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Technischer Fortschritt und Industrie 4.0 | Arbeitsmarktpolitik | bpb.de

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Technischer Fortschritt und Industrie 4.0

Wenke Klingbeil-Döring

/ 11 Minuten zu lesen

Digitalisierung, Robotisierung und Automatisierung sind Facetten des technischen Wandels, die sich auf vielfältige Weise auf den Arbeitsmarkt und den Arbeitsbegriff an sich auswirken. Der Begriff Arbeit oder Industrie 4.0 beschreibt dabei die vierte industrielle Revolution, die einen weitreichenden Wandel von Erwerbsarbeit zur Folge hat.

Facharbeiter in einer vernetzten und digitalisierten Autofabrik im September 2020. (© picture-alliance)

Die wachsende Vernetzung der Gesellschaft auf der Grundlage von digitalen Technologien und Digitalisierung wirkt sich auf praktisch all unsere Lebensbereiche aus. Mit ihr verändert sich, wie wir kommunizieren, uns Informationen beschaffen und einkaufen, wie wir arbeiten, wirtschaften und produzieren. Wir sind mittendrin im Wandel hin zu Arbeit 4.0, Industrie 4.0 und Wirtschaft 4.0 und haben einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Gestaltung und Aneignung von Erwerbsarbeit, Produktion und Wertschöpfung zu gestalten.

Der technische und technologische Wandel: Von mechanisierter zu digitalisierter Arbeit

Wie der aktuelle Wandel waren auch alle vorherigen industriellen Revolutionen technologiegetrieben. Das grundlegende Charakteristikum industrieller Revolution, also die Übertragung der in erster Linie produktionsrelevanten Veränderungen auf diese gesamte Wirtschaft, gewann mit der Informationalisierung und Automatisierung in den 1970er-Jahren eine neue Qualität, die auch den laufenden Wandel formt: Mit der Weiterentwicklung und Verbreitung von Kommunikations- und Informationstechnologie wurden Verwaltungen und Dienstleistungen flexibler, effizienter und kundenäher. Eine allgemeine Neuausrichtung hin zu Lean Production, also die Verschlankung der Produktion und aller angrenzenden Bereiche, bewirkte einen ähnlich tiefgreifenden Paradigmenwechsel wie die tayloristische Massenproduktion der zweiten industriellen Revolution, jedoch mit anderer praktischer Ausrichtung und auch gesellschaftlicher wie ethischer Reichweite:

Die Bedingungen und Treiber von Arbeit 4.0

Digitalisierung

So wird die vierte industrielle Revolution im Unterschied zu den vorangegangenen nicht durch einzelne Werkzeuge geformt, sondern durch ein Bündel verschiedener Technologien, deren Zusammenspiel und der sich daraus ergebenden Synergien und Möglichkeiten: Erstens entwickeln sich Automatisierung, Informations- und Kommunikationstechnologie und auf dieser Grundlage Cyber-physische Systeme (CPS), die virtuelle Strukturen mit der physischen Welt verbinden, weiter. Zweitens – zum Teil infolge, zum Teil als Anschub dieser Technisierung – nehmen verschiedene gesellschaftliche und kulturelle Wandlungsprozesse Einfluss. Neu sind auch die Schnelligkeit der Entwicklung, das Maß der Effizienzsteigerung und die Reichweite der Veränderungen, die völlig neue Formen branchenübergreifender Wertschöpfungsnetze und schließlich eine Wirtschaft 4.0 kreieren. In verschiedener Hinsicht weist die vierte industrielle Revolution gegenüber den vorherigen eine also neue Qualität auf. Die hervorstechendste ist, dass die bisherigen Umbrüche tiefgreifende gesellschaftliche und soziale Transformationsprozesse erst ausgelöst haben, während die laufende industrielle Revolution von vornherein stark von ganz unterschiedlichen Einflüssen gelenkt wird und eben nicht als rein technologischer Wandel qualifiziert werden kann. Entsprechend tiefgreifend und weitereichend ist der Wandel von Erwerbsarbeit.

