In den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren es die Alliierten, die die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes strafrechtlich verfolgten. Vor dem Internationalen Militärgerichtshof fanden von 1945 bis 1949 die
Periode des Schweigens
Bis 1958 wurde jedoch nur gegen wenige Täter ermittelt. Ein Grund dafür war das gesamtgesellschaftliche Klima in den frühen Jahren der Bundesrepublik: Durch Entnazifizierungsverfahren sollten zwar alle ehemaligen Nazis aus Positionen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft entfernt werden. Diese Verfahren blieben jedoch oft oberflächlich. Ab 1951 wurden viele Staatsbedienstete aus der NS-Zeit Externer Link: wieder eingegliedert. Auch einige Verurteilte aus den
Ulmer Prozess 1958
Das änderte sich erst mit dem Externer Link: Ulmer Prozess von 1958. Hauptangeklagter war Bernhard Fischer-Schweder, der Kommandeur des Einsatzkommandos Tilsit, das 1941 im litauischen Memel (heute: Klaipėda) mehrere tausend Jüdinnen und Juden ermordet hatte. Dem Gericht gelang es, ihm und neun weiteren Angeklagten die Beteiligung an insgesamt 5.502 Morden nachzuweisen. Es war der erste Prozess vor einem deutschen Gericht, in dem Massenmorde verhandelt wurden. Er machte öffentlichkeitswirksam deutlich, dass NS-Verbrecher unbestraft in Deutschland lebten und arbeiteten.
Zwei Monate nach dem Urteil, im November 1958, gründeten die Justizminister der Bundesländer die Externer Link: Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Ihre Aufgabe ist es bis heute, auf der Grundlage systematischer Quellenauswertung Vorermittlungen zu führen, die sie an die zuständigen Staatsanwaltschaften übergibt.
Hermann Langbein und Fritz Bauer
Zwei Männer, die maßgeblichen Anteil daran hatten, dass ab 1963 der Frankfurter Auschwitz-Prozess stattfinden konnte, waren
Hermann Langbein war Historiker und Publizist, und hatte selbst als Häftling Auschwitz überlebt. 1954 gründete er das Externer Link: Internationale Auschwitz Komitee mit und versorgte die Justiz mit Hinweisen zu Ermittlungen gegen mutmaßliche Täter von Auschwitz.
Fritz Bauer war 1930 jüngster Amtsrichter der Weimarer Republik, wurde jedoch 1933 von den Nationalsozialisten wegen seines jüdischen Glaubens aus dem Justizdienst entlassen und für acht Monate im Konzentrationslager Heuberg interniert. Ab 1936 lebte er im Exil, erst in Dänemark, von wo aus er wegen der drohenden Deportation der dänischen Juden durch die deutschen Besatzer nach Schweden flüchten musste. Erst 1949 kehrte er nach Deutschland zurück.1956 wurde er zum hessischen Generalstaatsanwalt ernannt, wo er sich unermüdlich für die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen engagierte. Er gab unter anderem dem israelischen Geheimdienst den entscheidenden Hinweis zum Aufenthaltsort von Adolf Eichmann, der zu dessen Ergreifung und schließlich zum Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem führte. Er engagierte sich auch dafür, dass die Verhandlungen über die Verbrechen, die in Auschwitz begangen wurden, in einem großen Prozess abgehalten wurden, und nicht in vielen kleinen Verfahren.
Mord oder "Befehlsnotstand"?
Ein Problem bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen war die Diskrepanz zwischen dem Ausmaß des organisierten Massenmordes an europäischen Juden und einem Mordparagrafen, der für eine Verurteilung individuelle Tatnachweise voraussetzt. Das bedeutet: Täter konnten nur dann verurteilt werden, wenn ihnen eine direkte Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnte, was einschließt, dass die Tat ohne Befehl und aus niederen Motiven wie zum Beispiel Rassenhass begangen wurde. Dem stand entgegen, dass sich Täter oft auf den so genannten "Befehlsnotstand" beriefen und bekundeten, dass ihnen bei Unterlassung ihrer Taten Gefahr für Leib und Leben gedroht hätte. Als besonders schwierig erwies sich, in dem quasi-industriell aufgebauten Mordkomplex des Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz einer einzelnen Person die Hauptverantwortung für eine einzelne Tat nachzuweisen.
