Nach der Wiedervereinigung kam es in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre zu einem deutlichen Anstieg von Gewalttaten, die als „rechtsextremistisch“ eingestuft wurden. Allein im Jahr 1992 lag die Zahl dieser Gewalttaten bei 2.584.
Ausgangssituation: Anstieg rechtsextremer Gewalt in den 1990er-Jahren
Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stand insbesondere die tödliche Gewalt in den Jahren 1990 bis 1993: Neonazis ermordeten acht Menschen bei rassistisch motivierten Brandanschlägen auf Wohnhäuser in Mölln und Solingen. In Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen kam es zu pogromähnlicher Gewalt gegen Asylsuchende, die in Unterkünften lebten. Bereits im Dezember 1990 war der aus Angola stammende Vertragsarbeiter Amadeu António Kiowa in Eberswalde ermordet worden.
Die
Auch auf politischer Ebene gewannen Rechtsextreme Anfang der 1990er-Jahre an Einfluss. So gelang
Gründung von "Exit"
Vielen Betroffenen fällt es schwer, ohne fremde Hilfe ihre extremistischen Einstellungen zu überwinden und das oft gewalttätige Umfeld zu verlassen. Aussteigewillige werden in diesem Umfeld oft als Verräter angesehen und bedroht.
Im Jahr 2000 entstand deshalb das bis heute von einem privaten Verein betriebene Programm Exit. Es gehört zu den bekanntesten
Hilfe zur Selbsthilfe
Im Fokus Externer Link: des ersten staatlichen Aussteigerprogramms, das im April 2001 vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gegründet wurde, standen "subkulturär (sic) geprägte und gewaltbereite Rechtsextreme", deren Zahl man damals auf bundesweit knapp 9700 schätzte. Ein wichtiges Ziel sollte das "Herausbrechen von Führungspersonen" aus der Neonaziszene sein. Heute richtet sich das Angebot an eine deutlich breitere Zielgruppe. So können sich dort Menschen melden, die nationalistische, antisemitische, rassistische oder fremdenfeindliche Überzeugungen teilen oder in entsprechenden Kreisen verkehren oder Mitglieder in rechtsextremen Parteien oder Gruppierungen sind. Voraussetzung für eine Aufnahme in das Programm sei "der erkennbare Wille, sich von rechtsextremistischen Vorstellungen, politischen Zielen und Szenen vollständig zu lösen".
Das Aussteigerprogramm soll laut BfV eine langfristige persönliche Betreuung bieten. Dazu gehören die Erarbeitung eines individuellen Ausstiegsplans unter Berücksichtigung sicherheitsrelevanter Aspekte und die Förderung der Loslösung von rechtsextremistischem Gedankengut durch Aufarbeitung der Vergangenheit und Ideologie des Aussteigers. Zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft hilft das BfV Aussteigern auch dabei, einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz und gegebenenfalls auch eine neue Wohnung zu finden. Bei Bedarf werden externe Hilfsangebote vermittelt, wie etwa eine Suchtberatung.
Aussteigerprogramme auch für Linksextreme und Islamisten
2011 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz auch ein Externer Link: Aussteigerprogramm für Linksextreme aufgelegt – ein "Beitrag zum Maßnahmenkatalog der Bundesregierung gegen Extremismen jeder Art und Gewalt und für mehr Toleranz und Demokratie", so das BfV. Das Programm richte sich an Personen, "die sich dazu entschieden haben, sich aus dem Einflussbereich linksextremistischer Strukturen zu lösen, den Ausstieg jedoch aus eigener Kraft nicht schaffen“. Zielgruppe sind insbesondere Linksextreme, die aus einem gewaltbereiten Umfeld kommen.
Auch manche Bundesländer wie NRW oder Niedersachen haben Ausstiegsprogramme für Linksextremisten aufgelegt. Zudem gibt es mittlerweile sowohl von staatlicher Seite als auch von dem Verein Exit Externer Link: Aussteigerprogramme auch für Islamisten.