Globalisierung und Klimawandel

So treiben die technologischen Fortschritte in Kommunikation, Information und Vernetzung etwa die Globalisierung weiter voran und diese ihrerseits den Strukturwandel von Wirtschaft und Arbeit: Neue Märkte werden erschlossen und internationale Kooperationen ermöglicht, zugleich steigen Wettbewerbs- und Preisdruck und Prozesse wie Organisationsweisen müssen angepasst werden. Hierbei erhält gerade in den Industrieländern inzwischen auch das Bewusstsein für den Klimawandel und die Notwendigkeit, Produkte und Geschäftsformen ökologisch und nachhaltig zu gestalten, eine wachsende Bedeutung: Ressourceneffizienz ist nun nicht mehr in erster Linie eine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern – insbesondere vor dem Hintergrund veränderter Kundenansprüche – auch des Umweltschutzes.

Wertewandel

Ganz grundsätzlich drängt ein allgemeiner Wertewandel etwa seit den 1960er-Jahren den Strukturwandel in eine bestimmte Richtung: hin zu einer Subjektivierung oder Individualisierung von Arbeit, die veränderte Ansprüche, aber auch veränderte Organisationsweisen bedingt: So wünschen sich insbesondere jüngere Arbeitnehmende heute Arbeitsformen, die eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben erlauben, und eine Tätigkeit, in der sie sich selbst verwirklichen können. Insgesamt, das zeigt auch die Studie „Wertewelten Arbeiten 4.0“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) pluralisieren sich Wert- und Idealvorstellungen in Bezug auf die Arbeitswelt, wobei sich die Wertvorstellungen älterer und jüngerer Arbeitnehmender nur unwesentlich voneinander unterscheiden und soziodemografische Faktoren wie Ausbildung oder Einkommen ebenfalls kaum eine Rolle spielen.

Demografischer Wandel

Der demografische Wandel wirkt sich gleichfalls stark auf den Strukturwandel des Arbeitsmarktes und von Arbeit aus: Der allgemein gestiegenen Lebenserwartung steht nach wie vor eine niedrige Geburtenrate gegenüber, die den bereits bestehenden berufsspezifischen Fachkräftemangel in bestimmten Branchen zukünftig weiter verschärfen wird; in einer Qualität, die auch Zuwanderung und die gewachsene internationale Mobilität nicht ausgleichen können und die es deshalb nötig macht, Tätigkeiten und Qualifizierungen anzupassen.

Die moderne Welt als VUCA-Welt

In der Diskussion um den Wandel von Arbeit, Industrie und Lebensführung illustriert seit den 1990er-Jahren das aus dem Amerikanischen stammende Akronym VUCA die Stoßrichtung dieser Einflüsse: Demnach ist die moderne Welt im Wesentlichen charakterisiert durch Volatility (Volatilität, d. h. Flüchtigkeit), Uncertainity (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Ambivalenz); kennzeichnend ist außerdem eine Beschleunigung der Entwicklung, d. h. ein immer schnellerer Wandel etwa von Prozessbedingungen oder Kundenanforderungen. Die Rahmenbedingungen von Wirtschaft, Arbeitsgestaltung und Unternehmensführung sind also die einer VUCA-Welt: Weil hier Perspektiven, Strategien, Organisationsweisen und Prozesse entsprechend angepasst werden müssen, formt VUCA Arbeit 4.0 und Industrie 4.0 energisch und entsprechend. Die Verbreitung digitaler Technologien ist dabei eine direkte Folge und zugleich Motor der Entwicklung: Sie machen – etwa durch neue Kommunikations-, Informations- und Gestaltungswege – Flüchtigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz einerseits handhabbar, andererseits erzeugen und vertiefen sie diese aber auch.