Auschwitz – Symbol für den Holocaust
In Auschwitz, dem heutigen Oswiecim (Polen), befand sich das größte Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten. Es gilt als Symbol für den Holocaust, den systematischen Mord an den Juden Europas. Insgesamt wurden in Auschwitz mindestens 1,1 Millionen Menschen ermordet, etwa eine Million von ihnen waren Juden.
Der Lagerkomplex, im Mai 1940 errichtet, bestand aus drei Hauptteilen. Im Stammlager (Auschwitz I) waren unter anderem sowjetische Kriegsgefangene und Frauen eingesperrt. Im Lager Birkenau (Auschwitz II) trafen die Deportationszüge ein. Dort befanden sich auch die Gaskammern und Krematorien.
Wer die Selektion an der Rampe überlebte, wurde als Zwangsarbeiter im Lager Monowitz (Auschwitz III) untergebracht. Die zumeist jüdischen Häftlinge arbeiteten bis zur Erschöpfung auf dem angrenzenden Werksgelände der I.G. Farbenindustrie AG, einem Zusammenschluss deutscher Chemieunternehmen, sowie anderen Fabriken, die sich rund um das Lager angesiedelt hatten. Insgesamt hatte der Lagerkomplex eine Ausdehnung von 40 Quadratkilometern.
Die Anhörungen
Der Frankfurter Auschwitz-Prozess begann am 20. Dezember 1963. Externer Link: Insgesamt sollten 24 Männer wegen NS-Verbrechen im Kontext des Konzentrationslagers Auschwitz angeklagt werden. Richard Baer, der letzte Kommandant von Auschwitz, starb ein halbes Jahr vor Prozessbeginn, ein weiterer Mann schied krankheitsbedingt aus dem Verfahren aus. Hauptangeklagter war Robert Mulka, der Adjutant des früheren Lagerkommandanten Rudolf Höß. Der Prozess hieß offiziell "Strafsache gegen Mulka u.a.". Neben Mulka standen unter anderem drei Lagerärzte und Mitglieder der SS-Wachmannschaften vor Gericht.
Angehört wurden insgesamt 359 Zeugen aus 19 Ländern. Etwa zwei Drittel von ihnen waren ehemalige
Die Angeklagten ihrerseits leugneten die Existenz der Verbrechen in Auschwitz oft nicht. Sie gaben jedoch häufig an, Erinnerungslücken zu haben, oder bestritten, persönlich an diesen Taten beteiligt gewesen zu sein. Außerdem beteuerten sie, auf Befehl gehandelt zu haben.
Urteile lösen Debatte aus
Am 19. und 20. August 1965 wurden Externer Link: die Urteile verkündet. Sechs Angeklagte wurden zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt, darunter Josef Klehr, der Leiter des SS-Desinfektionskommandos in Auschwitz, dem 475 Morde und gemeinschaftliche Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in mindestens sechs Fällen zur Last gelegt wurden. Auch Emil Bednarek, der als sogenannter Funktionshäftling von der SS in Auschwitz eingesetzt worden war und dem 14 Morde nachgewiesen werden konnten, erhielt eine lebenslange Freiheitsstrafe. Er wurde jedoch 1975 begnadigt. Robert Mulka selbst bekam wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in mindestens vier Fällen und an mindestens je 750 Menschen eine 14-jährige Freiheitsstrafe, die er jedoch nie antrat: Ihm wurde noch vor Rechtskraft des Urteils im Jahr 1968 Haftverschonung gewährt. Mulka starb 1969. Drei weitere Angeklagte wurden freigesprochen.
Insgesamt wurden die Urteile oft als zu milde empfunden. Auch
Wende durch den Demjanjuk-Prozess 2011
Die Rechtsauffassung, dass nur jene Nazi-Täter zur Verantwortung gezogen werden können, denen eine persönliche Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnte, änderte sich dagegen nur allmählich. Beihilfe zum Mord und Mord sind die einzigen Verbrechen aus der Nazi-Zeit, die noch nicht verjährt sind. Gleichzeitig galten aber beispielsweise SS-Wachen, die mit ihren Taten einen Anteil daran hatten, dass Morde geschehen konnten, im juristischen Sinne nicht als Beihelfer.
Das änderte sich mit dem Prozess gegen den in der Ukraine geborenen SS-Wachmann John Demjanjuk, der 2011 wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 28.060 Fällen im
Interner Link: Jörg Echternkamp: Die Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen Joachim Wolf: Leugnen aus Tradition. Die Frankfurter Auschwitz-Prozesse