfe bzw. der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (vgl. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung). Dieser Satz (Regelbedarf) liegt 2023 bei 502 Euro für Alleinstehende bzw. 2 x 451 Euro bei (Ehe-)Partnern im gleichen Haushalt (= je 90 Prozent des Eckregelsatzes). Hinzu kommen noch die (angemessenen) Wohnkosten, über die dann auch regionale Preisniveaudifferenzen im Wohnungsmarkt in die Berechnung der Armutsgrenze einfließen.
Datengrundlage zur Ermittlung von Zahl und Struktur der Bezieher:innen ist die amtliche Sozialhilfestatistik. Arme im Sinne dieser Betrachtungsweise sind dann die Personen, die in Bedarfsgemeinschaften/Haushalten leben, in denen das Einkommen unterhalb dieses Betrages liegt und aufgestockt werden muss.
Die Ableitung einer Einkommenshöhe als Armutsgrenze aus den Daten der Einkommensverteilung.
Diese in der Politik und Wissenschaft üblich gewordene Messung der sog. relativen Armut bezeichnet als Arme diejenigen, die mit ihrem aus dem Haushaltseinkommen abgeleiteten pro-Kopf-Einkommen unterhalb der sog. Armutsrisikoschwelle/-grenze liegen. Diese Schwelle bzw. Grenze wird üblicherweise bei 60 Prozent des Medianeinkommens der Bevölkerung festgesetzt. Der Median in einer Einkommensverteilung ist derjenige Wert, der genau in der Mitte liegt. 50 Prozent der Haushalte haben ein Einkommen über, 50 Prozent eines unterhalb des Medians. Personen in Haushalten mit einem Einkommen unterhalb dieser Grenze gelten als arm; ihr Anteil an der jeweiligen Population ist die Armutsrisikoquote.
Bei den Einkommen handelt es sich um so genannte Nettoäquivalenzeinkommen: Aus dem verfügbaren Haushaltseinkommen werden nach dem Bedarf gewichtete Einkommen berechnet, die berücksichtigen, dass mehrere Personen beim gemeinsamen Wirtschaften Kostenvorteile erzielen. Gemäß der heute üblichen sog. "neuen OECD-Skala" werden dem ersten Haushaltsmitglied ein Punktwert von 1,0, jeder weiteren Person im Haushalt über 14 Jahren 0,5 und jedem Kind unter 14 Jahren 0,3 Punkte zugeordnet. Das gesamte Haushaltsnettoeinkommen dividiert durch die gesamte Punktzahl ergibt dann das Nettoäquivalenzeinkommen. Diese Nettoäquivalenzeinkommen werden dann mit dem durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommen der Bevölkerung verglichen.
Weitere Armutsdimensionen
Neben den beiden genannten einkommensbezogenen Armutsdefinitionen sind in der Literatur auch weitere Indikatoren gängig, auf die hier aber nur kurz eingegangen werden soll, so z. B. zur materiellen Deprivation und subjektive Bewertungen. Zu ersteren gehören Angaben zur Verbreitung und Defiziten bei Lebensstandardmerkmalen (wie z. B. die Verfügung über WC und Bad/Dusche in der Wohnung, über ein Telefon oder ob man sich z. B. mindestens jeden zweiten Tag eine warme Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder Gemüse leisten könne etc.). Zu letzteren gehören Angaben aus Befragungen, ob man sich (große) Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation mache, ob man mit dem Haushaltseinkommen ganz und gar unzufrieden sei oder ob man glaube, sehr viel weniger als einen gerechten Anteil am Lebensstandard zu erhalten etc.
Altersarmut und Grundsicherung
Wird Einkommensarmut im Alter am Grundsicherungsstandard (Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung) gemessen, bleibt strittig, ob die Angewiesenheit auf (in der Regel aufstockende) Grundsicherungsleistungen Ausdruck von Armut oder nur von erfolgreich "bekämpfter" Armut ist.
Diese Frage ist nicht ohne die Setzung von Wertmaßstäben zu klären. Denn eine pauschale Gleichsetzung des Bezugs von Grundsicherung auf der einen und Armut auf der anderen Seite ist unangemessen, da jede Erhöhung des Leistungsniveaus zu einer Erhöhung der Armut und eine Absenkung des Niveaus zu einer Absenkung der Armut führen würde. Entscheidend kommt es deshalb darauf an, ob die Höhe der Grundsicherung als ausreichend angesehen wird, um das sozio-kulturelle Existenzminimum zu sichern.