Entscheidend für das Bild von Arbeit 4.0 ist Wechselseitigkeit der Einflüsse. Insgesamt zeigt sich, dass der Einsatz digitaler Technologien Arbeits- und Organisationsformen ermöglicht, die den veränderten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und individuellen Anforderungen entsprechen. So treiben die gezeigten Einflüsse die Digitalisierung weiter voran, die ihrerseits – ausgehend von den Möglichkeiten, die sie schafft – neue Anforderungen und Ansprüche anregt. Jede Auseinandersetzung mit Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 hat also auch die gesellschaftlichen und insbesondere die sozialen Bedingungen, unter denen sich der Wandel vollzieht und die er kreiert, einzubeziehen. Ganz besonders auch, um soziale Verwerfungen oder ökologische Schäden, wie sie infolge der früheren industriellen Revolutionen auftraten, abzuwenden. Die Kennzeichen von Industrie 4.0

Begrifflich wurde das beschriebene Zukunftsprojekt einer Industrie 4.0 im Jahr 2011 auf der Hannover-Messe ausgerufen. Ihr Kernelement und ihre Verwirklichungsperspektive ist es, digitale Technologien in allen Zweigen und Bereichen der Fertigungsindustrie zu integrieren, mit dem Ziel, dass Prozesse so weit wie möglich automatisch oder autonom, d. h. automatisiert ablaufen. Industrie 4.0 ist die Visionen einer intelligenten Fabrik; von Smart Factory, Smart Production, Smart Services und Smart Logistics. Im Unterschied zum Automatisierungsgrad der dritten industriellen Revolution sind hier alle Bereiche, Schnittstellen und Kooperationen eines Unternehmens eingeschlossen – von der Verwaltung über die Produktion und Logistik bis hin zur Prozessabwicklung mit Zulieferern oder Handelspartnern –; darüber hinaus sind diese weit stärker miteinander vernetzt. So sollen vor allem Effizienzsteigerung erreicht und neue Geschäftsmodelle, Wertschöpfungswege und -ketten erschlossen werden, um die sich schnell verändernden Kundenanforderungen zügig und flexibel zu befriedigen und Beschäftigte zu entlasten. Entsprechend betrifft der Paradigmenwechsel die Gestaltung und Organisation der Produktions- und Wertschöpfungsprozesse von Anfang bis Ende; es geht also nicht nur um „technische und technologische Weiterentwicklungen [...], sondern auch um organisatorische und im Endeffekt auch soziale Anpassungen“ angesichts der gezeigten neuen Anforderungen und Ansprüche unter den Bedingungen der VUCA-Welt.

Neue Technologien

Basis dieser Anpassungen sind bestimmte technologische Weiter- und Neuentwicklungen: Wo Prozessoren und Sensoren, Speicher-, Übertragungs- und Steuerungstechnik immer leistungsfähiger werden, lassen sich neue Gestaltungs- und Einsatzmöglichkeiten für Computertechnologie, Software und Robotik erschließen. In der industriellen Fertigung sind insbesondere intelligente, autonome oder semi-autonome cyber-physische Systeme (CPS) relevant: Innerhalb einer Dateninfrastruktur wie dem Internet ermöglichen diese komplexen Systeme die Kommunikation zwischen Informations- und Softwarekomponenten mit mechanischen oder elektrischen Bauteilen, wodurch sich Produktionsprozesse in verschiedener Hinsicht weiter automatisieren und flexibilisieren lassen. Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinelles Lernen (Machine Learning), d. h. die Fähigkeit von IT-Systemen, zu lernen und dann selbstständig Probleme zu lösen, ermöglichen zudem die Weiterentwicklung der Robotisierung als wesentlichen Aspekt der digitalisierungsgetriebenen Automatisierung der Industrieproduktion. Auf Basis von Sensorik und KI können sogenannte kollaborative Roboter („Cobots“) in den Fabriken nun direkt mit Menschen zusammenarbeiten, statt räumlich von ihnen getrennt zu sein. Die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) ist insbesondere bei Montage-Anwendungen ein wesentlicher Teil von Industrie 4.0. Die Planung und der Einsatz dieser Roboter oder anderer Produktionsanlagen werden durch Augmented Reality, d. h. durch Technologien, die computergestützt die Darstellung einer erweiterten Realität und eine Voransicht der anvisierten Umsetzung in dieser ermöglichen, wesentlich vereinfacht. Die Möglichkeiten des 3D-Drucks flexibilisieren Produktion und Produkte zusätzlich: Unternehmen können etwa kurzfristig Bau- und Ersatzteile oder Prototypen, die sie bislang über Zulieferer beziehen mussten, selbst fertigen. Auch die logistische Prozessen einzelner oder mehrerer Unternehmen untereinander werden hin zu Logistik 4.0 oder Smart Logistics automatisiert, d. h. flexibel und bedarfsorientiert gesteuert: Etwa durch das Konzept der adaptiven Logistik lassen sich Lieferketten synchronisieren und Mitarbeitende durch den Einsatz autonomer Fahrzeuge entlasten.