Von 2001 bis 2018 traten rund 1200 Personen mit der Behörde in Kontakt – der Großteil davon im ersten Jahr. Dies geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion von Anfang 2018 hervor. Zwischen 2003 und 2017 schwankte die Zahl der jährlichen Anfragen zwischen acht und 32. "Eine weitergehende Unterstützung" durch das BfV-Programm erfolgte bis Anfang 2018 in etwas mehr als 130 Fällen. In 114 davon verlief der Ausstieg den Angaben zufolge erfolgreich. In drei Fällen wurden Aussteiger der Statistik zufolge später wieder rückfällig. Neuere Zahlen gibt es nicht.
Aussteiger berichten von Drohungen
Das BfV selbst äußert sich mit Verweis auf Sicherheitsaspekte zu Teilnehmerzahlen nicht. Keine Auskunft gibt das Amt auch darüber, ob in Einzelfällen bei besonders gefährdeten Personen Hilfe beim Aufbau einer neuen Identität gewährt wird. Auch zu den Kosten schweigt die Behörde. In ersten Meldungen zu dem Programm war 2001 von Ausgaben von bis zu 100.000 DM pro Aussteiger die Rede – etwa für Wohnung und Unterhalt in den ersten Monaten. Bei einem Aussteigerprogramm des niedersächsischen Verfassungsschutzes überschritten die Kosten in der Praxis jedoch bei keinem einzigen Klienten die 10.000-Euro-Grenze. Fast alle Aussteiger sind Männer. Sie berichteten gegenüber der Behörde, sie fühlten sich bedroht, wenn sie auf ihnen bekannte Szeneangehörige träfen. Die Begleitung erfolgt laut BfV durchschnittlich drei bis fünf Jahre.
Staatliche Aussteigerprogramme auch in den Bundesländern
Mittlerweile gibt es bundesweit eine Vielzahl ähnlicher Programme. So haben in zehn Bundesländern entweder Landesregierung, Innen-, Sozial- oder Justizministerium, das jeweilige Landeskriminalamt oder der Landesverfassungsschutz eigene Aussteigerprogramme aufgelegt. So etwa in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern.
An einem seit 2001 bestehenden Programm des niedersächsischen Justizministeriums mit dem Namen "AussteigerhilfeRechts" haben in den vergangenen beiden Jahrzehnten 153 Menschen teilgenommen – in 76 Fällen mit Erfolg. Zudem gelang 45 Personen bis Mai 2020 der Ausstieg über ein zusätzliches Programm des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Zehn Aussteiger waren nach Angaben der Behörde "Führungskader der rechtsextremistischen Szene".
Kritik
Insbesondere staatliche Programme gerieten in der Vergangenheit immer wieder in die Kritik wegen des Vorwurfs, Aussteiger seien als Informanten abgeschöpft oder sogar als V-Leute eingesetzt worden. In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage im Bundestag teilte das Bundesinnenministerium dazu mit, "eine Werbung" durch das BfV sei in keinem einzigen Fall erfolgt: "Dies liefe dem Zwecke des Aussteigerprogramms zuwider". Seit 2015 ist zudem "die Anwerbung von Teilnehmern von Aussteigerprogrammen als V-Leute" laut Gesetz verboten.
Auch zivilgesellschaftliche Programme werden staatlich gefördert
Mittlerweile gibt es neben den staatlichen auch mehr als ein Dutzend zivilgesellschaftliche Aussteigerprogramme wie Exit, von denen einige finanziell staatlich gefördert werden. Die Bundesarbeitsgemeinschaft "Ausstieg zum Einstieg" ist der bundesweite Dachverband zivilgesellschaftlicher Akteure der Ausstiegs- und Distanzierungshilfe im Bereich Rechtsextremismus. So wurde Exit über das Programm "Demokratie leben!" immer wieder für einen Zeitraum von vier Jahren gefördert, nach einer Änderung der Richtlinien galt Exit 2019 jedoch kurzzeitig nicht mehr als förderungswürdig. Nach einem medialen Aufruhr gab das Familienministerium schließlich an, eine Lösung gefunden zu haben, um Exit doch weiter zu fördern.
Gut 3000 Personen konnten Medienberichten zufolge in den vergangenen zwanzig Jahren durch die verschiedenen Programme aus der Szene herausgezogen werden – darunter Mitläufer und Aktivisten, aber auch langjährige Führungspersonen.