Die andauernde Debatte um die verfassungsrechtliche Angemessenheit einer aus dem sog. Statistik-Modell ermittelten Höhe des Regelbedarfs weist darauf hin, wie vage und ergebnisoffen das aktuell angewendete Verfahren ist. Letztlich spielen hierbei gerade auch Budgetüberlegungen der politischen Entscheidungsträger eine zentrale Rolle.
Der Grundsicherungsstandard kennt keinen exakten Grenzwert. Zwar sind die Regelbedarfe bundeseinheitlich festgelegt, aber die anerkannten Kosten der Unterkunft (Warmmiete) variieren erheblich zwischen den Bundesländern, zwischen Stadt und Land und auch zwischen den Stadtteilen und den Wohnungsstandards. Zusätzlich können Mehrbedarfe anfallen, so dass es sich beim Grundsicherungsstandard um ein vergleichsweise breites Band unterschiedlicher Grundsicherungsniveaus handelt.
Diese Berücksichtigung unterschiedlicher, lebenslagespezifischer Gegebenheiten reflektiert, dass ein exakter, für die gesamte Bevölkerung geltender Grenzwert der (Alters-)Armut kaum problemangemessen ist. Gerade bei älteren Menschen treten aufgrund des schlechter werdenden Gesundheitszustandes auch häufig besondere Bedarfe und Kosten auf, die nicht einfach vernachlässigt werden können.
Auch haben ältere Menschen kaum noch eine Chance, ihre Einkommenshöhe aktiv zu gestalten - wenn man von dem problematischen Weg absieht, Einkommensarmut durch die Weiterführung einer Beschäftigung auch über das Rentenalter hinaus zu vermeiden - bis hin zur vollständigen körperlichen Erschöpfung. Es kann also nicht außer Acht gelassen werden, unter welchen Bedingungen das Einkommen im Alter erzielt wird: Handelt es sich um die Angewiesenheit auf bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherungsleistungen, die stets mit einem Stigma des Versagens, mit Scham und Abhängigkeit versehen sind, oder um das Zusatzeinkommen aus einem belastenden Nebenjob im Niedriglohnsektor oder um beitragsfundierte Renten, auf die ein unabdingbarer Rechtsanspruch besteht?
Grundsicherung im Alter: Strukturen und Trends
Hinsichtlich der Inanspruchnahme der Grundsicherung im Alter lassen sich folgende Befunde zusammenfassen (vgl. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung):
Die Zahl der Leistungsempfänger steigt seit 2003 (dem Jahr der Einführung der Grundsicherung im Rahmen des SGB XII) kontinuierlich an und umfasst im Jahr 2022 etwa 1.200.000 Personen.
Die Leistungsempfänger untergliedern sich etwa je zur Hälfte in Ältere (oberhalb der Regelaltersgrenze) und in voll Erwerbsgeminderte.
Beim Grundsicherungsbezug werden andere Einkommen wie vor allem eigene und abgeleitete Renten und Wohngeld vorrangig angerechnet, so dass in aller Regel nicht der volle Bedarfssatz zur Auszahlung kommt, sondern die Grundsicherung nur eine Aufstockungsfunktion wahrnimmt.
Immerhin kanpp ein Drittel aller älteren Grundsicherungsempfänger verfügen aber über keinerlei anzurechnendes Einkommen. Hier dürfte es sich vor allem um Ausländer:innen und vormalige Selbstständige handeln, die keine Rentenanwartschaften erworben haben bzw. erwerben konnten oder wollten und auch ansonsten kein anderes Einkommen aufweisen. Zwei Drittel verfügen über eine eigene, allerdings zu geringe Altersrente. Bei den erwerbsgeminderten Grundsicherungsempfängern können zwei Drittel nicht auf eine Erwerbsminderungsrente zurückgreifen.
Setzt man die Zahlen der Grundsicherungsempfänger ins Verhältnis zur entsprechenden Bevölkerung, so errechnen sich lediglich geringe Empfängerquoten: Im Jahr 2022 müssen insgesamt 3,7 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre (Männer 3,7; Frauen 3,8 Prozent) auf die Grundsicherung zurückgreifen (vgl. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung). Ist Altersarmut also kein relevantes Problem? Es bestehen offensichtlich erhebliche Differenzen zwischen der Inanspruchnahme der Grundsicherung und den relativen Armutsquoten, die sich auf Basis der gängigen Definition aus den empirischen Zahlen zur Verteilung der Nettoäquivalenzeinkommen (vgl. unten) errechnen.