Neue Geschäftsmodelle

Ein intern wie extern hoher Vernetzungsgrad kennzeichnet alle Geschäftsbereiche in der Industrie 4.0: An Bedeutung gewinnen so unternehmens- und branchenübergreifende Kooperationen und Netzwerke, d. h. auch spezialisierte Zulieferer oder Dienstleister; Prozesse lassen sich zunehmend und standortunabhängig koordinieren und steuern. Die einzelne Fabrik steht nicht mehr Zentrum der Wertschöpfung; sie ist eher Systemhaus oder Plattform. Ihre Vernetzung ermöglicht neue oder weiterentwickelte digitale und datenbasierte Geschäftsmodelle: Die sogenannten Smart Services ergänzen oder erweitern Produkte zugunsten von Leistung, Lebensdauer, Kundenerlebnis und Kundenbindung.

Noch ist die Smart Factory eine Zukunftsvision und die Realisierung von Industrie 4.0 steht noch ganz am Anfang: In der Praxis finden sich einzelne Umsetzungen, die die technologischen Möglichkeiten aber längst nicht annähernd ausschöpfen und noch eher als Pilotprojekte oder Machbarkeitsstudien qualifiziert werden müssen. Dennoch darf die Bedeutung des gezeigten industriellen Paradigmenwechsels für das Bild und die Organisation von Erwerbsarbeit nicht unterschätzt werden; das gilt für die Zukunft genauso wie für die Gegenwart und weit über die Grenzen von Industriearbeit hinaus.

Mit Digitalisierung, Automatisierung, Robotisierung zu Arbeit 4.0

Insgesamt beschleunigen Digitalisierung, Automatisierung und Robotisierung einander wechselseitig; zugleich und infolgedessen wirken sich die Veränderungen der industriellen Produktion auch alle anderen Branchen und Bereiche aus. Die Basis digitaler Technologien und Anwendungen sind Daten; genauso werden die Technologien benötigt, um Big Data, d. h. das enorme Aufkommen und die Komplexität der Daten, überhaupt bewältigen zu können. Die Digitalisierung schafft also die informations- und kommunikationstechnische Infrastruktur für Automatisierung und Robotisierung wie für Wertschöpfungsnetze, Geschäftsmodelle und Arbeitsformen, und formt so Wertschöpfung, Arbeit und Beschäftigung grundlegend um:

QuellentextWenke Apt und Steffen Wischmann

Im Zuge der Digitalisierung lassen sich aktuell zwei technologische Trends erkennen. Algorithmen, Maschinen, Roboter, IT-Systeme werden einerseits immer intelligenter, autonomer und universeller einsetzbar. Anderseits lassen sich viele hochkomplexe technische Systeme immer leichter bedienen. Aus diesen beiden Entwicklungen ergibt sich das bisher nie dagewesene Potenzial, Arbeit völlig neu zu gestalten.

Apt, Wenke; Wischmann, Steffen (2017): Neue Gestaltungsmöglichkeiten für die Arbeitswelt. S. 109.