Mehrere Ursachen hierfür sind zu beachten:
Die am durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommen bemessene relative Armutsgrenze (60 Prozent vom Median = Armutsrisikoschwelle) liegt deutlich über dem Bedarfsniveau der Grundsicherung. So beziffern die statistischen Ämter des Bundes und der Länder den 60 Prozentwert vom Median für einen Einpersonenhaushalt für das Jahr 2022 auf 1.250 Euro. Im selben Jahr liegt der Grundsicherungsbedarf (Regelbedarf und durchschnittliche Kosten der Unterkunft) für eine Einzelperson bei etwa 900 Euro. Relativ viele Einkommen von Älteren befinden sich im Bereich zwischen dem Existenzminimum der Grundsicherung und der etwas höheren Armutsrisikoschwelle (vgl. unten).
Bei der an der Einkommensverteilung gemessenen relativen Armutsbetroffenheit bleiben Vermögensbestände (nicht aber Vermögenserträge) unberücksichtigt, während bei der Grundsicherung verwertbares Vermögen der Betroffenen (und des Partners bzw. der Partnerin) vorrangig eingesetzt werden muss.
Die Grundsicherungsstatistik erfasst als Prozessstatistik naturgemäß nur jene, die tatsächlich einen Antrag stellen und diesen bewilligt erhalten. Aus der Armuts- und Sozialhilfeforschung ist aber bekannt, dass ein erheblicher Teil der Bezugsberechtigten von dem Recht auf aufstockende Grundsicherungsleistungen keinen Gebrauch macht. Zwar war es Ziel der 2003 neu eingeführten Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, den Zustand einer verdeckten Altersarmut zu vermeiden, dies insbesondere durch den weitgehenden Verzicht auf den Rückgriff auf das Einkommen und Vermögen der Kinder. Aber offensichtlich ist Nicht-Inanspruchnahme aus Gründen von Scham, Scheu oder fehlenden Informationen weiterhin − und gerade bei Älteren − ein Problem.
Es ist daher unzulänglich, sich bei Aussagen zur Verbreitung von (Alters-)Armut nur allein auf die Empfängerquoten der Leistungen des Fürsorgesystems − die "bekämpfte Armut" − zu beziehen.
Relatives Armutsmaß: Armutsrisikoquoten
Armut ist immer relativ - zum Wohlstandsniveau der jeweiligen Gesamtpopulation. Als Standard in der Politik wie in der Wissenschaft gilt dabei, wenn es um die Messung der Bevölkerungsanteile in Armut (bzw. im Armutsrisiko) geht, die zwischen den EU-Mitgliedsstaaten vereinbarte Definition des relativen Armutsrisikos, die vorrangig mit dem Indikator der Armutsrisikoquote abgebildet wird. Sie ist definiert als Anteil der Personen in Haushalten, deren bedarfsgewichtetes Nettoäquivalenzeinkommen weniger als 60 Prozent des Mittelwertes (Median) aller Einkommen der jeweiligen Gesamt- oder Teilpopulationen beträgt.
Wenn es um die empirische Erfassung einer so definierten Armuts- bzw. Altersarmutsquote geht, zeigt sich, − hier für die Jahre 2005 bis 2021 dargestellt − dass die Befunde je nach Datenquelle leicht differieren (vgl. Abbildung "Armutsrisikoquoten nach verschiedenen Datenquellen"). Ursache ist, neben dem statistischen Unsicherheitsbereich bei Stichproben, die leicht unterschiedliche Definition der Grundgesamtheit bei den betrachteten Repräsentativerhebungen.
Im zeitlichen Verlauf zeigt sich aber insgesamt ein Anstieg der Betroffenheit der Bevölkerung vom Armutsrisiko. Zugleich lässt sich feststellen, dass auch die Einkommensarmut Älterer derzeit ein durchaus relevantes Problem darstellt. Wie die Abbildung „Armutsgefährdungsquoten älterer Menschen 2005 – 2022“ zeigt, kommt es im Zeitverlauf zu einem stetigen Anstieg. Ab etwa 2020 liegt die Armutsgefährdung der 64Jährigen und Älteren sowie der Rentner:innen und Pensionär:innen oberhalb der Quote der Gesamtbevölkerung.