Die Kennzeichen von Arbeit 4.0

Was Arbeit heute und in Zukunft bestimmt, ist also vor allem das Zusammenspiel der gezeigten Einflüsse und Möglichkeiten, die insbesondere die Digitalisierung eröffnet; hinzu kommen die gleichsam mit ihr verbundenen Herausforderungen. Diese lassen sich im Sprechen von einer Arbeit 4.0 abbilden: Im Unterschied zum Konzept New Work, das auf den österreichisch-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurückgeht, ist Arbeit 4.0 kein wertegeleitetes, gestaltungsgerichtetes Muster von und für Erwerbsarbeit, sondern vielmehr ein so geräumiger wie kennzeichnender Sammelbegriff, vor dem sich die vielfältigen Elemente und Einflüsse der laufenden, aber noch offenen Transformation von Arbeit und deren Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft diskutieren lassen.

Es zeigt sich, dass dort, wo digitale Technologien Produktions-, Informations- oder Kommunikationsprozesse und Geschäftsmodelle verändern, Beschäftigung und Beschäftigte durchweg stark betroffen sind; positiv wie negativ: Während einerseits Effizienz- und Produktivitätssteigerung, Zeitersparnis, Entlastung und örtliche wie zeitliche Flexibilisierung möglich sind, entwickeln sich andererseits prekäre Beschäftigungsformen und zusätzliche Belastungen für Beschäftigte, etwa durch mobiles Arbeiten und ständige Erreichbarkeit. Wie und in welcher Form sich insbesondere der technische Fortschritt auf Arbeit auswirkt, ist gegenwärtig noch sehr unterschiedlich: Je nach Branche, Geschäftsfeld, Ausrichtung, Größe, Etablierung oder Standort eines Unternehmens spielen die neuen Organisations- und Aneignungsweisen von Arbeit ein mehr oder weniger große Rolle. Gegenwärtig noch ausschlaggebend hierfür ist im Wesentlichen die erreichte oder mögliche digitale Durchdringung eines Unternehmens oder eine Branche. Verschiedene Erhebungen zeigen, dass digitale Technologien im Arbeitsalltag der meisten Menschen inzwischen eine große und weiter wachsende Rolle spielen:

QuellentextBundesministerium für Arbeit und Soziales

Nahezu jede Form der Erwerbsarbeit in Deutschland wird heute von informations- und kommunikationstechnischen Arbeitsmitteln begleitet. Ein Großteil der Innovationen, aber auch der Veränderungsprozesse in den Unternehmen, wird heute durch die Digitalisierung getrieben.

Externer Link: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS; Hg.) (2016): Wertewelten Arbeiten 4.0. März 2016. Berlin.

Wo daneben oder angrenzend an die Digitalisierung auch andere Einflüsse, neue Anforderungen und Ansprüche den Wandel treiben und wir es außerdem mit einer gesellschaftlichen und dann politisch gestalteten Transformation zu tun haben, lassen sich die allgemeinen und zum Teil ambivalenten Kennzeichen der sogenannten Arbeit 4.0 identifizieren.

Flexibel, vernetzt und individualisiert

So, wie die Digitalisierung alte Geschäftsmodelle verändert und neue ermöglicht, wandeln sich mit ihr auch Tätigkeiten und Beschäftigungsformen. Mit der Technisierung entstehen – um diese beherrschen, nutzen und weiterentwickeln zu können – neue Tätigkeitsfelder und Berufe. Richtunggebend ist außerdem der Wunsch von Unternehmen wie von Arbeitnehmenden nach Flexibilität. Hinzu kommt eine wachsende Zahl von Personen, die ihren Lebensunterhalt als Solo-Selbstständige oder sogenannte Crowd- oder Clickworker bestreiten; die also für verschiedene Unternehmen zumeist über das Internet vermittelte, kleine oder kleinste (Teil-)Projekte oder Aufträge erledigen. Entsprechend verlieren Hierarchien und starre Arbeitszeitmodelle an Bedeutung; unternehmerische Entscheidungen werden weniger von oben nach unten als vielmehr unter Einbeziehung aller Beteiligten getroffen. Führung wandelt sich hin zu einem Digital Leadership, das digitale Kompetenz, Agilität, Flexibilität, Offenheit, Partizipation, Mitarbeiter- und Kundenorientierung und Vernetzung ins Zentrum des Führungs- und Unternehmenshandelns stellt. Insgesamt folgt die Arbeitsorganisation zunehmend diesen Prinzipien; einerseits als inzwischen wirtschaftliche Notwendigkeit im Wettbewerb am Markt und um qualifizierte Fachkräfte, andererseits, weil die digitalen Technologien eine flexible und bedürfnisorientierte Arbeitsorganisation ermöglichen und immer mehr Beschäftigte diese auch einfordern. In vielen Unternehmen und Branchen ist der Computer inzwischen das wichtigste Arbeitsmittel, hinzu kommen das Smartphone und andere mobile Tools oder digitale und mobile Tools, die Arbeit und Arbeitende nicht mehr an einen bestimmten Ort binden. Homeoffice oder Coworking Spaces ergänzen oder ersetzen inzwischen vielerorts den klassischen Büroarbeitsplatz. In immer mehr Unternehmen setzt sich eine Ergebnis- gegenüber einer Präsenzkultur durch. Im Entstehen neuen Führungs- und Organisationskulturen und der Ausweitung von Telearbeit und organisationsübergreifender Vernetzung wandeln sich auch Arbeitsbeziehungen und Kommunikationsformen grundlegend; insbesondere als Folge der Robotisierung dringen Maschinen immer weiter in den Kooperationszusammenhang Arbeit ein. Grundsätzlich gewinnen Kommunikation und interdisziplinäre Zusammenarbeit an Bedeutung. Maschinen oder Computer übernehmen immer öfter einfache, eintönige oder stark routinierte Tätigkeiten, dafür werden andere Aufgaben komplexer und Stellenbeschreibungen sind entsprechend flexibler. Gefragt sind andere Kompetenzen als bislang; etwa im Umgang mit und zum Verständnis der digitalen Technologien, aber auch solche, die Künstliche Intelligenz oder Maschinen nicht ersetzen können. Mithin und mit der Notwendigkeit, im beschleunigten, inhaltlich kaum vorhersehbaren Wandel schrittzuhalten, wächst für Unternehmen wie für Arbeitnehmende die Bedeutung von Qualifizierung. Sie gilt gesamtgesellschaftliche als Schlüssel für die erfolgreiche Bewältigung des digitalen Wandels.

Menschlich, ambivalent und gestaltungsbedürftig

„Am Ende wird der Mensch im Unternehmen ,den Unterschied machen‘ und nicht die technische Ausstattung.“ (Jacobs et al. 2018, S. 25)

Wenngleich der laufende Wandel von Arbeit und Produktion in erster Linie technologiegetrieben ist, rückt der Mensch mit ihm in verschiedener Hinsicht ins Zentrum: Stärker denn je sind genuin menschliche und individuelle Kompetenzen gefragt und das Bewusstsein, der Anspruch und die Möglichkeiten vorhanden, Arbeit flexibel nach den Erfordernissen der Beschäftigten zu gestalten. Auf der anderen Seite dieser Möglichkeiten dringt Arbeit stark in deren Privatleben vor und stellt in einer ganz neuen Qualität und von verschiedener Seite Anforderungen an Beschäftigte. Der Wandel von Wirtschaft und Arbeit ist Teil und zugleich Motor eines umfassendes gesellschaftlichen Wandels, den wir – eingedenk der vielfachen Einflüsse und unterschiedlichen Herausforderungen – entsprechend als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anzunehmen und zu gestalten haben.

Weitere Inhalte

Dr. Wenke Klingbeil-Döring lebt und arbeitet als freie Philosophin, Autorin und Lektorin in Berlin.
Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Bedeutung und der Wandel von Erwerbsarbeit, Digitalisierung, die Bedingungen menschenwürdiger Arbeitsgestaltung, die Entwicklungen und Folgen von Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie gesellschaftliche Transformationsprozesse und Krisen.